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- Schneemann - 19.11.2009

Zitat:Karsai: Übernehmen binnen drei Jahren Sicherheitsverantwortung

Kabul (Reuters) - Afghanistans Sicherheitskräfte sollen nach den Worten des frisch für eine zweite Amtszeit vereidigten Präsidenten Hamid Karsai bald die Verantwortung für bislang instabile Landesteile übernehmen.

Dies solle innerhalb von drei Jahren geschehen, kündigte Karsai am Donnerstag in seiner Antrittsrede im Kabuler Präsidentenpalast vor zahlreichen Gästen aus dem In- und Ausland an, darunter auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Zugleich versprach er - wie international gefordert - einen entschlossenen Kampf gegen die Korruption. In seine neue Regierung werde er kompetente und professionelle Minister berufen, die dem Land zu dienen bereit seien.
Link: <!-- m --><a class="postlink" href="http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEBEE5AI01L20091119">http://de.reuters.com/article/worldNews ... 1L20091119</a><!-- m -->

...und...
Zitat:Schäden nach Anschlag

Deutsche Botschaft in Kabul wird abgerissen

Den Bürgerkrieg und die Taliban-Zeit hat der Betonklotz im Zentrum Kabuls überlebt, nun aber wird die deutsche Botschaft abgerissen. Wegen irreparabler Schäden durch einen Anschlag und Sicherheitsmängeln entschied sich das Außenamt für einen Neubau.
Link: <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,661962,00.html">http://www.spiegel.de/politik/ausland/0 ... 62,00.html</a><!-- m -->

Na, hoffentlich ist das mehr technisch als sinnbildlich für Deutschlands Afghanistan-Politik...

Schneemann.


- Erich - 20.11.2009

Sicherheitsverantwortung für welches Gebiet, muss man sich fragen - für "Groß-Kabul" oder für ganz Afghanistan?
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~E984398696E5A472C8B522E13DE5C6609~ATpl~Ecommon~Scontent.html">http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437 ... ntent.html</a><!-- m -->
Zitat:Hamid Karzai
Ein überforderter Präsident

Von Wolfgang Günter Lerch

20. November 2009 Als er vor fünf Jahren seine erste Amtszeit als regulär gewählter Präsident Afghanistans antrat, galt Hamid Karzai als große Hoffnung sowohl der Afghanen als auch der Weltgemeinschaft. Doch nun, da er - nach manipulierten Wahlen und der Absage einer Stichwahl gegen seinen Rivalen, den ehemaligen Außenminister Abdullah Abdullah - seine zweite Amtsperiode antritt, herrschen allenthalben Enttäuschung über sein bisheriges Regiment, ja große Sorge um die Zukunft.
...

Karzai ... gehört dem Volk der Paschtunen an, der größten Bevölkerungsgruppe Afghanistans, die man zur Zeit der Briten Pathanen nannte. Sein Clan sind die traditionell einflussreichen Popolzai, eine Untergruppe der Durrani, die viele Herrscher und Angehörige der führenden Schicht am Hindukusch gestellt haben. Die aufständischen Taliban oder „Koranschüler“, die sich zum größten Teil aus Paschtunen rekrutieren, sehen in Hamid Karzai nicht nur ihren afghanischen Hauptfeind, sondern einen Verräter.
...



- Quintus Fabius - 28.11.2009

Monti:

Zitat:Die Russen hatten damals eine ganze Menge schützenpanzer, die haben in sachen Feuerkraft keine halben sachen gemacht.... Und sie haben trotzdem derbe einen auf die Mütze bekommen. Warum sollte diese Strategie aufeinmal bei den "Europäern" oder eher der Nato Erfolg haben?

Äpfel und Birnen.

Im weiteren agieren die USA, die Briten, die Kanadier und selbst so Völkchen wie die Holländer auf genau diese Weise. Sie greifen an und töten die Feinde. Was auch im Assymetrischen Krieg notwendig ist.

