19.03.2008, 03:11
Zitat: Noch ist die Dimension der Unruhen in Tibet weitgehend unbekannt. Die Kraft des Aufstandes von 1959 und in den 80er Jahren scheinen sie nicht zu gewinnen. Auch das Ausmaß der Beteiligung der Mönche ist fraglich. Ein Teil ihrer Gemeinschaft wurde infolge ständiger chinesische Indoktrination in den Bann des politischen Gehorsams geschlagen. Die Klosterkultur zerfällt. Dafür sehen zahlreiche Heranwachsende in Tibet unter der chinesischen Oppression keine Zukunft und begehren auf. Der Dalai Lama sprach in einer seiner Stellungnahmen von einer "gewaltbereiten Generation". Sie mag Feuer legen, verfügt aber weder über eine geistige Strategie noch über Waffen.Trotz dieser Einschränkungen befindet sich Peking in einer heiklen Lage - von den "Störungen" der olympischen Spiele ganz abgesehen. Denn nicht nur das militärisch leicht abzuriegelnde Dach der Welt ist unruhig, sondern mehrere Westprovinzen des Reiches mit tibetanischen und turksprachigen Minderheiten respektive administrativ reduzierten Mehrheiten. Zum traditionellen Nationalitätenkonflikt kommen schwere soziale Verwerfungen in den überwiegend ländlichen Regionen. Protest und kleinerer Aufruhr mit blau geschlagenen Parteifunktionären ereignen sich in China tausendfach pro Jahr. Der Himmel ist hoch, der Zar ist weit, das Wasser schmutzig und knapp, und die Geldentwertung schreitet rasend voran.Die Spaltung des Landes in reiche Küstenregionen mit glitzernden Metropolen und rückständige, sozial unversicherte Binnen- und Westprovinzen mit ihren Millionenmassen, in die des gerade im Amt bestätigten Hu Jintaos Geist der Harmonie nicht dringt, schafft einen kritischen Widerspruch. Die Unruhen in Tibet und den angrenzenden Talprovinzen sind von dem dramatischen sozialen Vorgang nicht zu trennen und können insofern als Zündsatz für letztlich organisierten Aufruhr gegen die kommunistische Dynastie im fernen Peking wirken. Wenn die Zentralregierung etwas fürchtet, dann ist es der Verlust des Mandats der nationalen Einheit - die Verwandlung des Landes in kosovoartige Krisengebiete, die in der zentralasiatischen Weite ihr Glück versuchen.
Da es um den Zusammenhalt, um China und die Partei geht und keineswegs nur um neurotische Revolutionsphobien, genau besehen sogar um mehr als das Taiwan-Problem, greift die herausgeforderte herrschende Klasse bei jeder sich abzeichnenden Gefahr der Abspaltung mit äußerster Entschlossenheit militärpolizeilich ein. Statuierte Exempel sollen Nachfolgetaten verhindern. Man kann davon ausgehen, dass ein Teil des Politbüros die olympischen Spiele verflucht, weil sie jede dissidentische Tat in den elektronischen Blickpunkt rücken. Das Parteiregime hat durch seine Politik der kulturellen Zerstörung den Grund für die tibetischen Unruhen gelegt - der Aufruhr selbst ist jedoch mit Sicherheit ein lancierter Stoff, um die Weltmeinung zu erregen. Man kann analytisch von einem guten "timing" sprechen. Die chinesische Vermutung, dass planvolle, mit der inneren Entwicklung unzufriedene Hände am Werke sind, wie immer sie sich nennen mögen, klingt nicht so platt wie sonst.Völkerrechtlich ist es durchaus umstritten, ob Tibet als Teil des chinesischen Staatsverbandes, als sogenannte Autonome Region im Rahmen der Volksrepublik China anzusehen ist. Während die USA nach einem Beschluss des Senats von 1991 Tibet für "okkupiert" halten, folgt Deutschland auch in dieser Hinsicht der offiziellen Pekinger Regel der Ein-China-Politik. Die deutsche Forderung nach einem "Dialog" zwischen dem Dalai Lama - einem rechtlich gesehen zweifelhaften Repräsentanten der Tibeter - und der Zentralregierung hat insofern den Charakter eines Vorschlags zur Güte im Sinne der Menschenrechte und einer gedeihlichen Friedensentwicklung. Nach diesem Muster reagiert der größte Teil der Staaten der Welt, durchaus ehrenwert, besorgt und frustriert.Die chinesische Regierung wird versuchen, ein großes Blutbad zu vermeiden. Tatsächlich erinnert bis jetzt nichts an das Massaker von 1959 oder an die Niederschlagung der Tienanmen-Unruhen 1989. Die zu erwartende Weigerung, mit dem Dalai Lama zu verhandeln, beruht darauf, dass Peking nicht das geringste Interesse hat, den geistlichen Führer aufzuwerten. Die Gravitation des Aufruhrs ist von der alten buddhistischen Ursache weggewandert. Die Bedrohung hat sich gewissermaßen erweitert, sie ist, was China betrifft, allgemeinpolitisch und sozial geworden. Die Partei wird, weil sie überleben will, die "Ordnung" verteidigen, aber die Lösung besteht nicht mehr im militanten Kulturkampf, sondern in der Bändigung eines Frühkapitalismus, der paradoxerweise aus der Revolutions-Ära Mao Zedongs hervorgeschossen ist wie ein fremder Geist.
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sehr interesante übersicht der lage in china..
Zitat:Mit einer massiven Militärpräsenz in Lhasa versucht China, die Tibeter einzuschüchtern und nach den schweren Unruhen in der tibetischen Hauptstadt für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Paramilitärische Truppen patrouillieren jede Straße, jede Kreuzung, jede Gasse. "Es ist ein gewaltiger Aufmarsch", gab am Dienstag der deutsche Korrespondent Georg Blume aus Lhasa der Deutschen Presse-Agentur dpa in Peking telefonisch einen Lagebericht. Sicherheitskräfte trügen demonstrativ Maschinenpistolen oder auch Gewehre mit Bajonetten. Auf Dächern seien Geschütze aufgebaut. Der China-Korrespondent des Wochenblattes "Die Zeit" und der Berliner "taz" ist einer von nur drei ausländischen Journalisten, die noch in Lhasa sind. Die Ausländerpolizei verstärkt täglich den Druck auf sie, das unruhige Hochland zu verlassen, sieht aber vorerst noch von einer Zwangsausweisung ab.<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.n-tv.de/935468.html">http://www.n-tv.de/935468.html</a><!-- m -->