Afghanistan
(01.09.2021, 21:43)Broensen schrieb: Militärisch ist allerdings zu beachten, dass "ethnisch sortierte" Einheiten nicht zu mehreren separaten Streitkräften mit jeweils eigener Führung werden dürfen.

Du meinst wahrscheinlich wegen möglicher seperatistischer Tendenzen? Als militärischer Laie vermute ich aber das man zumindest gewisse doppelte Führungsstrukturen benötigt für den Fall der Fälle das sich ein Teil der Streitkräfte auflöst wie in Afghanistan. Das ist ja der Kern der Idee. Also wenn wie in Afghanistan die nationale Armee, Kommandostruktur oder Regierung zusammenbricht, das dann beispielsweise ein "Landeskommando" der Hazara den Oberbefehl über die dann noch hoffentlich existierenden hazarischen Einheiten nahtlos übernehmen kann, um zumindest einen Teil ihres Volkes vor den Taliban zu schützen. Im Worst Case.
Wenn es nur ein teilweiser Zerfall der Streitkräfte ist, dass das Landeskommando dann beispielsweise wie die Kurden im Irak und Syrien in der Lage ist den Widerstand fortzusetzen, bis Verstärkungen der nationalen Streitkräfte eintreffen. In beiden Fälle benötigt man eine gewisse Doppelstruktur. Also das ein regionaler Führungsstab, Generalkommando oder so den Oberbefehl übernehmen kann. Entweder vollständig (Worst Case) oder zumindest zeitweise.

Soweit ich es der Berichterstattung entnahm, befahlen afghanische Offiziere, Führungsstäbe ihren Untergebenen nicht mehr zu kämpfen und nach Hause zu gehen. Also sich aufzulösen. Braucht es nicht irgendeine Regelung oder Trennung in den Streitkräften um deutlich zu machen das sie dies nicht befehlen können? Also zumindest nicht ethnisch sortierten Landesstreitkräften, so dass diese in so einem Fall einem anderen Oberkommando angehören? Oder das der Befehl zur Auflösung nur von einer meinetwegen hazarischen Landesregierung/Landeskommando kommen kann? Ich weiß nicht, braucht es dafür nicht eine gewisse Trennung also Separierung in den Streitkräften, wenn diese Landesregimenter organisatorisch, logistisch usw so konzipiert sein müssen, dass sie auch notfalls ohne die nationalen Streitkräfte handlungsfähig sein sollen?
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Also zum Einen kann das alles nur funktionieren, wenn man ein entsprechend föderal aufgebautes Staatgebilde hat. Was bisher seitens des Westens eher vermieden wurde, vermutlich aus eben der von dir genannten Sorge vor separatistischen Tendenzen und aufgrund der Annahme, dass innerhalb eines Staates die ethnischen Unterschiede zugunsten einer gemeinsamen Gesellschaftsorganisation überwunden werden sollten.

Zum Anderen ist aber so etwa wie ein "Landeskommando" genau das, was dazu führt, dass diese regionalen Verbände nicht den Staat als ganzes vertreten, sondern lediglich ihre eigenen Führungskräfte. So entstehen genau die Warlords, die man seit Jahrzehnten versucht, in den Griff zu bekommen.

Es kann nur über ein ausgewogenes System funktionieren, in dem Einheiten zwar loyal zu einer bestimmten Bevölkerung stehen, während aber andererseits kein Befehlshaber zu viel Macht auf sich vereinen kann. Keine leichte Herausforderung.

In Afghanistan hat sich gezeigt, dass die Bindung der Armeeangehörigen an ihre Befehlshabern genauso wenig existierte, wie an ihre Bevölkerung. Also hat man mal wieder von beiden Varianten das schlechte vereint. Vielleicht wäre ein Milizsystem mit zentralisierter Führung aber lokal verwurzelten Einheiten eine Lösung. Eventuell dann auch, wie du schreibst, mit doppelten Führungsstrukturen, in denen die militärische Führung der lokalen Einheiten auch in der Zivilverwaltung eingebunden ist, während sie militärisch einem überregionalen Kommando untersteht, um die Warlord-Problematik zu begrenzen.