Im weiteren war die Situation damals zur Zeit der Sowjetunion völlig anders und ist mit der heutigen Lage nicht vergleichbar. Darüber hinaus haben auch die Sowjets sehr große Erfolge auf diese Weise erzielt, gegen einen damals im Vergleich wesentlich stärkeren Gegner. Die Sowjets hätten trotzdem gewonnen, sie hätten den Sieg in Afghanistan erzielt.

Erst als der Nachschub des Westens um so Systeme wie beispielsweise Stinger Fliegerfäuste erweitert wurde, bekamen die Sowjets ernsthafte Probleme.

Mal stelle sich mal vor, die Taliban hätten heute solche Möglichkeiten, dann sähe die Lage in Afghanistan ganz anders aus.


- Quintus Fabius - 29.11.2009

Gerade im Assymetrischen Krieg ist es entscheidend, daß Terrain zu kontrollieren. Wenn wir das nicht können, dann können wir nie siegen, dann müssen wir abziehen. Die Kontrolle des Terrains, die Beherrschung von Gebieten die vom Feind freigekämpft wurden ist der entscheidende Punkt im Assymetrischen Krieg.

Wir sollten daher nicht auf Panzerung setzen, sondern auf mehr Infanterie und auf die Kontrolle eines Gebietes. Wenn wir das nicht können, dann können wir gar nicht siegen.

Was wir daher brauchen ist viel mehr Infanterie die auch zu längeren Operationen mit Nachschublücken oder mangelnder Versorgung befähigt ist. Gerade im laufenden Einsatz wäre das entscheidend.

Gerade da brauchen wir keine gepanzerten Fahrzeuge, sondern Infanterie: Gebirgsjäger, Scharfschützen und Sondereinheiten, insbesondere Bodenaufklärungseinheiten. Wir bräuchten zum Beispiel viel mehr Fernspäher und müssten diese auch einsetzen.

Zusammengefasst: Zur Sicherung der Nicht-Kampftruppen und zur Sicherung der Nachschubwege brauchen wir keine gepanzerten Transporter sondern viel mehr Infanterie die das Land sichert und besetzt hält.

Für Afghanistan wäre hier ein Konzept wie das des Marine Corps in Vietnam am besten geeignet, also das Konzept der Combined Action Platoons. Das CAP Programm der Marines ließe sich insbesondere im Norden sehr gut umsetzen und könnte mit dem Aufbau von Wehrdörfern kombiniert werden.

Wir brauchen keine gepanzerten Transporter, wir bräuchten eben eine ganz andere Strategie!


- parabellum - 29.11.2009

Ich gebe dir natürlich recht, dass man erstmal eine vernünftige Strategie bräuche und um die paschtunischen Enklaven in Nordafghanistan zu kontrollieren mehr Infanterie und mehr Kräfte zur Aufklärung bräuchte. Aber so wie ich es in den letzten Monaten vernommen habe, konzentrieren sich die offenen Aktvitäten der Taliban hauptsächlich auf Kunduz und Umgebung. Der restliche Norden (für die Bundeswehr heißt das vor allem Mazar-i-Sharif und Fayzabad) ist vergleichsweise ruhig, lediglich IEDs und vereinzelte Raketenangriffe (vor allem in Fayzabad). Auf Konvois der Bundeswehr, die es soweit ich weiß noch gibt, können die Taliban mit IEDs ihre Anschläge verüben. Da bringen dir auch noch so viele CAPs nicht. Dieses Konzept könnte man allerdings sehr wohl im Raum Kunduz in die Tat umsetzen, um Verkehrswege oder wichtige Gebiete zu kontrollieren. Wenn man aber versucht so ein Programm auf ganz Nordafghanistan (oder auch nur die Ring Road, die du nicht sperren kannst) auszudehnen, verzettelt man nur seine wenigen Infanteriekräfte. Was man allerdings in anderen Teilen des Nordens machen könnte, wäre mehr deutsche OMLTs aufzustellen.

Zitat:Es gibt keine Unterstützung für diesen Einsatz und es gab nie eine.

