Sind Sanktionen sinnvoll ?
#1
Ich würde hier gerne mal ganz allgemein, aber auch gerne anhand verschiedener Beispiele, über den zweifelhaften(?) Sinn und Erfolg von Sanktionen diskutieren.

Dabei will ich mich vorab garnicht mal so auf die Art der Sanktionen (Dual-Use Tech., Wirtschaftlich, ...) festlegen, um die Diskussion nicht zu weit einzugrenzen.

Was meint Ihr .... ?

Wie effektiv lassen sich diese Sanktionen durchsetzen ?
Haben Sanktionen bisweilen auch ethische Grenzen überschritten bzw. stellen Embargos ansich manchmal eine Menschenrechtsverletzung dar ?
Also inwieweit macht man sich für Folgen mitschuldig ?
Taugen Sanktionen nur als Druckmittel, oder kann man dadurch tatsächlich einen Staat zum Einlenken bewegen ?

Als Einleitung will ich mal ein paar konkretere Beispiele nennen :

Irak
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Irak/Irak-Kongress/guilliard.html">http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/re ... liard.html</a><!-- m -->
Zitat:Alternativen zu Embargo und Krieg
Eine Nachlese zum Irak-Kongress in Berlin
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Peter Strutynski bestätigte während der Diskussion, dass der Friedens- bewegung tatsächlich eine gewisse Einseitigkeit zugrunde liegt. Sie ist einseitig gegen Krieg und das Embargo, weil diese selbst die schwersten Menschenrechtsverletzungen darstellen und zudem mit Sicherheit nicht zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen. Eine Einschätzung, die Barbara Lochbihler durchaus teilte. AI habe daher ausdrücklich beim Weißen Haus dagegen protestiert, dass die US-Regierung Berichte der Organisation als Rechtfertigung für einen Angriff missbrauche. Kritisch äußerte sich Lochbihler auch zu den Sanktionen, die wegen ihren Folgen für die Zivilbevölkerung von einer Menschenrechtsorganisation nicht unterstützt werden können.
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Iran
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.mmorning.com/ArticleC.asp?Article=3134&CategoryID=6">http://www.mmorning.com/ArticleC.asp?Ar ... tegoryID=6</a><!-- m -->
Zitat:iran, united states: Khatami: A ‘crime against humanity’

Former Iranian President Mohammad Khatami has accused the United States of committing a “crime” by refusing to sell modern airplanes and parts to Iran, following a deadly plane crash that killed 108 people.
“To deprive Iran of the most modern and secure [flight] apparatus is a crime against people that a power like the United States does not have the right to commit”, the former reformist president said in an interview with the student-run news agency ISNA.
...
The sanctions prevent Iran from purchasing Boeing aircraft and also Airbus, which contains US parts.
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Südafrika
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.humanrights.ch/cms/front_content.php?client=1&lang=1&idcat=545&idart=3277&m=&s=&zur=545">http://www.humanrights.ch/cms/front_con ... s=&zur=545</a><!-- m -->
Zitat:Schweiz-Südafrika: UNO-Waffenembargo verletzt Zur Druckversion dieser Seite
Die Beziehungen der Schweiz zum damaligen Apartheidstaat Südafrika haben gegen Völkerrecht verstossen.
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Künzli zeigt auf, dass Verwaltung, Regierung und Parlament die völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht ernst genommen haben und in keiner Weise gegen Vermittlungsgeschäfte oder Exporte von Rüstungstechnologie vorgegangen sind. Die Schweizer Behörden hätten dies «bewusst unterlassen, ja sich gegen die Schliessung von Rechtslücken gestemmt», wird die Studie vom Tages-Anzeiger zitiert und: «Der Bundesrat habe 'seinen Einfluss in maximaler Weise' ausgenutzt, um der Schweizer Waffenindustrie 'ihre Absatzmöglichkeiten möglichst wenig einzuschränken'».
bzgl. Kuba
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.medicuba.de/Ausgangsprojekt/ausgangsprojekt.html">http://www.medicuba.de/Ausgangsprojekt/ ... ojekt.html</a><!-- m -->
Zitat:Neue Strategien gegen die US-Blockade

