Überlebenstechniken (Survival)
#61
Beim österreichischen Bundesheer gab es den sehr empfindlich gehandhabten Aspekt der "Kampfkrafterhaltung". Da war man immer sehr heikel, schon aufgrund des Zusammenfalls zweier bedenklicher Umstände: Das österreichische Bundesheer ist klein, wir haben nicht viele Soldaten. Das "Angriffsverfahren Ost" (Warschauer Pakt) war die Feindvorlage. Kampfkrafterhaltung war ein ein fortwährendes Thema, das in nahezu jeder Ausbildungsstufe und in allen Bereichen präsent war. "Survival" wäre ein totales Versagen gewesen.

Hygiene, Versorgung, Rast und Regeneration sind im militärischen Kontext zentrale Aspekte der Kampfkrafterhaltung. Beim Survival befindet man sich bereits am absoluten Limit, weshalb es erst gar keine halbherzigen Ansätze (Teilzeit-Survival. Halb Survival, halb Krieg.) geben kann. Jede einzelne Ressource und jede Energieeinheit wird dem reinen Überleben gewidmet, da es ja sonst nicht als Survival gelten würde.

Im militärischen Kontext geht es um die Organisation von geballter Gewalt. Gewalt, die nicht geballt auftritt, kann nicht als militärisch betrachtet werden. Selbst wenn eine Einzelperson mit hochgradig "kriegerischer" Ausrüstung und Waffen agiert, könnte sie keinen militärischen Angriff darstellen, selbst dann nicht, wenn sie im Auftrag einer militärischen Organisation handelt.

Survival dagegen ist keine Angelegenheit der Masse mehr. Im Survival lösen sich Massen auf, und alles wird zu einer individuellen Herausforderung. Diese Anforderungen ähneln eher den Aufgaben lebenserhaltender Geräte in einem Krankenhaus als den Operationen einer militärischen Einheit.

Vielleicht könnte man sogar sagen, daß Kampfkrafterhaltung das Überleben im Survival-Sinne überflüssig macht. Oder kurz und knapp: Kampfkrafterhaltung erspart Survival.

Sehr geschätzter @Quintus,
würde ich Dir alleine gegenüber sitzen, würde ich ganz in Schwertfechtsprech zwischen Vor, Nach und Indes unterscheiden wollen und salopp sagen: "Schau, mit der Kampfkrafterhaltung bist im Vor, mit Survival bist im Nach. Gib zu, daß das ein guter Vergleich ist und Prost!"
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#62
Das ist mal wirklich ein nicht zu schlagendes Argument, und das auch noch in einer Sprache die ich besser verstehe als andere Sprachen, meinen höchsten Respekt.

Du hast recht, man sollte hier die Begriffe nicht vermischen. Was ich meinte ist Kampfkrafterhaltung. Und wenn man Survival als das definiert, was die Folge ist, wenn diese scheitert, dann stimmt natürlich per definitionem deine ursprüngliche Aussage, dass Survival keinen wirklichen militärischen Wert hat.

Nur ein ganz kleiner Punkt noch dazu:

Zitat:Survival = Kampf gegen die Natur.

Auch Kampfkrafterhaltung ist (unter anderem) Kampf gegen die Natur. Von daher müsste man die beiden - wie von dir ja geschehen - auf andere Weise voneinander trennen.

Desweiteren stellt sich damit die Frage, welche Überlebenstechniken auch für die Kampfkrafterhaltung nützlich sind.
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#63
Die Erhaltung der Kampfkraft ist ein proaktiver Ansatz, der darauf abzielt, Soldaten davor zu schützen, in einen Zustand zu geraten, in dem das bloße Überleben zum Hauptziel wird. Es existieren jedoch Überlebenstechniken, die schon im Vorfeld von großem Nutzen sind, bevor eine Überlebenssituation überhaupt eintritt. Diese Techniken sind so konzipiert, daß sie das Eintreten eines Überlebenskampfes verhindern oder zumindest verzögern.

Überlebenstechniken, die den Schutz vor Wind priorisieren, wie das Errichten von Windbarrieren oder das Finden von natürlichen Windschutzgebieten, erhalten die physische Leistungsfähigkeit und Kampfbereitschaft der Soldaten und sichern das Überleben, bevor extreme Bedingungen zu einem kritischen Überlebenskampf führen. Wind senkt ja nicht nur die Körpertemperatur drastisch und bringt Unterkühlung mit, sondern beeinträchtigt auch die Sinneswahrnehmung.