Würde ich nicht behaupten, zu Beginn gab es genügend Unterstützung für den Einsatz. Auch unterstelle ich nicht, dass wir hier in Europa generell nicht bereit sind Verluste zu akzeptieren. Aber die Ursachen einer geringen Unterstützung für den Afghanistaneinsatz, sind die Unfähigkeit zweier Bundesregierung eine vernünfitge Kommunikationsstrategie zu betreiben, gepaart mit den im Vergleich zu vorigen Einsätzen hohen Verlusten. Man ist mit der Einstellung nach Afghanistan gegangen, dass das ganze wie Bosnien oder Kosovo wird. Und man hat das ganze acht Jahre lang ständig wiederholt.


- ThomasWach - 30.11.2009

Das bloße Besetzen von Terrain ist aber IMHO ein Irrweg. Wir werden niemals so viele Truppen haben, um eben immer überall zu sein. Nur sich auf das Halten und Besetzen von Terrain zu halten bedeutet, dass wir letztlich in ein ständiges Gelände-Hopping geraten, wie wir das im Süden seit ein paar Jahren sind oder wie auch die Pakistanis in den letzten Jahren in ihren Stammesgebieten: Auf die kurzzeitige Sicherung eines Gebietes folgt nach Verlassen eben jenes das Zurücksickern der Aufständischen bzw. überhaupt das flexible Rotieren und Roschieren der Aufständischen im Raum (und in der Zeit, will heißen: mal sind sie hier, dann dort). Also, es ist zwar ein dummer Vergleich, aber es ist wie im Fußball. Du kannst nicht mit einer begrenzten Zahl von Spielern immer überall im Raum sein, denn dann roschiert und manövriert der Gegner dich aus.
Es ist wichtig IMHO, dass man zur richtigen Zeit das "relevante Terrain" besetzt und das sind nunmal die größeren Bevölkerungscluster, dazu gehört die Nutzung von Stammesmilizen, zumindest in einem gewissen Umfang. Dazu gehört auch und vor allem die Sicherung der Bevölkerung und das erfolgreiche Durchschneiden des Bands zwischen Aufständischen und der eben jene unterstützenden Bevölkerung (ob freiwillig oder gezwungen ist egal). Aber dafür braucht man Cimic, viele gute Dolmetscher und und und.
Nur das Töten der Aufständischen bringt letztlich wenig.
Denn selbst wenn in Gebieten die Taliban recht offen und beinah als Partisanenarmee und nicht als versteckte Terroristen auftreten, dann werden sie eben in den darauffolgenden Gefechten nur dezimiert und die Taliban zurückgeschlagen. Aber was folgt dann? Dann kommt eben die Latenzphase, der phasenweise Rückzug der Taliban, so wie wir es schon nach 2002 erlebt haben bzw. in den darauffolgenden Jahren. Damit ist man aber die Taliban nicht wirklich los, sondern man hat sie nur eingedämmt. Um sie nachhaltig einzudämmen, um zu verhindern, dass sie zurückkommen, wie sie es ab 2005 immer wieder und immer stärker taten, braucht man mehr als das Töten der Aufständischen.
Denn trotz gezielter, erfolgreicher Tötungen schon seit 2007 der oberen Taliban-Kommandeure, trotz der starken Dezimierung ihrer Kader und Fußtruppen, haben die Taliban sich doch immer wieder in Zyklen und verschiedenen Phasenabläufen regenerieren können. Das bloße forcierte Töten ihrer Leute führt eben nur zu einer erneuten, meinetwegen auch ruhigeren Latenzphase. Aber eben solch eine hatten wir schon mehrfach in Afghanistan (regional, zeitlich differenziert). Aber so erreichen wir kein Maß an Stabilität, das wir brauchen, um Afghanistan seine selbsttragende Sicherheit zu schenken. Dazu braucht es mehr.


