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Vortrag von Sarah C. Paine, emeritierte Professorin am U.S. Naval War College für Geschichte und Strategie, über die russo-chinesische Partnerschaft, deren künftige Aussichten und die wechselhafte Geschichte beider Länder.
[Video: https://www.youtube.com/watch?v=RH_ycZYH8-s]
Paine geht ebenfalls auf den sowjetischen bzw. russischen Imperialismus ein und ordnet die Politik Moskaus und Pekings im Sinne einer Grand Strategy ein.
Sehenswert.
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Wobei ich aktuell immer etwas skeptisch bin, was die "unverbrüchliche" Hilfe Chinas für Moskau angeht. Sicherlich unterstützt man Russland derzeit, egal ob man Rohstoffe abnimmt oder Waffen liefert, aber irgendwie schwingt immer das Gefühl mit, dass China dies nicht aus Nächstenliebe macht, sondern aus geostrategischem Kalkül, auch im Washington und die Europäer etwas zu piesacken. Und Moskau unter Putins verbockter Führung verzwergt sich so immer mehr zum willfährigen Juniorpartner.
Und im Westen übersieht man dies gerne. Nach 1945 bzw. 1949 (Gründung der Volksrepublik China) ging man von einem monolithischen roten Block von der Oder bis nach Shanghai aus. In Wirklichkeit waren die chinesischen Genossen gegenüber den Russen immer distanziert - die Übergriffe des imperialen Zarenreiches wirkten auch noch nach - und unter Mao kam es dann bekanntlich zum Bruch nach der Chruschtschow'schen Entstalinisierung. Es folgten Grenzgefechte am Ussuri und Mao ließ wegen einem möglichen sowjetischen Atomschlag sogar die Bunker unter Peking ausbauen. Umstände, die man im Westen erst nach der Wende wirklich verstand. 1989 sah man den liberalen Kurs Gorbatschows als direkte Bedrohung an, als man sich mit Studentenprotesten im eigenen Land konfrontiert sah (Tian'anmen-Massaker), und nahm sich vor, keinesfalls die Fehler Moskaus zu begehen.
Und umgekehrt sollten sich die Russen überlegen, wer sie denn erobert hat? Es waren nicht Karl XII. von Schweden, Napoleon oder Hitler - die allesamt aus dem Westen kamen und die bekanntlich scheiterten. Die Mongolen hingegen überrannten Russland (bzw. das Rus) von Osten her kommend innerhalb von zwei, drei Jahren und hielten es 250 Jahre lang besetzt. Scheint man aber im heutigen Russland auch vergessen zu haben. Dabei sollte man darüber doch nachdenken, wenn man sich anschaut, dass in den Weiten Ostsibiriens gerade mal 30 Mio. Russen (oder Minderheiten) siedeln, denen 350 Mio. Chinesen gegenüberstehen. Und in manchen Pekinger Planungsstäben gibt es schon seit Jahrzehnten Ideen, die Weiten dieses Raumes zu besiedeln, da er ja faktisch "menschenleer" sei...
Schneemann
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(04.11.2025, 06:44)Schneemann schrieb: Wobei ich aktuell immer etwas skeptisch bin, was die "unverbrüchliche" Hilfe Chinas für Moskau angeht. Sicherlich unterstützt man Russland derzeit, egal ob man Rohstoffe abnimmt oder Waffen liefert, aber irgendwie schwingt immer das Gefühl mit, dass China dies nicht aus Nächstenliebe macht, sondern aus geostrategischem Kalkül, auch im Washington und die Europäer etwas zu piesacken. Und Moskau unter Putins verbockter Führung verzwergt sich so immer mehr zum willfährigen Juniorpartner. Genau darauf stellt der Vortrag ja ab.
Paine zufolge haben die Chinesen nicht vergessen, wie oft Russland China ausgenutzt und an seine Feinde verraten hat. Außerdem sei die Generation Xis davon geprägt, im Chaos der Kulturrevolution aufgewachsen zu sein, und fürchte deshalb alle inneren und äußeren Einflüsse, die Stabilität Chinas erschüttern könnten.
China unterstütze Russland leidlich, um zu verhindern, dass die USA sich dem Pazifik zuwenden, und um die ökonomische Abhängigkeit Russlands zu verstärken. Im Hintergrund schwele jedoch ein heißes Konfliktpotential. Sie nimmt sogar an, dass China versuchen könnte, die zaristisch-bolschewistische Expansion der 1850er bis 1950er militärisch umzukehren, falls Putin sich in Europa weiter verausgabt
Anmerkung: Sarah Paine spricht Russisch, Chinesisch und Japanisch und hat ihre Dissertation über die Entwicklung der chinesisch-russischen Grenze geschrieben. Sie hat Forschungsaufenthalte vor der Wende in Russland und China auf ihrem Konto. Der Dame sollte man zuhören.
