Afghanistan
Erstaunlich dass es noch keiner hier eingestellt hat:

Die USA ziehen bis zum 11. September aus Afghanistan vollständig ab. Der Abzug läuft schon jetzt mit vollen Touren. DIe NATO hat nachgezogen und der Abzug aller NATO Truppen soll ab 01.05. erfolgen.

https://www.sueddeutsche.de/meinung/afgh...-1.5264812

https://www.sueddeutsche.de/meinung/afgh...-1.5268255

https://www.dw.com/de/biden-l%C3%A4utet-...a-57206040

https://augengeradeaus.net/2021/04/symbo...eufassung/

Folgerichtig zieht auch die Bundeswehr bis August aus Afghanistan ab:

https://augengeradeaus.net/2021/04/bunde...eufassung/

https://augengeradeaus.net/2021/04/fuers...august-an/

https://augengeradeaus.net/2021/04/usa-u...eufassung/

Kommentar der Taliban dazu:

https://alemarahenglish.net/?p=44828

Nach 20 Jahren, Billionen von Euro insgesamt und tausenden toten Soldaten der westlichen Streitkräfte haben wir also die Herrschaft der Taliban vorübergehend unterbrochen während sich die Bevölkerung Afghanistans ungefähr verdoppelt hat und damit auch die unlösbaren Probleme dieses Landes. Dabei war im Prinzip schon 2001 klar dass ein Dauereinsatz in Afghanistan mit unseren realen Mitteln und Möglichkeiten völlig sinnfrei war und ist.
Zitieren
Sehr interessant so rückblickend. Der letzte Eintrag bringt es irgendwie auf den Punkt.
Zitieren
Tausende tote westliche Soldaten, zehntausende verletzte Soldaten, Milliarden und Abermilliarden von Euro und so viele Jahre so viele Diskussionen und Ansichten und Ideen zu Afghanistan und so endet es. Mit zwei kurzen dürren Sätzen von lime und dem völligen Desinteresse aller anderen. Erstaunlich, aber vielleicht ist diese Sprachlosigkeit schlußendlich die tatsächliche Quintessenz dieses Desasters.
Zitieren
(21.04.2021, 17:52)Quintus Fabius schrieb: Tausende tote westliche Soldaten, zehntausende verletzte Soldaten, Milliarden und Abermilliarden von Euro und so viele Jahre so viele Diskussionen und Ansichten und Ideen zu Afghanistan und so endet es. Mit zwei kurzen dürren Sätzen von lime und dem völligen Desinteresse aller anderen. Erstaunlich, aber vielleicht ist diese Sprachlosigkeit schlußendlich die tatsächliche Quintessenz dieses Desasters.

Ja was soll man dazu auch sagen? Und wenn dann noch als Abzugstermin der 11.09. gewählt wird dann kann man auch gleich eine Kapitulation unterschreiben. Die Taliban und alle anderen islamistischen Terrorgruppen werden es jedenfalls genauso auslegen und ihren Sieg feiern. Ende des Jahres ist die aktuelle Regierung in Kabul Geschichte, soviel ist schon sicher.

Ich habe den verlinkten Strang übrigens ziemlich lange gelesen und was mir aufgefallen ist, dass die Euphorie anfangs ähnlich groß war wie beim arabischen Frühling, also frage ich mich wie oft man eigentlich noch die selben Fehler wiederholen will...
Zitieren
Kein Fehler ist in Wahrheit der gleiche, denn es gibt im Krieg keine Axiome.

Die Strategie ist ein System von Aushilfen. Für die Strategie können daher allgemeine Lehrsätze, aus ihnen abgeleitete Regeln und auf diesen aufgebaute Systeme unmöglich einen praktischen Wert haben (Moltke).

Von daher wäre Afghanistan "gewinnbar" gewesen, und zwar in Bezug auf sehr viele verschiedene mögliche Zielsetzungen. Genau genommen hatten wir aber gar keine tatsächliche Zielsetzung. Von daher könnte man es noch überspitzen und behaupten dass wir gar nicht verloren haben, da ja nie irgendein tatsächliches Ziel ernsthaft vorgegeben war.