- Kosmos - 01.12.2009

du hast damit sicher recht aber Kontrolle des Terrains ist einfach Vorraussetzung für weitergehende Maßnahmen


- Schneemann - 01.12.2009

Zitat:Obama will künftige Strategie vorstellen

Bis zu 35.000 weitere US-Soldaten nach Afghanistan

US-Präsident Obama wird wahrscheinlich bis zu 35.000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan schicken, heißt es in Washington. In einer Rede will Obama am Abend seine künftige Afghanistanstrategie verkünden. Eine wichtige Rolle soll dabei aber auch der Abzug der Truppen spielen.
Link: <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.tagesschau.de/ausland/obama1702.html">http://www.tagesschau.de/ausland/obama1702.html</a><!-- m -->

Schneemann.


- ThomasWach - 01.12.2009

@ Kosmos

Natürlich braucht man Kontrolle und Sicherheit im Raum, aber die stellt sich nicht ohne Weiteres her und schon gar nicht, wenn man sich im weiten Raum Afghanistans verliert.
Daher finde ich die Idee bzw. die derzeitige Prämisse der jetzigen Aufstandsbeämpfung-Strategie auch so wichtig: Es geht um den Schutz der Bevölkerung, um das Zeigen von Präsenz, ohne aber weder in einer fruchtlosen Hetze auf die Aufständischen die ganze Bevölkerung gegen sich aufzubringen oder aber die vorhandenen eigegen Kräfte sich in der Weite Afghanistans verlieren zu lassen.


- Schneemann - 01.12.2009

Zitat:Afghanistan-Einsatz

Obama gehen die Verbündeten von der Fahne

US-Präsident Barack Obama fordert von seinen Alliierten, bis zu 10.000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Doch das Engagement für den Einsatz am Hindukusch nimmt bei den Nato-Staaten rapide ab. SPIEGEL ONLINE analysiert die Stimmung in den wichtigsten Partnerländern.
Link: <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,664380,00.html">http://www.spiegel.de/politik/ausland/0 ... 80,00.html</a><!-- m -->

Schneemann.


- Quintus Fabius - 01.12.2009

Parabellum:

Ganz allgemein ist es in Nordafghanistan ruhig, auch wenn Soldaten die dort sind das naturgemäß etwas anders sehen. Aber ihnen fehlt wirklich der Vergleich. Selbst die vielen Angriffe der letzten Zeit rund um Kunduz sind im Vergleich zu dem was in Helmand so läuft oder gar was früher bei den Sowjets so gelaufen ist ziemlich wenig. Auch ziemlich wenig im Vergleich zum möglichen.

Von dem militärischen Potential das dort im Raum vorhanden ist wird nur ein sehr geringer Teil wirklich gegen uns eingesetzt. Nicht zuletzt weil dieses militärische Potential zum größten Teil von Personen kontrolliert wird die zum derzeitigen Zeitpunkt keine Motivation haben gegen uns zu kämpfen. Wir sind denen im Endeffekt egal, außer sie können von uns etwas Geld abgreifen.

Zur Frage der Kontrolle strategisch wichtiger Gebiete muß ich dir natürlich zustimmen, daß wir dafür viel zu wenig Infanteriekräfte haben und daher diese verzetteln würden, wenn wir selbst diese Kontrolle ausüben wollten. Und die Afghanische Armee hat einen zu geringen Kampfwert und ist in Nordafghanistan nicht wirklich präsent. Das könnte man aber mit einem Konzept ähnlich dem der Marines in Vietnam ändern.

Rein theoretisch (ich weiß natürlich das es nie geschehen wird, da friert eher die Hölle zu) könnte man die Trennung zwischen Bundeswehr und Afghanischer Armee aufheben und gemischte Einheiten bilden wo in Afghanische Infanteriekompanien immer deutsche Einheiten, beispielsweise in Zugstärke eingezogen werden.

Darüber hinaus müssten wir eine Dezentralisation anstreben. Mir machen aber genau das Gegenteil. Diese Strategie der Dezentralisation reicht weit über das militärische hinaus. Auch Politisch müssen wir dezentralisieren. Wir verfolgen aber völlig konträr dazu die Idee der Zentralregierung mit Karsai und eines Einheitsstaates. Das widerspricht völlig den natürlichen Strukturen Afghanistans. Und gegen die Natur einer Sache anzukämpfen führt direkt in die Niederlage. Die Zentralisation als Ziel war schon der entscheidende Fehler der Sowjets und wir haben daraus offenbar nichts gelernt.

