(Allgemein) Vom Kriege
#46
Ich habe mir erlaubt, dieses Westfeldzug-Thema mal auszugliedern. Ich habe hier geantwortet: https://www.forum-sicherheitspolitik.org...p?tid=6403.

Auf eine rege Diskussion. Smile

Schneemann
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#47
(21.04.2022, 23:35)Delbrueck schrieb: M. E. hat Quintus Fabius recht, denn die Quantität ist personell und materiell nicht gegeben, um im Stile des Kalten Krieges mechanisierte Operationen durchführen zu können. Deutschland, Frankreich und Großbritannien planen Heere im Umfang von 10 Brigaden, da hat Polen selbst mehr.
Die materielle Ausstattung ist so gering, dass in Deutschland lediglich etwas mehr als eine Mechanisierte Division (Pz. bzw. PzGren) ausgestattet werden kann. Das ist in Frankreich und Großbritannien ähnlich.
Bei einem Vortrag beim Reservistenverband wurde erläutert, dass alleine um die baltischen Staaten verteidigen zu können 6 Brigaden zusätzlich notwendig wären.
Daher ist dem Vorschlag von QF zuzustimmen sich auf Verteidigung auszurichten, dafür wäre es unerlässlich sich darauf zu konzentrieren. Deutschlands Aufgabe wäre es m. M. nach ein ausgewogenes Heer aufzustellen im Umfang von 15-21 Brigaden, die dann sich aufteilen in 2-3 leichte Divisionen (FJ, LL, GJ, Jg. [Jäger auf MTW Boxer zählen für mich zu den leichten Kräften]) und 3-4 schwere Divisionen (Pz, PzGren).
Teile dieser Kräfte könnten auch in Polen oder in der Slowakei stehen, bilateral versteht sich [nicht NATO, um die Verträge zu wahren].
Dieses würde jedoch bedeuten, dass alleine zwischen 900-1200 Kampfpanzer und auch genauso viele Schützenpanzer beschafft werden müssten, alleine der Wiederaufbau der schweren Kompanien bei den Jägern und PzGren erfordert je Bat. 10 Mörserträger.
Das einzige was ich offensiv planen würde, wäre die Neutralisierung der Oblast Kalingrad, diese allerdings zwingend. Eine Verteidigung des Baltikums ist m. E. nur möglich wenn die Oblast neutralisiert wurde und selbst dann nur kann lediglich Litauen verteidigt werden.
Extreme Vorschläge, wie sie bspw. Lutz Unterseher in der ÖMZ formuliert haben, halte ich für etwas monofunktional, weil gemäß Clausewitz auch defensiv in offensiv umschlagen kann und Kanonenjagdpanzer, wie sie Unterseher vorgeschlagen hat, eben kaum für offensive Operationen taugen.

Letztlich ist es aber wichtig, Russland in die westliche Sicherheitsarchitektur zu integrieren. M. a. W. trotz dieser m. E. notwendigen Rüstung ist es die politische Aufgabe gerade Deutschlands Russland zu integrieren. Ich bin weder ein Russlandversteher, noch ein Appeasement-Politiker, denn für mich gehören auch MRBM zu einem BW-Inventar, anstatt sich in schwachsinnigen Abwehrsystemdebatten von ballistischen Raketen zu vertiefen.

Es macht keinen Unterschied da sie selben Prinzipen für Angriff und Verteidigung auf operativer Ebene gelten. Eine Armee die im Rahmen des Bewegungskrieges Verteidigung kann, kann auch Angriff - auf taktischer Ebene herrscht Prinzipiell Wirken vor Deckung anyway.

Was man qualitativ braucht ist halt auch immer so ne Frage und kommt erst nach der Frage gegen was?
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#48
Die Aussage der Wirkung vor der Deckung ist ein typischer BW-Allgemeinplatz, der sich so in der modernen Kriegsführung nicht mehr halten lässt. Wobei man hier Deckung weiter gefasst begreifen muss und diese auch die Tarnung beinhalten sollte, da heute Sichtschutz querschnittlich wesentlicher ist als Deckung.

Die folgende Aussage aber interessiert mich sehr:

Zitat:Es macht keinen Unterschied da sie selben Prinzipen für Angriff und Verteidigung auf operativer Ebene gelten.

