Wie sich Deutschland von Frankreich entfernt
#31
Zitat:Vauban ist ein Think tank , sagen wir mal sehr gaullistischer, nationaler Prägung. Macron und Europa sind eher ein Brechmittel, aber die Artikel sind immer gut dokumentiert.

Die deutsche Falle für französische Rüstungsexporte schnappt zu
La Tribune Opinion (französisch)
Deutschland möchte die Kontrolle von Rüstungsexporten auf europäischer Ebene harmonisieren, um den Verkauf auf EU- und NATO-Länder zu beschränken. Länder, die Kunden der deutschen Industrie sind. Wird Frankreich, das dazu berufen ist, Partner in der ganzen Welt zu haben, in die deutsche Falle tappen? Von der Gruppe Vauban.
Vauban*
24. Oktober 2022, 8:00

Die französische Führung hat seine politische Gegenleistung, die vom linken Flügel der deutschen Koalition gefordert wurde, nicht zurückbehalten oder will sie nicht zurückbehalten: eine europäische Harmonisierung der nationalen Exportkontrollen, d.h. nicht mehr und nicht weniger als eine Beschneidung des souveränen Rechts, gemäß seinen Interessen zu exportieren (Die Vauban-Gruppe) Foto: Emmanuel Macron und Scheich Mohammed bin Zayed Al Nahyane, Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate.
"Die französische Führung hat seine politische Gegenleistung, die vom linken Flügel der deutschen Koalition gefordert wurde, nicht zurückgehalten oder will sie nicht zurückhalten: eine europäische Harmonisierung der nationalen Exportkontrollen, d.h. nicht mehr und nicht weniger als eine Beschneidung des souveränen Rechts, gemäß seinen Interessen zu exportieren" (Die Vauban-Gruppe) Foto: Emmanuel Macron und Scheich Mohammed ben Zayed Al Nahyane, Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate (Credits: Reuters).

Während Berlin sein Gesetz zur Kontrolle von Rüstungsexporten vorbereitet, wäre Paris gut beraten, auf diese Initiative mit der Feier des 50. Jahrestags der Debré-Schmidt-Regierungsvereinbarungen zu reagieren. Denn es war der Egoismus der deutschen Politik, der dieses intelligente und effiziente bilaterale Werk in einem doch sensiblen Bereich - dem Export von Rüstungsgütern aus gemeinsamen Produkten - zerstört hat.

Anstelle der deutsch-französischen Verständigung, die auf wohlverstandenen Interessen beruhte und deren bilaterale Mechanismen auf Gegenseitigkeit und Vertrauen beruhten, entschied sich Berlin seit Ende der 1990er Jahre in der Tat für eine egoistische Politik des Alleingangs. Es erließ seine eigenen Regeln, um den Schutz seiner Interessen zu gewährleisten, und hörte nicht auf, seinen Partnern seine Diktate aufzuzwingen, wobei es in diesem Bereich genauso handelte wie in der Energie- und Migrationspolitik: unilateral.

Die Zeit des Egoismus oder die Politik der Alleingänge

Durch die Magie der Zeitenwende, d.h. seit Februar dieses Jahres, realistisch geworden, ist sie nun zu bestimmten Prinzipien bekehrt, die gestern aus ihrem politischen Vokabular und ihrer Argumentation verbannt wurden, wie das Recht der Nationen, sich zu ihrer Verteidigung zu bewaffnen, und die Erkenntnis, dass dies ein moralischer Akt sein kann. Doch unter dem realistischen Anstrich ist der Idealismus noch lange nicht verschwunden, und Deutschland schickt sich an, seine Partner wie der Rattenfänger von Hameln in einen neuen Nihilismus zu führen. Es gab bereits Präzedenzfälle: den Ausstieg aus der Atomenergie, die Migrationspolitik. Die Rüstung wird keine Ausnahme sein: Hier ist, warum und wie.

Wie so oft in der deutsch-französischen Beziehung muss man auf die eigentlichen Ursachen zurückgehen und darf nicht nur die Folgen analysieren. In diesem Fall müssen wir zum eigentlichen Prinzip des Debré-Schmidt-Abkommens zurückkehren. Wie der Bericht des Verteidigungsausschusses der Nationalversammlung (Nr. 2334 vom 25. April 2000) klar erklärt, "hat das Debré-Schmidt-Abkommen seine Funktion perfekt erfüllt: Der exportierende Partner konnte immer exportieren, ohne Veto des anderen. Der eingeführte Zwang zur Übertragung der Produktionslinien an den Exportpartner im Falle eines Vetos musste jedoch nie zum Tragen kommen" (Seite 104), aber "da Deutschland seine Politik geändert hat, ist das Debré-Schmidt-Abkommen hinfällig" (Seite 106).

