Forum-Sicherheitspolitik
Afghanistan - Druckversion

+- Forum-Sicherheitspolitik (https://www.forum-sicherheitspolitik.org)
+-- Forum: Blickpunkt Welt (https://www.forum-sicherheitspolitik.org/forumdisplay.php?fid=90)
+--- Forum: Sicherheitspolitik und Wirtschaft (https://www.forum-sicherheitspolitik.org/forumdisplay.php?fid=96)
+--- Thema: Afghanistan (/showthread.php?tid=62)



- Erich - 05.12.2009

Quintius,
dazu gehören die letzten (asymetrischen) Kriege aber nicht
Vietnam mit den US-Truppen und Afghanistan unter den Sowjets sind da absolut vergleichbar.
Und bedauerlich ist, dass die Regierung in Washington genau dieselben Fehler macht, die auch zum Scheitern der Sowjets geführt haben.
:roll:


- Quintus Fabius - 06.12.2009

Der Vietnam Krieg der USA und der Krieg der Sowjets in Afghanistan sind beides Assymetrische Kriege gewesen. Damit hören die Ähnlichkeiten aber auch schon auf.

Beide Kriege unterscheiden sich deutlich. Sowohl was die Truppen, wie auch deren Vorgehensweise, wie auch den Gegner, wie auch das Gelände und die Kultur und die politischen Vorgaben angeht.

Beide Kriege sind in keinem einzigen Punkt vergleichbar.

Gerade die Simplifizierung, das oberflächliche Betrachten bereits gelaufener assymetrischer Kriege ist heute ein strategischer Fehler da dann daraus die falschen Schlüsse gezogen werden.

Gerade die außergewöhnliche Komplexität des Krieges in Afghanistan ist eine Besonderheit dieses Kriegsschauplatzes.

Ferner verfolgen die USA heute in Afghanistan eine ganz andere Strategie als die Sowjets damals. Auch der Afghanistankrieg heute und der Afghanistankrieg früher sind zwei verschiedene Kriege.


- Erich - 06.12.2009

Quintus Fabius schrieb:Der Vietnam Krieg der USA und der Krieg der Sowjets in Afghanistan sind beides Assymetrische Kriege gewesen. Damit hören die Ähnlichkeiten aber auch schon auf.

Beide Kriege unterscheiden sich deutlich. Sowohl was die Truppen, wie auch deren Vorgehensweise, wie auch den Gegner, wie auch das Gelände und die Kultur und die politischen Vorgaben angeht.

Beide Kriege sind in keinem einzigen Punkt vergleichbar.
....
sorry, Quintus, aber da vergaloppierst Du Dich:
Beide Kriege sind asymtrische Kriege, richtig, und das beinhaltet
= dass die Gegenseite in der Bevölkerung "schwimmt wie der Fisch im Wasser"
= dass massive Truppeneinsätze verpuffen wie der berühmte "Schlag in die Luft", weil sich die Gegenseite versteckt,
= dass die Gegenseite "aus dem Hinterhalt" tätig wird, dort zuschlägt, wo sie gerade die Übermacht hat - und dann bei entsprechenden Gegenschlägen wieder verschwindet, sich "in Luft auflöst",
= in beiden Kriegen führen Schläge gegen die Zivilbevölkerung zur Stärkung der Gegenseite und zur Schwächung der "Heimatfront",
= in beiden Kriegen argumentiert die Gegenseite (offenbar mit Erfolg), sie würde einen Befreiungskrieg gegen fremde Besatzungsmächte betreiben
= in beiden Kriegen stellen die Alliierten einen kulturellen Fremdkörper dar,
= ....

Natürlich kann man sagen, dass der Dschungel von Vietnam mit den kahlen Gebirgsketten von Afghanistan nicht vergleichbar wäre, aber das ist ein oberflächlicher, an Äusserlichkeiten aufgezogener Vergleich.

Ob der Nachschub nun über den berühmten "Ho-Tschi-Minh-Pfad" (ein Netz von Pfaden und Pisten) oder über ein Netz von Gebirgswegen kommt, bleibt im Tenor gleich.
Es gibt ein Netzwerk von Versorgungspfaden aus einer praktisch nicht angreifbaren Grenzregion eines anderen Staates.

Die Macht der Regierung beschränkt sich auf die Hauptstadtregion (Karsai als Bürgermeister von Kabul, so wie früher in Saigon) oder die Gebiete, in denen massive Truppenpräsenz der Alliierten besteht - in allen anderen Gebieten haben die Gegner (Vietcong oder Taliban) einen zunehmenden Einfluss.
Und aus diesen Gebieten sickern die Gegner (Vietcon oder Taliban) auch in die Gebiete mit alliierter Besatzung ein und verstricken diese in ständige Scharmützel und führen der Alliierten Besatzung entsprechende Verluste zu (wie z.B. durch Bombenattentate).

Fakt ist auch, dass mit noch so massivem konventionellen Militäreinsatz der Gegenseite nicht beizukommen ist, das ist wie "Schattenboxen" - die Gegenseite duckt sich unter dem Schlag weg, taucht ab - und sobald "die Luft rein" ist, tauchen die Gegner wieder aus ihren Schlupflöchern auf.

Schon ein oberflächliches Betrachten zeigt also, dass die Gemeinsamkeiten wesentlich größer sind als man annimmt.

Die nähere Analyse zeigt weiter, dass mit konventionellen militärischen Gedankenspielen ein solcher Gegner nicht besiegbar ist. Im Gegenteil:
Jeder Verlust in der Zivilbevölkerung führt dem Gegner neue Kämpfer zu.

Der Kampf muss also auf politischer Ebene entschieden werden - und damit völlig anders als in klassischen militärischen Konflikten.
Aber das habe ich hier ja schon x-fach dargelegt ....