Könntest du diesen Gedanken bitte noch etwas weiter ausführen?

Meiner Meinung nach kann man eine solche Aussage nicht in dieser Form treffen, sie bedarf eines Kontext mit den Umweltbedingungen, der Verfasstheit der eigenen Truppen und der des Gegners und vieler weiterer Faktoren.

Zitat:Eine Armee die im Rahmen des Bewegungskrieges Verteidigung kann, kann auch Angriff

Mal abgesehen von der Frage was man dann macht, wenn es kein (konventioneller) Bewegungskrieg ist und ein solcher auch nicht möglich wird, stellt sich hier beispielsweise die Frage was exakt du damit meinst? In Bezug auf mechanisierte Einheiten (Panzer / Panzergrenadiere) könnte man unter bestimmten Umständen eine solche Aussage treffen, aber selbst da kann es erhebliche Unterschiede geben.

Nehmen wir mal ein besonders einfaches Beispiel zur Illustration: Eine Armee kann im Rahmen eines Bewegungskrieges die Verteidigung leisten, ihr fehlt aber die für einen Angriff notwendigere aufwendigere Logistik, sie hat also Beschränkungen in der Logistik die ihr zwar noch die Verteidigung ermöglichen, die aber einen Angriff verunmöglichen.

Allgemein ist ein vollständiger und richtiger Angriff aufwendiger, sind die dafür notwendigen Streitkräfte wesentlich aufwendiger, teurer und erzeugen einen wesentlich höheren logistischen Fußabdruck.

Deshalb kann man meiner Meinung nach eine solche Aussage nicht so einfach treffen, weil sie keinen Kontext hat, bzw. nicht ganzheitlich genug ist.
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#49
(27.04.2022, 17:34)Quintus Fabius schrieb: Die Aussage der Wirkung vor der Deckung ist ein typischer BW-Allgemeinplatz, der sich so in der modernen Kriegsführung nicht mehr halten lässt. Wobei man hier Deckung weiter gefasst begreifen muss und diese auch die Tarnung beinhalten sollte, da heute Sichtschutz querschnittlich wesentlicher ist als Deckung.

Gerade im modernen Krieg hat der Spruch eine enorme Bedeutung. Deckung darf nicht zu einer Situation führen in den ich nicht mehr mit meinen eigenen Waffen wirken kann - sei es ein Infanteriezug oder eine Panzerkompanie. Ein schön vorbereitete Position mag meinen Panzer einen besonders hohen Schutz geben, ist jedoch nutzlos wenn die Realität auf dem Schlachtfeld dafür sorgt, dass die Position halt schon wieder überholt ist.

Zitat:Die folgende Aussage aber interessiert mich sehr:


Könntest du diesen Gedanken bitte noch etwas weiter ausführen?

Meiner Meinung nach kann man eine solche Aussage nicht in dieser Form treffen, sie bedarf eines Kontext mit den Umweltbedingungen, der Verfasstheit der eigenen Truppen und der des Gegners und vieler weiterer Faktoren.


Mal abgesehen von der Frage was man dann macht, wenn es kein (konventioneller) Bewegungskrieg ist und ein solcher auch nicht möglich wird, stellt sich hier beispielsweise die Frage was exakt du damit meinst? In Bezug auf mechanisierte Einheiten (Panzer / Panzergrenadiere) könnte man unter bestimmten Umständen eine solche Aussage treffen, aber selbst da kann es erhebliche Unterschiede geben.

Nehmen wir mal ein besonders einfaches Beispiel zur Illustration: Eine Armee kann im Rahmen eines Bewegungskrieges die Verteidigung leisten, ihr fehlt aber die für einen Angriff notwendigere aufwendigere Logistik, sie hat also Beschränkungen in der Logistik die ihr zwar noch die Verteidigung ermöglichen, die aber einen Angriff verunmöglichen.

Allgemein ist ein vollständiger und richtiger Angriff aufwendiger, sind die dafür notwendigen Streitkräfte wesentlich aufwendiger, teurer und erzeugen einen wesentlich höheren logistischen Fußabdruck.

Deshalb kann man meiner Meinung nach eine solche Aussage nicht so einfach treffen, weil sie keinen Kontext hat, bzw. nicht ganzheitlich genug ist.