In der renommierten englischen Fachzeitschrift «British Medical Journal» forderte einer der Herausgeber, Tony Delamothe, unlängst die medizinische Fachwelt aller Länder auf, sich im Namen der ärztlichen Ethik für ein Ende des US-Embargos gegen Kuba einzusetzen, da dieses die medizinische Versorgung eines ganzen Volkes empfindlich gefährde. mediCuba-Europa will mit einem neuartigen Solidaritätsprojekt das Leid mildern, das vom Embargo erzeugt wird.
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bzgl. China
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/?artikelID=20050404">http://www.eurasischesmagazin.de/artike ... D=20050404</a><!-- m -->
Zitat:Trotz Embargo-Ende keine Erhöhung der Waffenlieferungen an China
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Das Waffenembargo, das die damalige Europäische Gemeinschaft im Sommer 1989 in Madrid verabschiedet hat, ist lediglich Bestandteil einer politischen Erklärung der Regierungschefs. Es ist im Gegensatz zum amerikanischen Embargo nicht rechtsverbindlich. Es gibt keine Übereinkunft darüber, auf welche Güter sich diese Sanktion beziehen soll, und die Interpretation über seinen Umfang sowie die Umsetzung blieb den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen. Seit Ende der 90er Jahre wurden militärische Güter in begrenztem Umfang auch aus Europa – hauptsächlich von Frankreich und England – an China geliefert. Der wichtigste Rüstungslieferant für China aber war und ist bis heute Rußland.
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#2
Aus meiner Sicht ist ein Embargo ein militärischer Kriegsakt,wie im Mittelalter wo Burgen ausgehungert wurden.

MfG Azze
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#3
aus meiner Sicht trifft ein Embargo zumeist die Falschen - nämlich die Bevölkerung (siehe Irak, Kuba, Nordkorea) - und führt oft dazu, dass die Menschen noch mehr hinter dem Regime stehen (da kommt verletzter Nationalstolz wie in Korea und vieles anderes an "Background" zusammen, was einem Mitteleuropäer eher nicht in den Kopf stürmen würde);

und damit bin ich schon bei den Ausnahmen: Embargos können da wirksam sein, wo die Bevölkerung eine ähnliche Denkweise hat, und die Möglichkeit besteht, die eigene Regierung in die Verantwortung zu nehmen - Südafrika wäre aus meiner Sicht ein positiv ausgeganges Beispiel ....
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#4
Zitat:aus meiner Sicht trifft ein Embargo zumeist die Falschen - nämlich die Bevölkerung (siehe Irak, Kuba, Nordkorea) - und führt oft dazu, dass die Menschen noch mehr hinter dem Regime stehen (da kommt verletzter Nationalstolz wie in Korea und vieles anderes an "Background" zusammen, was einem Mitteleuropäer eher nicht in den Kopf stürmen würde);
Auch als Westeuropäer/Mitteleuropäer kommen einem solche Gedanken in den Sinn. Solch ein Embargo muss nicht automatisch dazu führen, dass das Volk gegen seine Regierung putscht. Im Ersten Weltkrieg beispielsweise etablierte Großbritannien auch ein Handelsembargo gegen Deutschland, Lebensmittel miteingeschlossen. Solche netten Dinge wie den Kohlrübenwinter von 1916 (oder vielleicht schon 1915??) und allgemein die schlechte Versorgungslage ging auf das britische Embargo zurück. Und letztlich hat dies auch fast nur die Zivilbevölkerung getroffen.

Und da wären beim Thema:
Sanktionen sind teilweise extrem verheerend sich auswirkende low-cost-Flüche und Bestrafungen für unliebsame Gesellschaften, wenn solch ne Sanktion voll durchgesetzt werden kann.
In vielen Fällen steckt da eine recht einfache Logik dahinter:
Eine Sanktion ist relativ leicht durchzusetzen, auch effektive Sanktionen erfordern keine allzu großen Mittel. Sie sind ein deutliches und offensichtliches Werkzeug gegenüber einem Land und sollen jenes vorallem niederhalten bzw. eindämmen. Das aber oftmals unter dem (zu) hohen Preis der "zivilen Kollateralschäden".
Andererseits hat man auf relativ einfache Weise einen feindlichen Staat an der Entfaltung seines Potenzial gehindert.