Quintus Fabius schrieb:...

Ferner verfolgen die USA heute in Afghanistan eine ganz andere Strategie als die Sowjets damals. Auch der Afghanistankrieg heute und der Afghanistankrieg früher sind zwei verschiedene Kriege.
nöö,
die Amerikaner wie die Sowjets versuch(t)en, mit einer massiven Stärkung des eigenen Militärs der Lage Herr zu werden - das ist den Sowjets nicht gelungen und das wird den Amerikanern nicht gelingen, so einfach ist das.


- Ingenieur - 06.12.2009

Die politische Situation ist anders würde ich sagen. In Vietnam hat der Vietcong eng mit der NVA aus der Norden kooperiert. Die Taliban sind auf sich allein gestellt. Dies machte die Gegenpartei angreifbarer, weil sie noch gleichzeitig für das Funktionieren eines Landes verantwortlich war. Andererseits war die Versorgung mit Waffen besser, als dass es bei den Taliban der Fall ist.


- Erich - 06.12.2009

dass die Taliban "auf sich allein gestellt" sind, könnte man mit Blick auf die offensichtliche Unterstützung aus Pakistan - wohl bis hin zu hohen Geheimdienstkreisen - und reichen arabischen Ländern durchaus bezweifeln;


- Schneemann - 06.12.2009

Zitat: nöö,
die Amerikaner wie die Sowjets versuch(t)en, mit einer massiven Stärkung des eigenen Militärs der Lage Herr zu werden - das ist den Sowjets nicht gelungen und das wird den Amerikanern nicht gelingen, so einfach ist das.
Der Vergleich hinkt. Wir befinden uns im Jahre acht der NATO-Intervention. Zu diesem Zeitpunkt im Vgl. (also 1987/88) waren die Sowjets bereits am Ende. Zwar ist die Lage der NATO derzeit auch verzwickt, aber nicht so hoffnungslos wie die der Sowjets damals. Damals pflasterten zerschossene T-62, BMP oder BTR-70 und durch Stinger oder Redeye runtergeholte Mi-8 und Mi-24 die Täler Afghanistans. Die Sowjets waren am Ende. Davon findet man aber heute nichts. Zwar geht hier oder da mal ein NATO-Heli verloren, aber meistens, weil er im Dunkeln gegen einen Berg fliegt.

Der sowjetischen Technik konnten die Mudschahedin, dank westlicher Unterstützung, etwas entgegensetzen. Heute aber sehe ich nichts, was die NATO-Luftwaffe, die Aufklärungskapazitäten oder die Drohnen irgendwie ernsthaft gefährden könnte. Zwar gehen hier oder da mal Bomben am Wegrand hoch, aber das ist noch kein Vgl. zum damaligen Widerstand. Die Taliban können die NATO insofern nerven, aber sie können sie nicht besiegen, so wie die Mudschahedin es in den 80ern mit der Roten Armee taten. Und von einer entscheidenden Aufrüstung der Taliban mit entscheidenden Waffen zur Bekämpfung der NATO-Militärmaschinerie aus dem Ausland, so wie seinerzeit die Mudschahedin durch die CIA und die ISI mit MANPADS, kann auch keine Rede sein. Und das wird auch nicht passieren, weil es außer einigen Kräften in Pakistan niemanden gibt, der den Taliban den Sieg wünscht. Die Russen nicht, die Chinesen nicht und auch die Iraner nicht. Im Gegenteil, noch immer rennen diese Koranschüler mit AK oder RPG aus Sowjetzeiten durch die Gegend.

Insofern würde eine Verstärkung der Truppen durchaus evtl. etwas bringen. Weil wirklich mit Erfolg bekämpfen können die Taliban die NATO nicht. Aber mit mehr Truppen könnte man aktiver werden. Es kann ja wohl nicht sein, dass z. B. Oberst Klein (der, der bei Kunduz die Tankwagen zerstören ließ), keine Aufklärer rumschicken kann, wegen „Personalmangels“ (lt. aktuellem SPIEGEL).

Schneemann.


- Erich - 06.12.2009

ob die Alliierten ein paar Jahre früher oder später so weit sind, wird am Ergebnis nichts ändern. Wie lange etwa haben sich die Franzosen und danach die USA in Vietnam gehalten - und was hats gebracht?
Schneemann schrieb:....

Insofern würde eine Verstärkung der Truppen durchaus evtl. etwas bringen. ...

Schneemann.
das sehen und da entscheiden diejenigen, die noch "am Nähesten drann" sind (und denen ich die Führung im turksprachigen Norden Afghanistans anvertrauen würde) aber anders
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.tagesschau.de/ausland/erdogan126.html">http://www.tagesschau.de/ausland/erdogan126.html</a><!-- m -->
Zitat:Einsatz in Afghanistan
Die Türkei sagt Nein zu weiteren Truppen

Absage für US-Präsident Barack Obama: Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hat vor seinen Gesprächen im Weißen Haus klargestellt, keine weiteren Truppen nach Afghanistan zu schicken. "Die Zahl unserer Soldaten hat die nützliche Grenze erreicht", sagte er vor dem Abflug in die USA. Die Türkei habe bereits unaufgefordert die Zahl seiner Soldaten von 700 auf 1750 Mann erhöht. Die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte soll Erdogan zufolge aber fortgesetzt werden.
...

Türkische Soldaten kämpfen nicht gegen die Taliban

In Afghanistan sind die türkischen Soldaten nicht an Kampfhandlungen beteiligt, weil Ankara es ablehnt, Kampftruppen gegen die Taliban zu entsenden. Die türkischen Soldaten widmen sich der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte und dem Wiederaufbau der Infrastruktur.
...

