07.01.2024, 11:09
Zitat:D.h. die Russen exportieren fleissig Öl und decken dabei bestenfalls ihre Produktionskosten.Ja und Nein. Also sie machen durchaus mit ihren Exporten noch etwas Gewinn. Und dieser fließt auch in ihre Rüstungsbemühungen für den Krieg gegen die Ukraine. Allerdings ist das keine Dauerlösung und dieses russische Modell ist eine reine Behelfslösung (mal von den Sicherheitsrisiken dieser illegalen Ölverschiffungen abgesehen), die zwar die Rüstung am Laufen hält, aber ansonsten langfristig dem Land schadet.
Dazu auch:
Zitat:Warum bricht Russlands Wirtschaft nicht ein? [...]https://www.n-tv.de/wirtschaft/Warum-bri...41680.html
Es scheint, als könnten die Sanktionen Russland nichts anhaben. Im Interview mit ntv.de ordnet Russland-Experte Michael Rochlitz die angebliche Stabilität ein und erklärt, welchen Preis Putin dafür zahlt. [...]
Wie geht es der russischen Wirtschaft heute, knapp zwei Jahre später?
Erstaunlich gut. Sie ist viel krisenfester als zunächst angenommen. [...] Letztendlich musste Putin nur ein Minus von 5 Prozent verbuchen.
Wie kann das sein?
Die russische Wirtschaft ist krisenerprobt. Das ist ihr jetzt sehr zugutegekommen. Die Finanzkrise 2008, Sanktionen im Rahmen der Krim-Annexion 2014 und die Corona-Pandemie 2020 haben das Land zwar durchaus unter Druck gesetzt. Während dieser ganzen Krisen ist es Russland aber gelungen, kompetente Regionalverwaltungen aufzubauen, die wissen, was in solchen Ausnahmesituationen zu tun ist. [...]
Was hat der russischen Wirtschaft noch geholfen, einen Schock abzuwenden?
Einerseits hat die russische Zentralbank sehr kompetent reagiert. Sie hat Anfang März 2022 nicht nur den Leitzins radikal auf 20 Prozent angehoben, sondern auch kurzzeitig Exportkontrollen für Kapital verhängt und das Land so in ein künstliches Koma versetzt. Dadurch konnte der erste Schock der Sanktionen abgefedert werden. Andererseits ist es Russland gelungen, die Exportkontrollen auf Gas und Öl abzufedern, indem man eine ganze Flotte Schattenschiffe aufgebaut hat, die Öl trotzdem exportiert hat. [...]
Ist die Sanktionspolitik gegen Russland gescheitert?
Aus ökonomischer Sicht sind die Sanktionen sinnvoll. Sie schaden der russischen Volkswirtschaft und erschweren es Russland, diesen Krieg zu führen. [...] Seit Ende 2022 sehen wir, dass Russlands Regierung massiv die ganze Volkswirtschaft auf eine Kriegswirtschaft umstellt. Davon will Putin so schnell auch nicht wieder abrücken. Russland plant im kommenden Jahr 40 Prozent seines Haushalts allein in die Rüstungsindustrie zu investieren. Das ist Wahnsinn. [...]
Was bedeutet eine Umstellung auf Kriegswirtschaft genau?
Putin hat die Investitionen in den Rüstungssektor massiv angehoben. [...] Inzwischen ist klar, im vergangenen Jahr hat der Investitionsanstieg im Rüstungssektor die russische Wirtschaft um 3,5 Prozent wachsen lassen. [...]
Welche Gefahren birgt diese Strategie? [...]
Russland opfert momentan außerdem die Diversifizierung seiner Wirtschaft. Putin baut mit der Rüstungsindustrie gerade einen Sektor auf, der keine Zukunft hat. Sobald der Krieg vorbei ist, muss die Rüstungsindustrie wieder schrumpfen. Das wird ein großes innenpolitisches Problem, weil sehr viele Lobbygruppen daran interessiert sind, diese Pfründe zu behalten. [...]
Inwiefern leiden die Russen überhaupt unter den Sanktionen?
