@Nightwatch
Generell war seine erste Amtszeit kaum mehr als ein gemächliches vor sich hin regieren. Einerseits weil er nicht so ganz wusste was er tat und eher unbeholfen als böswillig durch die Hallen der Bundespolitik stolperte und zum anderen, weil er in der Republikanischen Partei keinesfalls volle Rückendeckung genoss. Er beschränkte sich mehr darauf mit Senat und Repräsentantenhaus zu zanken und aus den doch vollmundig formulierten Wahlkampftiraden wurde am Ende wenig.
Allerdings konnten wir zu Ende seiner Amtszeit eine Veränderung in der Person Trump beobachten. Trump war zu Beginn seiner ersten Amtszeit ein relativ klassischer Republikaner alter Schule, sehr institutionell und elitär geprägt. Diese Republikaner "alter Schule" mochten ihn aber nicht, tun sie nach wie vor nicht, und das wird er zu spüren bekommen haben.
Dann schreiben wir das Jahr 2020 (ich nenne es persönlich "den großen Knacks" weil alle auf einmal einen Knacks hatten) und die Persona Trump ändert sich rapide. Trump entdeckt die Demographik der Online-Populisten und ist hin und weg. Das kann man sogar realtiv gut in seinem Twitter Feed nachverfolgen, da kommt es zu einem sehr markanten Schnitt um die Coronazeit herum. Ähnlich wie viele anderen Neurechten Strömungen nutzt Trump die Chance und sichert sich die Unterstützung der gesellschaftlich Abgehängten und Mitglieder paragesellschaftlicher Kreise.
Ich gehe nicht davon aus, dass Trump das Gerücht der gestohlenen Wahl in die Welt gesetzt hat, um das Weiße Haus 2021 nicht verlassen zu müssen. Viel mehr wird es darum gegangen sein, seine Chancen für eine weitere politische Karriere zu potenzieren und eine möglichst wütende Bevölkerung zurückzulassen, was seinen Nachfolger automatisch schwächer und ihn stärker aussehen lassen würde.
Womit er nicht gerechnet hat ist, dass es zu einem Tabubruch kommen würde. Denn er hatte vielleicht nicht geplant bereits 2021 bereits Präsident auf Lebenszeit zu werden, nicht wenige seiner Anhänger hingegen schon.
Und dieser Tag im Januar 2021 ist der mit Abstand wichtigste Tag ins Trumps politischem Leben gewesen. Denn an dem Tag hat er drei Dinge gelernt:
1. Mit ausreichender Öffentlichkeitsarbeit ist es ihm möglich, Teile der Zivilbevölkerung so zu mobilisieren, dass diese vor nichts mehr zurückschrecken. Das diese Gewillt sind, aufgrund von Gerüchten und seinem Wort alleine, die Kernkomponenten der amerikanischen Demokratie und der amerikanischen Verfassung anzugreifen und in seinem Namen mit Gewalt umzugestalten.
Da müssen wir nicht übereinstimmen aber ich bin fest davon überzeugt, dass wenn es der Mob an diesem 6. Januar früher in den Plenarsaal geschafft hätte, es ein Massaker gegeben hätte. Diese Menge war nicht nur aufgebracht, die war blutrünstig. All der Hass den diese Menschen teils ihr ganzes Leben in sich angestaut hatten, hat sich an diesem Tag entladen. Es ist ein Wunder, dass es die Capitol Police nicht noch härter erwischt hat. Vermutlich alleine der Tatsche geschuldet, dass sie nicht Ziel der Demonstranten war.
2. Trump kann sich fortan keine "Deserteure" mehr leisten. Als sich seine erste Amtszeit dem Ende nahte und seine Forderungen und Ansichten immer extremer Wurden, brach ihm die Unterstützung der Republikaner relativ flächendeckend Weg. Viele Parteifunktionäre waren zwar gewillt, jemanden wie Trump zu akzeptieren, sie waren aber weder gewillt ihren Kopf für ihn hinzuhalten, noch ihre Wertegrundsätze hinter das Parteiwohl zu stellen. Am Ende hat viele ihr Ehrgefühl doch noch gepackt und sie haben sich an die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gehalten... und Trump, in seinen Augen, damit verraten.
Woraus er und seine Unterstützerbasis gelernt haben, aber dazu später.
3. Und das wird der wichtigste der drei Punkte sein: Er hat keinerlei Konsequenzen für sein Handeln zu fürchten. Auch wenn seine juristische Verantwortung für diesen Vorfall zweifelhaft ist, hätte dieser Tag eigentlich das Ende seiner politischen Karriere bedeutet. Er hat diesen Sturm zwar nicht unbedingt geplant (angestiftet je nach dem wie man es nimmt, vielleicht?) er hat ihn aber auch nicht gestoppt. Wissentlich und willentlich. Selbst eine republikanische Gottheit wie Reagan hätte sowas nicht überlebt, nicht in der eigenen Partie und schon gar nicht im öffentlichen Bewusstsein.