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(04.11.2025, 06:58)muck schrieb: Anmerkung: Sarah Paine spricht Russisch, Chinesisch und Japanisch und hat ihre Dissertation über die Entwicklung der chinesisch-russischen Grenze geschrieben. Sie hat Forschungsaufenthalte vor der Wende in Russland und China auf ihrem Konto. Der Dame sollte man zuhören.
Solche Experten wissen genau was sie schreiben müssen um ordentlich Geld zu verdienen. Hätte China expansive Ambitionen Richtung Norden wäre die Mongolei ein wesentlich leichteres Ziel. Aber passieren tut absolut nichts. Sogar die Einwanderung von Chinesen in die Mongolei ist seit Jahren eher rückläufig. China mag zwar wesentlich mehr Einwohner haben als Rußland aber demographisch gesehen steht es sogar noch wesentlich. Mit einer Geburtenrate von einem Kind pro Frau im stetigen Abwärtstrend völlig illusorisch.
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(04.11.2025, 14:37)lime schrieb: Solche Experten wissen genau was sie schreiben müssen um ordentlich Geld zu verdienen. Hätte China expansive Ambitionen Richtung Norden wäre die Mongolei ein wesentlich leichteres Ziel. Aber passieren tut absolut nichts. Sogar die Einwanderung von Chinesen in die Mongolei ist seit Jahren eher rückläufig. Nehmen wir mal an, China wolle irgendetwas erobern—warum sollte das ausgerechnet die Mongolei sein und nicht der Amur, um den Russland und Sibirien noch zu Xis und Putins Lebzeiten Krieg geführt haben? Warum nicht Ostsibirien mit seinen reichen Vorkommen an Gold, Erdgas und seltenen Erden? Warum nicht das Wasser des Baikalsees, das China gut gebrauchen könnte, da dem Großraum Peking bereits das Grundwasser ausgeht? Und welchen Groll hegen die chinesischen Nationalisten gegen die Mongolei, den sie gegen Russland hegen? Denn auch darauf stellte die Argumentation ja ab. Vielleicht ist es besser, Du hörst Dir den Vortrag an, bevor Du Dir eine Meinung bildest. Allzu lange ist er nicht. (04.11.2025, 14:37)lime schrieb: China mag zwar wesentlich mehr Einwohner haben als Rußland aber demographisch gesehen steht es sogar noch wesentlich. Mit einer Geburtenrate von einem Kind pro Frau im stetigen Abwärtstrend völlig illusorisch. Zumindest kurzfristig ist das völlig egal. 2024 lebten in China über 166 Mio. Jungen zwischen 0 und 19 Jahren. Auch ein alterndes China kann noch lange mit Leichtigkeit Millionenheere ins Feld stellen.
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Man sollte in diesem Kontext aber auch etwas abkommen vom Gedanken der "klassischen Eroberung". Wenn es hier um Chinas Ambitionen geht, dann werden (sehr wahrscheinlich) nicht hunderttausende Chinesen heranstürmen wie anno 1950 am Yalu, sondern es wird eine schleichende Be- und Zersiedelung sein. Gerade auch bzgl. Mongolei - das Land ist viermal so groß wie Deutschland und hat 3,5 Mio. Einwohner - zeichnet sich aktuell bzw. seit Jahrzehnten schon ab, dass Chinesen zunehmend Handel und Gewerbe kontrollieren. Das ist also ein schleichender Prozess, und China dürfte sich wohl Zeit lassen.
Zwar gab und gibt es hinsichtlich Russlands fernem Osten auch militärische Planspiele, aber auch hier wartet Peking eher geduldig ab. Nach Zentralasien hinein hat man die Finger mit der neuen Seidenstraße bereits ausgestreckt und Russlands Einfluss zunehmend zurückgedrängt. Und ein ähnliches Bild zeichnet sich auch am Pazifik ab: In Wladiwostok etwa (bis 1860 übrigens zu China gehörend) sind seit den 1990ern wieder zehntausende Chinesen zugewandert - nachdem Stalin in den 1930ern die chinesischen Communities vorübergehend dezimiert hatte - und haben den lokalen Handel in großen Teilen übernommen, und der Trend dürfte sich fortsetzen.