Darüber hinaus könnte meiner Ansicht nach ein Konzept der Wehrdörfer funktioniern wobei auch in diesen Wehrdörfern deutsche Soldaten in die afghanischen Milizen dieser Dörfer mit eingezogen werden.

Rein ! theoretisch ! wäre mein Lösungsversuch bezüglich der militärischen Seite für Afghanistan:

1 Ein Konzept Kombinierter Einheiten

2 Dezentralisation, sowohl militärisch wie auch politisch. Einschließlich der Anerkennung und Stärkung der politischen Macht lokaler Autoritäten gegenüber der Zentralregierung. (Ad Extremum sogar die de facto Aufteilung des Staates Afghanistans, auch wenn dieser de jure bestehen bleiben sollte).

3 Ein Konzept der Wehrdörfer und Wehrbauern.



Zitat:Würde ich nicht behaupten, zu Beginn gab es genügend Unterstützung für den Einsatz.

Es gab schon bei Beginn des Einsatzes Befragungen dazu, und schon damals lehnte die Hälfte der Bundesbürger bzw knapp über die Hälfte der Bürger diesen Einsatz ab.

Heute lehnt eine absolute Mehrheit den Einsatz ab. Es gibt Umfragen bei denen über 70% der Befragen für den sofortigen Abzug sind. Das ist gigantisch. Dieser Einsatz hatte nie eine Unterstützung der Bürger. Nur die Resignation und das übliche Schafverhalten der Deutschen Michel Spießer führt dazu, daß die Ablehnung derart ignoriert werden kann.

Die Deutschen sind halt Sheeple (Mischung aus Sheep und People)

Thomas:

Zitat:Es ist wichtig IMHO, dass man zur richtigen Zeit das "relevante Terrain" besetzt und das sind nunmal die größeren Bevölkerungscluster, dazu gehört die Nutzung von Stammesmilizen,

Volle Zustimmung.

Ich würde diese Stammesmilizen sogar aktiv befördern. Gerade die Anerkennung lokaler Autoritäten ist meiner Ansicht nach in Afghanistan eine Lösungsmöglichkeit.

Die Favorisierung der Zentralregierung ist meiner Ansicht hingegen ein Fehler. Das Land ist ein Kaleidoskop und wird es bleiben, egal was wir machen. Wir sollten daher die politische Macht von lokalen Autoritäten stärken und gegenüber der Zentralregierung sichern. Dadurch würden wir viele neue Verbündete gegen die Taliban gewinnen.

Zitat:Nur das Töten der Aufständischen bringt letztlich wenig.

Rein für sich alleine natürlich. Aber es ist auch ein wichtiger Teil eines gesamtheitlichen Ansatzes. Eine Lösung muß viele verschiedene Dinge umfassen, sie muß ganzheitlich sein. Und dazu ist es auch notwendig, die Aufständischen zu töten.

Auch ein Assymetrischer Krieg ist ein Krieg in dem die Vernichtung der lebendigen Wehrkraft des Feindes eine große Bedeutung hat.

Zitat:Aber was folgt dann? Dann kommt eben die Latenzphase, der phasenweise Rückzug der Taliban, so wie wir es schon nach 2002 erlebt haben bzw. in den darauffolgenden Jahren. Damit ist man aber die Taliban nicht wirklich los, sondern man hat sie nur eingedämmt. Um sie nachhaltig einzudämmen, um zu verhindern, dass sie zurückkommen, wie sie es ab 2005 immer wieder und immer stärker taten, braucht man mehr als das Töten der Aufständischen.

Genau so ist es. Aber wenn wir es nicht schaffen, wieder eine Latenzphase herbei zu führen, dann können wir das was es mehr braucht nicht tun.