Zwischen Ethik und Geopolitik


Da sie zwischen Ethik und Geopolitik schwankte, versuchte sie zunächst, ihr Gewissen zu beruhigen, indem sie im Januar 2000 die "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" (Political Principles of the Federal Government for the Export of War Weapons and Other Arms Equipment) verfasste. In diesen Richtlinien kam - bereits - der politische Wille der (damals sozialdemokratischen) Bundesregierung zum Ausdruck, eine restriktive Rüstungsexportpolitik zu verfolgen und sich gleichzeitig die Ausnahmetür der Klausel über die nationale Sicherheit offen zu halten, die auf dem Vorhandensein von angemahnten, aber nicht definierten diplomatischen Interessen beruhte. Berlin legte bereits zwei Kategorien von Ländern fest: die Liste L (westliche Länder: EU, NATO und gleichgestellte Länder) und die Liste K (Länder, in die grundsätzlich nicht exportiert werden darf, außer in Ausnahmefällen).

Der im November 2013 unterzeichnete Koalitionsvertrag von CDU/CSU/SPD ist nach wie vor weitgehend von geopolitischem Realismus geprägt. Die Koalitionspartner sprechen immer noch von der Wettbewerbsfähigkeit der Rüstungsindustrie (Seite 178) und verbieten lediglich illegale Schläge mit bewaffneten Drohnen. Das innovative Faktum, dessen Folgen Frankreich in allen Bereichen nicht ausreichend antizipiert hat, wird ein externes Ereignis sein, der Krieg im Jemen, der von der saudisch-emiratischen Koalition im Sommer 2014 ausgelöst wurde. Für die Gegner von Rüstungsexporten wird dieser Krieg, sagen wir es deutlich, ein Glücksfall sein: Er ermöglicht es ihnen, Keile in die Festung der Rüstungsexporte zu treiben. In Deutschland löst er eine epochale Wende aus: die Politik der einsamen Reiter.

Die Einzelkämpfer

Davon zeugt zunächst der Koalitionsvertrag vom 12. März 2018, der von derselben Koalition unterzeichnet wurde, die seit 2013 am Werk ist und die ihren Partnern zum ersten Mal offiziell einseitig eine restriktive Politik auferlegt: "Ab sofort werden wir keine Exporte an Länder genehmigen, solange diese direkt in den Krieg im Jemen verwickelt sind". Unternehmen erhalten Rechtsschutz, wenn sie nachweisen können, dass bereits genehmigte Lieferungen ausschließlich im Empfängerland verbleiben" [1]. Für Frankreich, das im Juli 2017 gerade eine ehrgeizige Roadmap mit Deutschland abgeschlossen hat (Jagdflugzeuge, Seepatrouillenflugzeuge und Kampfpanzer), ist es unhaltbar, gemeinsam zu produzieren, ohne dass jeder exportieren kann: Das ist die erste kalte Dusche.

Die zweite, eisige Dusche kam einige Monate später, nach der Ermordung von Jamal Khashoggi (2. Oktober 2018), als die Regierung Merkel - ebenfalls ohne jegliche Absprache mit ihren Verbündeten - beschloss, ein sechsmonatiges Embargo gegen Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) zu verhängen. Dieses Einfrieren bedeutete ganz konkret, dass keine neuen Lizenzen geprüft, keine Ausfuhrgenehmigungen erteilt und bestehende Lizenzen für Arabien ausgesetzt wurden; da die Regelung ständig von sechs Monaten zu sechs Monaten verlängert wurde, wurde sie de facto zum Dauerzustand.