Aber passiert ist... nichts. Es gab ein Paar Wochen lang Kritik, Appelle und Interviews und dann hieß es wieder back to business. Was jetzt historisch nicht allzu ungewöhnlich bei Autokraten ist, aber nicht weniger gravierend.
Die Anschließenden 4 Jahre Opposition hat daran nichts geändert, die drei genannten Punkte eher noch potenziert. Mit seiner gewonnen Erfahrung startete er Kompetent in die politische Welt der turbolenten frühen 2020er und konnte seine Unterstützerbasis stetig erweitern. Die gleichzeitige Verschiebung der "politischen Mitte" nach rechts in Zeiten von Krisen, fehlender Medienkompetenz und Online-Populismus von dem Parteien weltweit profitieren, haben ihm dabei in die Hände gespielt wie kaum jemand anderem. Seine persönlichen Verbindungen zu den Superreichen "neuer Schule" wie Musk und Bezos halfen ihm dabei immens, stellen Gelder, Unterstützung und Publicity. Seine Straffreiheit in einem Prozess, in dem er 34x mal schuldig gesprochen wurde, haben ohnehin bestätigt, was er aller Wahrscheinlichkeit nach sowieso vermutet hatte. Gleichzeitig festigte er seine Position innerhalb der Republikanischen Partei und "entledigte" sich den Kritikern und Linien-Untreuen in den eigenen Reihen und formte einen Engen Kreis aus Vertrauten und ideologisch bereinigten Mitstreitern.
So war es auch kein Wunder, dass er die Wahl zum Präsidenten 2024 gewann. Auch wenn Harris eine starke Gegnerin im Wahlkampf war, die den Demokraten mehr Rückenwind verpasst hat als sie eigentlich verdient hatten, wurde diese Wahl eigentlich schon in den 3-4 Jahren davor entschieden. Die vergleichsweise führungsschwache Regierung Biden, kombiniert mit Krisen wie dem Ukrainekrieg und der sich seit Jahrzehnten verschärfenden Lebenssituation der amerikanischen Bevölkerung bot einen idealen Nährboden für rechte und extremistische Kräfte. Dieses Phänomen sehen wir seit den frühen 1900ern, leider immer häufiger seit den 2000ern. Entsprechend war es wenig verwunderlich, dass Trump sowohl die PV wie auch die EV gewann. Immerhin stürzen sich die meisten Gesellschaften historisch gesehen selbst ins verberden.
Der Trump der 2025 ins Weiße Haus einzog ist aber nicht der selbe Trump, der 2017 ins Weiße Haus einzog. Denn alle diese oben angeführten Umständen haben ihn in den nicht ganz unberechtigten Eindruck versetzt, dass er rechtlich, politisch und (in den Augen seiner Anhänger) moralisch unantastbar ist. Deshalb nimmt er sich heute Sachen heraus, die er sich vor einigen Jahren nie getraut hätte. Deshalb versucht er seine politischen Gegner rechtlich verfolgen zu können, deshalb verfügt er frei über Nationalgarden und ignoriert die Anweisungen von Gerichten, deshalb fabuliert er über eine dritte Amtszeit.
Er weiß, dass ihm nichts passieren kann. Egal wie groß der Verfassungsbruch auch sein mag.
Und er hat damit Recht. Es kann ihm nicht passieren.
Die Ministerien und dessen Safeguards wurden im Rahmen von DOGE systematisch gesäubert. Beamten die das Kabinett mit kontrollieren werden entlassen oder diskreditiert. Ideologische Mitstreiter wie Vance, Miller und Hegseth übernehmen derweil die Säuberung anderer Bundesstellen, bringen Polizei, Homeland Security und das Militär auf ideologischen Kurs, die wiederum mittlerweile defact Narrenfreiheit im Umgang mit Kritikern, Demonstranten und Volksfeinden genießen. Die Presse wird sabotiert oder aufgrund fadenscheiniger Anschuldigungen in ihrem Tun gehindert, gleichzeitig erhalten die Reichen und Mächtigen aus Trumps Vertrautenkreis Regierungsmandate und Verantwortlichkeiten, unterstützen ihm im Gegenzug in jeder erdenklichen Weise.
Das geht weit über den üblichen Nepotismus der amerikanischen Politikebene hinaus, der in jeder Amtszeit egal welches Präsidenten stattfindet. Hier werden nicht nur Handlungsträger auf Trump ausgerichtet, das Staatswesen als ganzes wird auf ihn ausgerichtet. Dezentrale Strukturen werden entweder zentralisiert oder aufgelöst. Die Grenze zwischen Legislative und Exekutive wird konstant verwässert.