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Das ist korrekt, ändert aber nichts daran, dass die Vorstellung falsch ist, der demographische Wandel in den Industrie- und Schwellenländern würde ihnen die Fähigkeit zur Kriegführung nehmen.
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Hinzu kommt, dass durch die Ein-Kind-Politik wesentlich mehr Mädchen abgetrieben wurden und dadurch ein künstlicher Männerüberschuss entstanden ist. Über den Daumen gepeilt gibt es bei den unter 30 Jährigen Chinesen über 30 Millionen mehr Männer als Frauen.
Damit könnte man arbeiten.
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(05.11.2025, 03:00)muck schrieb: Nehmen wir mal an, China wolle irgendetwas erobern—warum sollte das ausgerechnet die Mongolei sein und nicht der Amur, um den Russland und Sibirien noch zu Xis und Putins Lebzeiten Krieg geführt haben? Warum nicht Ostsibirien mit seinen reichen Vorkommen an Gold, Erdgas und seltenen Erden? Warum nicht das Wasser des Baikalsees, das China gut gebrauchen könnte, da dem Großraum Peking bereits das Grundwasser ausgeht? Und welchen Groll hegen die chinesischen Nationalisten gegen die Mongolei, den sie gegen Russland hegen?
Gold und große Vorkommen seltener Erden gibt es auch in der Mongolei. Und Wasser würde man sicher nicht aus 2000km Entfernung nach Peking pumpen. Die Mongolei wäre ein leichter Gegner und wäre nach 1-2 Wochen komplett besetzt. China würde sich so eine große kaum bevölkerte Landfläche die sehr ressourcenreich ist einverleiben. Die letzten drei Jahre parallel zum Ukrainekrieg wären der ideale Zeitpunkt für so eine feindliche Übernahme gewesen. Hätte China tatsächlich im Sinn in Zukunft russische Gebiete zu übernehmen, wäre die Eroberung der Mongolei als Sprungbrett dafür erst Recht logisch. Gerade jetzt wäre auch nicht damit zu rechnen dass Rußland auf mongolischer Seite intervenieren könnte, also warum passiert es dann nicht? Vielleicht weil China gar keine echten Ambitionen in diese Richtung hat?
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wer in den klassischen Kategorien von "Eroberung" und "Unterwerfung" denkt, hat die über Jahrtausende gepflegte Tradition chinesischer Herrschaft nicht verstanden, die vor allem auch extrem langfristig ausgelegt ist.
Da geht es einmal um Hegemonie gegenüber anderen - und Russland ist mit jedem Tag "Krieg in der Ukraine" näher daran, sich vom Juniorpartner zum Satelliten zu entwickeln.
Da geht es weiter um die Assimilation von Fremdherrschaften - die werden "aufgesogen" in chinesischer Bevölkerung und Kultur. Man schaue sich nur an, wie sich die Mandschurei inzwischen sinisiert hat. Was dort erfolgreich war, wird schon seit Jahren im ehemaligen "Ostturkestan" (Xinjiang) weiter getrieben.
Dieser Methode dient auch die Überschwemmung mongolischer und russischer Gebiete - beginnend von grenznahen Arealen - mit chinesischen Arbeitern und Händlern.
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(05.11.2025, 15:24)Kongo Erich schrieb: wer in den klassischen Kategorien von "Eroberung" und "Unterwerfung" denkt, hat die über Jahrtausende gepflegte Tradition chinesischer Herrschaft nicht verstanden, die vor allem auch extrem langfristig ausgelegt ist.
Bei solchen Zeiträumen braucht man sich in der EU doch gar keine Gedanken mehr über die Expansion Chinas zu machen, da ist man doch schon längst islamisiert bis dahin.
Zitat:Da geht es einmal um Hegemonie gegenüber anderen - und Russland ist mit jedem Tag "Krieg in der Ukraine" näher daran, sich vom Juniorpartner zum Satelliten zu entwickeln.
Juniorpartner ja aber chinesischer Satellit wird Rußland auch in den nächsten 100 Jahren nicht.
Zitat:Da geht es weiter um die Assimilation von Fremdherrschaften - die werden "aufgesogen" in chinesischer Bevölkerung und Kultur. Man schaue sich nur an, wie sich die Mandschurei inzwischen sinisiert hat. Was dort erfolgreich war, wird schon seit Jahren im ehemaligen "Ostturkestan" (Xinjiang) weiter getrieben.
