18.03.2008, 21:56
Ich betone ellenlang, insbesondere in meinen zahllosen Beispielen, dass Identitäten immer fragmentiert sind und mehrere Ebenen haben und das Verständnis von Ethnie, Stamm, Nation usw. variabel ist und vom historischen und sozialen Kontext abhängig ist. Das sage ich.
Vergiss mal bitte nicht, wo wir gestartet sind, nämlich bei der Frage ob es ein chinesisches Reich gab, was ich fundamental bejahe und du verneinst.
Du legst dabei das heutige Verständnis (Begriffsverständnis) von Ethnie und Nation zugrunde, ich sehe es aber als historisch variabel an.
Und auch noch heute sind das sich überschneidende, überlagernde Identifikationsmuster. Und das war auch schon früher so. Im alten Polen sprach man von nationis Polonibus, gentem Ruthenem (nagelt mich nicht an den Endungen fest, mein latinum ist schon etwas her...). Damals war Pole/Polnisch/Polen eine multiethnische Nation, wobei man eher von Stämmen sprach denn von Ethnien. Nation war dabei ein allgemeines, staats-/reichsgeprägtes Identifikationsmuster, eine genuin politische Identifikation und heute ist daraus eben ein stark ethnisch-fixierter Begriff geworden, ein exklusiver Nationsbegriff, der sich eben nicht nur politisch definiert. Allerdings ist die Ethnie/Nation "Pole" heute ein dennoch ein produkt diverser Ethnien, weil auch heute noch viel an Deutschem, Litauischem und Ukrainischem Blut durch die historische Vermischung vorhanden ist.
Wie denkst du denn geschieht Ethnogenese? Das sind alles politische und soziale Prozesse, Umdeutungen, Propagandabeeinflußungen usw. Was mal Nation war (inklusiv, also politisch-allgemein) wird zur exklusiven Ethnie und damit zur modernen Nation. Dabei ist es eben ein politischer und sozialer Prozess, was Ethnie bleibt, verschwindet oder neu entsteht. Und Assimilierung ist da auch ein Teil. Wie denkst du ist denn die britische Identität in die Waliser gekommen? Oder wie wurde Frankreich zu einem Zentralstaat? Viele regionale Stämme wurden durch Assimilierung durch eine produzierte Staatskultur eben zu diesem Staatsvolk. Daher gibt es ja auch die diversen Unterscheidungen zwischen Staatsnation, Kulturnation usw.
Ethnie ist nunmal nicht Ethnie. Das ist alles eine Frage politischer und sozialer Prozesse. Wer spricht denn heute in Europa noch von den Ruthenen oder den Liven oder den historischen Burgundern? Aber woher kamen denn plötzlich Slowaken, Slovenen, Letten und Belgier?
Identitäten sind variabel und letztlich sozial und politisch produziert und ändern ihre Umfassungsgrößen.
So auch bei China. China war ein Reich, eine inklusive, weit gefaßte politische Identität. Es existierte ein chinesisches Beamtensystem, der Konfuzianismus, ein Zentralstaat, der als China auch eine gewisse kulturelle Ausprägung hatte. Daneben gab es die diversen Provinzen und Völker in diesem Reich.
Wo du Recht hast,was du aber falsch formulierst, was ich aber auch sage, allerdings in anderen Begriffen (Interessierst du dich für Ethnologie, weil du immer nur von Ethnie schreibst???), ist dass diese chinesische Identität im Wandel ist. Die chinesischen Machthaber sind dabei, aus einer eher politischen, allgemeinen chinesischen Staatsidentität eine eng gefasste ethnisch/nationale/kulturelle Identität zu machen, die andere randständige Stämme, Identitäten stark aufsaugen will. Dies allerdings hat auch einen politischen Grund und auch eine Funktion: Es geht einfach darum China zusammenzuhalten bzw. um den Versuch.