Es ist dieses ziellose herumstochern im Vagen, welches schlußendlich gar kein anderes Ergebnis produzieren kann.
Zitieren
Tatsache ist, die Taliban waren 2001 besiegt. Die Warlords der Nord-Allianz konnten sie mit Hilfe der USA vor sich hertreiben. Das Thema Nation-Building hat man komplett versemmelt, weil Afghanisten ja unbedingt Demokratie sein sollte. Das geht mit den archaiischen Stammeskulturen nicht. Noch dazu mit einem Satrap von US-Gnaden an der Spitze. Ein moderner Staat nach europäischen Vorbild wäre das Land nie geworden, aber vielleicht eine weitgehend befriedete Region, in der die Regionalfürsten für Ordnung gesorgt hätten. Der Abzug hätte dann vielleicht schon vor 10 Jahren erfolgen können.
Zitieren
(22.04.2021, 16:31)aramiso schrieb: Tatsache ist, die Taliban waren 2001 besiegt. Die Warlords der Nord-Allianz konnten sie mit Hilfe der USA vor sich hertreiben. Das Thema Nation-Building hat man komplett versemmelt, weil Afghanisten ja unbedingt Demokratie sein sollte. Das geht mit den archaiischen Stammeskulturen nicht. Noch dazu mit einem Satrap von US-Gnaden an der Spitze. Ein moderner Staat nach europäischen Vorbild wäre das Land nie geworden, aber vielleicht eine weitgehend befriedete Region, in der die Regionalfürsten für Ordnung gesorgt hätten. Der Abzug hätte dann vielleicht schon vor 10 Jahren erfolgen können.

Die Taliban wurden auch 2001 nicht besiegt. Dies erkennt man schon allein daran dass kaum welche im Kampf getötet bzw. gefangen genommen wurden. Ihre Kämpfer haben sich entweder nach Pakistan abgesetzt, sich vorerst zurück ins zivile Leben begeben oder sich in schwer zugängliche Gebiete zurückgezogen um von dort Terroranschläge zu verüben. In den vergangenen 20 Jahren haben sie dann im Durchschnitt 5-7 Kinder bekommen, die sie im Sinne der Taliban erzogen haben etc.
Zitieren
Die ursprünglichen Taliban gab es nach 2001 so nicht mehr. Die Neo-Taliban welche dann aus den Taliban heraus entstanden sind, waren und sind wesentlich heterogener und sehr viele Gruppen wurden hier primär von uns als Taliban eingestuft und bezeichnet die selbst heute noch mit den tatsächlichen Taliban wenig am Hut haben.

Die Verluste der Taliban wie der heutigen Neo-Taliban waren und sind ebenfalls erheblich. Sie waren 2001 so erheblich dass 2002 es nur noch zu wenigen versprengten Angriffen von Überresten der Taliban kam. Erst im Laufe der nächsten Jahre änderte sich dass dann, wie sich die lebendige Wehrkraft des Feindes wieder restaurierte. Insgesamt sind um die 70.000 Kämpfer der Taliban, ihrer Nachfolger und mit ihnen verbündeter oder nahe stehender Gruppen getötet worden.
Zitieren
(23.04.2021, 22:25)Quintus Fabius schrieb: Die ursprünglichen Taliban gab es nach 2001 so nicht mehr. Die Neo-Taliban welche dann aus den Taliban heraus entstanden sind, waren und sind wesentlich heterogener und sehr viele Gruppen wurden hier primär von uns als Taliban eingestuft und bezeichnet die selbst heute noch mit den tatsächlichen Taliban wenig am Hut haben.

Die Verluste der Taliban wie der heutigen Neo-Taliban waren und sind ebenfalls erheblich. Sie waren 2001 so erheblich dass 2002 es nur noch zu wenigen versprengten Angriffen von Überresten der Taliban kam. Erst im Laufe der nächsten Jahre änderte sich dass dann, wie sich die lebendige Wehrkraft des Feindes wieder restaurierte. Insgesamt sind um die 70.000 Kämpfer der Taliban, ihrer Nachfolger und mit ihnen verbündeter oder nahe stehender Gruppen getötet worden.