Ein Wanderer trifft auf seinem Weg Sonne, Frost und Wind. Er grüßt den Wind und sagt:
„Meine Hochachtung, Herr Wind!“
Da verfinstern sich die Gesichter der anderen beiden, weil der Wanderer sie nicht gegrüßt hat.

Da droht ihm die Sonne: „Na warte, Wanderer, nächsten Sommer werde ich es so heiß werden lassen, daß Dir die Haut von den Wangen brennt!“
„Ist zu ertragen, wenn nur der Wind weht!“ winkt der Wanderer.

Da droht der Frost: „Nächsten Winter bereite ich Dir eine solche Kälte, daß Du Deine Beine nicht mehr bewegen kannst!“
„Ist zu ertragen, wenn nur der Wind nicht weht!“ winkt der Wanderer und geht weiter seines Weges ....



• Wind ist Feind Nr. 1

• Unterkühlung ist nie weit weg.

• Abgestorbene Äste (Totholz) töten von oben.

• Wind ist die gefährlichste Bedingung im Wald.

• Fähigkeiten im Feuermachen zeigen sich erst bei starkem Wind.

• Eine Windsperre ist wirksam, wenn sie sich in unmittelbarer Nähe befindet und mindestens so hoch wie der Unterschlupf ist. Eine solche Windsperre kann den Wind bis zum Sechsfachen ihrer Höhe abhalten.
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#64
Exakt darauf wollte ich hinaus: die Anwendung bestimmter Überlebens-Techniken um überhaupt zu verhindern, dass man in eine "Survivalsituation" kommt, in der es eben dann nur noch ums Überleben geht.

Und das wurde und wird in fast allen Kriegen von der Wichtigkeit her unterschätzt. Denn in sehr vielen Kriegen sind mehr Soldaten durch die Umweltbedingungen umgekommen als durch den Feind. Das reicht von Schiffen die auf hoher See verloren gehen und abstürzendes Fluggerät bis hin zu erfrierenden Infanteristen. Und selbst in den modernen Kriegen ist dies immer noch relevant, trotz aller Technik und Logistik.

Sobald die Soldaten in eine Überlebenssituation kommen, können sie nicht mehr kämpfen, und damit beißen sich Survival und Krieg wie du es bereits so treffend beschrieben hast.

Also muss man zunächst mal mit allen Mitteln verhindern überhaupt in eine Überlebens-Situation zu kommen. Und dies geht eben nicht allein durch eine stete Versorgung - die es so nicht geben wird - und auch nicht durch die bloße Annahme, dass man in einem ernsthaften Krieg wie bei den bisherigen IKM Einsätzen verfahren kann. Das reicht von der Verwundetenversorgung über die Wasserversorgung bis hin zum Grabenfuß und die Zahl der Soldaten die durch solche Dinge in eine Survivalsituation kommen und damit nicht mehr am Kampf teilnehmen können wird meiner Überzeugung nach stark unterschätzt.

Hier und heute sterben Ukrainer wie Russen durch die Umweltbedingungen oder geraten zumindest in Überlebens-Situationen und haben deshalb keine einsetzbare Kampfkraft mehr. Hier und heute haben Russen Nachtblindheit aufgrund Mangelernährung und fallen mehr Soldaten durch Krankheiten aller Art aus, als die Bundeswehr-Sanitätstruppe diesbezüglich behandeln könnte. Aber man glaubt umgekehrt, dass SERE Training für einige Auserwählte und ansonsten etwas Biwak im Wald mit überladener Ausrüstung und weit unterhalb des Niveau selbst einfacher Pfadfindergruppen für das Leben im Felde ausreichend wären.

Man bräuchte also keine tiefergehende militärische Survivalausbildung, aber man braucht eine dezidierte und tiefergehende Ausbildung in Kampfkrafterhaltung / Leben im Felde, was im englischsprachigen Bereich dann oft Fieldcraft genannt wird.

Interessant dass dies beim Bundesheer so einen Stellenwert hatte. Exakt so würde ich mir das auch wünschen / vorstellen.

Gibt es dazu Ausbildungsvorschriften (von früher)? Wie wurde das konkret ausgebildet und mit welchem Zeitansatz (nur ganz grob)?