Stand: 06.12.2009 16:06 Uhr
und der konservativere Teil der Union is auch dagegen:
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.sueddeutsche.de/,ra1m1/politik/430/496742/text/">http://www.sueddeutsche.de/,ra1m1/polit ... 6742/text/</a><!-- m -->
Zitat:Afghanistan-Einsatz

Seehofer lehnt mehr Truppen ab

06.12.2009, 18:38

CSU-Chef Seehofer findet, 4500 deutsche Soldaten für Afghanistan sind genug. ...

(SZ vom 07.12.2009)



- Schneemann - 06.12.2009

Der Schritt der Türkei hat nichts mit Weitsicht in Bezug auf die Afghanistan-Strategie zu tun, sondern eher mit den knallharten eigenen Ambitionen. Die Türken bringen sich gerade als neuer Machtfaktor im Nahen Osten und in Zentralasien in Stellung und versuchen sich, weil sie von den Vorbehalten der Muslime dort gegenüber der NATO und den USA wissen, auch von etwaigen Forderungen der Amerikaner abzugrenzen. Wäre ja für das eigene Ansehen in den Regionen dort und bei den dortigen Muslimen auch recht unpassend, wenn man als Helfershelfer der „bösen“ Amerikaner angesehen werden würde.
Zitat: ob die Alliierten ein paar Jahre früher oder später so weit sind, wird am Ergebnis nichts ändern.
Wenn die NATO scheitern sollte, dann nicht wegen den Taliban oder der vermeintlich fehlenden Professionalität der dort agierenden Truppen, sondern weil die eigenen Bevölkerungen, dem friedlich-hedonistischen Konsumklima der westlichen Welt entsprungen, keinen Krieg mehr führen können und wollen und nach Abzug schreien, sobald ein paar Soldaten sterben (was im Krieg passieren kann).
Zitat: Wie lange etwa haben sich die Franzosen und danach die USA in Vietnam gehalten...
29 Jahre (1946 – 1975).
Zitat:...und was hats gebracht?
Nicht viel. Aber ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, was a) ein anfänglicher Unabhängigkeitskampf in einem asiatischen Land gegen die ehemalige Kolonialmacht und b) ein Krieg einer kommunistischen, von China, der UdSSR und anderen unterstützten Guerilla in einem subtropischen Land mit den USA jetzt mit Afghanistan am Hut haben soll?

Schneemann.


- Erich - 07.12.2009

In dem Zusammenhang gibt es einen interessanten Aufsatz im "Eurasischen Magazin"
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.eurasisches-magazin.de/artikel/?artikelID=20091209">http://www.eurasisches-magazin.de/artik ... D=20091209</a><!-- m -->
Zitat:Die Bedeutung des Landes am Hindukusch für die Weltpolitik
Welche geopolitischen Interessen haben die USA in Afghanistan wirklich? Welche Rolle spielen Russland, China, der Iran und Pakistan? Wer profitiert, wenn die NATO scheitert?

Von Behrooz Abdolvand und Heinrich Schulz
EM 12-09 · 04.12.2009
...

Wiederaufbau oder Abnutzungskrieg?
...

Die Taliban sind in 80 Prozent des Landes wieder aktiv
...

Die aktuellen Probleme Afghanistans und der Ernst der Lage zeigen sich in einer aktuellen und ernüchternden Studie von Anfang September, die von dem in London ansässigen „International Council on Security and Development“ (Icos) erstellt worden ist. Sie besagt, dass die radikal-islamischen Taliban mittlerweile wieder in fast ganz Afghanistan aktiv sind. Derzeit seien sie in 80 Prozent des Landes durchgehend präsent. In weiteren 17 Prozent des Landes gebe es „substantielle“ Aktivitäten der Taliban. „Permanente“ Präsenz definiert Icos als einen oder mehrere Anschläge pro Woche, „substantielle“ Präsenz als durchschnittlich einen oder mehrere Anschläge pro Monat. Der Anstieg der Zahlen ist dramatisch. Noch im November 2007 hatte Icos nur in 54 Prozent des Landes eine stetige Präsenz der Taliban registriert. Anfang dieses Jahres maßen die Forscher schon 72 Prozent. Während vor einem Jahr von 5.000 aktiv kämpfenden Taliban die Rede war, geht man nun von 25.000 aktiv kämpfenden Taliban aus.

.... „Acht Jahre nach den Anschlägen vom 11. September haben die Taliban sich wieder bis beinahe in den letzten Winkel Afghanistans ausgebreitet“, so Jackson.

Zbigniew Brzezinski sieht schwarz für den Westen
...

Alliierte Truppen bestehend aus 300 Soldaten hatten mit Hilfe der Nordallianz vor acht Jahren die Taliban aus ihren Ämtern verjagt. Gegenwärtig stehen 200.000 Soldaten (100.000 Soldaten der Alliierten und 100.000 Soldaten der afghanischen Armee) im Land. Und sie sind kaum in der Lage, auch nur in drei Prozent des afghanischen Territoriums für Sicherheit zu sorgen. Es muss ganz offensichtlich vieles schief gegangen sein. Die westlichen Truppen sind auf dem besten Wege ungewollt und ohne es zuzugeben, das Schicksal der sowjetischen Armee zu teilen. Diskussionen in den USA über eine Aufstockung der Truppen um 30.000 Soldaten sind ein weiterer Beleg für die Ratlosigkeit und Ohnmacht der westlichen Alliierten.

Es stellt sich die Sinnfrage
...

Die versprochene Demokratie gibt es nicht
...

Die Praktiken der Wahlfälscher
...

Die Macht der Drogenbarone
...