Denn: Ob es in der Ethnologie bekannt ist oder nicht, Reiche und Imperien haben immer eine spezifische staatstragende Identität (Pole, Russe, Chinese usw.) aber immer noch weitere Völkerschaften dazu in ihren Grenzen, die über die politische Reichsidentität als Untertanen definiert wurden. Allerdings blieben sie als Stamm und Gemeinschaft auch erhalten trotz dieser imperialen Identität, die sie als Untertanen des Kaisers von China inne hatten. Mit fortschreitender Modernisierung aber zerbrechen alte Gemeinschaftsstrukturen, Familienbände und auch das Imperium wird mehr und mehr zum Staat. Früher war es egal, welche Sprachen in der provinz gesprochen wurden, heute aber wird aufgrund der vermehrten Kommunikation diese Regelung wichtiger usw.
Nun aber wurde bislang das große multiethnische China durch den Kommunismus zusammengehalten. Doch der zerfällt und wie soll man dieses Reichereich weiter unter Kontrolle und unter der Herrschaft der KP halten. Das ist die frage, die man sich stellt in peking. Und die Antwort lautet - ganz analog zur europäischen Modernisierung und dem Aufkommen des Nationalismus bei uns - dass eine starke, gemeinsame Identität gebraucht wird. Deshalb versucht man chin. Dialekte (wie im Frankreich des 18. jahrunderts) einzustampfen und andere Völkergruppen (Tibeter, Mongolen, Turkvölker) zu assimilieren und in sich aufzusaugen, ein Umstand, der auch dem alten China immer wieder gut gelungen war.
Daher spricht man völlig zurecht von dem chinesischen Reich früherer Zeiten. Das bedeutet aber nicht, dass damit die "Chinesen" gemeint sind, die die heutige KP-führung gerne hätte. Das sind (wie im Beispiel der Polen9 eben doch etwas andere Gruppen. Genau dasselbe war auch der Fall beim Römischen Reich, beim zaristischen Russland usw.. Das waren sicher auch nicht alles Römer, wie geschrieben, ab dem 1. Jahrhundert nach Christus kamen fast alle Kaiser allesamt nicht mehr aus Rom oder gar Italien. Dennoch war es das Römische Reich, weil auch Illyrer, Italiker, Gallier, Griechen und andere (und insbesondere deren Elite) zu Römern wurden. Und das war eben nie ein immer völlig friedlicher Prozess, genau dasselbe kann man beim zaristischen Russland sehen: Das waren auch nicht alles Russen und dennoch waren es eben russische Untertanen. Dasselbe eben beim chinesischen Reich: Die Eliten hatten eine bestimmte kernchinesische Identität, der auch die fremden Usorpatoren erlagen und die sie assimilierte. Der Rest in den Provinzen waren eben die Untertanen und es war relativ egal, was diese Bauern sprachen.
Heute aber werden im modernen Massenstaat mit seiner Alphabetisierung, seiner höheren Bildung usw das alles zu wichtigen Fragen, die auch ganz ohne die verstärkte Assimilierungspolitik Pekings aufbrechen würden (siehe Ende der Vielvölkerstaaten Russlands und gerade Österreichs). Heute recht es eben nicht mehr, dass sich eine Elite mit der allgemeinen chinesischen Identität und der sprachlich-kulturellen Identität identifiziert, heute wird das zur allgemeinen Frage.
Und aufgrund der aufbrechenden sozialen Konflikte, der wirtschaftlichen und sozialen Transformation hin zum modernen Industriestaat (mit eben Bildung und Alphabetisierung) und des Wegbrechens der kommunistischen Ideologie wird eben die Frage nach den Identitäten neu gestellt. Alles nichts neues.
Dabei muss man den aggressiven chinesischen Nationalismus sicherlich genaus thematisieren wie eben denselben auch im russischen Reich/Russland, aber man muss eben auch die dahinterliegenden politischen und sozialen/wirtschaftlichen Probleme sehen.
Das muss man sicher alles thematisieren, nur darf man nicht glauben, dass diese Völker ohne die verstärkte Assimilierung nicht reagieren würden. Der Aufschwung ist extrem ungerecht verteilt und insbesondere Kernchinesen profitieren. Und dabei bekommen solche Fragen auch einen sozialen Zündstoff. Auch ist die Frage nach Sprache und Anerkennung im neuen China von großer Bedeutung. Hier versucht man eben mit den alten autoritären Mitteln gegenzusteuern seitens der KP. Ob das klappt, wer weiß. Aber historisch kann man sich seitens der KP durchaus auf eine starke, historische chin. Identität berufen, das ist klar.