Dann muss man schauen,welche Sanktionen denn genau erlassen wurden: Gegen ein Waffenembargo wird wohl selten etwas gesagt werden können, auch wenn es im Einzelfall problematisch sein kann.
Aber ein allgemeines Embargo hat dagegen eher zu viele Negativfolgen.

Von daher: man muss das Design von Sanktionen so weit optimieren, dass eben keine unspezifischen Sanktionen mehr verhängt werden, sondern nur noch selektiv wirkende.
Und unilaterale Sanktionen, so wie sie die USA durchführen, komplizieren die Situation nur unnötig.
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#5
Die Sanktionen gegen Südafrika werden vielfach als "positives Beispiel" genannt (auch von mir), und gerade zu den Sanktionen gegen Südafrika gibt es einige interessante Dokumente im Netz:
<!-- w --><a class="postlink" href="http://www.ssn.ethz.ch/info_dienst/medien/nzz/documents/2005/11/20051108_sanktionen.pdf">www.ssn.ethz.ch/info_dienst/medien/nzz/ ... tionen.pdf</a><!-- w --> und insbesondere auch:
<!-- w --><a class="postlink" href="http://www.hwwa.de/Publikationen/Report/2002/Report220.pdf">www.hwwa.de/Publikationen/Report/2002/Report220.pdf</a><!-- w -->
vor allem das 6. Kapitel scheint mir interessant zu sein;
tatsächlich scheinen die sehr schwächlichen und uneinheitlich durchgeführten Sanktionen (wenn überhaupt dann) nur erfolgreich gewesen zu sein, weil diese auch durch Aktivitäten im Land selbst mit "flankiert" wurden, so wird z.B. auf Seite 42 geschrieben:
Zitat:... nicht zuletzt durch die symbolische Wirkung von Sanktionen führte ihre Einführung zu vermehrter Streittätigkeit, was die Schwierigkeiten der Unternehmen weiterhin erhöhte .....
und in Kapitel 7 wird das Resümee gezogen:
Zitat:....Die Erfahrungen mit Sanktionen deuten darauf hin, dass diese in aller Regel nicht besonders erfolgreich seind. Schätzungen gehen davon aus, dass allenfalls ein Drittel aller verhängten Sanktionen den gewünschten Politkwechsel zur Folge hatte. In keinem Fall aber sind Sanktionen sehr schnell erfolgreich geweisen und zumeinst haben sich auch unerwünschte Nebeneffekte im Land gehabt. Gerade am Beispiel Südafrika wird dies deutlich.....