Der Bürgerkrieg rückt näher
...

Doppelstrategie der Nachbarn: Konfliktmanagement statt Konfliktlösung
...

„Great Game - eine neue Stufe?“
...

Revidiert Russland sein Verhältnis zu den Taliban?
...

Die Interessen Chinas im Norden
...

Kooperation in der Schanghaier Organisation
...

Die Rolle Teherans
...

Pakistan im Zwielicht
...

Wo Taliban draufsteht, ist nicht unbedingt Taliban drin

...
An dieser Stelle muss allerdings festgehalten werden, dass nicht die Stämme die Angriffe der Taliban unterstützen, es sind die Stammesmitglieder selbst, die unabhängig von den Taliban die Besatzungstruppen angreifen, weil sie sich von den Besatzungsmächten brüskiert fühlen. Blutrache ist in diesem Zusammenhang ein überaus wichtiges Motiv. Im Rahmen der Operationen der alliierten Truppen in Afghanistan gibt es immer wieder zivile Opfer, die hierzulande verharmlosend als so genannte Kollateralschäden bezeichnet werden. In der Tradition der afghanischen Stammesgesellschaft ist es die Pflicht den gewaltsamen Tod eines Stammesangehörigen zu rächen. Da während des Afghanistan-Einsatzes fortwährend zivile Opfer zu beklagen sind, ist es kein Wunder, dass die alliierten Truppen zum Angriffsziel der einheimischen Bevölkerung werden, ohne dass diese die Motive der Taliban teilen würde.
...

Eine eindimensionale Militärstrategie wird in Afghanistan scheitern

Laut Medienberichten will die NATO als stabilisierende Sicherheitsmaßnahme die Truppen in Afghanistan aufstocken. Es ist jedoch offensichtlich, dass militärische Stärke allein keine erfolgreiche Strategie ist. Wurden zu Beginn des Afghanistan-Einsatzes mit einer vergleichsweise geringen Anzahl von Soldaten die Taliban zunächst vertrieben, wurde mit dem zunehmenden Widerstand gegen die westlichen Besatzungstruppen die Anzahl der alliierten Streitkräfte erhöht, was allerdings nicht zu dem gewünschten Ergebnis führte.

So deutet alles darauf hin, dass eine eindimensionale Sicherheitsstrategie der NATO, mehr Widerstand gleich mehr Truppen, mit Sicherheit zum Scheitern verurteilt ist. Die beschriebene fehlende Rücksicht auf die afghanische Bevölkerung einerseits und die Ignoranz der divergierenden Interessen der Regionalmächte und der NATO andererseits schaffen ein Umfeld, in dem friedenssichernde Maßnahmen nahezu unmöglich umzusetzen sind. Will man wirklich Frieden in Afghanistan, muss ein grundlegender Strategiewechsel vollzogen werden, der einen Stopp der kontinuierlichen Truppenaufstockung zwingend beinhaltet.
...
Die Vorstellung des Westens, die NATO könne alleine in einer Region, in der man ihr feindlich und voller Misstrauen gegenübersteht, für Sicherheit sorgen ist utopisch.
...

Vietnamisierung in Afghanistan – das Ende der NATO
...
Darüber hinaus muss die NATO einen Zeitplan für ihren Rückzug aus Afghanistan definieren, damit die Regionalmächte wie Russland, China oder der Iran sich nicht mehr als Gegenstand einer Einkreisungspolitik seitens der NATO sehen und sich aus diesem Grund zumindest subtil ein Scheitern der NATO-Mission wünschen. Des Weiteren muss die NATO in einen aktiven und ehrlichen Dialog mit diesen Staaten treten, um sie aktiv an dem Friedensprozess in Afghanistan zu beteiligen, anstatt sie wie bisher, nur auf die Rolle als Versorgungsbrücke für die NATO-Truppen zu reduzieren.

Schließlich ist anzunehmen, dass die Regionalmächte ebenfalls ein Interesse an einem langfristig stabilen Afghanistan haben. Der russische Außenminister Sergej Lawrov sprach vor kurzem von der Notwendigkeit die Rolle regionaler Akteure bei Regelungsprozessen wesentlich zu verstärken und sie nicht nur bei der einen oder anderen Politik zu beteiligen. Sie sind vielmehr bei der Ausarbeitung und Realisierung mit einzubeziehen.

Geschieht dies nicht, droht eine Vietnamisierung des Afghanistan-Krieges, an deren Schluss die NATO-Truppen zweifellos aus Afghanistan vertrieben werden. Eine Niederlage der NATO in Afghanistan würde sie, wenn sie nicht daran zerbricht, zur Bedeutungslosigkeit verdammen. Für die Politiker der NATO-Mitgliedsländer ist diese Vorstellung ein Horrorszenario, für die NATO-Gegner ein Wunschtraum.
(auch hier wird im Übrigen einer Einbeziehung Irans in die Lösung das Wort geredet - was ich auch schon länger propagiere)


- Quintus Fabius - 07.12.2009

Zitat:Beide Kriege sind asymtrische Kriege, richtig,

Ich möchte nochmal betonen, daß es keine klare Trennung zwischen Symetrisch und Assymetrisch gibt.

Sowohl im Vietnamkrieg wie auch heute gab es eine Menge konventioneller Kampfhandlungen. Beides geht fließend ineinander über. Wer schon nicht verstanden hat, daß es keine klare Trennung zwischen beiden Kriegsformen gibt, der kann solche Kriege nicht führen.

Zitat:= dass die Gegenseite in der Bevölkerung "schwimmt wie der Fisch im Wasser"

Das stimmt beispielsweise für Vietnam, das stimmt aber nicht für Afghanistan. In Afghanistan gibt es sehr viele, sehr verschiedene Ethnien.