Die Streitkräfte müssen im Angriff wie auch in der Verteidigung eine Elastizität beherrschen, die Prinzipen der Schlachtfeldaufklärung sind die Gleichen, die Logistik muss sich den dauernd ändernden Frontlinien anpassen können. In der Realität gehen beide Operationsarten Hand in Hand.
Es heißt natürlich nicht, dass die Tiefe des Angriffs (oder auch Verteidigung) beliebig ist, hier existieren entsprechende Grenzen - diese sind aber dann bereits über der operative Ebene anzusiedeln.
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#50
Pmichael:

Zitat:Deckung darf nicht zu einer Situation führen in den ich nicht mehr mit meinen eigenen Waffen wirken kann - sei es ein Infanteriezug oder eine Panzerkompanie. Ein schön vorbereitete Position mag meinen Panzer einen besonders hohen Schutz geben, ist jedoch nutzlos wenn die Realität auf dem Schlachtfeld dafür sorgt, dass die Position halt schon wieder überholt ist.

Das kommt darauf an. Es kann in vielen Situationen sinnvoll sein sich so zu positionieren, dass man selbst nicht auf den Gegner feuern kann - und dieser auch nicht auf einen Feuern kann. Gerade im taktischen Bereich ist dies oft sinnvoll. Die Zielsetzung ist halt dann eine andere, nämlich nicht den Gegner selbst direkt anzugreifen, sondern beispielsweise bestimmte Räume zu sperren und/oder im Feuergefecht einen Vorteil gegenüber dem Gegner zu erlangen, weil dieser dann aus seiner Deckung heraus muss, vorrücken muss und sich damit exponiert, während man selbst dann aus der gesicherten und ruhigen Stellung heraus besser treffen kann da man eine Linie hat auf welche man feuert sobald der Gegner auf dieser erscheint, während dieser umgekehrt nicht weiß wo die eigene Stellung ist.

Ein wesentlicher Vorteil dieser Art des Vorgehens ist es unter anderem, dass man dabei erheblich Munition spart.

Zitat:Die Streitkräfte müssen im Angriff wie auch in der Verteidigung eine Elastizität beherrschen, die Prinzipen der Schlachtfeldaufklärung sind die Gleichen, die Logistik muss sich den dauernd ändernden Frontlinien anpassen können. In der Realität gehen beide Operationsarten Hand in Hand.

Prinzipiell kann ich dir schon zustimmen. Und wie soll man auch eine derart komplexe Angelegenheit in wenigen Sätzen anders oder besser erfassen können, inhärent muss es da zu Vereinfachungen kommen. Ich würde nur den letzten Satz dahingehend ändern, dass in der Theorie beide Operationsarten Hand in Hand gehen. In der praktischen Realität ist das nämlich oft nicht der Fall.

Ein paar einfachste Beispiele: was wenn sich die Frontlinien nicht dauernd ändern? Was wenn die Logistik nicht in der Lage ist sich abrupten anzupassen? Was wenn die Aufklärung nur in der Verteidigung funktioniert, nicht aber im Angriff?

Man könnte deine Aussage meiner Meinung nach daher eher als eine Art Forderung betrachten: Streitkräfte sollten diese und jene Eigenschaften haben etc. Weil sie diese eigentlich haben müssen, um im modernen Krieg bestehen zu können. Nur ist zwischen müssen (Zitat: Die Streitkräfte müssen im Angriff wie auch in der Verteidigung) und der real existierenden Praxis oft ein erstaunlich großer Unterschied. Wenn man diesen nicht in seinen Überlegungen berücksichtig, sondern zu sehr von spezifischen "Ideal"vorstellungen ausgeht, ist das gerade auf der Ebene der Operation höchst problematisch.