Aber wenn die Lösung so einfach wäre, dass wir sie hier finden, dann wäre da wohl schon jemand anderes drauf gekommen.
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Die afghanische Nationalarmee hat sehr hart und mit hohen Verlusten gegen die Taliban gekämpft, über Jahre hinweg. Ungefähr 65.000 afghanische Soldaten sind im Kampf gefallen. Dass sie sich jetzt auflöste hat weniger mit ihrer Struktur und Konzeption zu tun, als vielmehr mit dem höchst einfachen Fakt, dass ein Gros der Kämpfer in Afghanistan absolut gewissenlose Söldner sind die nur ihrer Familie, ihrem Clan und allenfalls noch ihrem Stamm verpflichtet sind. Und dass diese mal schlicht und einfach nicht mehr bezahlt wurden und dass nicht erst seit kurzem, sondern seit Monaten. Viele (!) afghanische Soldaten haben seit einem dreiviertel Jahr keinen Sold mehr bekommen. Die Gelder welche die afghanische Regierung dafür erhalten hat wurden veruntreut. Korrupte Offiziere machten die Auszahlung des Soldes davon abhängig ob die Soldaten davon Bestechungsgelder an sie abgaben. Ausrüstung wurde veruntreut und an die Taliban verkauft. Es wurden den Taliban sogar militärische Erfolge verkauft und Soldaten zur Schlachtbank geführt gegen Geld. Während sich das gelieferte Militärmaterial an manchen (zentralen) Stellen staute erhielten die Soldaten dort wo es benötigt wurde keinen Nachschub.

Obwohl angefordert wurden teilweise weder Munition noch geschützte Fahrzeuge noch Treibstoff geliefert. Teilweise wurde nicht einmal Essen mehr zur Verfügung gestellt. Während die Führung mit den Taliban zusammen ins Drogengeschäft eingestiegen ist, mussten viele Soldaten für ihre Familien von ihrem Sold auch noch Schutzgelder an örtliche Talibankräfte zahlen. So floss Geld über die Armee an die Taliban (das gleiche fand übrigens auch bei Ortskräften statt). Es wurden auch Unmengen von Schatteneinheiten aufgestellt, die nur auf dem Papier existierten und dafür Gelder bezogen und ebenfalls veruntreut. Im Gefecht kämpften die einfachen Soldaten durchaus ganz normal, zumindest auf dem gleichen Niveau wie die Taliban auch, wurden aber extrem schlecht geführt, ständig verarscht und um ihren Lohn gebracht- oder um es mit den Worten eines US Offiziers zu sagen: It is only a question of command.

Deshalb macht es wenig Sinn über eine andere Wehrform, andere Strukturen oder eine andere Konzeption für eine solche Armee zu sprechen. Solange die Führung (je weiter oben, desto schlimmer) in derartig extremer Weise korrupt und inkompetent ist, ist das völlig irrelevant. Es hätte genügt wenn man den Soldaten den Sold weiter bezahlt hätte und mit höheren Zahlungen Kämpfer der Taliban abgeworben und die Taliban hätten noch Jahre gebraucht oder wären gescheitert. Es wäre so einfach gewesen. Das hätte aber vorausgesetzt, dass wir selbst dort die Führung dieser Armee in die Hand nehmen und die Dinge dort direkt selbst regeln und genau da kommt uns unsere eigene Propaganda und der ausufernde Legalismus in der ritualisierten Kriegsführung des Westens TM in die Quere. Hätten wir die ANA direkt selbst geführt und hätten die Soldaten ihren Sold einfach direkt von uns in voller Höhe ausgezahlt bekommen, wären die Taliban nicht da wo sie jetzt sind. So einfach ist das.

Wieviele Bundeswehrsoldaten würden unter den von mir hier geschilderten Umständen weiter kämpfen? Wie viele nach Hause gehen? Nachdem sie jahrelang verarscht, betrogen, bestohlen und umgebracht wurden durch eine kleptokratische grenzenlos korrupte Führung von schwerkriminellen Verbrechern und Drogenhändlern? Die wie zum Hohn vom Westen dann auch noch als demokratische Regierung bezeichnet wird welche die Menschenrechte der Afghanen sichern soll?!

Das die afghanische Armee nicht längst schon viel früher einfach zerfallen ist (was nämlich hierzulande geschehen würde unter diesen Umständen) liegt auch nur daran, dass es sich größtenteils um gewissenlose Söldner handelt denen die von mir geschilderten Umstände völlig egal waren, solange sie sich selbst daran bereichern konnten. Der vorherrschende Status dieser Söldnerarmee war also hier ein Vorteil. Soldaten in unserem Verständnis hätten schon viel früher das Handtuch geworfen und/oder sich dem Gegner angeschlossen, weil dieser die Interessen ihrer Nation viel eher vertritt.