PS: deiner Bewertung des Windes als einem Hauptproblem kann ich nur vollumfänglich zustimmen. Noch darüber hinaus, dass er die eigenen Sinne beeinträchtigen kann, trägt er umgekehrt Gerüche und Geräusche sehr weit mit sich und kann allein dadurch die eigene Position verraten.
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#65
Kampfkrafterhaltung als Grundprinzip
Die Erhaltung der Kampfkraft war ein zentrales Prinzip, vergleichbar mit Disziplin oder Hygiene und wurde in sämtlichen Aktivitäten berücksichtigt. Jede Handlung und Entscheidung wurde auch anhand ihrer Auswirkungen auf die Kampfkraft bewertet. So wurde beispielsweise der Sturmlauf nur in taktisch unausweichlichen Situationen akzeptiert, da er der Kampfkrafterhaltung widerspricht. Stellungswahl, Wachablösungen oder Marschtempo mussten stets auch unter Berücksichtigung der Kampfkrafterhaltung gerechtfertigt sein.

Integration in die Ausbildung
Es gab keine speziellen Ausbildungshandbücher zur Kampfkrafterhaltung, jedoch gab es entsprechende Abschnitte in zahlreichen Ausbildungsdokumenten, die die Wichtigkeit dieses Aspekts unterstreichen.

Zeitliche Gewichtung
Zusätzliche Ausbildungszeit wurden der Kampfkrafterhaltung gewidmet, wenn Kader ihre Einheiten so führten, daß es sich negativ auf die Kampfkraft auswirkt. In solchen Fällen wurden eigene Schulungen abgehalten, oft in Form von Doppelstunden, wie beispielsweise an der Panzertruppenschule.

Ein passendes Beispiel für die Bedeutung der Kampfkrafterhaltung war ein Vorfall während einer Brigadeübung in den 90er Jahren in Allentsteig, als zwei Züge aufgrund einer unzureichenden Unterbringung und daraus resultierendem Grabmilbenbefall ausfielen!! Dies führte zur Einberufung einer Notfallkommission, um den Vorfall zu untersuchen, da ein solcher Zustand als kriegsentscheidender Mangel und damit als absolut inakzeptabel galt.

Kampfkrafterhaltung darf natürlich nicht mit der äußerlich ähnlichen Fürsorgepflicht verwechselt werden. Die Kampfkrafterhaltung konzentriert sich auf die Einsatzfähigkeit von Mannschaft und Ausrüstung, während die Fürsorgepflicht die Verantwortung für Wohlbefinden und Sicherheit der Mannschaft umfasst.

Als Panzergrenadier-Gruppenkommandant war ich verantwortlich für 10 Mann und Waffen und Gerät im Wert von 10 Millionen Schilling, was mit klaren Erwartungen an meine Fähigkeiten als effizienten Verwalter verbunden war. Das wurde mir genau so gesagt.
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#66
Vielen Dank für diese Ausführungen.
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#67
Eine konkrete Überlebenstechnik, die auffällig oft übersehen oder unterschätzt wird, ist die Signalgebung. In einem Überlebenskampf liegt der ohnehin enge Fokus auf unmittelbare Bedürfnisse wie Schutz und Wasser etc., aber die Fähigkeit, effektive Signale für Rettungskräfte zu setzen, kann die letzte entscheidende Kompetenz zur Rettung sein.

Mit Signalgebung als Überlebenstechnik meine ich Dinge wie das Anlegen von Signalfeuern, das Verwenden von Spiegeln oder anderen reflektierenden Gegenständen zur Sonnensignalgebung und das Erstellen von auffälligen Markierungen in offenen Landschaften. Diese Techniken müssen unter widrigsten Bedingungen wie körperlicher und mentaler Erschöpfung, Wetterunbilden, begrenzten Ressourcen und dem Zwang zur Improvisation eingesetzt werden.

Diese Methoden werden im üblicherweise übersehen, da ihr direkter Beitrag zum unmittelbaren Überleben nicht offensichtlich ist. Aber gerade sie erhöhen die Chancen auf eine schnelle Rettung erheblich. Und im militärischen Einsatz werden sie häufig genug notwendig.

