Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg
(23.07.2023, 15:53)Schneemann schrieb: Es kommt natürlich darauf an, welchen Zeitpunkt man als Vergleich heranzieht. Angesichts der Diskussionen in den USA über die (vergleichsweise) niedrige Einsatzbereitschaft mancher Systeme - da ist die Bundeswehr also nicht alleine -, kann man von ausgehen, dass längere und intensive Luftkampagnen im Stile von 1991, 1999 oder 2003 heute nicht mehr ad hoc machbar wären. Ich war schon 2011 irritiert, als es hieß, dass über Libyen die Bomben ausgehen, und war noch irritierter, als man 2017 meldete, dass nur 45% der US-Maschinen über Syrien einsatzbereit seien.
Es besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen dem was in Friedenszeiten als Readiness Rate ausgegeben wird und was im Krieg tatsächlich geflogen werden kann. Die Situation ist gerade auch was die US-Luftwaffe angeht sicherlich stark verbesserungsfähig (die USN steht aktuell diesbezüglich ziemlich gut da), aber auch nicht substantiell schlechter als irgendwann sonst in den letzten 20 Jahren. Zudem ist bei den US-Zahlen zu bedenken, dass hier die Einsatzrotation eine erhebliche Rolle spielt. Verbände in Einsatzgebieten weißen regelmäßig sehr hohe Einsatzbereitschaften zwischen achtzig und hundert Prozent auf, während Einheiten die nach einer Rotation in die Staaten zurückverlegt werden regelmäßig extrem niedrige Klarstände haben. 

Das ist insofern weniger eine systemische Problematik dahingehend, dass man die Kisten nicht einsatzfähig bekommt, hier wird dezidiert nicht viel mehr investiert als nötig. Die spannendere Frage ist dann halt, inwieweit dieser Ansatz Skalierbar ist und die US Luftwaffen auch größere Einsatzkontingente in Übersee kriegsmäßig versorgen können. Im bemühten Irak-Krieg jedenfalls hatte man querschnittlich einen Klarstand von über 80 Prozent.  2018/2019 gab es unter Mattis den Versuch die Einsatzbereitschaft insgesamt deutlich anzuheben, die ausgegebenen 80% wurden zwar verfehlt, im Spitzenwert stand man bei den Kampfflugzeugen aber bei knapp 75%, lediglich die F-22 lag knapp unter 70%. Das ist für Friedensbetrieb schon recht ordentlich. Insgesamt sehe ich da schlicht keine Indikatoren dafür, dass längere Luftkampagnen heutzutage nicht möglich wären. Der Punkt ist eher, dass es selbst verglichen mit 2003 nur noch einen Bruchteil der Flugzeuge für den gleichen aufgabenumfang benötigen würde.
 
Qunintus Fabius schrieb:Das ist schon klar, aber es kommt hier meiner Ansicht nach auf die Simultantiät an. Man muss die besagten anderen Ziele zugleich mit den Schützengräben angehen, wenn man wirklich schnell und effektiv einen Durchbruch erzielen will der dann eine Operation in die Tiefe ermöglicht. Zuerst das eine und danach das andere, ist meiner Meinung nach zu langsam. Die genannten Bereiche müssen zugleich angegangen werden und da habe ich eben Zweifel, ob dafür die Quantität der westlichen Luftwaffen im Verhältnis zu Raum / Zeit und feindlicher Luftraumverteidigung ausreichend ist.
In einem Szenario wie dem jetzt in der Ukraine (das sich so gegen westliche Luftmacht nebenbei gar nicht hätte etablieren können) könnten wir den Gegner notfalls über Monate hinweg extrem abnutzen. Es gibt keine Luftverteidigung die dagegen stand hält und kein mechanisierter Verband kann dagegen gefechtsfähig länger im Feld stehen. Meinetwegen reicht es nicht für eine Offensive nach der ersten Nacht oder auch noch nicht am zweiten Tag, spätestens nach einer Woche würde wir in jeden anvisierten Durchbruchssektor dominieren und den Gegner aus der Luft zerschlagen haben.

Ich sehe da auch keine Problematiken hinsichtlich der Quantität. Bis vor wenigen Jahren hieß Luftkrieg, dass halt eine F-16 zwei bis vier JDAMs anschleppt. Luftkrieg heute heißt, dass eine F-35A bis zu 24 Präzisionsgleitwaffen mit einer Reichweite von über 50nm einsetzen kann. Sprich, dank der endlich erfolgten Einführungen verkleinerter Präzisionsmunition in Form der GBU-39 und GBU-53 in Kombination mit dem BRU-61 Trägersystem hat sich enorm viel getan, die Schlagkraft aller US-Kampfjetplattformen hat sich damit mal eben vervielfacht. Im Maximum könnte damit eine einzelne Staffel F-35A mit 12 Flugzeugen binnen einer Woche bei einem Angriff pro Tag und einer Einsatzbereitschaft von 80% über 1600 Punktziele angreifen. Zwei Staffeln über 30 Tage bei lediglich interner Zuladung über 4600, bei voller Kampfbeladung über 13.000…

Natürlich ist das aus einer Reihe von Gründen unrealistisch, allein schon, weil lediglich gut 50.000 SDBs überhaupt verfügbar sind, aber es zeigt in welche Dimensionen der Krieg aus der Luft mit doch recht bescheidenen Mitteln gepusht werden kann. Da steht dann schon lange kein Artillerierohr mehr irgendwo bevor der erste Nato-Panzer aus irgendeinem Schützengraben gesichtet wird.
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