Es ist also völlig egal ob man ein Milizsystem, eine dezentrale Militärstruktur oder ein zentralitische organisiertes konventionelles Militär andenkt, solange die geschilderten Umstände nicht beseitigt werden, ist das alles höchst irrelevant. Da aber die kleptokratischen Kriminellen vor Ort welche dort so tun als ob sie die demokratische Regierung wären jeden Versuch einer sinnvollen Entwicklung hier im Grunde von Grund auf abwürgen, spielen solche Überlegungen überhaupt keine Rolle.

Wir müssten selbst direkt die Söldner entlohnen und dies besser als der Feind. Den auch eine Mehrheit der Taliban-Kämpfer sind in Wahrheit Söldner und dienen den Taliban mal schlicht und einfach nur für Geld, materielle und sonstige Vorteile, Anteile am Drogenhandel usw.

Ich behaupte, dass wir in Afghanistan hätten gewinnen können. Und das wir dort gescheitert sind liegt an unserer eigenen Verblendung, dem Umstand dass wir unsere eigene lächerliche Propaganda auch noch ernst nehmen und dass wir so tun als ob Umstände vorliegen, die so in der Realität gar nicht existieren (Demokratie, Wunsch nach Frauenrechten, demokratisch legitimierte Regierung, funktionsfähige Staatsstrukturen usw). Wenn man so tut als ob man es hier mit einem funktionalen Staat zu tun hat, diesem Unmengen an Geld gibt (das nur veruntreut wird) und erklärt man könne aus legalistischen Gründen (Rechtsstaat, Gesetze, ROEs usw) nur so und nicht anders handeln, sollte man gar nicht erst versuchen einen solchen Krieg zu führen.

Die Steifheit, die völlige Erstarrung im Denken unsererseits, der Legalismus auf unserer Seite und die Wahnidee dass unsere Auffassungen allgemeingültig wären sind in Wahrheit viel ausschlaggebender gewesen als die Umstände vor Ort.

Zunächst bräuchte man vor Ort geeignete Führungskräfte. Diese können dort nicht demokratisch gewonnen werden. Dann muss man die Bezahlung der Söldner direkt selbst übernehmen und aufrecht erhalten. Und dann müsste man sich befreien von der Bürokratie, dem Legalismus und unserem Getue das schon hierzulande immer weniger funktioniert. Und dann würden Feinde wie die Taliban nach zwei Dekaden verloren haben. So einfach könnte es sein.

Da wir aber selbst in diesem Legalismus gefangen sind, sollten wir solche Kriege einfach mal gar nicht mehr führen. Den wir werden sie immer verlieren, solange sich dieser Umstand nicht ändert. Krieg ist das Gegenteil von Legalismus, er ist wachsende Entropie und kann daher nicht mit unseren Vorstellungen welche wir zur Zeit haben angegangen werden.
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(01.09.2021, 21:01)Broensen schrieb: Die grundlegende Steuerung müsste man natürlich erstmal hinbekommen, also ist die entsprechende Hardware schon Voraussetzung.

Die Komplexität einer ScanEagle als Basis bringt solange keinen Vorteil, wie man nicht in der Lage ist, sie direkt einzusetzen (also alle Komponenten vorhanden sind und bedient werden können) oder zumindest ihre Sensorik in ein anderes System zu integrieren. Beides bedeutet aber deutlich mehr Aufwand (mehr als fraglich, dass dieser leistbar ist) als nur eine "grundlegende Steuerung" und ist für eine "dumme Selbstmorddrohne" unnötig.
Die Hardware für eine solche ist gar nicht das Problem, die Komponenten für eine "grundlegende Steuerung" wären auch in Afghanistan ohne größeren Aufwand beschaffbar, selbst ein Fluggerät ist tatsächlich schnell konstruiert. Aus welchen taktischen Erwägungen heraus aber sollte man sowas als Loitering Weapon auslegen? Für die Taliban ergibt das meines Erachtens gar keinen Sinn, denn die können in den kontrollierten Gebieten bisher ohne Gegenwehr agieren, und in den nicht kontrollierten Gebieten bzw. im tatsächlichen Gefecht mit den Milizen nützt das Loitern nichts, wenn man eben keine Sensorik besitzt.
Wenn überhaupt könnte das ganze für Al-Kaida und koordinierte Angriffe gegen leicht gesicherte Ziele interessant sein, da wo man mit einem klassischen Selbstmordanschlag nicht hinkommt, wo aber auch keine gezielten Abwehrmöglichkeiten gegen solche Waffen existieren. Ob sich der Aufwand dann wirklich lohnt?