Dieser Methode dient auch die Überschwemmung mongolischer und russischer Gebiete - beginnend von grenznahen Arealen - mit chinesischen Arbeitern und Händlern.
Diese Art der Einwanderung kann die russischen Verhältnisse nur kippen wenn zu den Männern auch Frauen einwandern und diese reichlich Kinder bekommen. Und danach sieht es schon lange nicht mehr aus. Die Vitalität ist da schon lange verloren gegangen.
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Nach Statista leben etwa eine Million Chinesen in Russland. Das ist - angesichts der vielen Russen - zunächst eine verschwindende Minderheit.
Allerdings ist die Verteilung dieser Bevölkerungsschicht sehr unterschiedlich. Der Großteil der chinesischen Bevölkerung in Russland findet sich im Fernen Osten Russlands, auch aufgrund der engen Handelsbeziehungen mit China.
Zitat:Vor allem chinesische Bauern betätigen sich als Pächter von russischen Gebieten, weil die agrarwirtschaftlichen Flächen in China nicht ausreichen.
[Bild: https://deutsche-wirtschafts-nachrichten....840px.jpg]
In Medien wird schon von " Chinas Griff nach Sibirien" *) geschrieben. So weit ist es zwar noch nicht - aber die historisch "chinesischen Gebiete", die Russland in der Zarenzeit okkupiert hat, geraten immer mehr in eine "chinesische Besiedelung".
*) Zitat:
Zitat:....
Am 1 Juni 2023 erklärte die Allgemeine Zollverwaltung Chinas „aus logistischen Gründen“ Wladiwostok zum Transithafen für den innerchinesischen Handel. Von nun an können Ladungen, die von einer chinesischen Provinz in eine andere geschickt werden, ohne Zollverfahren durch Wladiwostok gehen.
Die Chinesen werden Wladiwostok nicht nur für eine kurze Zeit nutzen. Denn seit einigen Jahren verlassen immer mehr russische Unternehmen die Stadt. Chinesen kaufen die billigen Immobilien auf. Es scheint, als ob die Chinesen Wladiwostok noch vor Taiwan wie eine reife Frucht ohne militärische Aktion übernehmen könnten. Über den neuen Status der Stadt wird in russischen Medien Stillschweigen verbreitet.
Schon Mao Zedong sagte ganz offen: „Russland hat sich zu viel Land angeeignet ... Vor mehr als 100 Jahren haben sie das Land östlich des Baikalsees abgeschnitten ... Diese Rechnung ist noch nicht beglichen, wir haben diese Rechnung mit ihnen noch zu begleichen.“ Insgesamt, so Mao, sollte Russland mehr als 1,5 Millionen Quadratkilometer an China zurückgeben.
Auch den Baikalsee betrachten die Chinesen als ihr Eigentum. Längst werden rund um den See chinesische Hotels gebaut und Land aufgekauft. Russland ist infolge des Kriegs gezwungen, Öl an China zu Schleuderpreisen zu verkaufen, dadurch stabilisiert Moskau die am Boden liegende chinesische Wirtschaft und ruiniert sich immer mehr selbst. ...
siehe auch: Chinas Appetit auf Teile Russlands Zitat:Jeden August veröffentlicht die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) eine aktualisierte „Standardkarte“, die auch Chinas Gebietsansprüche, auch gegenüber Russland, widerspiegelt. Diese Karte symbolisiert die Vision der „nationalen Verjüngung“ und die Rückholung verlorener Gebiete bis 2049. Historisch abgetretene Gebiete an Russland werden in chinesischen Schulbüchern als chinesisches Territorium dargestellt, und eine neo-nationalistische Bewegung fordert deren Rückgabe. Obwohl Peking derzeit keine militärische Rückeroberung anstrebt, nutzt es wirtschaftliche und infrastrukturelle Kooperationen, um seinen Einfluss in diesen Regionen zu festigen. Peking investiert auch stark in die Ausbeutung natürlicher Ressourcen in diesen Gebieten. Die strategische Partnerschaft zwischen China und Russland, verstärkt durch Moskaus Abhängigkeit nach westlichen Sanktionen, verschafft Zeit und Möglichkeiten für China Russland unter Druck zu setzten, ohne offene Gebietsansprüche zu erheben.
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Die Äußere Mandschurei wird seitens der West-Taiwanesen gerade de facto übernommen. Es ist verblüffend wie sehr sich die West-Taiwanesen da in den letzten 5 Jahren breit gemacht haben.
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