Die einfachen Bürger in Russland merken von den Sanktionen zurzeit noch nicht so viel. Dadurch, dass so viel Geld in die Wirtschaft gepumpt wird, geht es ihnen sogar erstmal besser. Während sich die Regierung mit der Widerstandsfähigkeit der russischen Wirtschaft brüstet, führen die massiven Investitionen aber auch zu hoher Inflation. [...]
Auch zahlreiche Unternehmen aus westlichen Ländern haben sich seit Beginn des Ukraine-Konflikts aus Russland zurückgezogen. Wie gut kann die russische Wirtschaft das kompensieren?
Dem Land gehen dadurch große Wettbewerbschancen im Hightechsektor verloren. Gerade die pharmazeutische Industrie und der Automobilsektor leiden unter dem Abgang. Inzwischen werden gar keine Autos mehr mit westlicher Technologie in Russland gebaut. Stattdessen wird billig in China eingekauft. Eine ähnliche Entwicklung ist auch in anderen Sektoren zu beobachten. Der Krieg hat den Hightechsektor dazu verdammt, auf einem technologisch sehr niedrigen Level, zu bleiben. [...]
Eigentlich sollten die Sanktionen Putin den wirtschaftlichen Boden für die Invasion in der Ukraine entziehen. Doch die Rohstoffgroßmacht hält vor allem mit den Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft mit China und Indien seine Kriegswirtschaft am Laufen. Wieso ist es nicht gelungen, Russland wirtschaftlich zu isolieren?
Russland hat es geschafft, Länder zu mobilisieren, die ihre eigenen Probleme haben und gern weiter billiges Öl aus Russland einkaufen wollen. Das ansteigende Konfliktpotenzial zwischen dem Westen auf der einen Seite und dem globalen Süden und gerade Ländern wie Indien, China, Brasilien auf der anderen Seite hat dafür gesorgt, dass es nicht gelungen ist, eine gemeinsame Front gegen Russland aufzubauen, um die Sanktionen effizient durchzusetzen. [...]
Wie lange kann der Kreml den Krieg noch finanzieren?
Russland kann den Krieg mit seiner Kriegswirtschaft auf diese Art und Weise noch zwei, drei Jahre weiterführen. Damit produziert Putin die Ukraine momentan an die Wand.
Ergo: Russland kann noch exportieren. Und es verdient noch daran, wenn seine Rohstoffe abgenommen werden, wenn auch nicht mehr so viel. Zugleich nimmt man aber diese Gewinne und kurbelt damit in einem geradezu aberwitzigen Rahmen (30 bis 40% des Haushalts) die Rüstungsindustrie an. Das wiederum produziert erst einmal wirtschaftliches Wachstum, aber eben ein Wachstum ohne Substanz. Und es ist ein Wachstum, das einem technischen und personellen Kartenhaus gleicht, wenn das Land irgendwann wieder auf eine Nachkriegswirtschaft umsteigen müsste.
Das in gewisser Weise ebenso "witzige" wie zynische hieran ist: Es war einstmals die Sowjetunion, die gerne das Vorurteil kolportierte, dass der "dekadent-kapitalistische" Westen Kriege ja braucht, um die herrschende, "imperialistische" Klientel bei Laune zu halten. (Und manche linken Kreise im Westen haben das Vorurteil übrigens gerne mit aufgeschnappt.) Dass der Westen allenfalls einen Bruchteil seiner Wirtschaftskraft aufbringen musste (im Vergleich zur Sowjetunion), wird dabei natürlich ignoriert.
Und heute? Pumpt Moskau aberwitzige Summen in einen Krieg, dem imperiale Ambitionen zugrunde liegen, und muss dieses aufgeblähte Kriegswirtschaftsmodell beinahe gezwungenermaßen am Laufen halten, um einen Zusammenbruch zu verhindern. Und zugleich will die herrschende Kaste um Putin dieses System auch gerne am Laufen halten, da sie daran kräftig verdient und sich bereichern kann - schließlich müssen die Oligarchenfreunde des Paten im Kreml sich bald mal neue Superyachten bestellen können, da die alten beschlagnahmt wurden. Bittere Ironie des Schicksals: Die Kinder der ehemaligen KPdSU-Apparatschiks und Sowjetpropagandisten setzen heute das für Russland um, was deren Väter einstmals den Westmächten nachsagten, um diese zu desavouieren...
Schneemann