Das lässt auch die Friktion als Größe meiner Meinung nach zu sehr außer Acht.
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#51
@Quintus
Zitat:Das ist eines der grundlegendsten Missverständisse des aktuell von rein materialistischem Denken verseuchten Westens TM: Krieg wird eben nicht durch Ressourcen entschieden (wobei Russland im übrigen für seine Art der Kriegsführung genug Ressourcen im eigenen Land hat um diesen Krieg ewig weiter führen zu können), sondern der Einsatz der Ressourcen dient nur dazu auf den Wilen Einfluss zu nehmen.
Das sehe ich anders. Und nein, Kriege werden nicht durch Willen, Heldenmut, Ideologien oder Wir sind Sparta!-Denken entschieden. Das wäre (vielleicht) im idealistischen, ritterlichen Sinne noch irgendwie "schön" - wenn man den Begriff "schön" überhaupt auf Krieg an sich adverbial anwendend nutzen sollte? Aber die (bittere?) Realität ist schlicht eine andere: Kriege werden durch Ressourcen und Produktionskapazitäten entschieden - und bis zu einem gewissen Grad auch durch Technik, wobei diese aber auf die beiden ersteren Punkte zugreift. Etwas anderes zu wollen, ist menschlich absolut verständlich und nachvollziehbar und vielleicht sogar löblich, um dem Krieg seine distanzierende und technokratische Unmenschlichkeit etwas nehmen zu können, aber es ändert leider nichts an dem Umstand, dass eben Kriege durch Stahl, Öl, Geld und Produktionskapazitäten entschieden werden - zumindest in der Gegenwart.

Und Russland hat Ressourcen, das ist ohne Zweifel richtig. Damit werden sie noch viele Panzer und Geschütze und "dumme" bzw. eiserne Bomben und Granaten bauen können. Aber das wird auf Dauer nicht reichen, denn diese Ressourcen - von denen viele übrigens mithilfe westlicher Technik gefördert werden - generieren keinen technischen Fortschritt, da man bislang hier kaum investiert hat, selbst bei halbwegs modernen Panzern fehlen mittlerweile schon Bauteile wie z. B. Mikrochips. Und das wird auch nicht besser werden, wenn sich nun noch der sehr nachteilige Braindrain von vielen jungen Talenten aus dem Land fortsetzen wird. Kurzum: Ja, mit ein wenig Anstrengung wird man den Fuhrpark wieder halbwegs auffüllen können, aber dies wird kein entscheidender Umstand sein, allenfalls wird der Schrottplatz in der Ukraine größer - und wenn man Glück hat, kann man die eigenen Linien damit halten. Mehr aber eben nicht. Eigentlich müsste das jedem in der russischen Führung klar sein, wie sinnlos dieses ganze Unterfangen ist...

Ach so...
Zitat:PS: Wenn Reisner bei 40x40 km von einer enormen Ausdehnung spricht, bitte daran zu denken: er ist Österreicher. :-)
Pogu, ich bin dezidiert entsetzt über deinen despektierlichen Spott. Wink

Schneemann
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#52
(27.05.2022, 12:25)Schneemann schrieb: Das sehe ich anders. Und nein, Kriege werden nicht durch Willen, Heldenmut, Ideologien oder Wir sind Sparta!-Denken entschieden. Das wäre (vielleicht) im idealistischen, ritterlichen Sinne noch irgendwie "schön" - wenn man den Begriff "schön" überhaupt auf Krieg an sich adverbial anwendend nutzen sollte? Aber die (bittere?) Realität ist schlicht eine andere: Kriege werden durch Ressourcen und Produktionskapazitäten entschieden - und bis zu einem gewissen Grad auch durch Technik, wobei diese aber auf die beiden ersteren Punkte zugreift.

Es ist meiner Meinung nach eine Kombination aus Willen, Können (Ausbildung, Logistik etc.), Produktionskapazitäten/Ressourcen/Technik und der Anzahl der verfügbaren Soldaten.

Denn das eine ohne das andere nützt isoliert recht wenig.
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#53
Die Sache mit dem Willen ist ja immer so ne Sache, auf die sich faschistische und totalitäre Systeme berufen. Der Gegner ist immer stark und schwach zur gleichen Zeit. Wie oft wurden die Amerikanern von den Deutschen und Japanern als dekadenter Haufen bezeichnet, die beim ersten Schuss ihren Schwanz einziehen werden?

Putin hat einerseits die unmittelbare Gefahr der NATO und Ukraine immer hervorgehoben andererseits hat man schlicht nicht gerechnet dass sich die Ukrainer ernsthaft wehren noch dass die NATO irgendwas machen würden.
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#54
Schneemann:

Du verkennst meiner Meinung nach die Natur des Krieges und das wesentlichste worum es im Krieg geht. Das führt jetzt hier im Strang leider etwas zu weit weg vom Thema, aber nur ganz kurz:

Jeder Krieg ohne Ausnahme ist allein ein Zweikampf zweier Willen, alles dient daher nur diesem eigentlichen hinter allem anderen stehenden Zweikampf, alles muss daher nur in seiner Funktion bewertet werden, ob und wie es Einfluss auf den Willen des Gegners nimmt.