Die Judikative leistet noch Widerstand, deren Einfluss schwindet aber zusehens. Wir befinden uns bereits jetzt in seiner Situation in der ich mir nicht mehr sicher bin, ob Gerichte aktuell noch in der Lage währen, hochgradig verfassungsfeindliche Forderungen seinerseits zu verhindern. Dann in 3 Jahren erst recht. Wenn Trump von "plenary authority" spricht, meint er damit nicht, dass er diese Autorität hat. Er meint damit, dass es ihm egal ist, ob die Gerichte anders denken. Kann es ihm auch sein, denn auf Bundesebene hat das Wort der Judikative kaum noch Gewicht, jedenfalls im Kabinett nicht.
Insofern halte ich es für falsch, Trump als einen einfach gestrickten Meckermeister abzutun. Dieser Mann ist zwar doof wie Stroh, aber er hat ein Gespür für Menschen und für seinen eigenen Vorteil. Der ist brandgefährlich wenn man ihn einfach machen lässt.
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Ich persönlich rechne damit, dass die USA zunehmend in die Autokratie abrutschen bis wir es Ende der 2020er Anfang der 2030er einer Scheindemokratie nach russischem oder türkischem Vorbild zu tun haben. In der die Zügel der Macht von einer kleinen Gruppe Funktionäre gehalten werden, an dessen Spitze Trump steht. Offiziell wird man das dann vielleicht eine Art "Präsidentialrepublik" nennen und Wahlen wird es vermutlich auch noch geben, eine Art Senat vielleicht auch, demokratisch oder freiheitlich wäre hingegen nichts.
Das sich Trump 2029 offen gegen die Gerichte stellen wird, sehe zwar als nicht unmöglich aber doch unwahrscheinlich an. Viel mehr wird er sich hier mMn der bewährten Methode bedienen und im Rahmen eines "nationalen Notstands" mittels Sonderrechten den Staat mal eben fix umbauen. Dauerhaft ist mit der politischen und juristischen Verfolgung von Kritikern und Ethnischen Minderheiten zu rechnen, denn ohne Feindbilder sind autokratische Maßnahmen kaum verargumentierbar, schon gar nicht in der amerikanischen Bevölkerung. Gleichzeitig könnte das Militär in einer unterstützenden Polizeifunktion genutzt werden um Opposition zu negieren noch bevor sie entsteht. Ziel dessen wäre es vor allem auf Zeit zu spielen, da historisch betrachtet der Widerstandswillen kontinuierlich sinkt, je länger ein Machtwechsel her ist.
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Der letzte Teil ist natürlich hoch spekulativ. Das ist lediglich das was ich grob erwarte und ist entsprechend anzweifelbar. Ich merke mir mal den Timestamp, mal gucken ob und wenn ja was sich davon in 4 Jahren bewahrheitet hat.
Mit n bisschen Glück schafft ers vielleicht gar nicht bis dahin, sondern fällt vorher unglücklich ne Treppe runter oder so.
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@Broensen
Zitat:Das sehe ich ähnlich und die Schwelle liegt sogar noch niedriger. Wir haben erlebt, dass der Ukraine Zugang zu Daten verwehrt wurde, die für einen effektiven Einsatz der US-Waffen essentiell sind. Das sehe ich bei der F-35 noch viel eher als ein Verwehren von Ersatzteilen oder Wartung. Die F-35 zieht einen großen Teil ihres Wertes aus der Versorgung mit aktuellen Daten seitens der USA. Fallen die weg, verliert die F-35 zunehmend an Einsatzwert.
Und sowohl ein Trump, als auch ein Vance oder irgend ein anderer seiner Abkömmlinge würden ohne mit der Wimper zu zucken, uns den Zugang zu militärischen Informationen verwehren, wenn wir uns mal außenpolitisch auf eine ihm zuwider laufende Position stellen.
Das ist ein sehr guter Punkt, das hatte ich komplett vergessen. Klar ist auch sowas möglich, gerade auch in Kriegszeiten eigentlich auch ein höchstpotentes politisches Druckmittel.
Und leider ist es nicht unrealistisch, die Ablehnung des Atlantismus gehört zu einen seiner Kernpunkte seit den 1980ern.
Zitat:Ich gehe eher davon aus, dass er sich einen gemütlichen Posten als Marionettenspieler einrichtet und dann einfach weiter die Privilegien nutzt, während jemand für ihn das Tagesgeschäft übernimmt...
Das wäre auch möglich, immerhin könnte man so den Schein der Demokratie wahren bei der dann immer rein zufällig Trumps jeweiliger Goldjunge die Wahlen gewinnt. Ist natürlich dann die Frage, ob sein Ego das mitmacht, immerhin sind Putin, Edrogan und co seine erklärten Vorbilder. Wäre ja peinlich, wenn er da "unlegitimiert" auf dem Geburtstag erscheint.
Aber so eine Art "Bundespräsident" könnte ich mir vorstellen, indem sein Präsident zwar die Regierungsgeschäfte übernimmt, er hingegen weiterhin Staatsoberhaupt und Commander in Chief bleiben könnte. So kann er auch nicht von seinem Goldjungen abgesetzt werden.