Potenziell wirksam sind Sanktionen alles in allem wohl weniger direkt als indirekt. Sie senden ein deutliches Signal an die Regierung des sanktionierten Landes und die heimische Opppsition .... Dies mag zu einer politischen Machtverschiebung im Land führen. .....
- die Wirksamkeit von Sanktionen hängt also wohl damit zusammen, dass im Land selbst eine entsprechende Opposition besteht, die durch die Sanktionen gestärkt werden kann - in totaliäten Staaten wie dem Irak oder Nordkorea wären demnach (wie die Geschichte ja auch zeigt) Sanktionen absolut sinnlos.
Und auf Seite 44 /45 wird noch ein entscheidender Satz eingefügt:
Zitat:... Damit diese eher politsichen Effekte eintreten können, ist es allerdings notwendig, dass die Sanktionen nicht von einigen Staaten umgangen werden. Genau darin haper es jedoch in der Regel, wie vielfältige Beispiele zeigen...
Damit scheint sich meine These zu bestätigen:
Sanktionen und Embargos (wenn sie denn tatsächlich von allen eingehalten werden) treffen in der Regel die falschen - nämlich die Bevölkerung - und können nur dann erfolgreich sein, wenn die im Lande selbst bestehende Opposition dadurch gestärkt wird
> ... und die Möglichkeit besteht, die eigene Regierung in die Verantwortung zu nehmen ...<
Das setzt eine zumindest bereits in starken Ansätzen bestehende freie Gesellschaft voraus - also freie Meinungsäusserung, Presse- und Informationsfreiheit, eine unabhängige Opposition mit entsprechenden Kommunikationsmöglichkeiten ..... von daher könnten Sanktionen z.B. gegen Israels Apartheidspolitik erfolgreich sein, aber autoritär geführte Regimes werden durch Sanktionen nicht erschüttert.
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#6
@Thomas Wach
Zitat:Sanktionen sind teilweise extrem verheerend sich auswirkende low-cost-Flüche und Bestrafungen für unliebsame Gesellschaften, wenn solch ne Sanktion voll durchgesetzt werden kann.
Häufig genug können Sanktionen aber nicht voll durchgesetzt werden, weil sie von verschiedenen Parteien - sei es aus Solidarität zum betroffenen Staat oder aus Geschäftstüchtigkeit - gebrochen werden. Zudem macht sich die Partei, die diese Sanktionen verhängt, auch selbst bei gut befreundeten Staaten unbeliebt. Man denke nur daran, daß z.B. Mexiko das US-Embargo gegen Kuba stets abgelehnt hat.
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#7
Zitat:Damit scheint sich meine These zu bestätigen:
Sanktionen und Embargos (wenn sie denn tatsächlich von allen eingehalten werden) treffen in der Regel die falschen - nämlich die Bevölkerung - und können nur dann erfolgreich sein, wenn die im Lande selbst bestehende Opposition dadurch gestärkt wird
> ... und die Möglichkeit besteht, die eigene Regierung in die Verantwortung zu nehmen ...<
Das setzt eine zumindest bereits in starken Ansätzen bestehende freie Gesellschaft voraus - also freie Meinungsäusserung, Presse- und Informationsfreiheit, eine unabhängige Opposition mit entsprechenden Kommunikationsmöglichkeiten ..... von daher könnten Sanktionen z.B. gegen Israels Apartheidspolitik erfolgreich sein, aber autoritär geführte Regimes werden durch Sanktionen nicht erschüttert.
Grundsetzlich magst du da sicher Recht haben, nur gibt es da sicher auch beachtenswerte Grautöne:
Autoritäre Regime sind nicht gleich autoritäre Regime und bei Israel braucht man realistischerweise erst gar nicht an Sanktionen erst zu denken. Die haben seit 1948 bzw. eigentlich spätestens seit der Shoa solch eine Bunkermentalität, so dass internationale Kritik stets bei ihnen abperlt. Sowas interessiert da keinen wirklich und solange die USA und ein Großteil der westlichen Staaten da an keinem Boykott teilnehmen wird man da wenig dran machen können. Immerhin haben die Israelis ( auch wenn das auch hier so mancher es nicht wahr haben will) ihre eigene Wahrnehmung des Konflikts und da helfen Sanktionen alleine gar nicht.
Auch würde ich beispielsweise nicht sagen, dass Sanktionen bei autoritären Staaten keine Wirkung zeigen: Nehmen wir uns mal Syrien. Die Sanktionen der Amerikaner und die sehr ungeschickte Politik im Libanon führten dazu, dass Syrien nun gänzlich isoliert wird/ist. Und das Regime wackelt zusehends, nicht zuletzt da der jahrelangen Isolation.
Oder ein weiteres Beispiel wäre Libyen: Gaddafi wechselte 2003 für einen Persilschein die Seite, nachdem sein Land international isoliert war.
Sanktionen wirken da nie allein, aber sie sind Teil eines Gesamtwirkverbundes und das sind aus realistischer und pragmatischer Sicht nunmal die Instrumentarien von Außenpolitik.
Oder sehen wir uns Milosevics Serbien an:
Die Sanktionen haben die im Lande vertretenen Oppositionsgruppen kaum gestärkt, aber langfristig wurde der Machtapparat eben unterhöhlt und dies wurde durch die Bombardierung 1999 letztlich "vollendet". Zwar erhielt er dadurch nochmal viel öffentlichen Zuspruch, da die serb. Nation in der Stunde ausländischer Aggression zusammenhielt. Aber nach etwas einem Jahr war dann Pumpe: Die Massen stürzten das schwache Regime Milosevic.
Von daher, die Wirksamkeit von Sanktionen hängt ab:
- inwieweit die Machtbasis des herrschenden Regimes dadurch geschwächt wird
- inwieweit inländische Oppositionsgruppen existieren, durch die Sanktionen diskreditiert werden oder profitieren können
- von der Art des Regimes, seiner Brutalität, denn zwischen autoritären Staaten wie Syrien oder ehemals totalitären Staaten wie dem Irak gibt es schon Unterschiede
- welche Zeitperspektive man einnimmt: langfristig destabilisierend oder kurzfristig zementierend
usw.
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