27.03.2008, 14:24
@ Erich
In der Analyse der Genese der Ereignisse stimmen wir ja überein. Über Jahre aufgestauter Frust und Zorn entlud sich eben in diesen fatalen Stunden des 14.3. in den Straßen von Lhasa. Laut des Interviews aus dem Spiegel, das ich weiter oben empfohlen hatte, ging die Polizei gegen demonstrierende Mönche vor und versuchte (wohl auch unter Anwendung von Gewalt) diese Demonstrationen aufzulösen, die an die Niederschlagung des Aufstandes von 1949 und die schlechten Bedingungen für die Tibeter erinnern sollte. Dieses Vorgehen provozierte wohl eine von den chinesischen Behörden vor Ort nicht antizipierte gewaltige Eruption von Frust und Gewalt, die sich in dynamisch entwickelnden gewaltsamen Massenprotesten seinen Lauf nahm. So wurde aus einer Aktion gegen ein paar Demonstrationen der Auslöser und Ventilöffner für den Zorn der Tibeter in Lhasa.
Dadurch wurden gewalttätige Demonstrationen, Massenproteste, Plünderungen hervorgerufen, die kein Staat der Welt sich gefallen lassen würde. Der International Harald Tribune überschreibt einen Artikel zu dem Thema sogar folgendermaßen:
Die Reaktion des chinesischen Staates war daher wie du geschildert hast logisch und natürlich sah und sieht sich Peking hier in Pflicht, die separatistischen und auflehnenden Strömungen in Tibet nachhaltig zu zerschlagen und zu unterdrücken. Daher geht man auch gegen Klöster und Mönche vor.
Ich denke, die Genese der Ereignisse ist daher ganz gut nachvollziehbar inzwischen. Dabei muss man aber auch sehen, dass aufgrund der sozialen Randstellung der Tibeter solche gewalttätigen Eruptionen auch eine gewisse Logik in sich tragen. Unterdrückte neigen zu Gewalt gegen ihre Unterdrücker und scheuen sich nicht, auf jede erdenkliche Weise zurückzuschlagen, wenn sie sich erniedrigt und unterdrückt fühlen und ein Auslöser da ist, der das Faß zum Überlaufen bringt (Stichwort hier Terrorismus). Dies impliziert leider auch, Zuwanderer wie Han-Chinesen oder andere anzugreifen, weil man sie für die eigene Misere mitverantwortlich macht und ihrer habhaft werden kann, wie dies wohl auch scheinbar geschehen ist. Dies ist natürlich keine Legitimation, aber eine Erklärung. Genauso gut ist zu erklären, dass die chinesische KP-Führung entsprechend reagiert hat und alles getan hat, um wieder Recht und Ordnung wiederherzustellen.
Grundlage ist eben einfach die völlig unterschiedlichen Positionen, Werte und Interessen der Tibeter und der Chinesischen Führung, die hier gewaltsam aufeinander trafen. Unschuldig dabei Erich, ist nie jemand. Selbst das größte Opfer wird, wenn es selbst das Schwert erhebt, zum Täter gegenüber dem früheren Täter. Schließlich braucht man für Konflikte immer zwei Parteien, sonst hätten wir ja eine perfekte Assimilierung und oder Unterdrückung.
Was nun die Lösungsmöglichkeiten angeht, so sehe ich schwarz.
Die von dir aufgezählten Problembereiche sind in meinen Augen die verschiedenen Problemdimensionen ein- und desselben Problemkern: Es steht sich ein han-chinesisches, autoritäres politisches und soziales Ordnungskonzept für Tibet und ein traditional-kulturell-historisches "einheimisches" Ordnungskonzept von Tibet gegenüber.
Man könnte auch kurz sagen: Imperiales Zentrum gegen traditionale Peripherie.
Das sozio-ökonomische Konflikt und der religiöse Konflikt sind beispielseise reine Derivate des eigentlichen tibetisch-chinesischen Konfliktes: China nutzt zum einen eine verstärkte modernisierende Säkularisierung Tibets und sein Vorgehen gegen die Mönche um die traditionale tibetische Identität zu demontieren und zu schwächen. Schließlich ist die Identität nicht nur eine rein ethnische Frage, sie ist auch eine historische, kulturelle Frage und einer der Alltagswelt für die Tibeter. China geht dabei gezielt gegen die Religion und damit die tibetische Identität vor, weil eben letztere sehr stark mit dem Dalai Lama und der Religion und den Klöstern verknüpft ist. Man will die Tibeter religiös entwurzeln und offener machen für die überall dominaten chinesischen Einflüße. Zum anderen läßt man Einwanderer aus den schon entwickelteren Provinzen kommen, die natürlich auch mehr Umgang hatten mit dem Kapitalismus und daher geschäftigstüchtig sind. Daher sind eben Zuwanderer auch eher in der Lage, die Zuwendungen und Investitionen in Tibet sinnvoll zu verwerten, als die traditioneller denkenden Tibeter. Auch so schafft es China, die Tibeter an den Rand zu drängen.