So oder so, die Diskussionen um die Einsatzmöglichkeiten von zurückgelassener Ausrüstung sollte sich weit weniger um das vermeintliche High-Tech drehen, weil das kaum eine realistische Gefahr darstellt (weder direkt noch indirekt). Die geht von dem aus, was in der Masse an Low-Tech erbeutet wurde.
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(02.09.2021, 07:10)Helios schrieb: Wenn überhaupt könnte das ganze für Al-Kaida und koordinierte Angriffe gegen leicht gesicherte Ziele interessant sein, da wo man mit einem klassischen Selbstmordanschlag nicht hinkommt

Darauf wollte ich hinaus. Es dürfte dann eher um Propagandaerfolge als um sinnvollen Drohneneinsatz gehen.
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Wie gesagt, Aufwand und Nutzen müssen da in Frage gestellt werden, gerade weil es ohne die Fähigkeit zu koordinierten Angriffen (nur dafür ergäbe es Sinn die Fluggeräte loitern zu lassen) sehr viel einfachere, günstigere und dadurch rein quantitativ bessere Wege gibt.
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Die Vorstellung der neuen Taliban-Regierung steht unmittelbar bevor, so ein Vertreter der Bewegung an der Spitze Afghanistans.
Während das Land kurz vor dem Zusammenbruch steht, haben die Taliban es eilig, die Macht zu organisieren, um die Wirtschaft so schnell wie möglich wiederzubeleben, weil sich in Kabul "gedämpfte Wut" angesichts des schwierigen Alltags der Afghanen festsetzt, erklärt l
France 24 (französisch)
Sondergesandter von Frankreich 24 in Afghanistan.
Die Taliban bereiten am Donnerstag, den 2. September, ihre Regierung vor, da die afghanische Wirtschaft zwei Wochen nach der Einnahme von Kabul und dem Ende eines zwanzigjährigen Krieges kurz vor dem Zusammenbruch steht. „In dieser Übergangszeit funktioniert in Afghanistan nichts“, berichtet Cyril Payen, Sondergesandter von France 24 in Kabul.
"Hunderte Afghanen stellen sich vor den geschlossenen Ministerien" und "es herrscht gravierende Flüssigkeitsknappheit". In Kabul macht sich eine "dumpfe Wut" auf den schwierigen Alltag der Afghanen breit und zwingt die Taliban zu schnellem Handeln, um die Wirtschaft des Landes wiederzubeleben. Ein Vertreter der Bewegung sagte in den sozialen Medien, dass im Präsidentenpalast in Kabul eine Zeremonie vorbereitet werde, und der private Fernsehsender Tolo sagte, die Ankündigung der neuen Regierung stehe unmittelbar bevor.
Der oberste Führer der Taliban, Mullah Haibatullah Akhundzada, sollte die endgültige Macht über einen Gouverneursrat erhalten, mit einem Präsidenten unter seiner Verantwortung, sagte ein Taliban-Vertreter im vergangenen Monat gegenüber Reuters.
Verwirrte Spender
Die Legitimität der neuen Regierung in den Augen der Gebergemeinschaft und internationaler Investoren wird für die afghanische Wirtschaft von größter Bedeutung sein, die Analysten zufolge nach der Machtübernahme der Taliban zusammenbrechen wird.
Nach einer Regierungszeit von 1996 bis 2001, die von einer sehr strengen Auslegung des islamischen Rechts geprägt war, versuchten die Taliban, ein gemäßigteres Gesicht zu zeigen, indem sie versprachen, die Menschenrechte zu schützen und sich nicht an alten Feinden zu rächen.
Viele Länder wie die USA oder die Europäische Union haben jedoch Zweifel an solchen Zusagen geäußert und darauf hingewiesen, dass die formelle Anerkennung der neuen afghanischen Regierung und die daraus resultierende Wirtschaftshilfe von Taten abhängig gemacht werden.
Wirtschaftlicher Zusammenbruch
Hilfsorganisationen haben vor einer Katastrophe gewarnt, nachdem schwere Dürre und Kriegswirren Tausende von Familien zur Flucht gezwungen hatten. Afghanistan braucht Geld, aber die Taliban dürften nicht ohne weiteres an die 10 Milliarden Euro an Vermögenswerten (ungefähr) herankommen, die die afghanische Zentralbank überwiegend im Ausland hält. Die Taliban ordneten die Wiedereröffnung der Banken an, es wurden jedoch strenge Auszahlungslimits verhängt.
Detected language : French
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Helios:

Noch dazu:

Zitat:Der beste Absolutismus überlebt nicht die erste Begegnung mit der Realität

Das stimmt natürlich, dass extreme Positionen immer extrem schwierig sind in Bezug auf ihre Praktikabilität. Du wirst aber seit ich in diesem Forum schreibe durchgehend eine rote Linie bei mir finden: die grundsätzliche Ablehnung ausländische Streitkräfte (in ihrer Gesamtheit) auszubilden, eine grundsätzliche Abneigung gegen jede Art von Waffenexporten (mit extrem wenigen Ausnahmen) und eine weitgehende Ablehnung von Auslandseinsätzen - mit ganz bestimmten Ausnahmen. Das so etwas dann in der praktischen Realität so nicht funktioniert ist eine ganz andere Frage, aber dessen ungeachtet vertrete ich da meiner Meinung nach schon eine recht klare und rigide Linie.

Allgemein:

Man schaut da jetzt in Afghanistan viel zu sehr auf die Großsysteme. Und wer hier über ein paar Drohnen klagt, am Flughafen standen als die Taliban ihn einnahmen ganze C130 herum. Das wahre Problem ist nicht dass die Taliban jetzt ein paar Flugzeuge erbeutet haben - und im Gegensatz zu manchen hier gehe ich davon aus, dass man das technische Können der Taliban unterschätzt und diese die Luftsysteme sehr wohl werden betreiben und Instand halten können. Ersatzteile, bestimmte technische Komponenten und Expertise könnten sie beispielsweise aus China oder Pakistan dafür bekommen. Aber wie gesagt ist das nicht das wahre Problem, und auch nicht, dass sie diese Waffen irgendwie gegen uns richten könnten.

Sondern wie ich es schon schrieb ist das Problem, dass all diese Waffen nun von den Taliban dazu benutzt werden können erfolgreich COIN gegen ihre eigene Bevölkerung zu betreiben, die Gegner im eigenen Land zu schlagen und dauerhaft niederzuhalten. Und auch hier werden selbst die einfachen Schützenwaffen in ihrer Bedeutung heillos unterschätzt. Ich will das an einem ganz einfachen plakativen Beispiel darlegen:

Ein M16A4 mit einem Aimpoint mit Magnifier ist einer in den Tribe-Territories aus allen möglichen Teilen zusammengebastelten halpakistanischen Frankenstein-AK welche über Kimme und Korn geschossen wird einfach so immens überlegen, dass sich der Schütze mit dem M16 im Feuerkampf durchsetzen wird. Entsprechend wird die Taliban-Infanterie durch solche Systeme in ihrer Leistungsfähigkeit gegenüber den anderen afghanischen Gruppen drastisch gesteigert und deutlich kampfstärker. Daher wird die sogenannte "Nord-Allianz 2.0" nicht lange bestehen und werden auch sonstige Widerstandsgruppen und Stammesmilizen zeitnah untergehen. Es sind solche Kleinigkeiten wie ein paar hunderttausend M16 und M4 mit neuester Optik und die ca 16.000 Nacht-/Thermalzielgeräte welche hier den Ausschlag geben.

Das Problem ist nicht, dass wir jetzt irgendwie durch die Taliban gefährdet wären weil diese nun das genannte Militärmaterial erbeutet haben, sondern dass die Taliban mit genau diesem Militärmaterial erfolgreich COIN gegen die afghanische Bevölkerung betreiben können und damit ihre Herrschaft gesichert und zementiert ist. Und im Gegensatz zu uns wird der COIN der Taliban nicht durch irgendwelche Legalismen und sonstige Hemmnisse eingeschränkt.
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(01.09.2021, 13:08)Helios schrieb: Und Muster wie Herkules oder Blackhawk, letztere ja sogar von China offiziell gekauft und militärisch eingesetzt, sind weltweit so gut dokumentiert, was will man da noch erfahren?

