China vs. Taiwan
Ich weiß, eigentlich sollte ich mit Edit arbeiten. Das hier hat aber mit meinem vorigen Post nichts mehr zu tun. Vielmehr ist es die Rede von Präsident Chen Shui-bian bei der Videokonferenz in Berlin. Ist leider etwas lang, was man da kürzen kann, ohne den Kontext zu zerstören, weiß ich nicht. Deswegen die Langform. Ich hoffe mein Post ist nicht zu aufdringlich.
Zitat:Taiwan: Leuchtturm im Schatten Chinas

Stellvertretender Präsident des deutschen Bundestages Herr Dr. Solms, Vorsitzender des Parlamentarischen Freundeskreises Berlin-Taipei im Bundestag Herr Sebastian, Herr Professor Sandschneider von der Freien Universität Berlin, Frau Heckel von der „Welt am Sonntag“, Frau Muscat von der „Financial Times Deutschland“, Herr Repräsentant Prof. Shieh, geehrte Abgeordnete und Journalisten, sehr geehrte Damen und Herren! Ich wünsche Ihnen allen einen guten Morgen!

Ich freue mich sehr, heute per Videokonferenz die Freunde in Berlin sehen zu können.

Zuerst möchte ich meine Glückwünsche dazu aussprechen, dass in der deutschen Hauptstadt Berlin, als der EU-Vorsitz gerade auf Deutschland übergegangen war, vor einem Monat das weltweit beachtete 50-jährige EU-Jubiläum gefeiert und die „Berliner Erklärung“ veröffentlicht wurde. Während konkret angekündigt wurde, dass die EU die Unabhängigkeit und Vielfalt der Mitgliedsstaaten wahren werde, wurden gleichzeitig gemeinsam Herausforderungen aller Art angenommen, damit die EU vor den Wahlen zum Europaparlament 2009 eine neue gemeinsame Basis aufbauen kann.

Deutschland hat derzeit turnusgemäß die EU-Präsidentschaft inne. Ich wünsche mir aufrichtig, dass Deutschland unter der hervorragenden Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht nur in Richtung einer noch blühenderen und fortschrittlicheren Zeit gelenkt wird, sondern eine noch glorreichere und weitreichendere Zukunft für die EU begründet.

Sie alle durch eine Videokonferenz zu sehen, ist für die Förderung der taiwanisch-deutschen Beziehungen ein großer Durchbruch. Andererseits bringt diese Methode aber auch die schlechte Lage Taiwans wegen außenpolitischer Unterdrückung und Isolierung an den Tag.

Ich bin der von 23 Millionen Taiwanern auf demokratische Weise direkt gewählte Führer des Landes, aber seit dem Machtwechsel im Jahre 2000 und während zwei Amtszeiten von bis jetzt fast sieben Jahren war es mir unter der tyrannischen Blockade durch China verboten, in alle Länder der EU einschließlich Deutschland einzureisen. Sogar ein privater Urlaub ist mir nicht gestattet, als wäre ich ein Terrorist.

Man kann sich erinnern, dass im Jahre 2001 die „Liberale Internationale“ beschloss, mir in Straßburg, dem Sitz des europäischen Parlamentes, den „Internationalen Freiheitspreis 2001“ zu verleihen, doch ich hatte nicht die Freiheit, nach Europa zu reisen und den Freiheitspreis entgegenzunehmen, ich musste mich von meiner im Rollstuhl sitzenden Frau vertreten lassen.

Die Beschränkungen der internationalen Gemeinschaft gegen mich sind unvernünftig, doch ich muss sie ertragen. Die Ablehnungen gegenüber den 23 Millionen Taiwanern sollte aber kein Land, das Freiheit und Demokratie respektiert, dulden oder stillschweigend hinnehmen.

Taiwan gehört zu den erfolgreichsten Beispielen neuer Demokratien. Wir besitzen die Fähigkeit und den Willen, noch mehr Beiträge für das Glück der gesamten Menschheit zu leisten.

Ich möchte hier aufrichtig an die internationale Gemeinschaft und besonders an die Länder der EU appellieren, nicht nur die Realität der ständigen außenpolitischen Unterdrückung und militärischen Bedrohung Taiwans durch China kritisch zu beobachten, sondern sich auch mit äußerster Kraft für Taiwan einzusetzen, damit die von uns geteilten Überzeugungen der Universalwerte wie Freiheit, Demokratie, Frieden und Menschenrechte weiter hervorgehoben werden können.