Vergiss mal bitte nicht, wo wir gestartet sind, nämlich bei der Frage ob es ein chinesisches Reich gab, was ich fundamental bejahe und du verneinst.
Du legst dabei das heutige Verständnis (Begriffsverständnis) von Ethnie und Nation zugrunde, ich sehe es aber als historisch variabel an.
Und auch noch heute sind das sich überschneidende, überlagernde Identifikationsmuster. Und das war auch schon früher so. Im alten Polen sprach man von nationis Polonibus, gentem Ruthenem (nagelt mich nicht an den Endungen fest, mein latinum ist schon etwas her...). Damals war Pole/Polnisch/Polen eine multiethnische Nation, wobei man eher von Stämmen sprach denn von Ethnien. Nation war dabei ein allgemeines, staats-/reichsgeprägtes Identifikationsmuster, eine genuin politische Identifikation und heute ist daraus eben ein stark ethnisch-fixierter Begriff geworden, ein exklusiver Nationsbegriff, der sich eben nicht nur politisch definiert. Allerdings ist die Ethnie/Nation "Pole" heute ein dennoch ein produkt diverser Ethnien, weil auch heute noch viel an Deutschem, Litauischem und Ukrainischem Blut durch die historische Vermischung vorhanden ist.
Wie denkst du denn geschieht Ethnogenese? Das sind alles politische und soziale Prozesse, Umdeutungen, Propagandabeeinflußungen usw. Was mal Nation war (inklusiv, also politisch-allgemein) wird zur exklusiven Ethnie und damit zur modernen Nation. Dabei ist es eben ein politischer und sozialer Prozess, was Ethnie bleibt, verschwindet oder neu entsteht. Und Assimilierung ist da auch ein Teil. Wie denkst du ist denn die britische Identität in die Waliser gekommen? Oder wie wurde Frankreich zu einem Zentralstaat? Viele regionale Stämme wurden durch Assimilierung durch eine produzierte Staatskultur eben zu diesem Staatsvolk. Daher gibt es ja auch die diversen Unterscheidungen zwischen Staatsnation, Kulturnation usw.
Ethnie ist nunmal nicht Ethnie. Das ist alles eine Frage politischer und sozialer Prozesse. Wer spricht denn heute in Europa noch von den Ruthenen oder den Liven oder den historischen Burgundern? Aber woher kamen denn plötzlich Slowaken, Slovenen, Letten und Belgier?
Identitäten sind variabel und letztlich sozial und politisch produziert und ändern ihre Umfassungsgrößen.
So auch bei China. China war ein Reich, eine inklusive, weit gefaßte politische Identität. Es existierte ein chinesisches Beamtensystem, der Konfuzianismus, ein Zentralstaat, der als China auch eine gewisse kulturelle Ausprägung hatte. Daneben gab es die diversen Provinzen und Völker in diesem Reich.
Wo du Recht hast,was du aber falsch formulierst, was ich aber auch sage, allerdings in anderen Begriffen (Interessierst du dich für Ethnologie, weil du immer nur von Ethnie schreibst???), ist dass diese chinesische Identität im Wandel ist. Die chinesischen Machthaber sind dabei, aus einer eher politischen, allgemeinen chinesischen Staatsidentität eine eng gefasste ethnisch/nationale/kulturelle Identität zu machen, die andere randständige Stämme, Identitäten stark aufsaugen will. Dies allerdings hat auch einen politischen Grund und auch eine Funktion: Es geht einfach darum China zusammenzuhalten bzw. um den Versuch.
Denn: Ob es in der Ethnologie bekannt ist oder nicht, Reiche und Imperien haben immer eine spezifische staatstragende Identität (Pole, Russe, Chinese usw.) aber immer noch weitere Völkerschaften dazu in ihren Grenzen, die über die politische Reichsidentität als Untertanen definiert wurden. Allerdings blieben sie als Stamm und Gemeinschaft auch erhalten trotz dieser imperialen Identität, die sie als Untertanen des Kaisers von China inne hatten. Mit fortschreitender Modernisierung aber zerbrechen alte Gemeinschaftsstrukturen, Familienbände und auch das Imperium wird mehr und mehr zum Staat. Früher war es egal, welche Sprachen in der provinz gesprochen wurden, heute aber wird aufgrund der vermehrten Kommunikation diese Regelung wichtiger usw.