Distanzierte technokratische Unmenschlichkeit ist nun ebenso nur eine Form mit der Einfluss auf den Willen genommen wird. Gerade deshalb propagiere ich ja seit jeher (ca seit 1997) eine möglichst vollautonome und robotersierte Kriegsführung, weil diese einen stärkeren Einfluss auf den Willen des Gegenüber hat als andere Formen der Kriegsführung.

Selbst wenn eine Seite vollständig durch eine KI geführt würde, und nur noch aus Technik bestünde, so dass jeder menschliche Willen auf dieser Seite nicht mehr existent wäre, selbst dann entscheidet sich der Krieg primär durch die Einflussnahme auf den Willen, in diesem Fall durch den Einfluss welche die rein robotisierte Seite auf die gegenüber stehende nimmt.

Ressourcen, Technik, Produktionskapazitäten usw sind daher nur insofern relevant, als dass Vorteile in diesen Bereichen es erlauben stärker auf den Willen Einfluss zu nehmen. Sie sind daher heute im Krieg von so großer Bedeutung, weil eine weitgehende Überlegenheit in diesem Bereich eine größere Wirkung auf den Willen des Gegners zur Folge hat.

Sie sind also nur ein Mittel zum Zweck.

Ich bestreite also keineswegs, dass sich die größere industrielle Kapazität durchsetzen kann, bzw. die Wahrscheinlichkeit dafür größer ist, aber sie setzt sich deshalb durch, weil ihre Wirkung auf den Willen so viel größer ist. Und umgekehrt kann man durch einen größeren Willen in erheblichem Umfang diese Überlegenheit kompensieren, natürlich gibt es hier Grenzen, da ja die bloße industrielle Kapazität für sich selbst bereits einen Einfluss auf den Willen in einer bestimmten Höhe darstellt.
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#55
(27.05.2022, 17:18)Quintus Fabius schrieb: Ich bestreite also keineswegs, dass sich die größere industrielle Kapazität durchsetzen kann, bzw. die Wahrscheinlichkeit dafür größer ist, aber sie setzt sich deshalb durch, weil ihre Wirkung auf den Willen so viel größer ist. Und umgekehrt kann man durch einen größeren Willen in erheblichem Umfang diese Überlegenheit kompensieren, natürlich gibt es hier Grenzen, da ja die bloße industrielle Kapazität für sich selbst bereits einen Einfluss auf den Willen in einer bestimmten Höhe darstellt.

Also meiner Meinung nach überziehst du die Willens-Sache deutlich, auch noch nach der letzten Einschränkung.

Denn was wäre, würde nun (für ein Gedankenexperiment) ein Land ein Medikament, entwickeln, was den Willen (egal wer und wie groß der Gegner ist) immer auf 100% belässt. Das gesamte Land kämpft von der Heimatfront bis zu den Soldaten stets auf dem, was menschlich möglich ist mit eisernem Willen und maximaler Motivation.

So, dann würde das ja bedeuten, dass mit diesem Medikament ein Land der größe Österreichs zunächst im Alleingang (Atomwaffen lassen wir mal Außen vor) die gesamte NATO besiegen könnte und danach noch mit Russland fertig werden würde. Und wenn danach nur noch ein einziger Soldat übrig bleiben würde, dann kann dieser eine Soldat - sofern er nur genug Willen hat - auch noch China niederzwingen?

Irgendwie nicht ganz realistisch oder?
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#56
Eigentlich ist es ja andersrum. Der Wille dominiert alles andere, nicht weil er Möglichkeiten schafft, die ansonsten nicht zur Verfügung ständen. Der Wille dominiert alles andere, weil er die Richtung bestimmt.

Offensichtlich wird hier Wille mit Bereitschaft verwechselt. Das Aufzwingen des eigenen Willens ist das, was der Linienpilot durch den Flugzeugentführer am deutlichsten erlebt.
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#57
Facilier:

Die Bedeutung des Willens ergibt sich aus der Frage der Kriegsziele. Dein Beispiel geht in keinster Weise auf diese entscheidende Frage ein. Eine Seite will etwas, die andere etwas anderes, daraus ergeben sich die Kriegsziele, deshalb wird überhaupt Krieg geführt und schlußendlich erhält eine Seite ihren Willen oder eben nicht.

