Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg
Rob Lee über Erkenntnisse aus dem Ukrainekrieg bezüglich der Frage Kette vs Rad und ein paar Anmerkungen meiner Wenigkeit in Blau dazu:

Was insbesondere für die Bundeswehr und ihre Pläne mittlere Kräfte auf Rad in Osteuropa einzusetzen relevant sein dürfte:

https://nitter.net/RALee85/status/1728104592037278128

Zitat:I think tracked armored vehicles and tanks are still indispensable in a large-scale conventional land war, and any army that relies too heavily on wheeled vehicles assumes serious risks if they find themselves in one.

For 6-8 weeks every fall and spring, the ground conditions are quite poor in Ukraine. It is more difficult to operate heavy wheeled vehicles offroad than vehicles with tracks. Old MT-LBs are still useful as a result.

Gerade im Baltikum, in Weißrussland und in den angrenzenden russischen Gebieten gilt dies teilweise sogar noch mehr als in weiten Teilen der Ukraine. Die Böden dort sind über große Flächen hindurch sehr weich und tragen nicht viel, es gibt viele Sümpfe und sumpfige Böden. Das Problem ist dann, dass schwere Kettenfahrzeuge (Kampfpanzer bisheriger Konzeption) dort ebenfalls Probleme bekommen. Dazu kommt noch die geringe Tragekapazität weiter Teile der Infrastruktur (Brücken etc).

Natürlich ist die Aussage dennoch richtig, da unsere vergleichsweise schweren Radpanzer hier noch sehr viel mehr Probleme haben und genau so nicht mit der Infrastruktur zurecht kommen und noch viel mehr ständig stecken bleiben würden. Die Querfeldeinbeweglichkeit mittlerer Verbände wäre dadurch mit Fahrzeugen wie dem GTK in diesem Kriegsraum signifikant geringer als die schwerer Verbände.

Nun gibt es aber auch noch leichtere Kettenfahrzeuge und diese würden die angedachten mittleren Verbände nochmals sehr viel leichter einfach ausmanövrieren, und nach belieben umgehen können, wobei die Feuerkraft dieser leichteren Kettenfahrzeuge dennoch völlig ausreichend wäre um die GTK aus dem Felde zu schlagen. Und dies selbst frontal. Neuere BMP oder deren angedachte Nachfolger wären (distanzabhängig!) immun gegen die 30mm eines GTK, würden dieser aber umgekehrt frontal zerstörten können.

Entsprechend ist meine Schlussfolgerung, dass man eigentlich zwingend sowohl schwere Kettenfahrzeuge und ergänzend dazu leichtere Kettenfahrzeuge für diesen Kriegsraum benötigt (bei Verwendung von Kettenpanzern bisheriger Konzeption (siehe dazu noch weiter unten), wobei die leichteren Kettenfahrzeuge ebenfalls eine große Feuerkraft brauchen. Die "schweren Panzer" dienen dann dem Durchbruch, dem Kampf um und in Stellungen und dem OHK, die "leichten Panzer" dann dem Bewegungskrieg, der Explorierung des Durchbruches und der Manöverkriegsführung.

Nur so kann eine Operation in die Tiefe dort gewährleistet werden und nur diese könnte russische Verbände dort einkessen, zersprengen und mit geringen eigenen Verlusten aufreiben. Zudem macht so eine Aufteilung mehr Sinn im Kontext unserer Art und Weise der Luftkriegsführung welche entsprechend ergänzend vor allem an die Seite der "leichten Panzer" treten könnte. Verbleibt das Problem der strategischen Mobilität - aber wie schon öfter im Strang über die Mittleren Kräfte erläutert könnte man diese auch recht leicht für leichte Kettenpanzer gewährleisten. Diese wahnwitzige Fixierung auf die Verlegung auf eigenen Rädern ist ein schwerwiegender strategischer Fehler. Und die taktische und operative Mobilität vor Ort wären immens viel wichtiger!


The ground along the front line is littered with metal fragments and detritus. Armored wheeled vehicles often lose one or more wheels at the front even when they aren't struck, and artillery or AP mines are a greater problem for wheels than tracks.