Frankreich musste daraufhin Ausrüstungsgegenstand für Ausrüstungsgegenstand (Fahrzeugrahmen, Abschussvorrichtungen für Panzerabwehrraketen usw.) Stück für Stück verhandeln, um die Lähmung laufender Verträge in diesen Ländern zu verhindern. Die deutsche Regelung vom 28. März 2019 ist eine späte und vorläufige Antwort auf die Probleme der Verbündeten: Die Bundesregierung erklärt sich bereit, an ihre Partner zu liefern, aber nur unter der Bedingung, dass die in europäischer Zusammenarbeit produzierten Waffen nicht im Jemen-Krieg eingesetzt werden und dass die deutschen Komponenten, die in von den Partnerländern produzierten und nach Arabien und in die VAE exportierten Baugruppen eingebaut werden, nicht im Jemen verwendet werden.

Nach zähen Verhandlungen erreichte Frankreich schließlich die Ausweitung des Bereichs der Ausnahmen in einer stärker kodifizierten Regelung: die am 23. Oktober 2019 unterzeichneten De-minimis-Abkommen, die vordergründig den Grundsatz aufgreifen, dass es außer in Ausnahmefällen keine Einwände gegen die Ausfuhr an eine dritte Partei geben darf. Da sie jedoch wertmäßig gezügelt sind - 20% des Wertes des Systems, das Gegenstand eines Transfers oder einer Ausfuhr ist - und nur den Bereich der bilateralen Programme (zwischenstaatliche oder aus der industriellen Zusammenarbeit hervorgegangene) abdecken, bereinigten sie in Wirklichkeit nur eine Verbindlichkeit und schlossen gleichzeitig den gesamten französischen Katalog von ihrem Geltungsbereich aus. Trotz des Abkommens hat die deutsche Alleingänge-Politik das Vertrauen gebrochen: Seitdem wirbt die französische Industrie im Ausland für German-free.

Die dritte Dusche kommt vom Koalitionsvertrag vom 24. November 2021: Für Frankreich sind die Bestimmungen des Koalitionsvertrags zwar im Wesentlichen nicht neu, bestätigen aber, dass das kaum in Kraft getretene De-minimis-Abkommen geschwächt ist, nicht nur durch eine im Text hervorgehobene europäische Harmonisierung, sondern auch durch das Ziel eines nationalen Gesetzes über die Exportkontrolle. Als Ergebnis heikler innenpolitischer Verhandlungen hat dieses Koalitionsabkommen natürlich ein größeres Gewicht als ein zwischenstaatliches Abkommen, das von einer gescheiterten Koalition ausgehandelt wurde.

Die Heuchelei der deutschen Exportpolitik


Da Gewissenhaftigkeit keineswegs ausschließt, dass man Interessen hat, hat Deutschland eine sehr erratische, ja oft schizophrene Haltung eingenommen: So verhinderte Deutschland zwar die Ausfuhrgenehmigung für den Kampfhubschrauber Tiger für eine Vorführung in der Türkei, stellte aber gleichzeitig seine allgemeine Aufrüstungspolitik mit diesem Land nie ein (Leopard-Kampfpanzer und technische Unterstützung für den lokalen Bau von sechs U-214-U-Booten) und verkaufte gleichzeitig dem Rivalen der Türkei, Griechenland, die gleichen Ausrüstungsgegenstände (Leopard und U-214) in etwa den gleichen Mengen. Dieses Beispiel ist von einer seltenen Duplizität.

Der deutsche Rüstungsexport zeichnet sich nämlich vor allem durch Heuchelei und Diskretion aus. Scheinheilig, weil Deutschland trotz seiner aufeinanderfolgenden Koalitionsverträge an viele autoritäre Regime verkauft hat, insbesondere über die bekannten, aber nicht unterdrückten ausländischen Tochtergesellschaften deutscher Konzerne (z. B. eine Munitionsfabrik in Saudi-Arabien), und weil die Berechnung seiner tatsächlichen Exporte nur Kriegswaffen und keine Verteidigungsgüter berücksichtigt, wodurch die tatsächlichen Zahlen der deutschen Rüstungsexporte im französischen Sinne des Begriffs unterbewertet werden; diskret, da trotz der Transparenz, die es seit 2018 an den Tag legt, die Einzelheiten seiner Entscheidungen und Verträge vertraulich sind.