Und da es ein solches "Medikament" wie in deinem Gedankenbeispiel angenommen nicht gibt und vor allem nicht geben kann, ist die sich aus deinem Gedankenexperiment ergebende Kausalkette invalide und irrelevant für die Frage der realen Kriegsführung.

Aber nehmen wir es trotzdem einmal an, warum auch nicht. Dann hätte man gegenüber so einem Land nur zwei Möglichkeiten: 1 man erreicht sein Kriegsziel nicht es sei denn 2 das Kriegsziel besteht in der völligen Ausrottung dieses Volkes und der völligen Zerstörung dieses Landes. Es gibt dann nur noch vollständigen Völkermord als einziges erreichbares Kriegsziel.

Und ja, rein theoretisch und fernab jedweder realen Kriegsführung würde dann in deinem Gedankenexperiment das bloße Material jedweden Willen besiegen, immer unter der Voraussetzung, dass das Kriegsziel der reine totale Völkermord ist, aus welchen dahinter stehenden Gründen oder Motiven auch immer. Aber:

In der praktischen Realität, insbesondere in der Kriegsgeschichte ist aber eine solche totale Kriegsführung de facto nie, oder nur in ganz wenigen Ausnahmefällen und temporär begrenzt vorgekommen. Und auch da erwies sie sich als wesentlich schwieriger als in deinem Gedankenexperiment antizipiert, weil die Absolutheit des Willens nicht einmal diese Ausrottung so einfach macht wie du es hier indirekt implizierst. Zum einen weil der postulierte absolute Wille selbst den bloßen Völkermord erheblich erschwert, zum anderen weil der mindere Wille auf Seiten des Überlegenen diesen ebenso erschwert, wenn nicht noch mehr.

Und da kommen wir noch zu einem weiteren Fehler in deinem Gedankenexperiment: wenn du eine Gesellschaft annimmst, die einen absoluten nicht beeinflussbaren Willen hat (aufgrund des Medikamentes), und auf der anderen Seite sei das Material, die Technik, die industrielle Produktionskapazität weit überlegen, dann lässt du hier noch außer Acht, dass die beim Material weit überlegene Seite eben keinen vergleichbaren Willen hat, dass sie also im Willen schwächer ist und du dann genau deshalb dein Kriegsziel nicht erreichst, ja nicht einmal das bloße Kriegsziel der Ausrottung.

Um das weniger abstrahiert zu beschreiben: du willst also Krieg führen mit dem Ziel dieses Volk auszurotten, aber du kannst dies gar nicht, weil deine eigene Bevölkerung und deine Truppen dabei nicht mitspielen und weil auch andere Mächte bei so einem Vorgehen einschreiten würden, und du auch sonst erhebliche Nachteile dadurch erleiden würdest.

Oder noch einfacher und tatsächlich in die Realität überleitend: du willst ein bestimmtes Kriegsziel erreichen, scheiterst aber an der feindlichen Guerilla!

Obwohl du immens materiell überlegen bist, verlierst du den Krieg, weil der Gegner den größeren Willen hat. Weil du deine Kriegsziele nicht erreichst.

Natürlich hätten die USA in Vietnam einfach mit Atomwaffen alle Vietnamesen töten können. Natürlich hätte die NATO einfach alle Afghanen in Afghanistan mit Atomwaffen töten können etc etc, dass kannst du durch die ganze Kriegsgeschichte so durchziehen und als Pseudosieg für jedweden Konflikt postulieren. Aber so gut wie immer ist die bloße Ausrottung des Gegners nicht das Kriegsziel und schließlich verlierst du, wenn du das Kriegsziel nicht erreichst. Und du erreichst es selbst gegen materiell sehr schwache Gegner nicht, ist deren Willen nur hoch genug.