Nehmen wir mal die demnächst im schweizerischen Genf jährlich stattfindende Weltgesundheitsversammlung (WHA) als Beispiel: Um seine Rechte in der Versammlung zu erreichen, hat Taiwan sich bereits zehn Jahre lang bemüht und in den letzten Jahren sich sogar selbst das Unrecht zugefügt, unter dem Konzept „Gesundheits-Rechtseinheit“ den Antrag zu stellen, Beobachter in der WHA zu werden, doch wegen der Störungen Chinas sind wir bis heute vor den Toren ausgeschlossen. Damit werden die 23 Millionen Taiwaner kollektiv ihres Rechts auf Leben und Gesundheit beraubt.

Im Jahre 1968 verlangte Ostdeutschland mit seinem Antrag an die Weltgesundheitsorganisation (WHO), Mitglied zu werden, doch ob Ostdeutschland ein Staat war oder nicht, wurde anschließend in Frage gestellt.

Der damalige WHO-Generaldirektor setzte nicht nur die Forderung Ostdeutschlands auf die Tagesordnung der WHA und legte die WHO-Charta und die WHA-Geschäftsordnung allen Ländern der Versammlung als Referenzmaterial vor, sondern erklärte darüber hinaus öffentlich, dass die Frage, ob Ostdeutschland Mitglied der WHO werden solle oder nicht, von allen Mitgliedsstaaten gemeinsam entschieden werden sollte.

Zwar musste Ostdeutschland zwischen 1968 und 1971 beim Streben nach Aufnahme in die WHO immer wieder Rückschläge hinnehmen, doch im Jahre 1972 schickte der WHO-Generaldirektor gemäß der WHA-Geschäftsordnung Ostdeutschland eine Einladung, durch die es WHA-Beobachter wurde. Auf der WHA-Hauptversammlung des Jahres 1973 wurde Ostdeutschland dann durch mündliche Verabschiedung offizielles WHO-Mitglied.

Am 11. April habe ich in meiner Eigenschaft als Staatspräsident einen Brief an WHO-Generaldirektorin Margaret Chan geschickt und darin gefordert, dass wir unter dem Namen Taiwan WHO-Mitgliedsstaat werden können.

An dieser Stelle möchte ich die deutsche Regierung herzlich einladen, Einfühlungsvermögen zu zeigen und sich positiv auf das Beispiel Ostdeutschland zu beziehen, in der WHA für Taiwan zu sprechen und zu fordern, dass der Fall von Taiwans Antrag auf Beitritt in der Versammlung erörtert wird, und dass vor einem offiziellen Eintritt in die Versammlung zugestimmt wird, Taiwan als Beobachter an der WHA teilnehmen zu lassen.

Während des vergangenen halben Jahrhunderts war West-Berlin eine fest vom Eisernen Vorhang eingeschnürte einsame Insel, und Westdeutschland befand sich an der vordersten Front zur Bekämpfung der Westausdehnung des Warschauer Paktes. Das deutsche Volk lebte lange Zeit im Schatten der Bedrohung von Krieg und Gewalt.

In den letzten fünfzig Jahren ist China gleichermaßen nie von seinem Ziel abgerückt, sich Taiwan mit militärischer Gewalt einzuverleiben, und in den letzten zwanzig Jahren hatte Chinas Militärhaushalt jedes Jahr ein zweistelliges Wachstum. Chinas militärische Macht übertrifft bereits die Bedürfnisse der Selbstverteidigung bei weitem, was bei den benachbarten Ländern schwere Besorgnis erregt.

Angesichts der militärischen Bedrohung durch die Sowjetunion und den Warschauer Pakt erhielt Westdeutschland nicht nur unter dem Mechanismus der kollektiven Sicherheit der NATO den erforderlichen militärischen Schutz, gleichzeitig waren Ost- und Westdeutschland beide offizielle Mitglieder der Vereinten Nationen, und die gesamte internationale Gemeinschaft stand für die staatliche Sicherheit der beiden deutschen Staaten ein.

Demgegenüber gibt es bei der Lage in der Taiwanstraße bislang nicht nur keinen ähnlichen kollektiven Sicherheitsmechanismus wie die NATO, es existiert noch nicht einmal ein Forum wie die zur Lösung des Konflikts zwischen Nord- und Südkorea geschaffene Sechserrunde für Verhandlungen und Dialog, so dass Taiwan allein der immer größer werdenden militärischen Bedrohung durch China ausgesetzt ist. Das ist für die 23 Millionen Taiwaner extrem ungerecht, und es ist auch die größte heimliche Sorge für Sicherheit und Stabilität in der asiatisch-pazifischen Region.

Die internationale Gemeinschaft, vor allem die Schar der Demokratien in der Welt, muss sich ernsthaft nach dem Aufstieg Chinas mit der militärischen Bedrohung auseinandersetzen, die sich für die ganze Welt gebildet hat.