Nun aber wurde bislang das große multiethnische China durch den Kommunismus zusammengehalten. Doch der zerfällt und wie soll man dieses Reichereich weiter unter Kontrolle und unter der Herrschaft der KP halten. Das ist die frage, die man sich stellt in peking. Und die Antwort lautet - ganz analog zur europäischen Modernisierung und dem Aufkommen des Nationalismus bei uns - dass eine starke, gemeinsame Identität gebraucht wird. Deshalb versucht man chin. Dialekte (wie im Frankreich des 18. jahrunderts) einzustampfen und andere Völkergruppen (Tibeter, Mongolen, Turkvölker) zu assimilieren und in sich aufzusaugen, ein Umstand, der auch dem alten China immer wieder gut gelungen war.
Daher spricht man völlig zurecht von dem chinesischen Reich früherer Zeiten. Das bedeutet aber nicht, dass damit die "Chinesen" gemeint sind, die die heutige KP-führung gerne hätte. Das sind (wie im Beispiel der Polen9 eben doch etwas andere Gruppen. Genau dasselbe war auch der Fall beim Römischen Reich, beim zaristischen Russland usw.. Das waren sicher auch nicht alles Römer, wie geschrieben, ab dem 1. Jahrhundert nach Christus kamen fast alle Kaiser allesamt nicht mehr aus Rom oder gar Italien. Dennoch war es das Römische Reich, weil auch Illyrer, Italiker, Gallier, Griechen und andere (und insbesondere deren Elite) zu Römern wurden. Und das war eben nie ein immer völlig friedlicher Prozess, genau dasselbe kann man beim zaristischen Russland sehen: Das waren auch nicht alles Russen und dennoch waren es eben russische Untertanen. Dasselbe eben beim chinesischen Reich: Die Eliten hatten eine bestimmte kernchinesische Identität, der auch die fremden Usorpatoren erlagen und die sie assimilierte. Der Rest in den Provinzen waren eben die Untertanen und es war relativ egal, was diese Bauern sprachen.
Heute aber werden im modernen Massenstaat mit seiner Alphabetisierung, seiner höheren Bildung usw das alles zu wichtigen Fragen, die auch ganz ohne die verstärkte Assimilierungspolitik Pekings aufbrechen würden (siehe Ende der Vielvölkerstaaten Russlands und gerade Österreichs). Heute recht es eben nicht mehr, dass sich eine Elite mit der allgemeinen chinesischen Identität und der sprachlich-kulturellen Identität identifiziert, heute wird das zur allgemeinen Frage.
Und aufgrund der aufbrechenden sozialen Konflikte, der wirtschaftlichen und sozialen Transformation hin zum modernen Industriestaat (mit eben Bildung und Alphabetisierung) und des Wegbrechens der kommunistischen Ideologie wird eben die Frage nach den Identitäten neu gestellt. Alles nichts neues.
Dabei muss man den aggressiven chinesischen Nationalismus sicherlich genaus thematisieren wie eben denselben auch im russischen Reich/Russland, aber man muss eben auch die dahinterliegenden politischen und sozialen/wirtschaftlichen Probleme sehen.
Das muss man sicher alles thematisieren, nur darf man nicht glauben, dass diese Völker ohne die verstärkte Assimilierung nicht reagieren würden. Der Aufschwung ist extrem ungerecht verteilt und insbesondere Kernchinesen profitieren. Und dabei bekommen solche Fragen auch einen sozialen Zündstoff. Auch ist die Frage nach Sprache und Anerkennung im neuen China von großer Bedeutung. Hier versucht man eben mit den alten autoritären Mitteln gegenzusteuern seitens der KP. Ob das klappt, wer weiß. Aber historisch kann man sich seitens der KP durchaus auf eine starke, historische chin. Identität berufen, das ist klar.