Entsprechend würde eine Guerilla in dem von dir angenommenen Szenario noch wesentlich schwieriger zu bekämpfen sein, und wäre langfristig ein solcher Feind ein erhebliches Problem, völlig ungeachtet ob du ihn aktuell oder noch die nächsten Dekaden klein halten könntest. Er würde dann einfach auf ganz andere Formen der Kriegsführung umsteigen, den Konflikt auf andere Weise führen und wäre sein Wille wie von dir im Gedankenexperiment beschrieben immer weiter so absolut hoch, würde er eben dann auf andere Weise die materiell weit überlegene Macht ausschalten, durch Vermehrung, durch Masseneinwanderung, durch subversive unkonventionelle Kriegsführung, auf welche Weise auch immer.

Da ja in deinem Gedankenexperiment die eine Seite nie in ihrem Willen beeinflusst oder geschwächt werden kann, würde sie also deshalb immer siegen, es sei denn du rottest sie vollständig aus. Ansonsten ist der Sieg dieser Seite im weiteren nur eine Funktion der Zeit. Aktuell scheint sogar ein deutlich geringerer Wille als der von dir beschriebene absolute nicht beeinflussbare Wille locker zu reichen, um sich insgesamt langfristig gesehen gegenüber uns durchsetzen zu können, obwohl wir technologisch wie materiell so derart überlegen sind.

Morgen verschiebe ich diese Beiträge mal in einen entsprechenden Strang, ist ja mehr allgemeine Theorie.
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#58
(27.05.2022, 18:15)Facilier schrieb: Also meiner Meinung nach überziehst du die Willens-Sache deutlich, auch noch nach der letzten Einschränkung.

Denn was wäre, würde nun (für ein Gedankenexperiment) ein Land ein Medikament, entwickeln, was den Willen (egal wer und wie groß der Gegner ist) immer auf 100% belässt. Das gesamte Land kämpft von der Heimatfront bis zu den Soldaten stets auf dem, was menschlich möglich ist mit eisernem Willen und maximaler Motivation.

So, dann würde das ja bedeuten, dass mit diesem Medikament ein Land der größe Österreichs zunächst im Alleingang (Atomwaffen lassen wir mal Außen vor) die gesamte NATO besiegen könnte und danach noch mit Russland fertig werden würde. Und wenn danach nur noch ein einziger Soldat übrig bleiben würde, dann kann dieser eine Soldat - sofern er nur genug Willen hat - auch noch China niederzwingen?

Irgendwie nicht ganz realistisch oder?

Jain, QF schreibt ja, dass der Wille viel wett machen kann.
Sicher, bei der industriellen Entfesslung von Nation A wird die "Willensnation" B irgendwann nicht mehr standhalten können, eben aus logischen Gründen, der Wille von Nation B wird durch "überviel" Feindmaterial von Nation A gebrochen.

Bsp. aus dem 2. WK gibt es zahlreiche.
Was brachte es irgendwelchen harten deutschen Einheiten 10 T-34/Shermans kampfunfähig zu schießen, wenn der 11te durchkommt und am Ende des Gefecht entscheidet.
Da bricht der Wille dann iwo zusammen ... was ja nur menschlich ist, man verzweifelt, es wird aber tapfer weitergekämpft.
Hoffnungslos, weil man weiß, man kann noch den einen oder anderen "mitnehmen" aber am Ende wird das eigene Land definitiv verlieren, man erfüllt halt in eigentlich NICHT verlangbaren Maße Dinge von sich selbst die weit über das "normale" gehen.

Daher sage ich, dass das Gesamtpaket stimmen muss. Gesellschaft, Industrie, militärische Führung, Allgemeinqualität der Soldaten/Ausrüstung, Verbündete (deutsche Schwäche Big Grin) usw.
Bin aufgrund unsere Geschichte dafür, dass der DURCHSCHNITT bei uns allgemein deutlich leistungsfähiger wie der des möglichen Gegners oder auch die Äquivalente der Verbündeten ist.
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#59
(28.05.2022, 12:58)reflecthofgeismar schrieb: Da bricht der Wille dann iwo zusammen

Nun, es liegt aber eben nicht nicht nur am Willen, auch dann nicht, würde er nicht zusammenbrechen. Ein Stadt-Staat wie Monaco kann nicht gegen die Volksrepublik China in einen symetrischen Krieg ziehen, egal wie sein Wille ist.