Beispiel: ein Paschtunischer Taliban kann unter den Hazara, Usbeken, Tadschiken, Belutschen usw nirgends schwimmen.

Zitat:= dass massive Truppeneinsätze verpuffen wie der berühmte "Schlag in die Luft", weil sich die Gegenseite versteckt,

Die meisten großen Truppeneinsätze in Afghanistan sind keineswegs verpufft sondern es wurden jedesmal erhebliche Zahlen an Feinden getötet. Bei mehreren großen Operationen ist es in Afghanistan gelungen, Feinde im Bereich von mehreren Hunderten zu töten.

Es gibt zudem massive Unterschiede zwischen Stadtguerilla wie im Irak, der Guerilla in den Dschungeln Vietnams oder den Kämfern in den Baumlosen Bergen Afghanistans.

Aufgrund unserer überlegenen Aufklärung ist es für die Taliban sehr schwierig sich einfach zu verstecken.

Zitat:= dass die Gegenseite "aus dem Hinterhalt" tätig wird, dort zuschlägt, wo sie gerade die Übermacht hat - und dann bei entsprechenden Gegenschlägen wieder verschwindet, sich "in Luft auflöst",

Na und? Das ist auch im konventionellen Krieg die übliche Vorgehensweise der Infanterie. Normale Infanterie kämpft im konventionellen Krieg auch nicht viel anders. Tarnung ist in jedem modernen Krieg das A und O.


Im weiteren ist diese Kampfweise der Gegner absolut kein ernsthaftes Problem. Weshalb soll ein Gegner der so kämpft nicht besiegbar sein?

Zitat:= in beiden Kriegen führen Schläge gegen die Zivilbevölkerung zur Stärkung der Gegenseite und zur Schwächung der "Heimatfront",

Es gibt in Afghanistan keine solche Heimatfront. Im weiteren weiß ich nicht, worauf du hinaus willst?!

Deine Aussagen sind im Grunde durchaus überwiegend richtig aber na und?

Zitat:Ob der Nachschub nun über den berühmten "Ho-Tschi-Minh-Pfad" (ein Netz von Pfaden und Pisten) oder über ein Netz von Gebirgswegen kommt, bleibt im Tenor gleich.

Der Nachschub der da kommt unterscheidet sich von der Menge, vom Stand der Technologie, von der Organisation her wie auch vom Weg her völlig.

Es ist ein drastischer Unterschied ob über ein Drittland damals modernste sowjetische Waffen hoch organisiert in gewaltigen Mengen transportiert wurden durch dichte Urwälder hindurch oder ob heute Drogenschmuggler auf dem Rückweg Waffen in kleinen Gruppen ins Land schmuggeln.

Im weiteren dient der Waffenschmuggel vor allem der Lieferung von Munition, die Waffen selbst werden von den Kämpfern direkt mitgebracht.

Zitat:Es gibt ein Netzwerk von Versorgungspfaden aus einer praktisch nicht angreifbaren Grenzregion eines anderen Staates.

Diese Grenzregion wird massiv von der Pakistanischen Armee angegriffen. Im weiteren führen die Angriffe der US Amerikaner in diesem Grenzgebiet interessantererweise dazu, daß die Taliban sich aus diesen Gebieten tiefer nach Pakistan zurück ziehen weshalb dort die Anschläge in den Städten zunehmen.

Zitat:Die Macht der Regierung beschränkt sich auf die Hauptstadtregion (Karsai als Bürgermeister von Kabul, so wie früher in Saigon) oder die Gebiete, in denen massive Truppenpräsenz der Alliierten besteht - in allen anderen Gebieten haben die Gegner (Vietcong oder Taliban) einen zunehmenden Einfluss.

Die Macht der Regierung in Saigon war wesentlich größer und erstreckte sich über wesentlich größere Teile des Landes als die Macht der Regierung in Afghanistan heute.

Die Macht von Karzai ist aber nicht identisch mit der Macht der afghanischen Regierung. Der Clan von Karzai und seine Familie als eine der führenden Drogenhändlergruppen in Afghanistan haben in bestimmten Stammesgebieten enorm viel Macht.

Du vergleichst einfach völlig Äpfel und Birnen.

In Vietnam einen organisierten Staat der von Kommunisten durchsetzt war die dort Revolution machen wollten mit einer Stammesgesellschaft die von der Organisierten Kriminalität beherrscht wird.

Zitat:Die nähere Analyse zeigt weiter, dass mit konventionellen militärischen Gedankenspielen ein solcher Gegner nicht besiegbar ist.

Du hast einfach wirklich keine Ahnung. Bevor ich überhaupt andere notwendige Schritte ergreifen kann, muß ich den Feind militärisch so weit niedermachen, daß ich diese anderen notwendigen Schritte überhaupt ergreifen kann.

Zitat:Im Gegenteil:
Jeder Verlust in der Zivilbevölkerung führt dem Gegner neue Kämpfer zu.

Das ist in Afghanistan zur Zeit nicht mal der Fall. Die Verluste in der Zivilbevölkerung nahmen zu, die Taliban konnten aber zugleich weniger Kämpfer in Afghanistan selbst rekrutieren weshalb die meisten Taliban aus Pakistan kommen und damit der Krieg in Teilen des Landes ein Krieg ausländischer Extremisten ist.

Die Taliban sind im weiteren nicht der einzige Gegner der dort Anschläge und Angriffe gegen uns ausführt. Sehr viele Angriffe der letzten Zeit gehen auf das Konto ganz anderer Gruppen und haben auch ganz andere Motive. Die Taliban selbst sind desweiteren auch keine einheitliche Gruppe und es gibt sogar Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppen der Taliban.