Kann man gar nicht genug betonen! Die Radfahrzeuge haben vor Ort eine geringere taktische Mobilität, weil ihre Querfeldeinbeweglichkeit entgegen aller Behauptungen von Herstellern und Apologeten der Radpanzer immer querschnittlich eine geringere ist, aber darüber hinaus fallen die Räder einfach auch viel öfter durch solche Faktoren aus als dies die Apologeten dieser Fahrzeuge wahrhaben wollen und Ketten fallen querschnittlich weniger aus. Fahrzeuge aber mit zerstörten Rädern liegen fest, was sie sich in keinster Weise leisten können.

Passive armor on tanks is still critical. Ukrainian assaults still often include a pair of tanks in the lead before less protected IFVs/APCs advance. The presence of tanks can be the difference in tactical engagements.

Die psychologische Wirkung von Kampfpanzern gerade eben im Kampf um und in Stellungen ist immens. Dazu aber kommt noch die erhebliche Feuerkraft der BK gerade eben gegen befestigte Stellungen und die immense niederhaltende Wirkung des Feuers einer großkalibrigen BK. Es ist also nicht die schwere Panzerung allein, sondern vor allem auch die BK welche hier wesentlich ist.


There is a selection bias problem when we see strikes on tanks. Tanks often survive Lancet, FPV, and ATGM strikes, but we are more likely to see videos of catastrophic kills posted on social media.

Dazu kommt noch die übliche Survivorship Bias. Man schätzt daher oft falsch ein was tatsächlich hilft bzw. funktioniert, dass ist klar.

Tanks remain very useful in urban combat, both in offense and defense. In order to use them in close confines within RPG range, greater armor is critical.

Das primäre Problem welches ich in diesem Kontext sehe ist die zu schwache Dachpanzerung. Es nützt rein gar nichts wenn ein Kampfpanzer nicht nur frontal, sondern sogar von der Seite und etwaig sogar hinten sehr gut durch passive Panzerung geschützt wird, wenn die Dachpanzerung weiterhin derart schwach ist. Beispielsweise haben Leopard 2 eine verblüffend schwache Dachpanzerung. Entsprechend sind schwere Panzer in Zukunft immens durch Angriffe von oben bedroht, da man alle Waffen immer mehr auf diesen Winkel hin ausrichten wird. Das reicht von Panzerabwehrhandwaffen der nächsten Generation über Drohnen hin zu Mörsergeschossen spezifisch gegen Panzer hin zur Artillerie.

Die Kampfpanzer werden immer mehr und mehr durch Treffer von oben her ausgeschaltet werden. Dagegen kann man sich durch passive Panzerung nicht sinnvoll schützen, zumal das Gewicht westlicher Kampfpanzer in der bisherigen Konzeption des Hauptkampfpanzers ohnehin schon fragwürdig schwer geworden sind. Entsprechend sind C-RAM Fähigkeiten und abstandsaktive Maßnahmen von herausragender Bedeutung, und auch wesentlicher als die Frage der passiven Panzerung vorne.

Meiner Meinung nach ist zudem eine gute Panzerung rundherum wesentlicher als die Frontalpanzerung und muss der "schwere Panzer" weg von der Idee des Duells in Bezug auf den Panzerschutz. Die Duellfähigkeit kann und sollte in Zukunft nicht mehr so stark auf die Verteilung der Panzerung Einfluss nehmen. Beispielsweis halte ich das passive Panzerungskonzept des japanischen Typ 10 daher hier für zukunftsweisend - ebenso sein Gewicht und seine Größe.

Wenn man dies nun weiterführt, könnte man hier leicht zu einem neuen MBT Konzept kommen, mit welchem auch die Trennung von "leichten Panzern" und "schweren Panzern" hinfällig wäre - und man erneut nur eine Art von MBT hätte, welche beide Rollen in einem Fahrzeug vereinigen könnten. Dies ginge aber nur durch völlig neue Konzepte was die Bewaffnung und die ganze Ausrichtung angeht, und eben nicht mit großkalibrigen BK - welche aber wiederum natürlich auch ganz eigene erhebliche Vorteile haben und auch weiter haben werden.


French AMX-10 RC proved to be too lightly armored for use in direct assaults this summer. Mobility is key for survivability, but wheeled vehicles don't provide greater mobility in combat situations.

Primat der taktischen und operativen Mobilität. Nun muss man natürlich betonen, dass der AMX-10 RC ja in keinster Weise für direkte Angriffe konzipiert bzw. geeignet ist. Er ist ein "leichter Panzer" im Sinne meiner Definition und hätte damit natürlich eigentlich eine völlig andere Rolle. Zudem sollte man betonen, dass die Ukrainer in der Defensive extrem zufrieden mit diesem System sind und es als eines der besten ansehen. Der Grund hierfür ist aber beispielsweise unter anderem das geringe Gewicht. Die Fahrzeuge liegen 14,2 Tonnen Gefechtsgewicht!