Meines Erachtens wurden die Taliban völlig unterschätzt. Und 70.000 getötete Kämpfer sind nicht wirklich viel. Das wären im Jahr nicht einmal 4.000. Rechnet man die Anzahl der Schwerverletzten, die lebenslang kampfunfähig sind, noch dazu dann kommt man vielleicht auf 6.000 - 10.000 Verluste im Jahr für die Taliban. Ich denke aber dass die Taliban mit Verbündeten locker auf einen Pool von mehren hunderttausend Kampffähigen zurückgreifen kann. Vielleicht ist er sogar siebenstellig. Nur werden aus diesen Kämpfern nach dem Einsatz meist wieder Zivilisten, bis sie sich mal wieder für einen Angriff zusammenrotten. 2001 haben sie sich einfach zurückgezogen, weil sie davon ausgegangen sind gegen die USA nicht gewinnen zu können. Die Anfangs hohen Verluste haben sicher zu dieser Entscheidung geführt, aber existenziell bedroht hat es die Taliban nie, dazu sind sie viel zu verwurzelt gewesen in den Stämmen der Paschtunen. Man muss auch bedenken dass es in Pakistan fast doppelt so viele Paschtunen gibt wie in Afghanistan selbst, was allein schon Sympathisanten im Millionenbereich bedeutet, selbst wenn man davon ausgeht dass nur 10-20% der Paschtunen große Sympathien für die Taliban haben. Ich behaupte aber dass es ein weitaus höherer Prozentsatz war und ist, wobei er inzwischen noch um Einiges höher sein wird als vor 20 Jahren.
Zitieren
lime:

Ein Pool von Kampffähigen bedeutet nicht reale Kämpfer im Einsatz. Die Zahl der "Taliban" welche aktiv gegen uns kämpften war (und ist) deutlich geringer als die Zahl der "Taliban" insgesamt. Nur eine Minderheit der Feinde dort kämpfte aktiv gegen unsere Truppen, und zwar so wenige wie möglich. So wenige wie möglich deshalb, weil man zur eigenen Legitimation und aus Propagandagründen zumindest etwas Widerstand leisten musste. Die absolute Mehrheit der "Taliban" hat zu keinem Zeitpunkt gegen uns gekämpft, sondern sich darauf konzentriert die Bevölkerung (wieder) unter ihre Kontrolle zu bringen.

Real an bewaffneten Kämpfern im Einsatz gegen uns lag die Mannstärke in Wahrheit zu keinem Zeitpunkt über 50.000 bis 70.000 Mann. Die Organisation der Taliban insgesamt aber geht durchaus in die Hunderttausende und dürfte inzwischen mehr als 300.000 betragen. Gerade darin lag und liegt in Wahrheit das Problem, dass der Gros der feindlichen Organisation de facto in einer Art komplett abgetrennten Parallelwelt agiert und einen Kampf dort für sich allein führt, der vollständig abseits von uns stattgefunden hat und sich daher auch komplett unserem Einblick und unserer Wirkung entzogen hat.

Während wir in irgendeiner Provinz ein paar bewaffnete Banden gejagt haben, hat die absolute Mehrheit der "Taliban" parallel eine komplett eigene Welt in diese Provinz sozusagen eingezogen, bis hin zu einer kompletten Parallel-Regierung welche zugleich mit der von uns installierten Regierung koexistiert. Die Taliban welche das bewerkstelligten trugen und tragen dabei nicht einmal Waffen und waren und sind daher nicht aufdeckbar, da die Bevölkerung mit der Parallelwelt und Regierung der Taliban im Laufe der Jahre zufriedener geworden ist als mit unseren kläglichen Bemühungen dort.
Zitieren
Und es kommt wie es von Anfang an kommen musste, die Taliban überrennen im gleichen Ausmaß Afghanistan wie wir es räumen:

https://warisboring.com/taliban-gains-gr...nsurgents/

Zitat:Taliban gains ground as two more Afghan districts fall to insurgents

In further military gains since the official start of the withdrawal of the international troops, Taliban insurgents have captured two more districts in Afghanistan, officials said on Monday.

In northern Faryab province, the government forces abandoned the Qaysar district centre, which houses senior local officials, late on Sunday.

The forces fled to a hilltop in a village nearby after days of heavy fighting, including a car bomb attack on Saturday on the local police headquarters that left several police officers dead.

About a hundred forces were feared to have been killed, wounded or taken captive in recent days, a reliable source in the province who wished not to be named told dpa.

Only a small number of forces kept resisting on Monday from the hilltop, provincial councilors Abdul Manan Qati and Fazel Haq Mohammadi said.

In the meantime, the Taliban took control of Shahrak district in western Ghor province on Sunday evening, an official said on Monday.

Speaking to broadcasters, Ghor governor Abdul Zahir Faizada said that in order to avoid civilian casualties, the government forces have tactically retreated from the district centre.

Faizada added that fighting with the militants on Sunday left seven security forces dead, and wounded three others.