Ich wusste gar nicht dass China den Blackhawk offiziell gekauft hat. Meines Erachtens ist so ein Technologietransfer regelrecht sträflich, denn die Chinesen liegen gerade bei Hubschraubern noch (!) weit hinter dem Westen zurück.
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@lime
Die Welt war in den achtziger Jahren eine andere, China hat viel im Westen beschafft und man hat gerne exportiert, unter anderem auch die Amerikaner 24 S-70, das ist die zivile Variante des Blackhawk. Mit aktuellen Versionen sind die natürlich nicht vergleichbar, gleichwohl sind es heute wie damals eher konventionelle Hubschrauber, so dass sich die tatsächlich interessante Technologie auf den Antriebsstrang und die Flugsteuerung beschränkt. Beides wiederum unterscheidet sich technologisch nicht von zivilen Mustern, die auch für China frei verfügbar sind. Natürlich ist es nicht trivial, einen modernen Hubschrauber zu bauen, umgekehrt ist es faktisch unmöglich, einen Technologietransfer zu verhindern. Wenn etwas nicht direkt beschafft werden kann, dann eben indirekt über Drittstaaten, oder man kauft Technologie von Drittstaaten, die diese wiederum über andere Staaten beschafft haben. Inzwischen baut China den Z-20, der technologisch weit fortgeschrittener ist als der Blackhawk, für den wiederum kommt eine neue Kategorie an Hubschraubern als Ersatz, die ihrerseits das Technologieniveau wieder anheben. Und in einigen Jahren wird das, was heute streng geheim ist, zivil verfügbar werden und sich zwangsläufig um die Welt verbreiten. Es geht dabei einzig und allein um den Faktor Zeit.
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Afghanistan ist im Endeffekt für die VR China der fehlende Puzzle-Stein in ihrem Road-and-Belt Projekt - und hat zugleich gewaltige Rohstofflager. Wenn die Taliban gewissenlos genug sind, und das Land unter Kontrolle kriegen könnten sie von der VR im Prinzip alles bekommen was sie benötigen und umgekehrt die VR die Rohstoffe ausbeuten. Für die Zukunft Afghanistans wird daher am entscheidendsten sein, was die Chinesen jetzt dann in Bezug auf dieses Land beschließen und was für strategische Absichten sie in Afghanistan haben.

Schneemann:

Zitat:Selbst wenn wir aber die Möglichkeiten hätten, einen strategischen Luftkrieg zu führen (damit meine ich nicht nur, dass die militärischen Kapazitäten da sind, sondern auch der politische Wille und auch die eigene Bevölkerung - zumindest mit einer gewissen Mehrheit - hinter dem Vorhaben steht), bliebe die Frage, ob dies was ändern würde? Wir könnten gezielt zwar Fahrzeuge und irgendwelche Compounds treffen, aber würden die Situation vor Ort nicht wirklich ändern können. Auch wenn es hier unterschiedliche Meinungen gibt: Einen Krieg entscheidet man nicht aus der Luft, schon gar nicht einen bei einem Gegner, der sich nicht auf große Industrie- oder Infrastrukturkomplexe stützt, sondern der wie der berühmt-berüchtigte Fisch im Wasser überall und nirgends ist.

Zwar mag es sicherlich so sein, dass die Taliban aktuell eher aus der Luft getroffen werden könnten, da sie einen großen Fuhrpark erbeutet haben.....Eher steigt dann für uns das Risiko, dass wir unbeteiligte Zivilisten treffen, was dann wiederum für uns moralisch die Angelegenheit ad absurdum führt. Bedeutet: Ein strategischer Luftkrieg wird die Bewegung nicht schwächen, sondern es nur für uns schwerer machen, sie im Auge zu haben und zudem ziviles Leid verursachen.