Wenn man all das sieht und die Ausgeklügeltheit der chinesischen "grand strategy" zur Sinologisierung Tibets erkennt, fällt es schwer, hier an einen Dialog zu glauben. Natürlich muss man sagen, dass die gewalttätigen Protestierenden wohl mehr als Atutonomie wollten, aber man muss auch erkennen, dass China nicht einfach nur seine Herrschaft sichern will, sondern dass China und dessen Führung auch aufs ganze geht und versucht mit vielen Mitteln die Tibeter zu marginalisieren und zu assimilieren. Ich erkenne daher auch bei der Führung wenig Anzeichen dafür, dass sie von ihren Maximalpositionen abweichen wird.
Westliche Modelle zur Konfliktregulierung räume ich daher wenig Chancen ein. Dies sind vielleicht - wenn es gut läuft - in 20 oder 30 Jahren möglich, wenn China auch im Inneren so weiter zivilisiert und modernisiert ist, dass postmoderne westliche Lösungen greifen können und akzeptiert werden. Aber bis dahin kann noch viel schlechtes passieren. Ich denke, wir müssen hier einfach erkennen, dass sich das Chinesische Reich wieder in einem Transformationszyklus befindet, in etwa so vergleichbar mit dem Wechsel Ming/Manchu oder dem Ende der Manchu und dem Beginn der Republik China. Der Kommunismus ist tot, die Frage ist, wie soll es weitergehen mit China. Und da hat man sicherlich Angst in der KP, dass zu schnelle machtabgabe in eine Situation wie 1910 oder 1920 führt, in der China in verschiedene Warlordherrschaften zerfallen war. Daher wird die KP auch weiter an der Macht festhalten, zudem sind die ganzen Profite des neuen Kapitalismus zu verlockend. Raum für Kompromisse sehe ich da jetzt noch nicht.
In der Analyse der Genese der Ereignisse stimmen wir ja überein. Über Jahre aufgestauter Frust und Zorn entlud sich eben in diesen fatalen Stunden des 14.3. in den Straßen von Lhasa. Laut des Interviews aus dem Spiegel, das ich weiter oben empfohlen hatte, ging die Polizei gegen demonstrierende Mönche vor und versuchte (wohl auch unter Anwendung von Gewalt) diese Demonstrationen aufzulösen, die an die Niederschlagung des Aufstandes von 1949 und die schlechten Bedingungen für die Tibeter erinnern sollte. Dieses Vorgehen provozierte wohl eine von den chinesischen Behörden vor Ort nicht antizipierte gewaltige Eruption von Frust und Gewalt, die sich in dynamisch entwickelnden gewaltsamen Massenprotesten seinen Lauf nahm. So wurde aus einer Aktion gegen ein paar Demonstrationen der Auslöser und Ventilöffner für den Zorn der Tibeter in Lhasa.
Dadurch wurden gewalttätige Demonstrationen, Massenproteste, Plünderungen hervorgerufen, die kein Staat der Welt sich gefallen lassen würde. Der International Harald Tribune überschreibt einen Artikel zu dem Thema sogar folgendermaßen:
Zitat:As chaos erupted in Tibet, police initially fled(25. März, Seite 4)
Die Reaktion des chinesischen Staates war daher wie du geschildert hast logisch und natürlich sah und sieht sich Peking hier in Pflicht, die separatistischen und auflehnenden Strömungen in Tibet nachhaltig zu zerschlagen und zu unterdrücken. Daher geht man auch gegen Klöster und Mönche vor.
Ich denke, die Genese der Ereignisse ist daher ganz gut nachvollziehbar inzwischen. Dabei muss man aber auch sehen, dass aufgrund der sozialen Randstellung der Tibeter solche gewalttätigen Eruptionen auch eine gewisse Logik in sich tragen. Unterdrückte neigen zu Gewalt gegen ihre Unterdrücker und scheuen sich nicht, auf jede erdenkliche Weise zurückzuschlagen, wenn sie sich erniedrigt und unterdrückt fühlen und ein Auslöser da ist, der das Faß zum Überlaufen bringt (Stichwort hier Terrorismus). Dies impliziert leider auch, Zuwanderer wie Han-Chinesen oder andere anzugreifen, weil man sie für die eigene Misere mitverantwortlich macht und ihrer habhaft werden kann, wie dies wohl auch scheinbar geschehen ist. Dies ist natürlich keine Legitimation, aber eine Erklärung. Genauso gut ist zu erklären, dass die chinesische KP-Führung entsprechend reagiert hat und alles getan hat, um wieder Recht und Ordnung wiederherzustellen.
