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- Physiker - 27.10.2006

ISt klar, Schneemann, es sind russische Tote (Quellenangabe gibts gerade leider nicht) Wink


- bastian - 29.10.2006

Ein sehr gelungener Artikel der FAZ zum Thema Totenschädel;
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~E107568293E71438186D6A900F59ADAC8~ATpl~Ecommon~Scontent.html">http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437 ... ntent.html</a><!-- m -->
Zitat:29. Oktober 2006
Unentschuldbar: so nannten Bundeskanzlerin Merkel, Bundesaußenminister Steinmeier, Bundesverteidigungsminister Jung das Treiben böser Buben in sandfarbenen Tarnuniformen. Eine Handvoll deutscher Soldaten hat vor Jahren in Afghanistan Schabernack mit einem Schädel getrieben, einer von den Burschen hielt das für die passende Gelegenheit, sein Geschlechtsteil auszupacken, und ein weiterer machte das in solchen Fällen übliche: Erinnerungsfotos. Inzwischen strömen immer neue Bilder auf den Markt, die Soldaten beim Hantieren mit anderer Leute Knochen zeigen.

(...)
Aber dort sind sie vor allem Soldaten. Und die eigentliche Kompetenz von Soldaten ist nicht besonders interkulturell: Soldaten sollen töten. Oder sich töten lassen. Sonst könnte man nämlich auch gleich Zivildienstleistende, Lehrer, Ärzte, Maurer und Krankenschwestern schicken. Natürlich will man den Tod und das Töten vermeiden, solange es geht. Aber am Grundsätzlichen ändert das nichts: Soldaten müssen bereit sein zu töten, und Soldaten müssen bereit sein zu sterben.
(...)
Aber sollen wir glauben, daß die beträchtliche Spanne zwischen den in jüngerer Vergangenheit gleichfalls digital dokumentierten Untaten amerikanischer und britischer Soldaten und den vergleichsweise banalen Grenzüberschreitungen deutscher Soldaten in einem gesünderen deutschen (Staats-)Wesen begründet seien? Nein, Deutschland konnte sich den Krieg bisher nur besser vom Leibe halten. Am Hindukusch wird nämlich Deutschlands innere Sicherheit verteidigt: die moralische Selbstgewißheit - und die Zumutungen an diese Selbstgewißheit teilt das Land mit den Soldaten, die sie verteidigen, gerade nicht. Oder erst jetzt. Durch die Skandalfotos.
(...)
In all dem liegt eine gewisse Gerechtigkeit. Der Bilderskandal bringt etwas näher, was wir uns lieber fernhalten wollen. Das ist die Auseinandersetzung darüber, was Afghanistan bedeutet: Krieg. Jedenfalls eher Krieg als Frieden, und vielleicht sogar einen Krieg, dessen Sieger nicht feststeht. Und daß auch Deutschland, nicht weniger als jedes andere Land, von Soldaten verlangt, für politische Ziele ihr Leben in die Waagschale zu werfen. Das verschiebt den Maßstab der Entschuldbarkeit.
Wird ja gerne vergessen, dass die BW eine Armee und kein bewaffnetes THW ist. In Afghanistan herrscht (wieder) Krieg und die BW ist dabei. Diese Tatsache darf man nicht verdrängen oder beschönigen.

Wenn man diesen Krieg nicht führen will, muss die BW abgezogen werden.

Dieser Krieg darf aber nicht verloren gehen, da wie Quintus immer so schön sagt, der "Feind" eine wichtige Schlacht gewonnen hätte.


- Venturus - 29.10.2006

Zitat:bastian postete
Dieser Krieg darf aber nicht verloren gehen, da wie Quintus immer so schön sagt, der "Feind" eine wichtige Schlacht gewonnen hätte.
Stellt sich nur die Frage ob wir den Krieg dort unten gewinnen können. Die offizielle Linie ist ja der Dreiklang "Bekämpfung der Taliban, Wiederaufbau und Demokratisierung". Ich sehe diese Ziele (so wünschenswert sie auch sind) aber durchaus kritisch.

Afghanistan hat 27 Jahre Bürgerkrieg hinter sich. Das Land baut man nicht mit ein paar Trupps auf die schnelle so stark wieder auf, so das es für den Großteil der Afghanen zu einer spürbaren Verbesserung kommt. Zumal da noch der Mentalitätsunterschied dazu kommt. Für uns ist z.B. eine neue Schule etwas wünschenswertes. Fragt sich bloß ob die Erwachsenen dort unten ihre Kinder nicht lieber bei der Feldarbeit sehen. Und beim Mädchenunterricht kann ich mir es weiß Gott nicht vorstellen, daß die ganzen alten Stammesführer genau darauf gewartet haben.

Bei der Demokratisierung hab ich auch so meine Zweifel. Die Sowjets wollten dasselbe Spielchen mit dem Kommunismus dort unten betreiben. Das Ergebnis ist bekannt.

Bleibt nur noch die militärische Komponente. Da ich kein Experte in Sachen 1. Afghanistankrieg bin, möchte ich da keinerlei Einschätzungs abgeben, aber gefühlsmäßig würde ich sagen, daß wir da nicht unbedingt besser da stehen als seinerzeit die Rote Armee.


- Shahab3 - 29.10.2006

Demokratisierung und Schulen und Menschenrechte usw sind alles wünschenswerte Dinge und auch die Mehrheit der Entscheidungsträger in den Ländern der Koalitionstruppen haben dieses Ansinnen. Aber das ist trotzdem nicht so der primäre Plan. Denn dafür führt man keine kostspieligen Kriege, dessen Kosten nicht etwa die UN trägt, sondern die beteiligten Staaten selbst. Und diese primären Ziele lauten in erster Linie "Zerstörung der Taliban Insfrastruktur" und "Ein sicheres und kontrolierbares Afghanistan für die Errichtung eines zukünftig enorm wichtigen Rohstoffkorridors". Die westliche Ideologie ist nicht die Religion, sondern das Zahlenwerk. Daran muss sich jeder Entscheidungsträger messen lassen.
Und unter diesem Gesichtspunkt sehe ich den Afghanistankrieg durchaus nicht als verloren an. Auch den Irak-Krieg vielleicht noch nicht. Aber in Sachen "erwünschter Nebeneffekte" also Demokratie, Freiheit, Bekämpfung des Terrorismus, ..etc.pp..ist diese Politik kläglich gescheitert. Aber diesem Problem muss man sich nicht auf finanzieller Ebene stellen, sondern bei Wahlen und den damit verbundenen Rechtfertigungsproblemen. Verloren hat in diesem Sinne nicht Enron, Texaco, EADS, Boeing, Lockheed Martin und Co. Sondern verloren hat der Steuerzahler und der Wähler, der glaubte dass dort seine Interessen vertreten würden.


- Ingenieur - 29.10.2006

Die Ziele für Afghanistan von Venturus und Shahab sind quasi identisch. Denn das Ziel "Zerstörung der Taliban Insfrastruktur" beinhaltet auch "Sicherstellen, dass die T-Infrastruktur auch zerstört bleibt" und das beinhaltet auch ein sicheres, demokratisiertes Afghanistan mit einigermaßen Wohlstand.
Das Ziel "Ein sicheres und kontrolierbares Afghanistan für die Errichtung eines zukünftig enorm wichtigen Rohstoffkorridors" lasse ich mal aufgrund seiner "Wichtigkeit" unter den Tisch fallen.Rolleyes


Ein anderer Aspekt generell zum Nationbuilding:
Bei allen Aufbauanstrengungen vermisse ich den industriellen Teil - als Agrarland ist eine Alphabetisierung schwieriger und größerer Wohlstand ist schwierig zu erreichen. Der gezielte Aufbau elementarer Industriezweige in Afghanistanwürde die Arbeitslosigkeit massiv senken und könnte auch finanziell zu einem Gewinn werden. Außerdem würde auch nach Abzug der NATO-Truppen der Einfluss des Westens gesichtert sein: Wenn 50% aller Aktien, Beteiligungen und Firmen eines Landes den NATO-Staaten gehören, dann redet man ganz anders miteinander, besonders wenn man eine noch junge und instabile Demokratie ist.
Die eigentliche Aufbauarbeit sollten daher nicht Infanterie- und Pioniereinheiten leisten, sondern Ingenieure, Volkswirte und Unternehmer.


- Shahab3 - 29.10.2006

Zitat:Das Ziel "Ein sicheres und kontrolierbares Afghanistan für die Errichtung eines zukünftig enorm wichtigen Rohstoffkorridors" lasse ich mal aufgrund seiner "Wichtigkeit" unter den Tisch fallen.
Verstehe ich Dich richtig, dass das primäre Ziel darin bestand die Taliban zu vertreiben und das Land zu demokratisieren und die geostrategischen und wirtschaftlichen Faktoren nebensächlich waren? Darf ich lachen? Wink

Zitat:Ein anderer Aspekt generell zum Nationbuilding:
Bei allen Aufbauanstrengungen vermisse ich den industriellen Teil - als Agrarland ist eine Alphabetisierung schwieriger und größerer Wohlstand ist schwierig zu erreichen. Der gezielte Aufbau elementarer Industriezweige in Afghanistanwürde die Arbeitslosigkeit massiv senken und könnte auch finanziell zu einem Gewinn werden.
Nun. Dazu muss man in Afghanistan erstmal wirtschaftliche Strukturen schaffen. Die existieren nach 30 Jahren Krieg dort nicht. Es existieren nichteinmal vernünftige Transportwege. ähm..geschweige denn eine Sicherheitslage die einem dieser Punkte den Weg bereiten könnte. Also daher muss man erstmal anfangen politische und gesetzgebende Strukturen zu schaffen, bevor man anfgängt irgendwelche Turnschuhe zu kleben, oder Kugelschreiber zu monteren. Denn wo keine Basis, da kein Investment. Mit der Bezeichnung Afghanistans als Agrarland bin ich auch nicht so ganz einverstanden. Das impliziert dass es dort so etwas wie eine Agrar-Industrie gäbe. Dem ist nicht so (von berauschendem Räucherwerk mal abgesehen). Der Rest besteht überwiegend aus Subsistenzwirtschaft!
Geld verdienen heisst in den größeren Städten in der Regel Tegelöhnerei. Wer einen Job bei einer Hilfsorganisation als Fahrer, Übersetzer oder sonstwas bekommt hat einen, nein DEN Jackpot gezogen. Von industriellen Strukturen redet da noch längst niemand. Bildung wäre ja für viele Berufe garnicht mal das Problem...

Zitat:Außerdem würde auch nach Abzug der NATO-Truppen der Einfluss des Westens gesichtert sein: Wenn 50% aller Aktien, Beteiligungen und Firmen eines Landes den NATO-Staaten gehören, dann redet man ganz anders miteinander, besonders wenn man eine noch junge und instabile Demokratie ist.
Die eigentliche Aufbauarbeit sollten daher nicht Infanterie- und Pioniereinheiten leisten, sondern Ingenieure, Volkswirte und Unternehmer.
Nun Dein Unternehmergeist und Deine Vorstellungskraft in allen Ehren...
Die herbeigewünschten Investoren setzen schlauerweise ihre Turnschuhfabrik nach Turkmenistan, Usbekistan, oder Pakistan (<-Fussbälle Wink ) aber bestimmt nicht nach Afghanistan. Wie gesagt, dazu fehlt es an den Strukturen auf eigentlich jeder Ebene und letztendlich fehlt es auch an sicherheit und politischer Stabilität. Das Land heisst in Wahrheit Warlordistan und Kabulistan, aber eben nicht Afghanistan. Tja..der Wilde Osten Wink

Die ersten und mittelfristig wohl einzigen, für die dort massive Investments interessant wären, sind die großen Öl und Gaskonzerne die schon seit etlichen Jahren Pipelines zwischen Kaukasus und Indischem Ozean verlegen wollen. Diese und ähnliche Pläne liegen seit Ewigkeiten in den Schubladen. Nicht nur im Westen sondern auch damals schon bei den Russen. Dieser Artikel hier könnte für Dich interessant sein: <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.wildcat-www.de/zirkular/61/z61oilca.htm">http://www.wildcat-www.de/zirkular/61/z61oilca.htm</a><!-- m -->

Zitat:...
Die Südost-Trasse durch Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan

Um nach dem Scheitern der sowjetischen Pläne eine Trasse zum Indischen Ozean machtpolitisch durchzusetzen, nachdem sich die Taliban-Fraktion mit Hilfe der US-Saudischen Koalition gegen die anderen Fraktionen in Afghanistan durchgesetzt hatte, machte sich ein Konsortium unter Führung der kalifornischen Unocal daran, die Pipeline durch Afghanistan und Pakistan zu realisieren. Das Konsortium bestand aus: Unocal (USA) und Delta-Oil (Saudi Arabien) gemeinsam 85%, Turkmenrusgas 5%, Gazprom 10% (zog sich im Juni 98 aus dem Projekt zurück), Crescent Group (Pakistan), Hyundai E&C, Inpex (Indonesien) und Itochu (Japan). Als erstes war eine Gas-Pipeline von den Dauletabad-Gasfeldern in Turkmenistan über Herat (Afgh.), Kandahar nach Quetta in Pakistan geplant (2 Milliarden Dollar); danach eine Öl-Pipeline mit einer Kapazität von 1 Million Barrel/Tag von den Raffinerien in Tschardschu an der usbekisch-turkmenischen Grenze zur Arabischen See. Die Kosten wurden auf 2,5 Milliarden Dollar geschätzt. Tschardschu wäre ein Knotenpunkt, an den sowohl das westsibirische als auch das kaspische Öl angeschlossen werden könnten.

Die Verträge zum Bau der Gas-Pipeline wurden im Januar 1998 von der Taliban-Regierung unterzeichnet. Das Gebiet war auf der ganzen Strecke gesichert. Die Taliban hatten die Nordallianz in den äußersten Nordosten zurückgedrängt und, nach Bruch der Vereinbarungen mit der schiitischen Minderheit, den Westen des Landes - traditionell iranisches Einflußgebiet - mit der Provinz Herat vollständig unter ihre Kontrolle gebracht. Im März definierte Unocal »Verzögerungen« bei der Finanzierung, im Juni stieg Gazprom aus, im August - nach den Luftangriffen auf Stützpunkte von Al Quaida in Afghanistan - sprach Unocal von politischen Problemen und stieg im Dezember endgültig aus dem Projekt aus. Im April 99 beaufragten Pakistan, Turkmenistan, und die Taliban-Regierung das Konsortium, jetzt unter Leitung der saudi-arabischen Delta-Oil, das Projekt der Gas-Pipeline in Angriff zu nehmen.
...
...So wird Weltpolitik gemacht. Die schönen grünen Augen der Afghanen und die schlimme Burka interessieren nur Dich. Und so gab es eben Zeiten, da waren die Taliban gern gesehene Partner. huch?! Wink


- Lara - 29.10.2006

Zitat:Verloren hat in diesem Sinne nicht Enron, Texaco, EADS, Boeing, Lockheed Martin und Co. Sondern verloren hat der Steuerzahler und der Wähler, der glaubte dass dort seine Interessen vertreten würden.
Aber auch sie werden verlieren, denn es sind nicht nur die Wähler Interessen sondern auch die primären interessen des Afghanischen Volkes. Wo erstarken denn die Taliban, dort wo keine Hilfe ankam. Es wurden Fehler gemacht, u.a. die kostenlosen Getreidelieferungen, das sind schöne Bilder für die Wähler, haben aber bewirkt das die Bauern kein eigenes Getreide verkaufen konnten. Genau wie die 200 Mädchenschulen, nett gedacht, aber im Grunde eine falsche Investion. Die Grundlagen müssen geschaffen werden. Es ist also nicht falsch erstmal auch Ingenieure in diese Länder zu schicken.
Insofern wäre es sinnvoll, wenn Enron und Co, mal ihre Strategie überdächten, sie investieren ja auch in diesem Land zum Zwecke der Vermehrung ihres Reichtuns und Einflusses. Wäre doch jammer schade wenn wegen ein "paar" Dollar alles futsch wäre.


- Venturus - 30.10.2006

Zitat:Shahab3 postete
Zitat:Das Ziel "Ein sicheres und kontrolierbares Afghanistan für die Errichtung eines zukünftig enorm wichtigen Rohstoffkorridors" lasse ich mal aufgrund seiner "Wichtigkeit" unter den Tisch fallen.
Verstehe ich Dich richtig, dass das primäre Ziel darin bestand die Taliban zu vertreiben und das Land zu demokratisieren und die geostrategischen und wirtschaftlichen Faktoren nebensächlich waren? Darf ich lachen? Wink
Ich denke mal, daß niemand so blauäuig ist. Allerdings gibt es zur Sicherung der von dir angesprochenen Interessen nur zwei Wege. Entweder man sieht zu, daß es den Leuten dort besser geht, als zu den Zeiten der Taliban-Herrschaft und man damit zeigt, daß es eine Alternative gibt oder man kann sich darauf einrichten, daß Land solange besetzt zu halten, bis diese Interessen eben nicht mehr existent sind. In diesen Fall kann man sich auf eine jahrzehntelange Besatzungspolitik einrichten, die jede Menge Geld, Material und Personal binden wird. Und wenn ich mir die bisherigen Strategien der Amerikaner so anschaue bezweifle ich stark, daß die jemals vor hatten dort unten länger zu bleiben. Zumal sie nach dem Fehlschlag im Irak und dem Atomstreit mit Iran und Nordkorea derzeit jedem dort gebundenen Soldaten nachweinen.

Seien wir einfach mal ehrlich. Nach dem 11. September sind die NATO-Mächte dort unten überstürzt einmarschiert ohne einen wirklich langfristigen Plan für die Zukunft zu haben. Und genau das rächt sich jetzt eben.


- Shahab3 - 30.10.2006

@Lara

Zitat:Aber auch sie werden verlieren, denn es sind nicht nur die Wähler Interessen sondern auch die primären interessen des Afghanischen Volkes. Wo erstarken denn die Taliban, dort wo keine Hilfe ankam.
Sicherlich richtig. Nur stellt sich da die Frage nach Ursache und Wirkung. Also herrschen die Taliban im Südosten weil keine Hilfslieferungen ankommen, oder kommen keine Hilfslieferungen an weil die Taliban dort herrschen? Ich denke letzteres ist vor allem der Fall. Und was die Präsenz der Taliban in dieser Region betrifft so ist die Nähe zu Pakistan nicht ganz zufällig. In Saudi-Arabien und Pakistan sitzen die ideologischen Vordenker und Geldgeber. Dort sitzt ihr Rückzugsgebiet. Dort ist ihr "zuhause".

Die Strukturen die zu Zeiten des Sowjetischen Afghanistanfeldzuges von Pakistanis, Saudis und Amerikanern dort aufgebaut wurden, lassen sich nicht durch Getreidebauern oder Hilfslieferungen beseitigen. Es ist nicht nur Armut die da mitspielt. Taliban sein ist nicht unbedint ein soziales Problem.

Zitat:Es wurden Fehler gemacht, u.a. die kostenlosen Getreidelieferungen, das sind schöne Bilder für die Wähler, haben aber bewirkt das die Bauern kein eigenes Getreide verkaufen konnten.
Dass Lebensmittellieferungen, sowie Kleiderspenden etc bei schlechter Koordinierung eine große Gefahr für die einheimische Wirtschaft darstellen, sehe ich genauso. Das weit größere Problem was ich weiterhin sehe ist, dass sich bisher noch niemand getraut hat den Bauern beizubringen Mohn und Hanf, gegen Mais und Weizen zu tauschen. Der afghanische Staat hätte dann vielleicht mal einen Artikel der auf legalem Wege exporttauglich wäre und Steuereinnahmen verspräche. Vielleicht verdient der afghanische Staat aber derzeit auch einfach besser an illegalen Drogengeschäften? man weiss es nicht Wink

@Venturus
Zitat:Entweder man sieht zu, daß es den Leuten dort besser geht, als zu den Zeiten der Taliban-Herrschaft und man damit zeigt, daß es eine Alternative gibt oder man kann sich darauf einrichten, daß Land solange besetzt zu halten, bis diese Interessen eben nicht mehr existent sind.
Wie ich oben schon an Lara angedeutet habe. Es ist ja nicht so, als hätten die Taliban in der afghanischen Bevölkerung einen so großen Rückhalt gehabt, oder als hätten sie ihn heute. Dass sie das Land eine Zeit lang fast komplett erobert hatten, lag daran dass sie militärisch sehr stark waren. Die Taliban-ideologie kommt aus dem Südosten des Landes und wurde jahrelang von diversen Staaten gezielt finanziert und lanciert. Es wurden gar extra radikale Sunniten aus anderen arabischen Staaten ja sogar aus Fernost(!) zu tausenden ins Land geholt in radikal-wahabitische Koranschulen und Ausbildungslager gesteckt, um dann letztendlich vorort gegen die Sowjets zu kämpfen. Die Sowjets sind heute weg, die NATO da, die Amis im Irak. Somit hat sich das Schlachtfeld ein wenig geändert, die USA haben zudem die Seiten gewechselst, aber die Strukturen sind in gewisser Form mittelfristig manifestiert. Und zwar ideologisch und logistisch. Manchmal kommen mir die USA da wie der kleine Zauberlehrling vor, der plötzlich mit dem konfrontiert wird, was er selbst (mit) erschuf. Wohl in dem Gewissen das vermeintliche größere Übel zu der Zeit besiegen zu wollen.
Aber eben da die Unterstützer der Taliban ja dort vpr allem ideologisch und strukturell verwurzelt sind, spielt Hunger, oder Arbeit für diesen Teil der Afghanen keine Rolle. Das sind schlicht weltliche Fragen Wink

Für den Rest Afghanistans trifft Deine Strategie sicherlich zu. Da heisst die Konkurrenz aber in erster Warlord XY. Und dieser lässt sich durch Tributzahlungen ohnehin in Schach halten.


- Lara - 30.10.2006

Zitat:Shahab3 postete
@Lara

Zitat:Aber auch sie werden verlieren, denn es sind nicht nur die Wähler Interessen sondern auch die primären interessen des Afghanischen Volkes. Wo erstarken denn die Taliban, dort wo keine Hilfe ankam.
Sicherlich richtig. Nur stellt sich da die Frage nach Ursache und Wirkung. Also herrschen die Taliban im Südosten weil keine Hilfslieferungen ankommen, oder kommen keine Hilfslieferungen an weil die Taliban dort herrschen? Ich denke letzteres ist vor allem der Fall. Und was die Präsenz der Taliban in dieser Region betrifft so ist die Nähe zu Pakistan nicht ganz zufällig. In Saudi-Arabien und Pakistan sitzen die ideologischen Vordenker und Geldgeber. Dort sitzt ihr Rückzugsgebiet. Dort ist ihr "zuhause".
Gute Frage, man hätte diese Landstriche als allererstes Versorgen müssen, denn es war klar das die Taliban sich zurück ziehen werden um sich, eines fernen Tages(ist wohl jetzt), neu zu Formieren und Stück für Stück Afghanistan zurück zu erobern. Der "Zeitkoridor" war aber vorhanden. ---
Es ist aber noch Zeit, bei gefangen genommen Taliban konnte man erfahren das sie "noch" aus Pakistan "rüberkommen". U.a. Anschläge/Überfälle machen und dann wieder nach Pakistan verschwinden.
Es scheint auch so zu sein das Pakistan, sagen wir mal "weg sieht" wenn sie über die Grenze kommen.

Zitat:Die Strukturen die zu Zeiten des Sowjetischen Afghanistanfeldzuges von Pakistanis, Saudis und Amerikanern dort aufgebaut wurden, lassen sich nicht durch Getreidebauern oder Hilfslieferungen beseitigen. Es ist nicht nur Armut die da mitspielt. Taliban sein ist nicht unbedint ein soziales Problem.
Jein, es wäre interessant zu erfahren wer Talib wird, einmal sind es die die während der Russen fliehen mußten bzw. ihre Kinder nach Pakistan schickten, wo sie dann in den von u.a. den Saudi´s finazierten kostenlosen Koranschulen unterkamen. Dort wurde nicht nur der Koran gelehrt (die wahabitische Version) sondern sie wurden dort auch verköstigt. Was wohl bei vielen Eltern den Ausschlag gab.

*off-topic* Ich würde gerne mal an diesem Beispiel die These des Herrn
Heinsohn aufgreifen. Die Zukunft der Zweit, Dritt usw.-Söhne, da ja in Afghanistan ein Brautgeld üblich ist *off-topic*

Zitat:
Zitat:Es wurden Fehler gemacht, u.a. die kostenlosen Getreidelieferungen, das sind schöne Bilder für die Wähler, haben aber bewirkt das die Bauern kein eigenes Getreide verkaufen konnten.
Dass Lebensmittellieferungen, sowie Kleiderspenden etc bei schlechter Koordinierung eine große Gefahr für die einheimische Wirtschaft darstellen, sehe ich genauso. Das weit größere Problem was ich weiterhin sehe ist, dass sich bisher noch niemand getraut hat den Bauern beizubringen Mohn und Hanf, gegen Mais und Weizen zu tauschen. Der afghanische Staat hätte dann vielleicht mal einen Artikel der auf legalem Wege exporttauglich wäre und Steuereinnahmen verspräche. Vielleicht verdient der afghanische Staat aber derzeit auch einfach besser an illegalen Drogengeschäften? man weiss es nicht Wink
Da muß ich die Regierung mal in Schutz nehmen, der vermeherte Anbau geht in erster Linie auf die Warlords zurück die ihre Einkommen damit "aufbessern".
Sinnvoll wäre vielleicht eine Legalisierung des Mohnanbaus, An- Verkauf nur über staatliche Stellen, Handel dito. Mohn wird sowieso gebraucht, auch völlig legal in der Medizin, wieso also nicht es einem! Land erlauben?


- Shahab3 - 30.10.2006

@Lara

Zitat:Gute Frage, man hätte diese Landstriche als allererstes Versorgen müssen, denn es war klar das die Taliban sich zurück ziehen werden um sich, eines fernen Tages(ist wohl jetzt), neu zu Formieren und Stück für Stück Afghanistan zurück zu erobern. Der "Zeitkoridor" war aber vorhanden. ---
Wie gesagt. Mit Deinen "Geschenken" hättest Du der Talibanideologie nicht das Wasser abgraben können. Es geht diesen Leuten nicht um materielle Dinge. Du bist der Feind. Du lieferst Geschenke ab. Danach stirbst Du.

Zitat:Es ist aber noch Zeit, bei gefangen genommen Taliban konnte man erfahren das sie "noch" aus Pakistan "rüberkommen". U.a. Anschläge/Überfälle machen und dann wieder nach Pakistan verschwinden. Es scheint auch so zu sein das Pakistan, sagen wir mal "weg sieht" wenn sie über die Grenze kommen.
...
Jein, es wäre interessant zu erfahren wer Talib wird, einmal sind es die die während der Russen fliehen mußten bzw. ihre Kinder nach Pakistan schickten, wo sie dann in den von u.a. den Saudi´s finazierten kostenlosen Koranschulen unterkamen. Dort wurde nicht nur der Koran gelehrt (die wahabitische Version) sondern sie wurden dort auch verköstigt. Was wohl bei vielen Eltern den Ausschlag gab.
hmm..hab ich meine Zweifel. Das trifft vielleicht im Einzelfall zu. Es ist aber sicherlich falsch anzunehmen, dass die Taliban sich nach Pakistan zurückgezogen hätten nur weil sie nicht fahnenschwingen irgendwelche Machtdemonstrationen führen. Vielmehr dürfte es die schwer zu kontrolliernde Grenzregion sein, in die sich die aktiven Mitglieder also die aktuellen Kampfgruppen zurückziehen. Die anderen tausenden Taliban sind weiterhin im Land..sie schlafen, beten, sind auf standby oder leisten schlicht ideologische Arbeit. Sie sind also keinesfalls von ihrem Glauben, oder von ihrer Ideologie abgefallen oder abzubringen. Sie sind lediglich Schläfer. Das deutete PSL auch in seiner Reportage an, die kurz nach dem Afghanistanfeldzug der USA dort drehte. Ihre Ideologie war übrigens der Grund warum sie gegen die Nordallianz gekämpft haben und nicht für sie. Sie sind dabei weder ärmer noch in irgendeiner Form sozial gegenüber den anderen Afghanen benachteiligt. Du unterschätzt dabei wirklich den Faktor religiöser Überzeugung. Das schliess nicht mal aus, dass sie für ein paar bezahlte Fotos den Bart abrasieren. Da ist man pragmatisch. Sie nehmen vielleicht Dein Geld und Dein Getreide, aber schiessen Dir danach in den Rücken Wink

Interessant für Dich sind vielleicht die Nachfolgegenerationen. Aber ob Du da eine ernsthafte Konkurrenz zu den "Insidern" bist...Rolleyes

Zitat:Da muß ich die Regierung mal in Schutz nehmen, der vermeherte Anbau geht in erster Linie auf die Warlords zurück die ihre Einkommen damit "aufbessern".
Wer weiss das schon. Ich gehe fest davon aus, dass die Drogenmafia den afghanischen "Staat" in allen relevanten Bereichen unterwandert hat.

Zitat:Sinnvoll wäre vielleicht eine Legalisierung des Mohnanbaus, An- Verkauf nur über staatliche Stellen, Handel dito. Mohn wird sowieso gebraucht, auch völlig legal in der Medizin, wieso also nicht es einem! Land erlauben?
Von dieser Situation sind wir nicht weit entfernt


- Lara - 30.10.2006

@ Shahab
Das ich wahrscheinlich tot wäre wenn ich in den Teil Afghanistans ginge ist mir schon klar, wenn würde ich eh einen zivilisiertern Staat bevorzugen, Iran.

Zitat:Die anderen tausenden Taliban sind weiterhin im Land..sie schlafen, beten, sind auf standby oder leisten schlicht ideologische Arbeit. Sie sind also keinesfalls von ihrem Glauben, oder von ihrer Ideologie abgefallen oder abzubringen. Sie sind lediglich Schläfer. Das deutete PSL auch in seiner Reportage an, die kurz nach dem Afghanistanfeldzug der USA dort drehte. Ihre Ideologie war übrigens der Grund warum sie gegen die Nordallianz gekämpft haben und nicht für sie. Sie sind dabei weder ärmer noch in irgendeiner Form sozial gegenüber den anderen Afghanen benachteiligt. Du unterschätzt dabei wirklich den Faktor religiöser Überzeugung.
DAS wäre eben die Frage (Heinsohn, ich such mal nen Link), wer sind sie, die Taliban? (hier meine ich nicht die "Gruppenführer, sondern die Masse)
Sind es die Erstgeborenen Söhne, die noch eine Chance haben sich eine Existenz auf zu bauen und den Brautpreis bezahlen zu können (ca. 4 Kühe), also die Möglichkeit hätten eine Familie zu gründen.
Oder sind es die Zweit, Dritt- Söhne, die wahrscheinlich keine elterliche Unterstützung erhalten. Die sich ihre Existenz selber schaffen müssen.
Es stellt sich noch eine weitere Frage, wie ist die talibanische Auslegung des Koran, muß vielleicht in dieser Version kein Brautgeld bezahlt werden? Wäre die Gründung einer Familie auch auf "Entführung" der Braut, möglich/legitim?

Wenn es der Fall wäre, dass es vorzugsweise Zweitsöhne sind, könnte eine wirtschaftliche Hilfe zur Gründung einer Existenz u.U. "Abhilfe" schaffen.


- Shahab3 - 31.10.2006

Zitat:DAS wäre eben die Frage (Heinsohn, ich such mal nen Link), wer sind sie, die Taliban? (hier meine ich nicht die "Gruppenführer, sondern die Masse)
Sind es die Erstgeborenen Söhne, die noch eine Chance haben sich eine Existenz auf zu bauen und den Brautpreis bezahlen zu können (ca. 4 Kühe), also die Möglichkeit hätten eine Familie zu gründen.
Oder sind es die Zweit, Dritt- Söhne, die wahrscheinlich keine elterliche Unterstützung erhalten. Die sich ihre Existenz selber schaffen müssen.
Es stellt sich noch eine weitere Frage, wie ist die talibanische Auslegung des Koran, muß vielleicht in dieser Version kein Brautgeld bezahlt werden? Wäre die Gründung einer Familie auch auf "Entführung" der Braut, möglich/legitim?
Heinsohn ist ein Spinner. Der war doch kürzlich beim "literarischen Quartett" zu Gast, oder?! Seine Thoerie ist wirklich interessant anzuhören, aber es lässt sich dennoch nicht so einfach eine derartig banale und allgemeingültige Scheuklappen-Regel (geburtenstarke Jahrgänge führen zwangsläufig zu Gewalt und Krieg, weil die Männer konkurrieren und unter Druck geraten) aufstellen wie er es tut. Ich glaube in der ZEIT wurde seine These mal sehr schön mit Gegenbeispielen (zb. Brasilien) zerpflückt. Den Link such ich ebenfalls nochmal raus.
Im Grunde unterschätzt er mMn wie die Du auch die Auswirkung anderer politischer, gesellschaftlicher Faktoren. Er sieht nur mit seinen Scheuklappen die Demographie, pauschal, aber betrachtet nicht die individuelle Situation, die in den meisten Gründen eine viel plausiblere wenn auch kompliziertere Erklärung liefert. So geht seine Rechnung auch eben nicht mehr auf, wenn nicht er derjenige ist der Beispiele zitiert sondern andere. Und es gibt genug Beispiele die seine These widerlegen. (siehe ZEIT Artikel)

Für Afghanistan bedeutet das, dass diese Fraktion der Taliban ein ziemlich solides ideologisches Fundament hat. Es gibt genug Taliban (auch Zugereiste) die hätten überhaupt garkein Problem damit eine Familie zu gründen und zu ernähren. Ihnen fehlt kein Sex oder leidern unter Geltungsdruck. ...ein fehlgeleiteter Versuch mit weltlichen Theorien, radikal-islamistisches Gedankengut zu ergründen und politische Zusammenhänge zu erklären. Bzw Kräfte zu erklären denen es komischerweise garnicht in erster Linie um den schnöden Mammon geht, sondern um "Höheres". Das versteht ja auch nicht jeder. Das glaub ich gern.
Übrigens bleibt die These noch offen, ob die Taliban jemals in diesem Stil hätten Militärgerät beschaffen können und ihren Enflussbereich hätten ausweiten können, wenn sie keine massiven Finanzmittel aus Pakistan, Saudi-Arabien oder den USA erhalten hätten. Wenn man es so sieht, haben sie nicht zu wenig Geld und Unterstützung erhalten, sondern leider viel zuviel.


- ThomasWach - 31.10.2006

@ All

Meines Erachtens kann man diesen Gordischen Knoten, den Afghanistan darstellt, weder mit einer grundlegenden These a la Heinsohn behandeln, noch allein mit der Betonung religiös-ideologischer oder aber allein mit der Behandlung sozialer Aspekte. Für mein Geschmack haben da alle Teilnehmer hier einen zu rigiden und etwas zu festgefahrenen Standpunkt. Die Rigidität und Radikalität vieler Talibananhänger beispielsweise ist nunmal eben keine Gottesgabe oder von jeher durch Gebut festgelegt. Dahinter stehen diverse soziale, politische und wirtschaftliche Zusammenhnge. In diesem Kontext kann man sicher auch Heinsohns These in eingeschränkter Weise miteinbeziehen. Allein erklärt solch eine These selten etwas, es ist immer eine Frage des Wirkzusammenhangs.

Hinsichtlich der westlichen Strategie sei auch noch folgendes vermerkt: Wie schon angesprochen: Allein nur wirtschaftliche Interessen und Überlegungen reichen nie aus, vorallem haben auch die weitergehende notwendige Bedingungen, um erfüllt werden zu können: Wirtschaftliche Interessen können langfristig nur in einem einigermaßen stabilen Umfeld auch ihre gewünschten Resultate erreichen. Die Pipelines werden weder im Irak, noch in Afghanistan lange stehen bleiben und ökonomisch effizient und rentabel betrieben werden können, wenn beständig weiterhin Kämpfe und Anschläge deren Betrieb stören. Die gesellschaftliche Lage ist daher genauso wichtig wie die bloße Erreichung von Kontrolle um jene wirtschaftlichen Interessen umzusetzen. Denn ohne die Gesamtlage wird auch nunmal nichts in der Wirtschaft. Außerdem ist es de facto nicht in unserem Interesse wenn irgendwo auf der Welt die Lage aus dem Ruder läuft: In Afghanistan konnten sich unter den Taliban Al-Quaida organisieren, wer weiß was noch alles von dort gekommen wäre. Man kann eben nicht einfach so unterscheiden zwischen den wirtschaftlichen Interessen von Enron oder sonst wem und weitergehenden Überlegungen. Es bestehen da deutliche Kontradiktionen, aber genauso auch deutliche Überschneidungen. Es ist letztlich im Interesse von niemanden, dass die Taliban wieder in Afghanistan herrschen: weder für uns, noch die Afghanen selbst, noch für die Stabilität in der Region. Über die möglichen Implikationen für Pakistan schweige ich mich mal jetzt in dem Thread aus bei der derzeitigen instabilen Lage dort. Und jeder weiß, welche Waffen Pakistan besitzt. Von daher wird Weltpolitik eben nicht nur allein über die Bilanzen von Enorn oder Lockheed Martin gemacht, zumal die in den meisten Fällen sowieso schön gerechnet werden, das amerik. Bilanzierungsrecht ist da ziemlich kulant im Vergleich zu Europa. Das aber nur am Rande. Wichtig ist, dass einzelne Motive nicht einfach so herausgegriffen werden sollten, sondern sie immer im Zusammenhang gesehen werden sollten: Afghanistan ist mehr nur als ein Transitland für Öl. Da steckt nochg mehr dahinter. Wenn es nur einfach plum um das Öl an sich oder dessen Transit gehen würde, dann hätte man genauso gut Saddam nach dem 2. Golfkrieg sich wieder domestizieren können. Das ist alles komplexer.

Genauso muss man auch viel stärker die Zusammenhänge bedenken bei der verfehlten Afghanistanpolitik.
Zitat:Sicherlich richtig. Nur stellt sich da die Frage nach Ursache und Wirkung. Also herrschen die Taliban im Südosten weil keine Hilfslieferungen ankommen, oder kommen keine Hilfslieferungen an weil die Taliban dort herrschen? Ich denke letzteres ist vor allem der Fall. Und was die Präsenz der Taliban in dieser Region betrifft so ist die Nähe zu Pakistan nicht ganz zufällig. In Saudi-Arabien und Pakistan sitzen die ideologischen Vordenker und Geldgeber. Dort sitzt ihr Rückzugsgebiet. Dort ist ihr "zuhause".
Die erste Frage nach Ursache und Wirkung ist meines Erachtens letztlich völlig irrelevant. Sowohl deine Sicht, als auch Laras Sicht sind korrekt, denn die Zurechnung von Ursache und Wirkung ist letztlich eine rein subjektive Zuweisung je nach Sicht. In Wahrheit sind beide Faktoren in ihrer Wirkung zirkulär, bedingen sich gegenseitig und verstärken sich mit dem weiteren Fortschreiten des Prozesses. Es bringt nunmal nicht zu fragen, was zuerst da war, Henne oder Ei.
Selbst der britische Kommandeur der ISAF-Truppen, General Richards, sah ein, dass das Engagement der Allianz in Afghanistan einfach an dem Willen krankt, entsprechende Mittel einzusetzen. Zu wenig Geld für die Wiederaufbauteams, zu wenige Soldaten, zu viele Einsatzbeschränkungen. Ein halbherziger Einsatz mit halbherzigen Ergebnissen.

Des weiteren: Die Taliban und ihre Ideologie kommen aus den pakistanischen Madrassen des Grenzgebietes und entstanden Anfang der 90er Jahre in Reaktion auf das Chaos, das in Afghanistan nach dem Abzug der Sowjets bestand. Ihre Freunde sitzen primär in Pakistan.
Und natürlich sind viele Paschtunen überzeugte Talibananhänger, die man nicht umdrehen kann. Aber wie überall gibt es nunmal überzeugte Eiferer, die nichts und niemand von ihrem Glauben abbringen können. Aber andererseits gibt es auch immer Mitläufer, die ihren Glauben nur oberflächlich in sich aufgesogen haben und unter gewissen Umständen zumindest neutralisiert werden können. Und auch nicht jeder Paschtune ist zwangsläufig ein Paschtune. Das sind keine unverbrüchlichen Zwangsläufigkeiten, zumal die Brutalität der Taliban ihnen schnell ihre Sympathien gekostet hatten.
Es geht nicht darum, die 10 oder 20% fest überzeugte Talibananhänger zu bekehren, sondern es geht darum, die Mehrzahl der Leute zu einem irgendwann mal friedlichen Leben zu bewegen. Und da geht es eben darum, nicht alle zu gewinnen, sondenr die Mehrzahl. Es gab schon Übereinkommen mit afghanischen Stammesführern, dass bei Abzug der NATO-Truppen sie selbst für Ruhe und Ordnung im Süden sorgen würden.
Die Taliban sind wie ein Krake, der sich in das kranke, schwache Gewebe Afghanistan frißt. Den Kraken selbst kann man nicht tilgen, nur das Gewebe abwehrhäfiger machen. Dazu gehören eben Hilfen, Infrasturukturhilfen und genügend Geld um die Selbsthilfe anlaufen zu lassen.


- Ingenieur - 01.11.2006

Zitat:Shahab3 postete
Zitat:Das Ziel "Ein sicheres und kontrolierbares Afghanistan für die Errichtung eines zukünftig enorm wichtigen Rohstoffkorridors" lasse ich mal aufgrund seiner "Wichtigkeit" unter den Tisch fallen.
Verstehe ich Dich richtig, dass das primäre Ziel darin bestand die Taliban zu vertreiben und das Land zu demokratisieren und die geostrategischen und wirtschaftlichen Faktoren nebensächlich waren? Darf ich lachen? Wink
Die Pipeline mag ein Goodie gewesen sein, aber der 11. September und der Druck auf Bush diesen zu rächen sprechen erst mal für das Hauptziel "Taliban vetreiben".
Wegen der Pipeline allein hätte man keinen Krieg geführt und wäre sie nicht dagewesen hätte die USA trotzdem die Taliban geplättet.

Zitat:Nun. Dazu muss man in Afghanistan erstmal wirtschaftliche Strukturen schaffen. Die existieren nach 30 Jahren Krieg dort nicht. Es existieren nichteinmal vernünftige Transportwege. ähm..geschweige denn eine Sicherheitslage die einem dieser Punkte den Weg bereiten könnte. Also daher muss man erstmal anfangen politische und gesetzgebende Strukturen zu schaffen, bevor man anfgängt irgendwelche Turnschuhe zu kleben, oder Kugelschreiber zu monteren. Denn wo keine Basis, da kein Investment.
Naja in den Jahren 2001-2004/5 war die Sicherheitslage ausreichend. Den Anfagn für eine industrielle Basis könnte die Bauwirtschaft sein. Vorteil wäre hierbei, dass man notfalls mit wenig Maschinen auskommen kann und die Bauwirtschaft sehr personalintensiv ist. Aufträge gäbe es genug, nachdem wie du sagtest die Transportwege sehr unsicher sind.

Zitat:Mit der Bezeichnung Afghanistans als Agrarland bin ich auch nicht so ganz einverstanden. Das impliziert dass es dort so etwas wie eine Agrar-Industrie gäbe. Dem ist nicht so (von berauschendem Räucherwerk mal abgesehen). Der Rest besteht überwiegend aus Subsistenzwirtschaft!
Geld verdienen heisst in den größeren Städten in der Regel Tegelöhnerei. Wer einen Job bei einer Hilfsorganisation als Fahrer, Übersetzer oder sonstwas bekommt hat einen, nein DEN Jackpot gezogen. Von industriellen Strukturen redet da noch längst niemand. Bildung wäre ja für viele Berufe garnicht mal das Problem...
Das macht es ja nötig da irgendwas aufzubauen. Dass die Taliban so mühelos Kämpfer rekrutieren können, ist ja wohl kein Wunder.

Zitat:Nun Dein Unternehmergeist und Deine Vorstellungskraft in allen Ehren...
Die herbeigewünschten Investoren setzen schlauerweise ihre Turnschuhfabrik nach Turkmenistan, Usbekistan, oder Pakistan (<-Fussbälle Wink ) aber bestimmt nicht nach Afghanistan. Wie gesagt, dazu fehlt es an den Strukturen auf eigentlich jeder Ebene und letztendlich fehlt es auch an sicherheit und politischer Stabilität. Das Land heisst in Wahrheit Warlordistan und Kabulistan, aber eben nicht Afghanistan. Tja..der Wilde Osten Wink
Wer hat denn von privaten Investoren geredet? Afghanistan ist nicht in der Verfassung, sich allein durch Exportwirtschaft nach oben zu hieven. Ich dachte eher an staatliche Investitionen. Die westlichen Nationen pumpen eh Millionen an Bestechungsgeldern an die Warlords an den Hindukusch. Die afghanischen Löhne dürften so niedrig sein, dass man ohne Probleme einige Fabriken von heute auf morgen da aus den Boden stampfen könnte.
Durch die Rückkehrer aus dem Westen hätte man qualifiziertes Personal zur Führung. Das internationale Exportkapital, wie die Sozialisten sagen, ist inadäquat um ein Land wirtschaftlich aufzubauen. Es sollte eher für den lokalen Bedarf produziert werden und eine industrielle Basis geschaffen werden: Erst mal Bauunternehmen und Agrarindustrie aufbauen, dann kommen schon mal einige, auch Unqualifizierte und Tagelöhner unter Lohn. Danach wäre es sinnvoll Textilfabriken anzusiedeln und eine metallverarbeitende Industrie (Stahlerzeugung, Werkzeuge, einfach Maschinen für die Landwirtschaft) sowie Endmontage von einfachen informationstechnischen Geräten aufzubauen (Computer, Kabel, Telefone) aufzubauen.
Dann ist schon mal ein guter Teil der Arbeitslosen beschäftigt, vor allem wenn man versucht unter Einsatz von möglichst wenig Maschinen zu produzieren. Selbst wenn anfangs kein Absatzmarkt da ist, dann sollten die Fabriken unter Vollast laufen lassen und zu Dumpingpreisen anbieten oder einfach vernichten. Wenn sich dann einigermaßen Wohlstand in der Bevölkerung ausgebreitet hat und ein lokaler Absatzmarkt vorhanden ist, kann man die Fabriken halb-privatisieren und mehr unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten führen. Zu dem Zeitpunkt dürfte Afghanistan sowieso einen starken Aufschwung erleben.

Dadurch werden der Drogenwirtschaft und den Taliban schon mal die wichtigste Ressource genommen: arme unbeschäftigte Bauern/Leute.

Eine wohlhabende und arbeitende afghanische Bevölkerung würde auch den NATO-Truppen viel eher helfen, die Taliban vor allem deren Schläfer ausfindig zu machen. Man denke nur an die Amerikafreundlichkeit der Deutschen nach dem Wirtschaftswunder.

Zitat:So wird Weltpolitik gemacht. Die schönen grünen Augen der Afghanen und die schlimme Burka interessieren nur Dich. Und so gab es eben Zeiten, da waren die Taliban gern gesehene Partner.
Idealisten braucht die Welt Big Grin