Die Komplexität des Geschehens in Afghanistan haben die Sowjets ebenso wenig begriffen wie du. Dieser Mangel an Begreifen ist entscheidend für unsere Niederlage dort.

Zitat:Fakt ist auch, dass mit noch so massivem konventionellen Militäreinsatz der Gegenseite nicht beizukommen ist, das ist wie "Schattenboxen" - die Gegenseite duckt sich unter dem Schlag weg, taucht ab - und sobald "die Luft rein" ist, tauchen die Gegner wieder aus ihren Schlupflöchern auf.

Erich, du hast so keine Ahnung von Krieg und insbesondere nicht von Guerillakriegen.

In keinem einzigen Krieg egal welcher Form kann man der Gegenseite nur mit konventionellen Militäreinsätzen beikommen, auch nicht in einem konventionellen Krieg.

Man kann in keinem Krieg, gleich welcher Form militärisch gewinnen. Man muß immer total gewinnen.


das Versagen in Afghanistan hat eher folgende Gründe:

1 Die Europäischen Verbündeten, insbesondere die Deutschen tun ungefähr das was du hier schreibst, nämlich nicht kämpfen, sich heraus halten, zivil aufbauen. Das tun sie aber in einer völlig unfähigen Weise (gewollt), sie bauen nur Potemkinsche Dörfer. Der ganze Einsatz der Deutschen ist ein einziges Potemkinsches Dorf. Es ist das Versagen der Europäer das die Feinde ganz massiv gestärkt hat.

2 Die Demographie Afghanistans verhindert jede sinnvolle wirtschaftliche Entwicklung bzw Zukunft

3 wir haben das Land einfach der Organisierten Kriminalität direkt ausgeliefert und dies gerade eben durch unsere Weigerung es zu besetzen! Gerade weil keine Besetzung stattfand ist die Lage heute so beschissen

4 Von den versprochenen Zivilien Hilfen kam vor Ort fast nichts an, der größte Teil der Gelder wurde nie gezahlt (insbesondere von Deutschland) und was gezahlt wurde, wurde vor Ort veruntreut.

5 Patrouille fahren, Präsenz zeigen, einfach nur auf Angriffe reagieren ist eine völlig falsche Strategie und ermöglicht es dem Feind das Gebiet zu besetzen.

Der Grund für die Ausweitung der Aktivitiäten der Taliban in Afghanistan ist höchst einfach, daß in vielen Gebieten dort die westlichen Truppen gerade eben das Gelände nicht besetzen.

Die Taliban schwimmen nicht wie ein Fisch in der Bevölkerung, sie zwingen in vielen Gebieten die Bevölkerung mit Waffengewalt ihnen zu helfen oder sich ihnen unterzuordnen. Insbesondere in den Deutschen Gebieten fürchten die einheimischen Paschtunen die aus dem Süden gekommenen Taliban und weil wir sie nicht schützen müssen sie den Taliban helfen

6 und das ist das entscheidende: es gibt keine Rechtssicherheit, keine Polizei, keine Gerichte in Afghanistan die auch nur ansatzweise ihren Namen verdienene würden.

Die Bevölkerung wendet sich den Taliban zu, nicht !! weil Zivilisten getötet wurden, nicht weil fast alle arbeitslos und im Elend leben während die vom Westen bezahlten Kriminellen sich Paläste bauen, nein nicht einmal deswegen, sondern weil:

es nicht mal den geringsten Ansatz von Rechtssicherheit gibt. Den die Taliban im Unterschied zum Westen bieten. In Afghanistan ist das der entscheidenste Punkt. Da kommen Leute zu den westlichen Truppen und fragen nach Urteilen, Rechtsentscheidungen, Rechtshilfe und erhalten gar nichts, werden den Afghanischen Kriminellen ausgeliefert.

Und was leistet Deutschland nun? Es schickt nun zusätzliche 6 (in worten sechs) bayerische Polizisten...


Es ist gerade eben das Versagen deiner Ideen Erich, der Idee der Nicht-Besetzung, der Idee Nicht zu Kämpfen sondern aufzubauen, das hier in die Niederlage geführt hat.

Im weiteren ist es absolut sinnlos jetzt noch nach Lösungsideen zu suchen, wir haben bereits verloren. Die Niederlage ist bereits geschehen.

Wenn man daher in Afghanistan etwas ändern will, müsste man zuerst mal die Niederlage einräumen und dann einen ganz neuen, Zweiten Afghanistankrieg führen. Und erst auf diesen Zweiten Afghanistankrieg hin könnte man dann von vorne etwas neues probieren.


Du bist doch ein Traumtänzer sondergleichen wenn du glaubst, der Krieg gegen die Taliban hätte keine Zivilen Opfer gefordert. Als die Taliban gestürzt wurden, haben sie genau so versucht in der Bevölkerung unterzutauchen. Und es gab mehr zivile Tote als es insgesamt seitdem gegeben hat. Dennoch wurden die Taliban gestürzt und konnten sich im Land nicht halten, nur noch ungefähr 30% des Landes waren von ihnen durchsetzt.

Heute haben sie sich wieder ausgebreitet womit jeder Aufbau und jede Hilfe und jede Politische Lösung sinnlos ist.

Zuerst muß man die Taliban wieder zerschlagen, dann kann Aufbau stattfinden.


Wir brauchen einen ganz neuen Krieg. Ganz von vorne.

Oder wir ziehen ab.

Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten.