Grundlage ist eben einfach die völlig unterschiedlichen Positionen, Werte und Interessen der Tibeter und der Chinesischen Führung, die hier gewaltsam aufeinander trafen. Unschuldig dabei Erich, ist nie jemand. Selbst das größte Opfer wird, wenn es selbst das Schwert erhebt, zum Täter gegenüber dem früheren Täter. Schließlich braucht man für Konflikte immer zwei Parteien, sonst hätten wir ja eine perfekte Assimilierung und oder Unterdrückung.
Was nun die Lösungsmöglichkeiten angeht, so sehe ich schwarz.
Die von dir aufgezählten Problembereiche sind in meinen Augen die verschiedenen Problemdimensionen ein- und desselben Problemkern: Es steht sich ein han-chinesisches, autoritäres politisches und soziales Ordnungskonzept für Tibet und ein traditional-kulturell-historisches "einheimisches" Ordnungskonzept von Tibet gegenüber.
Man könnte auch kurz sagen: Imperiales Zentrum gegen traditionale Peripherie.
Das sozio-ökonomische Konflikt und der religiöse Konflikt sind beispielseise reine Derivate des eigentlichen tibetisch-chinesischen Konfliktes: China nutzt zum einen eine verstärkte modernisierende Säkularisierung Tibets und sein Vorgehen gegen die Mönche um die traditionale tibetische Identität zu demontieren und zu schwächen. Schließlich ist die Identität nicht nur eine rein ethnische Frage, sie ist auch eine historische, kulturelle Frage und einer der Alltagswelt für die Tibeter. China geht dabei gezielt gegen die Religion und damit die tibetische Identität vor, weil eben letztere sehr stark mit dem Dalai Lama und der Religion und den Klöstern verknüpft ist. Man will die Tibeter religiös entwurzeln und offener machen für die überall dominaten chinesischen Einflüße. Zum anderen läßt man Einwanderer aus den schon entwickelteren Provinzen kommen, die natürlich auch mehr Umgang hatten mit dem Kapitalismus und daher geschäftigstüchtig sind. Daher sind eben Zuwanderer auch eher in der Lage, die Zuwendungen und Investitionen in Tibet sinnvoll zu verwerten, als die traditioneller denkenden Tibeter. Auch so schafft es China, die Tibeter an den Rand zu drängen.
Wenn man all das sieht und die Ausgeklügeltheit der chinesischen "grand strategy" zur Sinologisierung Tibets erkennt, fällt es schwer, hier an einen Dialog zu glauben. Natürlich muss man sagen, dass die gewalttätigen Protestierenden wohl mehr als Atutonomie wollten, aber man muss auch erkennen, dass China nicht einfach nur seine Herrschaft sichern will, sondern dass China und dessen Führung auch aufs ganze geht und versucht mit vielen Mitteln die Tibeter zu marginalisieren und zu assimilieren. Ich erkenne daher auch bei der Führung wenig Anzeichen dafür, dass sie von ihren Maximalpositionen abweichen wird.
Westliche Modelle zur Konfliktregulierung räume ich daher wenig Chancen ein. Dies sind vielleicht - wenn es gut läuft - in 20 oder 30 Jahren möglich, wenn China auch im Inneren so weiter zivilisiert und modernisiert ist, dass postmoderne westliche Lösungen greifen können und akzeptiert werden. Aber bis dahin kann noch viel schlechtes passieren. Ich denke, wir müssen hier einfach erkennen, dass sich das Chinesische Reich wieder in einem Transformationszyklus befindet, in etwa so vergleichbar mit dem Wechsel Ming/Manchu oder dem Ende der Manchu und dem Beginn der Republik China. Der Kommunismus ist tot, die Frage ist, wie soll es weitergehen mit China. Und da hat man sicherlich Angst in der KP, dass zu schnelle machtabgabe in eine Situation wie 1910 oder 1920 führt, in der China in verschiedene Warlordherrschaften zerfallen war. Daher wird die KP auch weiter an der Macht festhalten, zudem sind die ganzen Profite des neuen Kapitalismus zu verlockend. Raum für Kompromisse sehe ich da jetzt noch nicht.