Ganz einfach, weil die paar Divisionen, die sie auch bei maximaler Kraftanstrengung unter Waffen stellen können, sehr schnell einen Totalverlust erleiden würden. Sie werden von Graneten getroffen und können nicht mehr kämpfen, selbst wenn sie wollten. Das ist simple Physik: Man kann auch mit reiner Willenskraft nicht fliegen, in dem man mit den Armen wackelt Wink

Und weil das so ist, sollte man den Begriff bei aller Relevanz auch nicht überstrapazieren. Er kann einen (wie die Achsenmächte damals ) nämlich zu fatalen millitärischen Fehlurteilen leiten.
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#60
Um das nochmal so kurz und einfach wie möglich zu wiederholen:

1. Es gibt einen solchen Zustand (nicht abänderbarer maximaler Wille) wie im Gedankenexperiment von Facilier angenommen eben nicht und es kann ihn auch gar nicht geben. Damit ist dieses Gedankenexperiment vollkommen irrelevant für die reale Kriegsführung.

2. In besagtem Gedankenexperiment komnen keine Kriegsziele vor.

Allgemein:

Bei vielen scheint mir hier das Denken in Bezug auf den Krieg zu konventionell zu sein. Krieg kann man auf sehr viele verschiedene Weisen führen, auch höchst indirekt und unkonventionell. Wenn ein symetrischer Krieg nicht möglich ist, führt man eben eine andere Art von Krieg, involviert andere in diesen Krieg, kämpft im Rahmen eines Bündnisses, kämpft nur im Cyberraum, setzt biologische Waffen ein welche den Untergang der menschlichen Zivilisation verursachen (womit beispielsweise Monaco die VR China vernichten könnte) usw usw usw

Meiner Meinung nach ist hier in dieser Diskussion vielleicht das Problem, dass man sich Krieg auf eine bestimmte Weise vorstellt. Das man ein bestimmtes Bild davon hat was Krieg ist. Damit muss man brechen und die Sache weitergreifend betrachten.

Spezifischer:

Da KEINE Nation einen absolouten niemals sich änderenden Willen hat, sondern ganz im Gegenteil dieser in Wahrheit bei allen sogar recht schwach ist im Vergleich zu dem was maximal rein theoretisch möglich wäre, und weil das Material Einfluss auf den Willen nimmt, gerade deshalb kann man mit Material den Willen des Gegners brechen und gewinnt damit diesen Zweikampf.

Nehmen wir an, dass Maximum des Willens sei 100. Nation A sei materiell weit überlegen, ihr Wille liege aber nur bei 10, die andere Nation B ist materiell weit unterlegen, ihr Wille liege aber bei extremen 50. Da aber das Material auf diesen Willen einwirkt, ist es der Nation A möglich trotz ihres viel geringeren Willens zu siegen. Möglich heißt aber nicht sicher.

Welche Seite gewinnt hängt natürlich immer von einem ganzen Faktorenbündel ab. Dazu gehören Material, Umstände, Geographie, Wetter usw usw

Eventuell habe ich mich hier nun missverständlich ausgedrück, ich vermute sehr stark, dass wir auch etwas aneinander vorbei schreiben. So wie ich das jetzt von euch lese seht ihr den Willen als einen dieser Faktoren.

Mir ging es bei meiner Aussage aber gar nicht darum. Sondern, dass alle diese Faktoren welche den Sieg bedingen schlußendlich allesamt nur dazu dienen auf den Willen einzuwirken, diesen also zu beeinflussen und dass der Sieg schlußendlich so definiert wird, dass ein Wille sich gegen den anderen durchsetzt. Deshalb schrieb ich von einem Zweikampf des Willens.

Mir geht es also weniger um die Auswirkungen die einer größerer Wille auf der taktischen oder operativen Ebene hat, sondern um die Frage wie man einen Sieg im Krieg überhaupt definiert und warum ein Sieg entsteht. Und alle sonstigen Faktoren, wie beispielsweise die materielle Überlegenheit dienen in Wahrheit nur der Beeinflussung des Willens der anderen Seite.

Auch das Töten, das Zerstören, die wirtschaflichen, finanziellen und sonstigen Verlust dienen immer nur der Beeinflussung des Willens der Gegenseite, bis diese damit einknickt, nachgibt, und damit das Kriegsziel verwirklicht werden kann.

Ich hoffe jetzt ist es etwas verständlicher.
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