Wir müssen uns ferner von der Idee einer wirklichen Sicherheit in Afghanistan in der Art unserer Vorstellungen lösen. Und wir sollten uns von dem Nationalstaat Gedanken mit Zentralregierung lösen. Ein solcher sollte durchaus de jure existieren und auch Terrain kontrollieren, aber dies nur als Option für die Zukunft und nicht als Lösung für die Gegenwart. Darüber hinaus sollten wir auch den Islamismus in Afghanistan in bestimmten Gebieten zulassen.

Und nur wenn wir die Taliban wieder in eine Latenzphase treiben, können wir in Afghanistan Projekte implementieren, die dann die Latenzphase als Status Quo langfristig aufrecht erhalten können.

Zitat:Es geht um den Schutz der Bevölkerung, um das Zeigen von Präsenz, ohne aber weder in einer fruchtlosen Hetze auf die Aufständischen die ganze Bevölkerung gegen sich aufzubringen

Indem man Präsenz zeigt schützt man die Bevölkerung nicht. Und man bringt die Bevölkerung nicht automatisch dadurch gegen sich auf, indem man die Aufständischen hetzt.

Man kann durchaus gerade durch die Hetzjagd auf die Aufständischen große Teile der Bevölkerung auf seine Seite bringen.

Dazu muß man aber: Nicht mit Luftschlägen agieren sondern mit Infanterie. Man muß nicht mit gepanzerten Transportern Präsenz zeigen, sondern mit Infanterie kämpfen. Man muß sich nicht in Festungen verbarrikadieren, sondern viel höhere eigene Verluste durch offensives Vorgehen in Kauf nehmen.

Präsenz zeigen ist in Afghanistan speziell hingegen völlig sinnlos. Es gibt schon genug Afghanen die die Deutschen deshalb verarschen, belächeln, oder sie auslachen. Der Ruf der Deutschen in Afghanistan hat insbesondere aufgrund dieses Präsenz zeigen, dieser rein reakiven, passiven Grundhaltung stark gelitten. Dabei war unser Ansehen anfangs extrem gut. Das haben wir durch das bloße Präsenz zeigen sogar beschädigt bzw verspielt.

Ein Sieg kann nur in Bodengefechten errungen werden. Das Ziel eines solchen Sieges ist aber natürlich nicht die nachhaltige Auslöschung des Feindes. Das Ziel ist es den Feind zumindest eine Zeitlang derart zu schwächen, daß man die anderen notwendigen Maßnahmen überhaupt durchführen kann.


- Kosmos - 01.12.2009

Zitat:Natürlich braucht man Kontrolle und Sicherheit im Raum, aber die stellt sich nicht ohne Weiteres her und schon gar nicht, wenn man sich im weiten Raum Afghanistans verliert.
Daher finde ich die Idee bzw. die derzeitige Prämisse der jetzigen Aufstandsbeämpfung-Strategie auch so wichtig: Es geht um den Schutz der Bevölkerung, um das Zeigen von Präsenz, ohne aber weder in einer fruchtlosen Hetze auf die Aufständischen die ganze Bevölkerung gegen sich aufzubringen oder aber die vorhandenen eigegen Kräfte sich in der Weite Afghanistans verlieren zu lassen.
das war genau das Problem in Irak am Anfang, die Aufständischen gingen dazu über zuerst Straßen, dann Viertel und später sogar ganze Städte zu kontrollieren, Amerikaner waren sehr nah an einer Niederlage, erst mehr Bodentruppen zur Kontrolle des Raumes leiteten die Kehrtwende ein.
Ohne diese Kontrolle ist es schlicht unmöglich funktionierende Verwaltung- Sicherheits- und Versorgungsstrukturen aufzubaen.
Ja selbst Schutz der Bevölkerung ist nicht möglich, bringt wenig wenn man sich in einem Dorf ein mal in der Woche blicken läßt, die Leute wissen ja dass spätestens am nächsten Tag Taliban einrücken und kurzen Prozess mit jedem machen der sich "falsch" verhält.


- Quintus Fabius - 01.12.2009

Zitat:erst mehr Bodentruppen zur Kontrolle des Raumes leiteten die Kehrtwende ein

Genau genommen mehr Infanterie. Die Amis hatten die erste Zeit im Irak einen schier unglaublichen Mangel an Infanterie. In manchen Irakischen Großstädten eierten mehr Panzerbesatzungen und deren Anhang rum als reine Infanterieeinheiten.

Gerade die Geister die solche Aussagen glaubten:

Zitat:Ich würde mal behaupten das in Zeiten solch effizienter Kommunikation, Waffentechnischer genauigkeit und solcher Mobilität der Symetrische Krieg endgültig veraltet ist...

haben wegen ihrer Fixierung auf die neuen Methoden der Informationskriegsführung und der Vernetzten Kriegsführung die Grundlagen aus den Augen verloren und diese Zustände herbei geführt.


- Erich - 04.12.2009

<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.faz.net/s/Rub0CCA23BC3D3C4C78914F85BED3B53F3C/Doc~E70F07BA206B74908B520F40A1D410A92~ATpl~Ecommon~Scontent.html">http://www.faz.net/s/Rub0CCA23BC3D3C4C7 ... ntent.html</a><!-- m -->
Zitat:Afghanistan-Einsatz
Nato will 7000 zusätzliche Soldaten entsenden

04. Dezember 2009 Die Nato und ihre Partnerländer wollen im kommenden Jahr mit einer massiven Truppenaufstockung den Durchbruch im Kampf gegen die Taliban in Afghanistan schaffen.
...
mehr Soldaten bringen gar nichts, wie die Amerikaner in Vietnam (und wie die Sowjets in Afghanistan) erleiden mussten. Ein Krieg gegen ein Volk ist mit "Besatzungs-"Soldaten nicht zu gewinnen.
Auch im Irak kam es erst zur Wende, als es gelang, die sunnitischen Milizen und damit einen wesentlichen Teil der Bevölkerung - nämlich die arabischen Sunniten - auf die Seite der Alliierten zu ziehen und damit alle drei Bevölkerungsgruppen - Kurden, sunnitische Araber und schiitische Araber - zu einer (fragilen) Koalition zusammen zu führen.
In Afghanistan passiert genau dasselbe wie in Vietnam:
die Alliierten beherrschen die Städte, die Gegner beherrschen das Umland und infiltrieren die Städte. Sie ducken sich weg, wenn es zu größeren Konflikten kommt, sind nicht zu fassen und werden dabei immer stärker, weil jeder Schlag, der zivile Opfer fordert, die Gegnerschaft in der Bevölkerung stärkt.

So ähnlich sieht das wohl auch die Süddeutsche Zeitung:
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.sueddeutsche.de/politik/130/496445/text/">http://www.sueddeutsche.de/politik/130/496445/text/</a><!-- m -->
Zitat:Afghanistan-Einsatz
Helfer schicken - und keine Soldaten!

03.12.2009, 15:15

Ein Kommentar von Thorsten Denkler

Die Afghanistan-Mandate der Bundeswehr haben wenig mit der Realität am Hindukusch zu tun. Dort fehlen Helfer und Geld für den Wiederaufbau des Landes. Der Westen schickt nun noch mehr Soldaten - eine falsche Strategie.

...
Die Bekämpfung der aufständischen Taliban - dies steht ganz oben auf der Liste. Auch wenn klar ist, dass die Gotteskrieger militärisch nicht zu besiegen sind, und das Ziel, darüber das Land zu befrieden, nicht erreicht werden kann.
...

Im Rahmen der Eupol-Mission hat die Europäische Union 400 Polizeiausbilder versprochen. Ein Bruchteil davon ist bisher im Einsatz. Ein Witz angesichts der militärischen Präsenz.

Seit Jahren fordern daher Afghanen, nicht noch mehr Truppen nach Afghanistan zu schicken, sondern mehr Helfer. Die Bundesregierung täte gut daran, diesem Votum zu folgen und dem amerikanischen Ruf nach mehr Truppen zu widerstehen. Nicht zuletzt, weil eine Strategie, die Wiederaufbau wieder zum obersten Ziel macht, auch die Akzeptanz des Engagements in Deutschland wieder erhöhen würde.