Die Zahl der auf Taiwan gerichteten taktischen Raketen, die China an seiner Südostküste aufgestellt hat, ist seit meinem Amtsantritt als Präsident im Jahr 2000 von 200 Stück auf heute annähernd 1000 Stück gestiegen, eine Zunahme um fast das Fünffache.

Im März 2005 verabschiedete China ohne Rücksicht auf die Stellungnahme der internationalen Gemeinschaft, darunter gegen den überwältigenden Protest der EU-Länder, skrupellos das so genannte Anti-Abspaltungsgesetz mit der Absicht, die rechtliche Grundlage für einen gewaltsamen Angriff gegen Taiwan zu finden. Damit war überall Chinas Ehrgeiz zu erkennen, nach einer Hegemonie in Ostasien zu streben.

Demgegenüber hat das Europaparlament mehrmals Resolutionen verabschiedet und verlangt, dass China sofort die an der Südostküste aufgestellten Raketen abbaut, und es hat betont, dass jegliche Streitigkeiten in der Taiwanstraße nur mit friedlichem Dialog gelöst werden können.

Ich hoffe aufrichtig, dass die deutsche Regierung positiv ihren Einfluss geltend machen und die EU auch zur Annahme entsprechenden Verhaltens veranlassen kann. Gleichzeitig hoffe ich, dass das Waffenembargo gegen China weiter aufrechterhalten wird, bevor sich in China die Demokratisierung durchsetzt und die Menschenrechtslage konkrete Verbesserungen zeigen kann.

Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, nur wenn man gegenüber totalitären Diktatoren nachdrücklich „Nein“ sagt, kann man wirksam den Ausbruch eines Krieges und sinnlosen Verlust von Leben und Eigentum verhindern.

Am 9. September 1948 hielt Berlins erster demokratisch gewählter Bürgermeister Ernst Reuter die weltweit berühmt gewordene „Berliner Rede“, in der er an alle Länder der Welt appellierte, die von der kommunistischen Partei umgebene einsame demokratische Insel Berlin nicht aufzugeben.

Seitdem sind sechzig Jahre vergangen, und Berlin ist von den Menschen der Welt nie vergessen worden. „Der Geist von Berlin“ steht für die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit und Demokratie, der keinesfalls mit Gewalt unterdrückt und gehemmt werden kann. Das beweist, dass Menschenrechte die Grundlage für Souveränität sind, und das Volk ist der wirkliche Herr des Staates.

Ich werde weiter mit den 23 Millionen Taiwanern für Universalwerte wie Freiheit und Demokratie kämpfen, und ich hoffe auch, dass die Völker in der EU und ihre Führer, die Freiheit und Demokratie so hoch schätzen, und besonders Deutschland, das zur Zeit die EU-Präsidentschaft innehat, weiterhin das demokratische Taiwan und das taiwanische Volk unterstützen und es zustande bringen, dass beide Seiten der Taiwanstraße sich zusammensetzen können, um einen Dialog auf der Grundlage von Demokratie, Frieden, Gleichberechtigung und Menschenrechten zu führen.

Zum Schluss möchte ich den Veranstaltern, den Konferenzteilnehmern, den Medienvertretern und allen Ehrengästen für ihre lebhafte Teilnahme danken. Herzlichen Dank auch an Taiwans Repräsentanten Prof. Shieh und die Taipeh-Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland für die Planung und Organisierung dieser Videokonferenz. Ich hoffe, dass die taiwanisch-deutschen Beziehungen unter der tatkräftigen Förderung von Prof. Shieh und durch die Hilfe von verschiedenen Freundeskreisen täglich mehr aufblühen. Ihnen allen wünsche ich beste Gesundheit und alles Gute. Vielen Dank!
Quelle: <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.gio.gov.tw/">http://www.gio.gov.tw/</a><!-- m -->

Ich will damit ein bißchen die Gegenseite zu Wort kommen lassen. Mir widerstrebt nämlich die Ungleichbehandlung. Einerseits werden sofort Teilrepubliken einzelner Staaten in die Unabhängigkeit gelassen. Sie sind teilweise noch nicht einmal komplett selbstständig und werden schon international anerkannt. Selbst wenn man Taiwan wirklich aus dem chinesischen Einflußbereich entsprungen sieht, warum erkenn man nicht seinen Wunsch nach Unabhängikeit an, falls dieser wirklich da ist (das wäre dann in einer Form der Volksbefragung zu klären). Es gibt und gab ja auch 2 Koreas und 2x Deutschlands (wahrscheinlich ist das aber ein anderes Kapitel).

Gruß
qwerty
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