Darauf wollte ich noch eingehen. In keinster meine ich hier, dass man die Fahrzeuge etc bombardieren sollte, dass wäre völlig sinnfrei. Mit einem strategischen Luftkrieg meine ich (natürlich alles absolut und ausschließlich theoretisch) einen gezielten Angriff auf bestimmte Teile der Infrastruktur. Das heißt konkret:

Die Zerstörung von Eisenbahnlinien und Straßen an entsprechend geeigneten Stellen (steile Schluchten) wo diese von den Taliban auch nicht wieder so aufgerichtet werden können. Die Zerstörung der Stromtrassen bzw. Elektrizitätswerke. Die Zerstörung aller größeren Brücken. Die gezielte Zerstörung der Abwasserentsorgung und Trinkwasserversorgung, die Zerstörung verbliebener kleinerer Industrieanlagen. Den Einsatz von Breitbandherbiziden bzw. Pflanzenkrankheiten gegen die Mohnfelder, Zerstörung von Dämmen, Stauwehren und Bewässerungssystemen usw.

Ein solcher Luftkrieg würde direkt nicht einmal zivile Opfer verursachen müssen, da man dazu sehr präzise nur an ganz bestimmten Stellen zuschlagen muss. Wenn zugleich ein umfassender Wirtschaftskrieg gegen Afghanistan geführt wird (indem man alle Geldströme hinein und hinaus so weit wie möglich behindert), führt dies binnem kurzen (höchstens wenige Monate) zum Totalzusammenbruch des Taliban-Staates. Ein Ende der Angriffe macht man einfach davon abhängig ob sich die Bevölkerung gegen die Taliban erhebt, kann oder will sie das nicht, muss sie die Konsequenzen tragen. Ziel eines solchen strategischen Luftkrieges wäre es zu verhindern, dass in Afghanistan irgend etwas entsteht - zurück bliebe nur ein völlig unregierbares und völlig in seine Bestandteile zerfallendes geographisches Gebiet dass zwingend auf Subsidenzwirtschaft zurück fallen würde.

Um dem sicher gleich erfolgenden allgemeinen Aufschrei zuvor zu kommen: Und um es nochmal zu betonen: dass ist eine rein theoretische militärwissenschaftliche Abhandlung, welche ja ohnehin in keinster Weise durch die aktuellen westlichen Staaten so durchgeführt werden könnte, auch wenn die USA in Vietnam beispielsweise schon solche Angriffe noch durchgeführt haben. In Afghanistan würde ein solcher Bombenkrieg schlicht und einfach dazu führen, dass die Taliban zwar weiter existieren, aber keinen Staat errrichten können, und die VR China die Situation dort nicht für sich nutzen kann. Rein theoretisch wäre das sogar rechtlich problemlos umsetzbar (wie schon von mir beschrieben).

Die humanitären Folgen wären natürlich katastrophal. Es würden vermutlich mindestens mehrere Hunderttausend Zivilisten indirekt an den Folgen sterben, ohne dass durch die Bomben auch nur ein paar hundert umgekommen wären. Umgekehrt wären damit die Taliban so weitgehend neutralisiert dass sie im weiteren völlig irrelevant wären und keine Rolle mehr für uns spielen würden.

Worauf ich schlußendlich hinaus will ist, dass man sehr wohl nur aus der Luft einen Sieg erringen kann und eine Bewegung nachhaltig schwächen kann, wenn man es nur will. Das ist alles nur eine Frage der Methodik und andere Mächte würden und werden es noch in Zukunft skrupellos und ohne zu Zögern so tun da sie nicht unseren Beschränkungen unterliegen. Auch in Vietnam hätten die USA den Krieg aus der Luft entscheiden können, hätten sie den Luftkrieg dort mal anders geführt. Operation Linebacker zeigt klar was hier möglich ist und durch die heutigen technologischen Möglichkeiten wäre da noch sehr viel mehr möglich. Über Ethik und Moral braucht man da natürlich erst gar nicht anfangen, es geht nur um die Frage wie man Kriege theoretisch auch gewinnen könnte.
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(02.09.2021, 13:32)Helios schrieb: Inzwischen baut China den Z-20, der technologisch weit fortgeschrittener ist als der Blackhawk, für den wiederum kommt eine neue Kategorie an Hubschraubern als Ersatz, die ihrerseits das Technologieniveau wieder anheben. Und in einigen Jahren wird das, was heute streng geheim ist, zivil verfügbar werden und sich zwangsläufig um die Welt verbreiten. Es geht dabei einzig und allein um den Faktor Zeit.