So schweigt Deutschland zu den gigantischen Verträgen, die es im letzten Jahrzehnt ohne mit der Wimper zu zucken in Algerien (Errichtung einer Fabrik für Fuchs-Panzer, Panzerwagen, Lieferung von zwei Korvetten usw.), Indonesien (rund 100 Leopard-Panzer) und Ägypten (Boden-Luft-Abwehrkanone und Raketen, vier U-Boote U-209 und vier Korvetten Meko) unterzeichnet hat, die sie in Arabien unterzeichnen wollte (Projekt für 800 Leopard-2A7-Panzer) oder die sie dort bereits genehmigt hatte (100 Patrouillenboote für die Küstenwache des Innenministeriums) und in den VAE (Torpedoabwehr) oder die sie vor kurzem in Ägypten noch unterzeichnen wollte (Einrichtung einer Werft für den Bau von Raketenpatrouillenbooten der Lürssen-Gruppe), ganz zu schweigen von ihren Plänen in Russland (z. B. Errichtung eines großen Ausbildungszentrums für Soldaten, das 2015 schließlich aufgegeben wurde).

Ein Beispiel für Heuchelei ist der gerade frischgebackene Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), als er im November 2013 den Vertrag über Patrouillenboote an Saudi-Arabien im Namen "der unterzeichneten Verträge" bestätigte; Nehmen wir Finanzminister Olaf Scholz, der am 7. Dezember 2021 4,34 Milliarden Lizenzen für Ägypten genehmigte, einen Tag bevor er von einer Koalition zum Kanzler gewählt wurde, deren Steckenpferd gerade die Durchführung einer restriktiven Politik gegenüber solchen Regimen war. Und schließlich Annalena Baerbock, die am 14. Oktober auf dem 48. Parteitag ihrer Partei bestimmte Lieferungen an Arabien, die VAE und Ägypten mit dem Argument unterzeichneter Verträge rechtfertigte, die unbedingt eingehalten werden müssten, da sonst Schaden entstünde [2], und jeden Widerspruch gegen ihre Linie zum Schweigen brachte.

Die Zeit des Realismus: Europäische Harmonisierung


Es ist nicht zu leugnen, dass seit dem 27. Februar ein Wind des Realismus in Deutschland weht: Die sogenannte Zeitenwende dient im Wesentlichen dazu, das allgemeine Scheitern von Merkels Alleingang in allen Bereichen - mit Ausnahme der Rüstung - zu verschleiern und nach der durch diese Politik verursachten Isolation wieder die Kontrolle in Europa zu übernehmen.

Aber diese Zeitenwende, weit davon entfernt, Deutschland endlich zu einem Realismus des gesunden Menschenverstandes zu bekehren, führt es zu weiteren Irrwegen; man sieht es in der Energiepolitik, wo die Rückkehr zur Kernenergie immer noch zugunsten einer vorübergehenden und zwangsläufig nicht effizienten Kompromisslösung abgelehnt wird; man sieht es in der Rüstungsexportpolitik, wo auf den Unilateralismus der Merkel-Jahre der Unilateralismus des Ziels einer europäischen Harmonisierung folgt.

Vermeidung von Gewissensfragen


Das seit dem Koalitionsvertrag vom 12. März 2018 zitierte und seitdem ständig wiederholte Ziel der europäischen Harmonisierung der nationalen Exportkontrollmechanismen, insbesondere in den Reden von Christine Lambrecht am 12. September vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und des Bundeskanzlers am 16. September vor der Bundeswehr, zielt erneut darauf ab, das schlechte Gewissen Deutschlands, Waffen auf eine deportierte Ebene zu verkaufen, zu übertragen.

Gestern war dies die Rolle der Debré-Schmidt-Vereinbarungen, wie der bereits zitierte Bericht Nr. 2334 sehr gut in Erinnerung ruft: "In Wirklichkeit war für Deutschland die Debré-Schmidt-Vereinbarung, ebenso wie die Erstellung der kurzen Listen kontrollierten Materials, eines der Elemente einer Politik, die es erlaubte, eine Rüstungsexportpolitik nicht zu sehr annehmen und formalisieren zu müssen." (Seite 105); morgen wird es das von Brüssel sein.

Allerdings auf deutscher Grundlage.

Doch der Pragmatismus geht Hand in Hand mit dem Idealismus: Um seine Ansichten durchzusetzen, hat Deutschland die politische Entscheidung für eine persönliche Strategie auf zwei Ebenen getroffen. Auf nationaler Ebene wird es ein Gesetz entwerfen; auf europäischer Ebene wird es einen Verordnungsentwurf vorschlagen, der als Grundlage für die Diskussionen mit seinen europäischen Partnern dienen wird, aber natürlich seine eigenen Kriterien im Einklang mit seinem künftigen nationalen Gesetz enthalten wird [3].