Wenn nun also Apologeten der Radpanzer immer damit kommen, dass der AMX-10 RC "beweisen würde" dass der GTK Boxer in Osteuropa gerade eben in defensiven Operationen gut wäre, so sollte man an dieser Stelle halt mal den immensen Gewichtsunterschied hervor heben. Der GTK wiegt eben keine 14,2 Tonnen. Und dass ist halt einer der wesentlichsten Aspekte, dass Radpanzer nur bis zu einem gewissen Gewicht vorteilhaft sind, dass sie aber wenn sie schwerer sind als dieses Gewicht rasant schlechter werden was ihre Mobilität angeht, auch wenn das oft bezweifelt wird.


The threat posed by UAVs is serious, but I think we'll see a similar adaptation for future tanks with EW jammers on each vehicle as we saw with MRAPs in Iraq and Afghanistan. Kamikaze drones present a threat to all vehicles, not just tanks, but tank armor is an advantage.

Hier möchte ich in Bezug auf die passive Panzerung widersprechen, da die passive Panzerung oben selbst bei schweren Kampfpanzern erstaunlich schwach ist, weil diese viel zu sehr auf das Duell gegen andere MBT hin hochgezüchtet wurden, der Leopard 2 ist ein perfektes Beispiel dafür und deshalb eben nicht zukunftsweisend.

Aber wie der Autor es auch schreibt, sind Störsender, abstandsaktive Maßnahmen usw. daher von immensr Bedeutung und müssen sowohl von der Verfügbarkeit wie auch vom Preis her deutlich verbessert werden.

Verfügt man aber nun über solche Systeme, sind damit erneut leichtere Panzer mit einem ausgewogeneren und intelligenteren Konzept was die Verteilung der Panzerung angeht konstruierbar, welche sowohl die Aufgaben der schweren wie der leichten Panzer in einem Fahrzeug vereinen und dies bei höherer taktischer und operativer Mobilität.

Beschließend sollte man noch betonen, dass schwere Panzer jedweder Art, natürlich aber auch insbesondere die Kampfpanzer in der Art bisheriger MBT durch ihren logistischen Aufwand und Regieaufwand im allgemeinen auch auf der taktischen und operativen Ebene immens beschränkt werden. Es nützt rein gar nichts, dass ein Kampfpanzer theoretisch so und so viele Kilometer fahren kann, wenn kein Treibstoff nachgeführt werden kann und die entsprechenden Pionier- und Unterstützungseinheiten unzureichend sind.

Entsprechend sind schwere Kampfpanzer allein schon aus diesem Aspekt heraus meiner Meinung nach nicht sinnvoll, weil der Kriegsraum in Osteuropa so groß ist. Auch die russischen und ukrainischen Angriffe scheiterten und scheitern mit solchen Systemen oft aus genau diesem Grund und erzielen deshalb wenig Erfolg, weil ihre tatsächliche effektive Reichweite aus diesem Komplex heraus nicht ansatzsweise so groß ist wie dies meist angenommen wird.

Das fällt auf Truppenübungsplätzen in Deutschland natürlich genau so wenig auf wie bei irgendwelchen vorgezeichneten Planspielen am Rechner. Und im Kalten Krieg war der angedachte Kriegsraum ein viel kleinerer und entsprechend ein Panzer wie der Leopard 2 natürlich folgerichtig. Heute aber führen Drohnen, zielsuchende Munition, bodengestützte Wirkmittel hoher Reichweite usw. zu der Situation, dass "schwere Panzer" ebenfalls konzeptionell fragwürdig werden, weil ihre taktische und operative Mobilität nun indirekt so stark eingeschränkt wird.

Entsprechend ist die zwingende Schlußfolgerung für mich daraus, dass die Zukunft in keinem Fall dem (schweren) Radpanzer, und auch nicht dem schweren MBT bisheriger Konzeption gehört, sondern deutlich leichteren Kettenpanzern. Schlussendlich etwas ähnlich dem was die USA vor Jahren mit dem FCS versucht haben, welches ich schon damals als das richtige Konzept für die Zukunft angesehen habe und dies tue ich auch heute noch.
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RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - von Quintus Fabius - 24.11.2023, 23:14
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