Das die Chinesen in Sachen Hubschrauber inzwischen auch schon so weit sind war mir nicht bewusst. Vielen Dank für die Aufklärung!
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(31.08.2021, 22:07)Broensen schrieb:
(31.08.2021, 21:30)Quintus Fabius schrieb: Hingegen holt man also in Deutschland anerkannte Asylbewerber aus Afghanistan...
Jeden einzelnen Afghanen der dort mit einer deutschen Aufenthaltserlaubnis aufschlägt weil hierzulande Asylbewerber ist hätte ich vor Ort mit Gewalt vom Flughafen vertrieben.
Mir fehlt hier noch die handfeste Information, dass dies wirklich der Fall war und in welchen Mengen.
Ich gebe dir zwar recht, dass die Asylberechtigung infrage gestellt werden kann, wenn jemand freiwillig wieder in des Land reist, das ihn vorgeblich verfolgt und ins Asyl treibt. Aber wo sind die gesicherten Zahlen dazu? Für mich ist da noch ein zu großes Maß an Spekulation dabei.

Zwar nur journalistische Recherche, aber immerhin: Ortskräfte in Afghanistan: Wer sich aus dem Chaos retten konnte (zeit.de):

Zitat:Seit klar wurde, dass unter den nach Deutschland Ausgeflogen nur 138 dieser sogenannten Ortskräfte waren, stellt sich die Frage: Warum so wenige und wer sind die anderen? ... Klar ist bisher:

- Die 138 ausgeflogenen Ortskräfte sind nur ein kleiner Teil der gefährdeten einheimischen Beschäftigten. Viele weitere, auch ehemalige, fallen in diese Gruppe: Seit 2013 arbeiteten 1.200 Ortskräfte für die Bundeswehr. Und für das Innenministerium waren in Afghanistan seit 2013 etwa 1.500 einheimische Polizisten und 300 Ortskräfte tätig.
- Von den erwähnten 4.587 jetzt Ausgeflogenen sind 403 deutsche Staatsbürger.
- 3.849 sind Afghaninnen und Afghanen sowie Menschen anderer Nationen, die aus den verschiedensten Gründen nach Deutschland flogen: Leicht zuzuordnen sind davon 496 Menschen – es sind die Familienangehörigen der 138 Ortskräfte
...
- Ein Teil der Ausgeflogenen sind deutsche Staatsbürger, die bisher in Afghanistan tätig waren und die teils afghanische Familienangehörige haben, die ebenso Schutz genießen.
- Eine weitere Gruppe sind Deutsche afghanischer Herkunft, die die wohl letzte Chance vor dem Truppenabzug genutzt hatten, in ihrem Herkunftsland Urlaub zu machen oder Verwandte zu besuchen und wegen der Taliban dann schnell raus mussten.
- Hinzu kommen Afghanen, die für deutsche, von Ministerien und der Botschaft finanzierte Entwicklungsprojekte tätig waren, etwa eines des Entwicklungsministeriums, das Aufklärung zur Frauenbeschneidung leistete, oder für das von der Bundeswehr unterstützte Bawar Media Center in Masar-i-Scharif, das allein 200 Ortskräfte hatte. Menschen, die erkennbar für solche Projekte gearbeitet haben, setzten die deutschen Stellen auf die Gefährdetenliste. Denn Frauen- oder Bildungsförderung zu betreiben, ist riskant im Afghanistan der Taliban.
- Zu letzterer Gruppe zählen auch Beschäftigte deutscher und internationaler NGOs oder die örtlichen Beschäftigten politischer Stiftungen aus Deutschland.
- Ein weiterer Teil der nach Deutschland Geflogenen sind Nichtdeutsche anderer Nationen. Ein Teil von ihnen hat in Deutschland Aufenthaltsrecht, etwa die EU-Bürger unter ihnen.

Interessant, dass für's Innenministerium 1,5-mal so viele Leute tätig waren wie für die Bundewehr. Von Afghanen, die in Deutschland Asyl genießen ist zumindest hier keine Rede.
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@Quintus,
bei deiner rein theoretischen Abhandlung ist ein wichtiger Punkt nicht bedacht worden. Von welcher Militärbasis könnte denn so ein Krieg überhaupt geführt werden?
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Den beschriebenen strategischen Luftkrieg könnten man von jedem Golf-Stützpunkt aus fliegen. Pakistan wird den Amis sicher nicht den Luftraum sperren, und nur die hätten ja die Kapazitäten. Die wiederum könnten das sogar von Diego Garcia aus. B-2 fliegen notfalls auch über den Iran nach Afghanistan.
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