Wenn Berlin darauf achtet, daran zu erinnern, dass internationale Abkommen Vorrang vor nationalen Gesetzen haben, dann deshalb, weil es beabsichtigt, erstere mithilfe einer übergeordneten (supranationalen) europäischen Verordnung neu zu verhandeln. Indem Berlin die Initiative auf diesem Gebiet ergreift, möchte es der Debatte eindeutig vorgreifen. Zunächst über das Endziel: In beiden von Berlin gewählten Wegen soll die Zusammenarbeit die Ausfuhr ersetzen, die ihrerseits eingeschränkt werden soll (Punkt 12, Seite 8). Zweitens geht es um die Steuerung der Kooperationsabkommen selbst. Für Berlin müssen die Entscheidungsbefugnisse im Rahmen der Abkommen mit seinen Partnern das relative Gewicht jedes Einzelnen berücksichtigen (Gewichtung des Stimmrechts) und die Entscheidungen mit (eventuell) qualifizierter Mehrheit getroffen werden.

Deutschland übernimmt somit die europäische Komitologie mit dem Vorschlag eines übergreifenden Lenkungsausschusses, der das reibungslose Funktionieren der zwischenstaatlichen Abkommen sicherstellen soll. Außerdem will es jedem Mitgliedstaat über diesen Lenkungsausschuss das Recht einräumen, eine Abstimmung darüber zu verlangen, ob eine ursprüngliche Ausfuhrentscheidung aufrechterhalten werden soll oder nicht: "Nach entsprechenden Konsultationen wird der Lenkungsausschuss über diese Frage mit (möglicherweise qualifizierter) Mehrheit entscheiden, die für alle Programm- oder Kooperationsländer bindend sein sollte".

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die derzeitige Koalition eine EU-Verordnung vorschlägt, in der die Souveränität jedes Staates scheinbar respektiert, in Wirklichkeit aber überall geschmälert wird (so hängt die Entscheidungsbefugnis vom Gewicht im Programm ab, das Vetorecht wird durch eine qualifizierte Mehrheit ersetzt) und in der Rechtsinstabilität installiert wird (Infragestellung einer Entscheidung durch eine Abstimmung).

Das ohrenbetäubende Schweigen der deutschen Industrie.


Wenn man an das Schweigen aus Paris gewöhnt ist, trotz der ausgezeichneten Analysearbeit des Berliner Postens, mag das Schweigen der deutschen Industrie (mit Ausnahme ihres Cheflobbyisten, des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von TKMS) erstaunlich erscheinen. Das ist es aber aus drei Gründen nicht. Der erste Grund liegt in der Natur dieser Industrie, die nur durch den Willen des Staates (F&E, Aufträge und Exportgenehmigungen) existiert. Selbst wenn sie privat ist, gehorcht sie.

Der zweite Grund ist, dass die Revolution, die diese Bestimmungen mit sich bringen werden, bereits stattgefunden hat. Die Lektüre der deutschen Rüstungsexportberichte zeigt Halbjahr für Halbjahr, dass sich die deutsche Industrie bereits an die Märkte angepasst hat, die seit 2013 von der politischen Macht vorgegeben werden. Abgesehen von Ausnahmefällen - den berühmten Heucheleien, Algerien, Ägypten usw., die oben erwähnt wurden - sind die deutschen Absatzmärkte bereits in Europa, der NATO und den gleichgestellten Ländern (Australien, Kanada, Südkorea, Singapur usw.).

Seine Produktpalette - nehmen Sie die Beispiele TKMS und Rheinmetall - ist dort bereits dominant. Der Staat hat viel dafür getan, dass dies so ist, und zwar nicht nur durch Zwang: Er hat (gerade 2013) das Framework Nations Concept ins Leben gerufen, das es der Bundeswehr ermöglicht, die technische und operative Referenz zu sein; er hat den ungarischen Vertrag über Panzer und Munition toleriert; er hat noch vor kurzem die Idee eines Raketenabwehrschildes unter deutscher (und israelischer) Aufsicht für die Länder Mittel- und Osteuropas gefördert. So viele Initiativen, so viele Aussichten auf Verträge.