Für Soldaten ist die Signalgebung eine einfache Methode zur Kommunikation, die im Falle eines Ausfalls oder einer Abhörgefahr der elektronischen Kommunikationsmittel einem Pannenreifen gleich stets zur Hand sein sollte. Bis dahin hilft sie den Soldaten, Unfälle zu vermeiden oder sich in feindlichem Gebiet nicht zu verlieren. Signalgebung soll generell Sichtbarkeit erhöhen, Kommunikation erleichtern und taktische Vorteile nutzen.
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#68
Wohl wahr. Ergänzend: Nicht-Technische Kommunikation im allgemeinen ist ein weithin vernachlässigtes Feld. Noch über die Signalgebung für Rettungskräfte hinaus. Und ganz allgemein gehen nicht-technische Fähigkeiten bei der jüngeren Generation verloren. Insbesondere betrifft dies auch die Orientierung ohne Hilfsmittel, die bei den heutigen jungen Erwachsenen derart schlecht ist, dass zunehmend von Orientierungs-Analphabeten gesprochen wird. Das ist eine Fähigkeit die man sich aneignen muss und die eben verkümmert, wenn man sie nicht erlernt und im weiteren nicht verwendet. Heute entstehen viele Überlebens-Situationen nicht zuletzt aufgrund mangelnder Orientierungsfähigkeiten, und ist Orientierung und ein möglichst gutes Gefühl für den Raum um einen herum auch im Kampf eine immens wesentliche Fähigkeit.

Das sollte man nicht auf "die Wildnis" beschränkt betrachten, beispielsweise nützt eine solche Fähigkeit auch im OHK in größeren Gebäuden / Wohnblöcken / Stadtvierteln. Ebenso natürlich im Waldkampf und jedem anderen stark bedeckten Gelände und selbst im offenen Gelände wenn man von mechanisierten Truppen dort ausgeht. Ohne die ganzen technischen Spielereien ist heute der Orientierungssinn bei zu vielen jungen Menschen derart degeneriert, dass dies militärisch ein Problem auf allen Ebenen darstellt. Gleich ob ich mich selbst bewegen will, oder ob ich eine Einheit führe und diese im Raum bewegen und einsetzen will, immer ist räumliches Vorstellungsvermögen und Orientierung hierfür wesentlich. Und das fehlt zunehmend bei jungen Soldaten in einem bedenklichen Ausmaß.

Ironischerweise stand diese Entwicklung (Verlust solcher einfacher elementarer Fähigkeiten aufgrund von Urbanisierung, zunehmender Technologisierung der Gesellschaft usw.) bereits am Anfang dessen was man heute unter Survival versteht. Die US Armee stellte fest, dass Fähigkeiten welche früher selbstverständlich waren, nicht mehr in der Breite der Truppen vorhanden waren. Also schuf man Survival als eine "neue Befähigung" um dem entgegen zu wirken. Grenzer oder selbst einfache Bauern aus dem 18 und auch noch dem 19 Jahrhundert würden uns dafür heute auslachen, weil alles was da gelehrt wird, weil dies noch deutlich unter dem liegt vom Können her, was für sie einfach nur Alltag war.
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#69
Grundlegende Fertigkeiten im Umgang mit Seil und Wurfschlinge (Lasso) sind von größter Nützlichkeit im Überlebenskampf und im Feldleben. Die breite Anwendbarkeit von Seil und Wurfschlinge ist offensichtlich: Sie ermöglichen es, sich selbst oder Ausrüstung über Distanzen zu ziehen, dort zu schleppen oder zu sichern, wo Standardmethoden nicht greifen. Mit ihnen lassen sich sichere Verankerungspunkte schaffen, Materialien bewegen oder fixieren und improvisierte Hindernisse oder Sicherheitsbarrieren errichten, um Gebiete abzugrenzen oder zu schützen.

Darüber hinaus kann man sie als Kommunikationsleitung nutzen, beispielsweise als Zuganlage zur Signalgebung, oder als Sicherheitsperimeter, um Grenzen oder Bereiche zu markieren – entweder als visuelle Orientierungshilfe oder als physische Barriere. Sie ermöglichen sogar das Codieren hinterlassener Botschaften, zum Beispiel in Form von Knotenschriften à la Quipu, wie sie schon Karl May Generationen von Lesern beschrieben hat.

Hier ein interessantes Beispiel von Tiroler Bauern:
https://tirv1.orf.at/stories/187659

Die Kenntnis der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von Draht ist übrigens eine hervorragende Ergänzung zu den Seiltechniken.
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