- blasrohr - 07.12.2009

Die Nato hat es zudem vollkommen verbockt ökonomische Kontrolle durchzuführen. Eine straffe Kontrolle der Verteilung der Entwicklungshilfe und eine systematische Anbindung der wenigen Wirtschaftlichen Ressourcen/Bodenschätze Afghanistans wurde nicht durchgeführt. Stattdessen überlässt man die afghanische Ökonomie Verbrechern und anderen Mächten (Iran,China). Anscheinend hat der Westen verlernt in unsicherem Umfeld wirtschaftliche Strukturen neu aufzubauen. Sowas nenne ich nicht Zurückhaltung sondern Feigheit, angesichts der Konsequenzen.


- Erich - 07.12.2009

Quintus,
Du hast es leider versäumt, auf den Artikel des Eurasischen Magazins einzugehen - dort wird mit Fakten genau das untermauert, was ich auch sage!


- Shahab3 - 07.12.2009

Nach US-Doktrin ist ein wichtiger Aspekt symmetrischer und asymmtrischer Kriegsführung, ob die Strategie dazu tendiert, Territorium bei einem Angriff zu halten, unabhängig von den dazu aufgewendeten Mitteln. Die aufständischen Afghanen und Pakistanis tendieren dazu, Territorium gezielt sehr schnell aufzugeben, weil weder die NATO-Truppen noch pakistanische Truppen diese Gebiete auch nur kurzfristig geschweige denn über einen längeren Zeitraum besetzen bzw. selbst halten, sondern vorwiegend reines Headhunting betreiben. Diese Truppen lokalisieren die Stellungen der Taliban, rücken in das Gebiet vor, versuchen so viele Azfständische wie möglich zu töten und ziehen sich dann wieder in ihre Basen zurück. Freiwillig, aus Angst vor eigenen Verlusten und ohne Not eines akuten gegnerischen Angriffs! Eine möglichst hohe Zahl zu tötender Feide und anschließender Rückzug in die eigenen Festungen zeichnet diese verfehlte Vorgehensweise aus. Das führt tatsächlich im Endeffekt zu nichts. So kann man in Afghanistan gegen die Taliban keinen Blumentopf gewinnen, auch wenn man jede Schlacht gewinnt und dabei ein Dorf nach dem anderen nach Belieben einnimmt. Man bringt nur weitere zuvor neutrale Afghanen als Feinde gegen sich auf. So setzen sich die Aufständischen auch längst nicht mehr nur aus den klassischen Talibankreisen und Hochburgen zusammen. Gerade das ist eine gefährliche Entwicklung und automatische Folge. Und wie Quintus bereits geschrieben hat, wird die Ordnung in diesen Giebieten nach dem Rückzug der NATO Truppen wieder von Taliban hergestellt, oder von einem Stammesfürst der unter dem Einfluss der Auftständischen steht. Das ist absolut paradox und fatal.


- Erich - 07.12.2009

Quintus Fabius schrieb:....

Wir brauchen einen ganz neuen Krieg. Ganz von vorne.

Oder wir ziehen ab.

Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten.
Joschka äussert sich wohl ähnlich
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.sueddeutsche.de/,tt4m1/politik/544/496855/text/">http://www.sueddeutsche.de/,tt4m1/polit ... 6855/text/</a><!-- m -->
Zitat:Joschka Fischer zu Afghanistan

Wer abzieht, holt die Taliban heran

07.12.2009, 19:02
Eine Außenansicht von Joschka Fischer

Die Nato muss in Afghanistan bleiben - aber mit einer Strategie aufhören, die die gegnerischen Taliban jeden Tag nur stärker macht.


Es sieht nicht gut aus in Afghanistan. Die Taliban werden militärisch und politisch immer stärker, Präsident Karsai verliert wegen der grassierenden Korruption unter seiner Regierung und des offensichtlichen Wahlbetrugs weiter an Unterstützung in Bevölkerung und internationaler Öffentlichkeit. In den USA macht sich der Überdruss an dem Krieg in Afghanistan breit, und die europäischen Nato-Mitglieder würden ihre Soldaten lieber heute als morgen abziehen.

Der Westen scheint in dem Land am Hindukusch die Orientierung verloren zu haben - jenem "Friedhof der Imperien", wie es nach dem britischen Desaster im Januar 1842 genannt wurde, bei dem von 16.000 Mann nur ein Einziger überlebt hatte. Wofür kämpft die Nato eigentlich am Hindukusch?
...

Ein Abzug würde nur bedeuten, die Konfrontationslinie zu verschieben, von Afghanistan näher an Europa.

Andererseits erweist sich die bisherige Strategie des Westens in Afghanistan ebenfalls als wenig erfolgreich. Sie macht die Taliban mit jedem Tag nur stärker. Was also tun?

Erstens klar das Ziel definieren: einen stabilen Status quo in Afghanistan, der verhindert, dass das Land erneut zum Schlachtfeld der regionalen Interessen und zur Basis von al-Qaida wird. Dieses Ziel wird ohne ausreichende militärische Präsenz sowie verbesserte und verstärkte Wiederaufbauleistungen nicht erreichbar sein.

Zweitens muss ein regionaler Konsens über die Zukunft Afghanistans erneuert werden, um so auch zu verhindern, dass der afghanische Krieg die Nuklearmacht Pakistan weiter destabilisiert. Dies setzt voraus, dass die Interessen Pakistans, Irans, aber auch Indiens, Saudi-Arabiens und vermutlich auch Chinas in einen solchen Konsens eingebunden werden.
...

Drittens muss versucht werden, parallel all die Krisen in dieser Gegend einzudämmen und vielleicht sogar zu lösen: Nahost, Irak, Golf, Iran, Kaschmir. Dies ist eine Gleichung mit sehr vielen bekannten Unbekannten, aber wenn zumindest ihre teilweise Entschärfung nicht versucht wird, werden diese bekannten Unbekannten alle Teillösungen immer wieder in Frage stellen.