Since the beginning of the official withdrawal of the United States and other NATO troops in Afghanistan on May 1, at least nine districts have fallen to the Taliban.

https://www.deutschlandfunk.de/afghanist...id=1266875

https://www.deutschlandfunk.de/afghanist...id=1266539

https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa...80234.html
Zitieren
(09.06.2021, 19:54)Quintus Fabius schrieb: Und es kommt wie es von Anfang an kommen musste, die Taliban überrennen im gleichen Ausmaß Afghanistan wie wir es räumen:

https://warisboring.com/taliban-gains-gr...nsurgents/


https://www.deutschlandfunk.de/afghanist...id=1266875

https://www.deutschlandfunk.de/afghanist...id=1266539

https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa...80234.html

Faryab ist mehrheitlich usbekisch und tadschikisch besiedelt. Früher war es eine Hochburg jener Milizen. Wenn die Taliban dort ohne große Gegenwehr einrücken dann wird es woanders auch nicht viel schwieriger werden.
Zitieren
Exakt! Das zeigt zudem schön den oft von mir beschriebenen Mechanismus auf, dass die Mehrheit der Menschen in solchen Ländern radikale Opportunisten sind. Eine absolute Mehrheit der Menschen dort wendet sich immer der Seite zu, welche ihrer Ansicht nach vermutlich jetzt dann gewinnen wird. Da der Westen abzieht und damit höchstwahrscheinlich die Taliban siegen werden, schließen sich alle den Taliban an (selbst wenn sie keine Paschtunen sind) und so ergibt sich eine selbsterfüllende Prophezeiung, ein sich selbst verstärkendes Prozedere, eine Kettenreaktion, wie auch immer man das bezeichnen will. Die Waage neigt sich im Endeffekt ganz langsam zu einer Seite und überschreitet sie ein gewisses Maß, kippt alles sehr schnell und drastisch. Theoretisch übrigens zu jeder Seite, den das Endergebnis ist der absoluten Mehrheit dort absolut egal.
Zitieren
(09.06.2021, 21:35)Quintus Fabius schrieb: Exakt! Das zeigt zudem schön den oft von mir beschriebenen Mechanismus auf, dass die Mehrheit der Menschen in solchen Ländern radikale Opportunisten sind. Eine absolute Mehrheit der Menschen dort wendet sich immer der Seite zu, welche ihrer Ansicht nach vermutlich jetzt dann gewinnen wird. Da der Westen abzieht und damit höchstwahrscheinlich die Taliban siegen werden, schließen sich alle den Taliban an (selbst wenn sie keine Paschtunen sind) und so ergibt sich eine selbsterfüllende Prophezeiung, ein sich selbst verstärkendes Prozedere, eine Kettenreaktion, wie auch immer man das bezeichnen will. Die Waage neigt sich im Endeffekt ganz langsam zu einer Seite und überschreitet sie ein gewisses Maß, kippt alles sehr schnell und drastisch. Theoretisch übrigens zu jeder Seite, den das Endergebnis ist der absoluten Mehrheit dort absolut egal.

Dieser Mechanismus ist in der orientalischen Mentalität sehr stark ausgeprägt. Hätte man halt nur nutzen müssen wenn man wirklich gewollt hätte.
Zitieren
Dieser Mechanismus ist nicht nur im Orient sehr stark ausgeprägt, er gilt in sehr vielen Entwicklungsländern und ganz allgemein in Situationen in denen es einen ernsthaften Guerillakrieg gibt. Er galt ebenso auf den Phillipinen oder beispielsweise in Vietnam. Diesen Mechanismus zu nutzen ist im Endeffekt eine der entscheidendsten Größen im Bereich COIN.

Der aktuelle westliche tm Ansatz diesen Mechanismus mit der Doktrin vom Gewinnen von Hearts und Minds zu benutzen scheitert aber vor allem deshalb, weil er erstens von Grund auf nicht versteht dass man keineswegs Hearts and Minds gewinnen muss um diesen Mechanismus zu nutzen und zweitens, dass dies in Ländern mit stark abweichender Kultur extrem schwierig und extrem aufwendig ist und man zwar hier diese Strategie in Afghanistan verfolgt hat, aber trotz des Wissens wie extrem aufwendig diese Strategie ist eben nicht die dafür notwendigen Mittel und Maßnahmen aufgebracht hat, weil diese dem Westen TM viel zu teuer / kostenträchtig waren. Somit hat man Unmengen an Geld einfach nur verschwendet.

Der zweite entscheidende Faktor neben dem extremen Opportunismus der hier unbedingt noch genannt werden muss ist die demographische Entwicklung. Seit Kriegsbeginn von 20 Jahren hat sich die Bevölkerung Afghanistans mal eben verdoppelt, und schon vorher reichte das Land dort eigentlich nicht mehr aus.
Zitieren


Gehe zu: