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Re: Ägypten - ThomasWach - 05.02.2011

Ich glaube nicht, dass man "die Moslembruderschaft" per se als Überbegriff und Sammelbezeichnung aller Islamisten und Fundamentalisten in Ägypten verwenden sollte. Das bildet die fragmentierte und zersplitterte Zellen-Struktur gerade am radikalen Rand schlicht weg nicht ab. Ich habe ja schon in einem anderen Thread darauf verwiesen, dass die Islamistensszene in Ägypten gerade in den 1990er Jahren bedeutsame Aufspaltungs- und Zersplitterungsentwicklungen durchgemacht hat, aus denen die (ich nenne es mal) "Mainstream-Moslembruderschaft" als relativ moderate und gemäßigte islamistische Kraft hervorgegangen ist, die Gewalt ablehnt. Dass heißt aber natürlich noch lange nicht, dass es nicht doch immer noch radikalere Zellen und Ränder gibt, die jetzt den richtigen Zeitpunkt gekommen sehen, um mit Gewalt aktiv zu werden.
Überdies kann man bei solchen Anschlägen und Vorkommnissen weder kriminelle Gewalt, noch säkulares Vandalentum völlig ausschließen. Auch momentan unheimlich schlecht gelaunte Vertreter aus der pro-Mubarak Fraktion der großen Sicherheitskräfte und Sicherheitsdienste kommen als potentielle Störenfriede in Frage. Die spielen ja schon länger den agent provocateur.
Sprich, ich bin dafür, dass man sich mit ungenauen, unpräzisen Verallgemeinerungen besser zurückhält.


Re: Ägypten - tienfung - 05.02.2011

Wenn Mubarak in Deutschland Aysl findet braucht sich die Regierung nicht wundern wenn es aus allen kritischen begutachteten Ecken heißt man nehme einen Diktator auf und dies dann von Links/Rechts bis äußerste ausgenutzt wird. Hätte Mubarak nicht so Gewaltbereit vorgegangen , könnte man es ja noch irgendwie der Bild verkaufen... aber so?

Soll er doch nach Italien ^^.


Re: Ägypten - Schneemann - 06.02.2011

Dieses Gerede über ein Ausfliegen Mubaraks nach Deutschland (lt. New York Times) erachte ich als wenig substanziell. Zumindest nämlich scheint man sich in Europa und und den USA neuerdings auch nicht mehr ganz so sicher zu sein, dass ein schneller Wandel und ein plötzliches Verschwinden Mubaraks jetzt so vorteilhaft wäre. Interessant, dass Clinton hier sich auch ziemlich entgegensetzt zu Obama äußert. Offenbar hat man nach aller Euphorie auch mal die Risiken endlich erkannt...
Zitat:USA und Europa gegen schnelle Ablösung Mubaraks

München/Kairo (Reuters) - Die USA und Europa nehmen Abstand von einer schnellen Ablösung des ägyptischen Machthabers Husni Mubarak.

US-Außenministerin Hillary Clinton und Bundeskanzlerin Angela Merkel warnten am Samstag bei der Münchener Sicherheitskonferenz vor einem überstürzten Vorgehen. Die Vorbereitung einer Wahl und die Entwicklung neuer Strukturen brauche Zeit, sagte Merkel und verwies dabei auf die Erfahrungen mit dem politischen Umbruch zum Ende der DDR. Die USA setzen dabei zunehmend auf Mubaraks Vize-Präsidenten Omar Suleiman, der sich noch am Samstag mit unabhängigen Vertretern der Opposition zu Gesprächen über die nächsten Schritte treffen wollte. [...]

"Die ganz schnelle Wahl als Beginn eines Demokratisierungsprozesses halte ich für falsch", betonte auch Merkel. "Wenn als erstes gewählt wird, haben neue Strukturen keine Chance". Nach Clintons Worten müssen zunächst die staatlichen Institutionen gestärkt, ein unabhängiges Rechtssystem aufgebaut und eine freie Presse erlaubt werden. "Ich glaube nicht, dass wir die Weltprobleme lösen, wenn wir einen Schalter umlegen oder Wahlen abhalten", sagte der britische Premierminister David Cameron.
<!-- m --><a class="postlink" href="http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEBEE71407A20110205">http://de.reuters.com/article/worldNews ... 7A20110205</a><!-- m -->

Schneemann.


Re: Ägypten - Shahab3 - 06.02.2011

Ich bin überzeugt, dass in Ägypten ein gesunder Mix der verschiedenen gesellschaftlichen Lager besteht. Man kann auch die islamischen Organisationen wie Hamas, Muslimbrüder, Hisbollah oder auch die AKP erstens nicht alle in einen Topf werfen und zweitens nicht pauschal schlecht reden. Woher haben sie denn den Rückhalt? Weil die Leute Barbaen sind? Diese Organisationen übernehmen in ihren Ländern die vom Staat selbst nicht ausreichend wahrgenommenen sozialen Aufgaben und sind dabei vergleichsweise erfolgreich. Ein großer Teil der Bevölkerung ist auf sie angewiesen. Sie exerzieren das "winning hearts and minds". In Diktaturen kümmert es die Oberen dagegen einen Dreck, wie es dem Volk geht. Insofern hat eine Abwägung zwischen Mubakarak und den Muslimbrüdern einige Aspekte mehr zu beachten. Die Muslimbrüder haben sich ihr Mitspracherecht erarbeitet und defintiv besteht in Ägypten auch mit ihnen eine politische Basis, um in einem demokratischen Mehrparteiensystem miteinander eine konsensfähige politische Auseinandersetzung zu führen. Warum sollte das nicht so sein?

Allerdings kann man vom Ausland aus, gegenüber einem demokratisch legitimierten Parlament, keinen so leichten Druck aufbauen, wie gegenüber einer kleinen korrupten Führungsclique. Das alleine scheint mir, für den ein oder anderen, eine unangenehme Vorstellung zu sein.

Meine Sorge ist eher, dass man aus vermeintlicher -und auch gezielt geschürter- Angst vor dem Islam eine pro-westliche Militärdiktatur aus Mubakarak getreuen Kadern zu installieren versucht. Das wäre exakt die Wiederholung der Fehler der Vergangenheit, die zu einer weiteren Radikalisierung der Bevölkerungen führen wird. Der König ist tot, es lebe der König.

Die Bevölkerung fragt sich mit Recht, warum amerikanische und europäische Regierungen stets öffentlich von Demokratie sprechen, aber gleichzeitig mit den korrupten Königen und Präsidenten auf Lebenszeit geradezu liebevollen Umgang pflegen. Der hier im Forum häufig genannte Hinweis auf Israel natürlich dann wieder zum Tragen, wenn man sich ansieht, dass die Führer ihr Volk oder die Völker ihrer semitischen Brüder im bestehenden "Erbstreit im Hause Abraham" für Macht und Geld verkaufen.

Ein demokratisches System in Ägypten stellt daher durchaus eine Gefahr für Israel dar. Weniger eine ernste militärische Gefahr, als vielmehr eine diplomatische und wirtschaftliche Gefahr. Ein demokratisches Ägypten wäre kritischer im Umgang mit seinem Nachbarn. Auch hätte das Wort der Ägypter international deutlich mehr Gewicht und aufgrund seiner Historie und geostrategischen Lage ist Ägypten eigentlich ohnehin eine natürliche Regionalmacht die man durch schwache und gefügige Führer zweitweilig aushebeln kann. Ich kann die Angst von Schneemann und Nightwatch vor einem erwachenden ägyptischen Volk schon nachvollziehen.


Re: Ägypten - Schneemann - 06.02.2011

Mal ein Einblick in die Subkultur der ägyptischen Heavy-Metal-Szene. Das Gespräch ist mit englischer Untertitelung versehen.

Interessant an dieser Sache (ja, ich höre manchmal auch Metal) ist nicht alleine die illustre Truppe der betreffende Band BRUTUS – ihr Sänger ist der Typ mit Vollbart und Kapuze, bei dem man verleitet sein mag, ihm zunächst die radikal Position andichten zu wollen (sieht ja aus wie das Islamisten-Gespenst schlechthin) –, sondern interessant sind die Äußerungen des wohlgekleideten (im relativen Sinne) und in Anzug und Krawatte gewandeten Kritikers der Band.

Dieser Herr, der hier von Satan, der zionistischen Verschwörung bezüglich Heavy Metal und Drogen und den „Elders of Zion“ fabuliert, ist Tuhami Muntasir, ehemaliger Berater des Muftis von Ägypten!

<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.youtube.com/watch?v=XDXqP49ZNE8&feature=related">http://www.youtube.com/watch?v=XDXqP49Z ... re=related</a><!-- m -->

Na, denn. Wenn der Herr Berater des hochstehenden Mufti, der sicher viele Menschen in Ägypten erreicht, so was ablässt, habe ich dennoch teils meine Zweifel an einem gemäßigten Wandel.

Aber natürlich ist das alles Panikmache, gell?

Schneemann.


Re: Ägypten - ThomasWach - 06.02.2011

Shahab hat einige Punkte gebracht, die ich auch so oder so ähnlich unterstützen würde. Ich will aber vor allem einen zusätzlichen Punkt weiter betonen: Wie stehen wir in der arabischen Welt oder gar global dar, wenn wir aus alter Verzagtheit und kurzfristig orientiertem Stabilitätsdenken wieder die alten Kader unterstützen? Was denken dann die Menschen in Ägypten und anderswo, die nach Freiheit, Gerechtigkeit und Respekt ihrer Regierungen gegenüber ihrem Willen streben? Sie sehen, dass eine einseitig ausgerichtete Machtpolitik letztlich gegen sie, gegen ihre Wünsche gemacht wird. Böse formuliert: Man tut genau das, was Al-Quaida mit ihrem Vorwurf vom nahen und vom fernen Feind stets formuliert hat als Propagandaslogan gegen den Westen. Dass man nämlich den fernen Feind, die USA und den Westen bekämpfen müsse, um die eigenen, korrupten Regime zui stürzen.
Man würde letztlich mit dieser Politik der machtpolitischen Restauration und Reaktion Al Quaida und ihren Dschihad-Fillialen einen riesigen Propaganda-Erfolg präsentieren, von der Wut und dem Frust in aller Welt (ja, in aller Welt, auch und gerade in den arabischen Diasporas im Westen selbst!!) gar nicht mal zu sprechen. Langfristig wäre das ein typischer westlicher Pyrhus-Sieg, der nur neue Generationen von Terroristen und von der Politik abgewandter Terror-Organisationen hervorbringen wird.

Besser, man läßt den Dingen ihren Lauf, läßt Probleme, meinetwegen auch etwas Instabilität zu. Aber langfristig ist dieses Risiko deutlich kleiner, als weiter den Frust und die Empörung unter dem Dampfkessel autoritärer Herrscher auf ewig bändigen zu wollen. Barrington Moore hatte schon Recht: Empörung und Frust, das sind die wichtigsten Ingredenzien für Revolutionen und Umstürze.
Wenn wir nun dagegen arbeiten, machen wir uns nur erneut - und das letztlich sogar konsequenzialistisch betrachtet gerechtfertigt - zum Ziel dieses unterdrückten Frusts.
Ich halte daher Nightwatchs (seine sowieso) und auch Schneemanns Position für eine von Bias/Fehlentschätzungen getragene kurzsichtige Politikstrategie.


Re: Ägypten - tienfung - 06.02.2011

Zitat:Der Westen stützt Mubarak - noch

Das nennt man Realpolitik: Europäer und Amerikaner wollen Ägyptens Machthaber Mubarak noch halten, wenn er im Gegenzug den Übergang zur Demokratie begleitet. Mittelfristig setzt der Westen auf Vizepräsident Suleiman - und hofft, dass er beim Volk auch ankommt.

...

Allerdings gibt es Unterschiede. So treten Kanzlerin Merkel und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg entschlossener auf als ihre Kollegen. Es gebe eine "rote Linie", bei der man keine Kompromisse mit einem Regime machen dürfe, sagt Merkel. Sie meint die Menschenrechte. Sie meint Staaten wie Ägypten. "Das bedeutet, dass wir bei jeder Form von Zusammenarbeit - und da müssen wir uns fragen: Haben wir das immer ausreichend getan? - diese Menschenrechte im Auge haben."


http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,743791,00.html

:lol:


Zitat:Clinton fordert freie Wahlen in Ägypten

Zugang zum Öl, politischer Einfluss, treue Verbündete: Für die USA steht bei den Umwälzungen im Nahen Osten viel auf dem Spiel. Außenministerin Clinton zeigte sich auf der Münchner Sicherheitskonferenz tief besorgt, während vor den Türen mehrere tausend Menschen demonstrierten

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,743780,00.html


Man könnte ja mal im Spekulationsstrang überlegen was man machen könnte/würde wenn die Reißleine reißt und das Öl bedroht ist Smile ,


Re: Ägypten - Schneemann - 06.02.2011

Zitat:Besser, man läßt den Dingen ihren Lauf, läßt Probleme, meinetwegen auch etwas Instabilität zu.
Thomas, das ist ein Standpunkt der aus europäischer und teils auch US-Sicht sogar halbwegs vertretbar erscheint. Man hat dieses möglicherweise instabile, ja schlimmstensfalls dann sogar extremistisch-kriegerisch ausgerichtete Element ja nicht vor der eigenen Haustüre. Aus der Sicht Israels, das Probleme im Norden mit der Hisbollah, in den Palästinensergebieten, teils mit Syrien und auch mit Iran hat, ist die Vorstellung eines instabilen Ägyptens zusätzlich zu den jetzigen Spannungsfeldern jedoch ein Alptraum, vor allem weil hier der erste Friede überhaupt entstanden ist.

Schneemann.


Re: Ägypten - ThomasWach - 07.02.2011

Danke Schneemann, dass du deinen Denkfehler (de facto ist es schlicht eine arg begrenzte Argumentsprämisse) für allle ersichtlich machst. Eigentlich müsstest du die Begrenztheit deines Arguments selber gemerkt haben, als du dein Argument formuliert hast.
Was spricht bitte schön dafür, das Schicksal einer Nation aus einer arg kurzfristigen Perspektive eines der Nachbarn ultimativ zu entscheiden? So nach dem Motto: Die kurzfristige und überdies auch sehr, sehr egoistisch-paranoide meinung von Nachbar A entscheidet, wie das Schicksal aller anderen Anwohner der Straße aussieht. Schneemann, das ist kein Rezept für Stabilität, weder für den angeblich so von dir privilegierten Nachbar A (hier Israel), noch für die ganze Straße.
Es ist schlicht in mehreren Dimensionen und Belangen zu kurz gedacht.

Deine Position ist normativ die gerade archetypische Manifestation der westlichen Doppelmoral und des heuchlerischen Westler:
Du ordnest das Schicksal eines Volkes, sein Recht auf Freiheit usw. nicht nur pauschal der Souveränität und der Sicherheitswahrnehmung (ja, Wahrnehmung!!!) eines anderen Volkes unter. Das allein ist selektiv und problematisch. Noch schlimmer wird es, wenn man in die ägyptische Binnenperspetive geht. Da plädierst du letztlich für Kollektiv- und Sippenhaft des ägyptischen Volkes: Weil bestimmte Teile der ägyptischen Opposition und der Bevölkerung von gemäßigten Islamisten gebildet wird bzw. diese unterstützen, die allerdings seit weit über 10 Jahren der Gewalt abgeschworen haben, und weil es ein paar Radikale und Extremisten gibt (die es übrigens überall gibt und erst recht auch in Israel), willst du apriori dem gesamten ägyptischen Volk sein Recht auf Freiheit und Mitbestimmung verwehren. Noch schlimmer, aus diesen mehr oder minder mittelstarken Punkten willst du Präjudizieren, dass das ägyptische Volk noch keine Reife hat dafür. Schneemann, auch das ist wieder nur die typische, unreflektierte westliche Doppelmoral.
Von Nightwatch würde ich nicht mehr erwarten, aber du solltest dir das mal durch den Kopf gehen lassen.

Deine Position ist aber auch pragmatisch gesehen höchst angreifbar.
Was haben die bisherigen Regime im Nahen Osten uns als wirklichen Benefit gebracht? Oberflächliche Stabilität, die aber gleichzeitig und automatisch als dazugehöriges Nebenprodukt Frust, Entfremdung, Hass und Radikalisierung mit sich bringt. Sprich, in bester kurzfristiger Logik, so wie an der Börse, hofft man auf die Stabilität am nächsten Tag und nimmt damit billigend in Kauf, dass es in der Zukunft mal richtig knallt. Man kauft weiter, pustet die Kursblase weiter auf und verdrängt, dass es doch mal runter gehen muss. Und so verhälst du dich auch: Du hoffst auf die Stabilität am morgigen Tag und vergisst die dramatischen auf die Zukunft verschobenen sozialen Kosten: Korruption, staatliches Versagen, fehlende Modernisierung, Frustration usw. Ich muss das nicht stetig aufzählen. Sprich, die externalisierten Kosten sind zu hoch, letztlich auch und gerade für Israel. Wenn man jetzt den Wandlungsprozess von statten gehen läßt, gibt es immer noch eine Armee, die radikale Umstürze einhegen kann. Es gibt säkulare Gruppierungen, die auch die Moslembrüder einhegen. Und zu guter letzt, hat auch die Moslembrüderschaft keine großen Anstalten gemacht, sich extremistisch zu exponieren. Und selbst wenn es tatsächlich zu diesem worst case Szenario käme, dann könnte man immer noch reagieren, säkulare und Armeefraktionen dagegen in Stellung bringen. Aber jetzt, für dieses auch ganz pragmatisch angehbare worst-case Szenario ganz Ägypten in Geiselhaft zu nehmen und damit eben nicht nur die religiösen Kräfte, sondern alle anti-Mubarak Kräfte gegen den Westen in Aufruhr zu bringen, halte ich für heroisch blind und kontraproduktiv.

Eine Perspektive Schneemann, die hat noch selten einen klug gemacht und weise beraten....


Re: Ägypten - Juhu - 07.02.2011

Shahab3 schrieb:Die Bevölkerung fragt sich mit Recht, warum amerikanische und europäische Regierungen stets öffentlich von Demokratie sprechen, aber gleichzeitig mit den korrupten Königen und Präsidenten auf Lebenszeit geradezu liebevollen Umgang pflegen.

Welche Alternativen hatten die Ägypter denn bisher anzubieten?
Sie sollten sich lieber fragen wieso sie solange an ihren "Despoten" festgehalten haben.


Re: Ägypten - Quintus Fabius - 07.02.2011

Juhu:

Latürnich ! das Volk hält am Despoten fest ... Gerade deshalb nennt man so etwas ja Despot, weil das Volk nichts gegen ihn unternimmt ...


Re: Ägypten - Juhu - 07.02.2011

Daher auch in ""


Re: Ägypten - Schneemann - 08.02.2011

Thomas Wach schrieb:
Zitat:Deine Position ist normativ die gerade archetypische Manifestation der westlichen Doppelmoral und des heuchlerischen Westler: Du ordnest das Schicksal eines Volkes, sein Recht auf Freiheit usw. nicht nur pauschal der Souveränität und der Sicherheitswahrnehmung (ja, Wahrnehmung!!!) eines anderen Volkes unter. Das allein ist selektiv und problematisch. Noch schlimmer wird es, wenn man in die ägyptische Binnenperspetive geht. Da plädierst du letztlich für Kollektiv- und Sippenhaft des ägyptischen Volkes...
Mal von deinen Vorwürfen abgesehen: Es noch alles recht fraglich und von Widersprüchen durchsetzt. Auch wenn 1 Mio. Ägypter demonstriert, so erscheint mir dies bei einem Land mit 80 Mio. Einwohnern, von denen ca. 50% unter 35 und rund 34% sogar unter 18 Jahren sind, auch nicht allzu viel (man könnte hier mit der Besiedelung des Landes argumentieren, aber fast 50% der Ägypter - also ca. 40 Mio. - leben in Städten, also genau dort, wo nach unserer Berichterstattung der Aufstand stattfindet). D. h. umgerechnet auf die Bevölkerung gehen wiederum wenige tatsächlich auf die Straße. Wir sehen hier bei uns nur immer Bilder von Demonstranten und meinen, "das" Volk will Mubarak weghaben. Aber ist das so? Man hört in Zwischensequenzen und auf Privataufnahmen oft einfache Leute (Taxifahrer, kleine Händler, Bauern), die einem Sturz Mubaraks wiederum nicht so spontan zustimmen würden und die selbst die Unruhen fürchten. Ich meine damit nicht die (vermutlich) gestellten Sympathiedemonstrationen.

Und dies ist zweischneidig (in Bezug auch auf meine eigene Argumentation), weil a) eine gewisse Mubarak-Sympathie meine Befürchtungen hinsichtlich einer Islamisierung durchaus widerlegen (beides passt ja eher schlecht zusammen), aber b) zugleich wird auch deutlich, dass nicht "das" Volk wie ein Mann den obersten Pharao absägen will. Und das wiederum ist für die Befürworter des Sturzes problematisch. Weil: Man stelle sich mal vor, wie dann diejenigen dastehen (auch hier im Forum), die vehement einen Sturz gutgeheißen haben, wenn die Masse der Ägypter den Sturz gar nicht möchte?

Insofern ist gut denkbar, dass die Revolte, die zumeist von jüngeren Menschen getragen wurde, dadurch zustande kam, dass es schlicht um soziale Sorgen ging – und tatsächlich sind die Perspektivlosen, die Frustrierten eine Mehrheit –, aber nicht um einen kompletten Systemwandel. Man muss also darauf achten, in einen Aufstand nicht sofort einen Wunsch nach Wandel hineinzuinterpretieren (was ich anfangs auch tat).

Und in der Tat scheint derzeit etwas der "Schwung" aus dem Aufstand herauszukommen...

Hierzu:
Zitat:Die Revolution in Ägypten legt eine Atempause ein

Kairo (Reuters) - Der Aufstand in Ägypten legt eine Atempause ein. Dabei ist der Streit über Präsident Husni Mubaraks Verbleib im Amt weiter ungelöst. Während der harte Kern der Demokratiebewegung am Montag auf dem Tahrir-Platz in Kairo ausharrte und auf größeren Zulauf zu den am Dienstag und Freitag geplanten Massenprotesten setzte, demonstrierte die Regierung Normalität: Sie verkürzte die ohnehin kaum beachtete Ausgangssperre um eine Stunde. Statt um 19.00 Uhr beginnt sie jetzt von 20.00 Uhr und dauert weiterhin bis 06.00 Uhr. Die USA rieten derweil zu einem vorsichtigen Übergang bei ihrem wichtigsten Verbündeten in der arabischen Welt, der jährlich 1,3 Milliarden Dollar US-Militärhilfe erhält.

Die zumeist jungen Demonstranten harren seit nunmehr 14 Tagen auf dem Tahrir-Platz im Herzen der Hauptstadt aus und wollen ihn erst nach dem Rücktritt Mubaraks räumen. Die Regierungsgegner widersetzten sich in der Nacht zum Montag erfolgreich einem Versuch der Armee, ihren Radius auf dem Platz einzuschränken. Die rund 2000 Menschen lehnten auch Gespräche mit der Regierung ab.
<!-- m --><a class="postlink" href="http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEBEE7160A520110207">http://de.reuters.com/article/worldNews ... A520110207</a><!-- m -->

Bei 2.000 Demonstranten ist recht schlecht von einem Volksaufstand zu sprechen. Da rennen in Stuttgart mehr wegen ausgerissener Bäume herum...

Schneemann.


Re: Ägypten - Samun - 08.02.2011

Deine Argumentation ist nicht ganz stichhaltig. Wier du selbst sagst, gehen diese auch nicht für Mubarak auf die Straße, obwohl sie wissen, dass sein Umsturz in Gange ist. Das bedeutet wohl, dass die breite Masse, auch wenn sie nicht gegen Mubarak demonstriert, ihn auch weg sehen will.

Außerdem ist es illusorisch zu glauben, dass die halbe Bevölkerung einfach alles liegen lässt und auf die Straße geht. Die meisten müssen auch sehen, wie sie was für sich und ihre Familie zu Essen auf den Tisch kriegen.


Re: Ägypten - hunter1 - 08.02.2011

Samun schrieb:..., gehen diese auch nicht für Mubarak auf die Straße, obwohl sie wissen, dass sein Umsturz in Gange ist. Das bedeutet wohl, dass die breite Masse, auch wenn sie nicht gegen Mubarak demonstriert, ihn auch weg sehen will.
Jetzt einfach mal ein Schuss ins Blaue: könnte es nicht auch sein, dass ein grosser Teil der Ägypter sich nicht für die Politik interessiert? Nach Jahrzehnten der Diktatur von oben, wobei die Bevölkerung kaum Mitsprachrecht hatte, haben sich vielleicht viele Leute dort einfach damit arrangiert. Wie sieht es denn eigentlich mit der durchschnittlichen Bildung aus?
Man hat also evtl. einfach eine grosse, abwartende Masse an Ägyptern, die sich in erster Linie darum sorgen, dass sich ihre persönliche Situation nicht verschlechtert. Die Demonstranten versprechen Besserung unter einer neuen Regierung und einer neuen Verfassung. Solange Mubarak dies nicht durch glaubhafte Propaganda anzweifelt, wird die Bevölkerung sich nicht gegen die Demonstranten stellen. Von dem her ist das Argument von Schneemann, dass die Zahl der Demonstranten nicht repräsentativ ist für den Willen der Mehrheit des ägyptischen Volkes, vielleicht nicht relevant.