Schließlich hat er in völliger Übereinstimmung mit seinem Ziel, inländischen Aufträgen den Vorzug vor Exporten in die Ferne zu geben, den berühmten Sonderfonds mit einem Volumen von rund 100 Milliarden Euro geschaffen, der es der nationalen Industrie trotz massiver Auslandsaufträge ermöglicht, über komfortable Auftragsbücher zu verfügen. Diese Strategie - kooperieren, um nicht zu exportieren - war bereits mit Sigmar Gabriel am Werk, aber der ehemalige Vizekanzler fügte einen Hauch von Industriemechanik hinzu, um so große Einheiten zu schaffen, dass sie nicht mehr exportieren mussten.
Die Zeit des Nihilismus?

Während die derzeitigen Absichten der Regierung bereits beunruhigend sind, muss an dieser Stelle daran erinnert werden, dass sie angesichts der Pläne eines Teils der Grünen und der SPD noch sehr brav sind. Diese radikalen Flügel, deren Figuren Jürgen Trittin (für die Absicht) und Hannah Neumann (für die Aktion) sind, haben nämlich noch nicht das letzte Wort gesprochen.

Hannah Neumanns Anti-Export-Kreuzzug

Da Hannah Neumann den Anti-Export-Kreuzzug in Deutschland anführt und Robert Habeck und Annalena Baerbock links überholt hat, ist es interessant, ihre Ideen zu verstehen. Als junge Europaabgeordnete der Grünen machte sie mit einem im Juli 2020 veröffentlichten Bericht auf sich aufmerksam, dessen ausführliche Lektüre sehr zu empfehlen ist [4], da er den Grünen bei ihren Verhandlungen über den Koalitionsvertrag vor einem Jahr zweifellos als Matrix diente.

Ihr Konzept beruht auf folgenden Empfehlungen: Der westliche Markt soll den Rüstungsexport übernehmen, was (ohne dass sie es ausspricht, aber die Idee ist unterschwellig vorhanden) eine gewisse Form der "europäischen Präferenz" voraussetzt; Exporte außerhalb dieses Marktes sind eng begrenzt: Werte müssen in der Tat Vorrang vor Geschäften und Geopolitik haben; jeder Export eines vom Europäischen Verteidigungsfonds finanzierten Produkts muss transparent sein: Er wird in einem eigens dafür geschaffenen Register registriert und kann zu Sanktionen führen, wenn er nicht dem Wertekodex der Europäischen Union entspricht. Natürlich werden bestimmte Länder von vornherein mit einem Embargo belegt: VAE, Arabien, Ägypten, Türkei...

Von der Beschwörung zur Tat ist es nur ein kleiner Schritt, den Hannah Neumann schnell getan hat: Am 12. Oktober 2021, also einen Monat vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags in Deutschland, veröffentlicht sie einen Vorschlag für eine gemeinsame Verordnung [5], der zwar einige Themen von 2020 wieder aufgreift, aber auch neue vorschlägt: Ein Exportverbot in Länder, die neun bestimmte Kriterien nicht erfüllen (Artikel 4, Absatz 2), jeder Mitgliedstaat muss gegenüber der Europäischen Kommission begründen, warum er den Empfehlungen eines eigens dafür eingesetzten Expertenausschusses nicht gefolgt ist (Artikel 8) ; eine gemeinsame Basis für Länderanalysen (oder "common risk assessment body") dient als Rechtfertigung für die Positionen der Kommission, die sich auch um die Liste der Länder kümmert, die unter Embargo stehen (Artikel 10 & 11); die Verordnung sieht einen Sanktionsmechanismus für widerspenstige Staaten vor, darunter den Ausschluss vom Europäischen Verteidigungsfonds (Artikel 13).

Man sieht: Einige Ideen dienten als Matrix für den aktuellen Entwurf von Robert Habeck.

Der antifranzösische Kreuzzug von Hannah Neumann

Hannah Neumann geht jedoch noch weiter: Sie will Frankreich zur Rechenschaft ziehen, das sich schuldig gemacht hat, aus niederen kommerziellen Interessen und unter Missachtung jeglicher Werte und Solidarität alles an jeden zu exportieren. Auch wenn sie die Notwendigkeit einer europäischen Solidarität in der aktuellen Situation versteht und daher keinen Konflikt mit Frankreich will, nimmt sie Frankreich in ihrem Interview mit Spiegel Plus vom 6. Oktober besonders ins Visier: "Es gibt einen Akteur im europäischen Rüstungssektor, der seit mindestens zehn Jahren sehr klar und sehr stark seine Interessen formuliert. Das ist Frankreich. Die Franzosen betreiben eine Rüstungsexportpolitik, die sich vor allem an wirtschaftlichen Interessen orientiert. Dies steht im Widerspruch zu dem, was wir 2008 gemeinsam auf europäischer Ebene vereinbart haben".

Das beste Mittel, um Frankreich wieder in den Griff zu bekommen, ist die europäische Harmonisierung der Exportkontrollen: "Ich erwarte, dass dieses Gesetz auch auf gemeinsame Projekte angewendet wird, zumindest solange es keine europäische Lösung gibt. Nur so kann Frankreich dazu gebracht werden, genau darüber mit uns zu verhandeln. Bisher sind sie mit ihrem maximalen Druck immer gut gefahren". Sie will in diesem Punkt unnachgiebig sein, im Gegensatz zu Christine Lambrecht, der vorgeworfen wird, "die Position der französischen Waffenlobby übernommen" zu haben: "Wir müssen Auge in Auge über die Gestaltung einer gemeinsamen Exportpolitik verhandeln".

Ihr Konzept steht bereits vor den Verhandlungen fest: Exporte außerhalb Europas werden nicht als sinnvoll erachtet, da der Markt der 27 mehr als ausreichend ist: "Wir haben 27 EU-Mitgliedstaaten, die ihre Verteidigungsbudgets erheblich aufstocken. Die Ukraine hat einen enormen Bedarf. Die Rüstungsindustrie kann das alles überhaupt nicht bedienen. Jetzt davon zu sprechen, die Exportbedingungen zu lockern, ist absurd".

Die schlimmsten Monster sind noch im Schrank ...


All diese Ideen, die wie Vogelscheuchen für die französische Rüstungsindustrie (und vielleicht auch für die anderer Exportländer: Italien, Spanien, Großbritannien, Schweden? ?) sind jedoch nur ein Teil der Utensilien, die in den Ideenlagern der radikalsten Flügel der SPD und der Grünen übrig geblieben sind. Einige Experten, die für die Erstellung dieser Kolumne konsultiert wurden, erinnerten die Vauban-Gruppe beispielsweise an die Existenz eines Antrags vom 25. April 2018, der von Jürgen Trittin und der Fraktion der Grünen unterzeichnet wurde [6]. In diesem Dokument mit dem klaren Titel "Ein Rüstungsexportkontrollgesetz endlich vorlegen" warten zahlreiche Ungeheuer darauf, aus dem Schrank geholt zu werden. Als Beispiele seien genannt:

Das Recht auf Sammelklagen, das es qualifizierten und anerkannten Nichtregierungsorganisationen ermöglicht, die Rechtmäßigkeit von Ausfuhren von spezialisierten Verwaltungsgerichten überprüfen zu lassen,
Das Verbot von zweckgebundenen Lizenzen zur Schaffung von Infrastrukturen für die Rüstungsproduktion in Drittländern,
Das Verbot von Euler-Hermes-Bürgschaften für Rüstungsexporte,
Die Rechtfertigung jeder Ausfuhr in ein Drittland in einer Debatte im Bundestag, d. h. die Transparenz der Exportdaten (Ausrüstung, Menge und Betrag).

In einem anderen uns bekannten Dokument - dem Antrag, 19/14917 vom 8. November 2019 - forderten die Grünen die Bundesregierung auf, die Lücken in den Rüstungsexportrichtlinien zu schließen, insbesondere die sehr heikle Frage bezüglich ausländischer Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen und der technischen Ausbildung und Unterstützung im Ausland durch Führungskräfte der deutschen Industrie. Die Grünen stellen nicht ohne Grund fest, dass deutsche Unternehmen versucht haben, die Verbote durch drei Strategien zu umgehen: Produktionsverlagerung (unter dem Stichwort Internationalisierung oder "Lokalisierung", Punkt 1), Tochtergesellschaften im Ausland (Punkt 2) und die Entsendung von Führungskräften aus der Industrie für technische Unterstützung oder F&E (Punkt 3). Auch die Kontrolle von Kundendienstverträgen und Exporten über deutsche Tochtergesellschaften im Ausland, die Bundesbeschlüsse umgehen könnten, wird nicht vergessen.