Die große Frage allerdings bleibt, ob die USA und ihre europäischen Verbündeten für ein solches Unterfangen noch die Kraft, die Ausdauer und den Weitblick haben. Man darf daran zweifeln. Die Alternative dazu wird eine ziemlich chaotische und gefährliche Zukunft in dieser weiten Krisenregion sein. Europa ist ihr direkter regionaler Nachbar.
....
und damit sind wir vielleicht gar nicht mal so weit voneinander entfernt:
ich behaupte (und die vom Eurasischen Magazin wiedergegebenen Fakten bestätigen mich darin), dass die Strategie der militärischen Aufrüstung nur den Gegendruck erhöht - also eine Strategie ist, die es den so genannten Taliban erlaubt, stärker zu werden.
Denn was da unter "Taliban" läuft, sind vielfach einfach Mitglieder einheimischer Stämme, die Rache für Übergriffe der Alliierten auf eigene Stammesangehörige (Zivilisten) nehmen, und mit jedem militärischen Einsatz steigt die Zahl der Verluste unter diesen Zivilisten.
Wenn die einzige militärische Strategie dagegen ist, dann noch mehr drauf zu hauen (mag ja sein, dass ich das nicht verstehe) dann bleibt am Ende nur die Ausradierung ganzer Bevölkerungsteile.

Also müssen wir eine andere Strategie wählen, richtig, eine, die diese "Taliban" nicht noch stärker macht, die also keine Rachegelüste hervorruft.
Und diese Strategie kann politisch nur eine Stärkung der Stämme und Regionen, also eine Kantonisierung Afghanistans sein.
Lasst den Paschtunen ihr Paschtunistan,
lasst den Belutschen ihr Belutschistan,
lasst den Hazara, Tadjiken, den Turkmenen und Usbeken weitestgehende Freiheit in ihrem Gebiet,
unterstützt sie gemeinsam mit den Nachbarn beim Aufbau ziviler und funktionierender Verwaltungen,
und überlasst den Kampf gegen islamische Terroristen den heimischen Kräften
- das wird nach meiner Überzeugung nur der einzige Weg, die einzige Strategie sein!

Die Alternativen sind entweder wirklich "Friedhofsruhe", im wortwörtlichen Sinn des Wortes,
oder ein Abzug im Chaos.

Beide Alternativen können nicht im Interesse unserer Werte und unseres Engagements sein.


- Schneemann - 07.12.2009

Zitat:Zuerst muss man die Taliban wieder zerschlagen, dann kann Aufbau stattfinden.

Wir brauchen einen ganz neuen Krieg. Ganz von vorne.

Oder wir ziehen ab.

Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten.
Dem möchte ich ausdrücklich zustimmen. Ohne einen gravierenden Wandel im Einsatzkonzept für Afghanistan wird es keinen Erfolg geben. Und dieser Erfolg wird sicher nicht durch Zerreden und Rumverhandeln wegen 1.000 Soldaten oder dem grundsätzlichen Infragestellen des Einsatzes gegenwärtig erreicht werden. Diejenigen, die jetzt nicht dem Einsatz zusätzlicher Truppen zustimmen und sich in unpassende Vietnam-Vergleiche zum Erschrecken der Bürger stürzen, werden sich mitschuldig machen, wenn die westliche Allianz sang- und klang- und somit wohl auch erfolglos vom Hindukusch irgendwann abziehen muss und das Land ins Chaos zurückstürzt.

Dabei sollte man sich auch nicht der Illusion hingeben, dass 30.000 GI's oder 1.000 Italiener oder 6 deutsche Polizisten die Lage retten werden. Man hat jetzt ca. 105.000 Mann vor Ort. 140.000 könnten es werden. Aber das reicht auch nicht. Um überhaupt einen Erfolg zu haben, müsste man 220.000 bis 270.000 Mann einsetzen und man müsste verdammt nochmal raus aus den befestigten Compounds und an den Feind ran. Die Taliban sind auch keine Übermenschen mit Tarnkappe, sie haben zwei Beine und eine AK. Man kommt ihnen aber eben durch Kreise fahren mit dem Dingo, im Zeltlager hocken und nettem Winken in einem Dorf nicht bei. Man muss sie jagen, wo immer sie auftauchen. Und dann auch keinen Luftangriff aus einem fernen Bunker ausführen, der von irgendwoher kommt und vielleicht auch Unschuldige trifft, sondern sie mit der Infanterie, in Kombination mit Drohnen, Artillerie und Hubschraubern, verfolgen, notfalls durch Täler und über Gipfel weg. Man darf ihnen keine Pause, keine Erholungsphase gönnen. Und dann auch keine "search & destroy"-Mission ausführen und nach der Jagd wieder "netterweise" abziehen (so wie es in Vietnam oft geschah, man hat ein Gebiet geräumt, zusammengebombt und danach ist man wieder abgezogen; einige Tage später waren die Vietcong wieder da), sondern die befriedeten Gebiete dauerhaft besetzen und kontrollieren. Und DAS geht nunmal nur durch viele, durch ausreichend viele Truppen; durch gute, professionelle Einheiten, die dann auch vor Ort mit der örtlichen Bevölkerung gut auskommen können und die dann die wichtige Aufbauarbeit unterstützen können.

Und man kann sich jetzt entscheiden, ob man dies und damit den Erfolg will. Oder ob man Rummeckern will wegen einer handvoll Truppen und man in zwei, drei Jahren, zum Schaden der NATO und des Westens und AUCH Afghanistans, kläglich abziehen will. Entweder man hört auf, diesen Krieg mit angezogener Handbremse zu führen, oder man zieht besser heute als morgen ab.

Schneemann.