Nötig wäre das, zumal nach dem Tanklaster-Desaster von Kundus.



- Quintus Fabius - 04.12.2009

Die Süddeutsche verbreitet in Bezug auf Kriege vor allem lachhaftes Gutmenschentum und die typische "Mainstream" Haltung die heute bei vielen in Europa vorherrscht.

Zitat:mehr Soldaten bringen gar nichts, wie die Amerikaner in Vietnam (und wie die Sowjets in Afghanistan) erleiden mussten. Ein Krieg gegen ein Volk ist mit "Besatzungs-"Soldaten nicht zu gewinnen.

Erich, ich kann dir aber eine Menge Krieg aufzählen die mit Besatzungs-Soldaten und gegen ein Volk gewonnen wurden.

Vietnam und der Kriege der Sowjets in Afghanistan sind zudem mit der heutigen Situation überhaupt nicht vergleichbar. Im weiteren hätten die Sowjets in Afghanistan gewonnen, wenn der Westen nicht Hi-Tech Systeme an die Afghanischen Aufständischen geliefert hätte.

Zitat:Auch im Irak kam es erst zur Wende, als es gelang, die sunnitischen Milizen und damit einen wesentlichen Teil der Bevölkerung - nämlich die arabischen Sunniten - auf die Seite der Alliierten zu ziehen

Die Wende im Irak kam erst, als die USA mehr Truppen in den USA geschickt haben. Die Sunniten sind im weiteren nicht der wesentliche Teil der Bevölkerung dort und sie sind auch heute Nicht auf der Seite der Alliierten sondern nur auf ihrer eigenen Seite.

Und es als Wende zu bezeichnen wenn man in einer Gegend sunnitische Stammesmilizen und Todeskommandos auf die Schiiten hetzt und dann aus der Gegend abzuzieht finde ich etwas gewagt.

Weil es in Folge der Kämpfe zwischen Sunniten und Schiiten weniger Angriffe auf US Truppen gibt ist das keine erfolgreiche Strategie.

Sehr erfolgreich waren hingegen die Verstärkungen die die USA in den Irak geschickt haben. Diese Verstärkungen haben viele Gebiete so weit Feindfrei gekämpft das dort die Irakische Regierung die Kontrolle nachhaltig ausüben kann!

Entscheidend für die Wende waren also die Verstärkungen die die USA in den Irak geschickt haben, nur durch diese Verstärkungen konnten die Irakischen Regierungstruppen zumindest über Teile des Landes die Kontrolle erlangen.

Im weiteren ist der Irak mit Afghanistan überhaupt nicht vergleichbar. Jeder Assymetrische Krieg ist einzigartig und bedarf einer eigenen einzigartigen Lösung.

Zitat:In Afghanistan passiert genau dasselbe wie in Vietnam:
die Alliierten beherrschen die Städte, die Gegner beherrschen das Umland und infiltrieren die Städte. Sie ducken sich weg, wenn es zu größeren Konflikten kommt, sind nicht zu fassen und werden dabei immer stärker, weil jeder Schlag, der zivile Opfer fordert, die Gegnerschaft in der Bevölkerung stärkt.

Oh ja, das sind Zauberer. Die ziehen sich selbst aus dem Hut an ihren eigenen Haaren.

Tatsächlich gibt es eine Menge Gegenden in Afghanistan wo die Taliban gerade eben in den Städten sehr stark sind und im Umland nicht.

Im weiteren gibt es in Afghanistan weder Die Taliban noch Die Bevölkerung. Es gibt eine Menge Stämme die sich gegenseitig hassen, verschiedene Gruppen von Taliban die sich untereinander bekämpfen, Taliban im Dienste der Drogenbarone, Taliban aus Pakistan.

Gerade die Heterogenität Afghanistans zu verstehen ist der erste Schritt zum Sieg und genau das was die Sowjets bis zum Schluß nicht verstanden haben.