Man sieht also: Die größten Monster sind noch im Schrank, und das ist auch keine gute Nachricht für Frankreich, das alle Überbietungsversuche der radikalen Flügel der deutschen Linken und Linksextremen zu spüren bekommen wird. Nach der Zeit des unvollkommenen Realismus folgt die Zeit des radikalen Nihilismus, der sich mit großer Wahrscheinlichkeit entweder bei der bevorstehenden Debatte über das Gesetz im Bundestag und den Verhandlungen in Brüssel oder bei der nächsten Koalition durchsetzen wird. Diese Wende wird dann ein großer Sprung zurück für die europäische Industrie und ein großer Sprung nach vorne für die außereuropäische Industrie sein.

Französische Kurzsichtigkeit angesichts der deutschen Falle

Angesichts der Auswirkungen, die die doppelte Perspektive eines deutschen Exportkontrollgesetzes und eines europäischen Verordnungsentwurfs auf die französischen Rüstungsexporte hat, bleibt das Schweigen von Paris ohrenbetäubend, und doch kann dieses Thema nicht länger beiseite geschoben werden, da sonst die Gefahr besteht, dass ein tödliches Missverständnis entsteht.

Bundeskanzler Scholz stellt Präsident Macron mit seiner "Gleichzeitig"-Methode eine Falle: Er gibt ihm Sicherheiten, während er gleichzeitig seinen anspruchsvollen grünen und linken Flügelspielern Sicherheiten gibt. Der Verlierer wird zwangsläufig ein Franzose sein, da dieser für die Aufrechterhaltung einer von Zweifeln durchzogenen Koalition nach dieser verwirrend realistischen Zeitenwende nicht unverzichtbar ist. Die Grünen in der Koalition zu halten, hat einen Preis: Wenn Frankreich ihn zahlen muss, wird es ihn zahlen. Das ist es, was Hannah Neumann laut sagt und was die deutsche Regierung leise sagt.

In Kooperationen ohne mögliche Exporte in ihre traditionellen Gebiete (Golf, Naher Osten und Asien) hineingezogen, wird die französische Rüstungsindustrie durch restriktive, willkürliche und demagogische EU-Bestimmungen in die Falle gelockt, die weitgehend von ihrem deutschen Partner inspiriert und durchgesetzt wurden, zum Vorteil der außereuropäischen Industrie.

Die französischen Politiker haben aus den offiziellen Reden von Christine Lambrecht oder Olaf Scholz in der Tat nur das mitgenommen, was ihnen gefiel, nämlich die Lockerung der deutschen Vorschriften bei Kooperationsprojekten. Die vom linken Flügel der Koalition geforderte politische Gegenleistung, nämlich eine europäische Harmonisierung der nationalen Exportkontrollen, d.h. nicht mehr und nicht weniger als eine Beschneidung des souveränen Rechts, nach eigenen Interessen zu exportieren, haben sie nicht behalten oder wollen sie nicht behalten. Es ist noch Zeit, die Falle zu umgehen. Hoffen wir, dass die Verschiebung des deutsch-französischen Verteidigungsrats vom 26. Oktober auf Januar Paris die Zeit gibt, endlich seine Gegenwehr vorzubereiten, nachdem Deutschland seit 2017 so viele Fehlschläge begangen hat.

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[1] Ein neuer Aufbruch für Europa, Eine neue Dynamik für Deutschland, Ein neuer Zusammenhalt für unser Land - Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, Seite 149.

[2] https://www.auswaertiges-amt.de/en/newsr...sz/2558140.

[3] Punkt Nr. 12 des vom Bundeswirtschaftsministerium veröffentlichten Entwurfs: "Die Bundesregierung setzt sich deshalb für das Vorhaben einer EU-Rüstungsexportverordnung ein."

[4] https://www.europarl.europa.eu/doceo/doc...137_EN.pdf.

[5] https://hannahneumann.eu/wp-content/uplo..._final.pdf.

[6] https://dserver.bundestag.de/btd/19/018/1901849.pdf.

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(1) Die Gruppe Vauban umfasst etwa zwanzig aktive Spezialisten für Verteidigungsfragen.
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RE: Wie sich Deutschland von Frankreich entfernt - von voyageur - 24.10.2022, 14:09

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