Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg
#74
Eines der meiner Meinung nach interessantesten Elemente dieses Krieges, welches ich so vorher nicht mehr für möglich gehalten hätte sind die relativ steifen Frontlinien. Es gibt wieder eine ganz klare HKL, ausgebaute Graben- und Stellungssysteme und diese werden nicht durchbrochen sondern frontal abgenutzt.

Das widerspricht allem was ich bisher im Blog als Kriegsbild für zukünftige Kriege so gezeichnet hatte, nämlich dass Großkampfverbände eher wie Inseln in weiten Räumen mit sehr geringer Truppendichte sich relativ frei bewegen solange sie nicht direkt massiv angegriffen werden (direkt oder indirekt).

Stattdessen haben wir 1WK artige Stellungssysteme, welche eigentlich prädestiniert dafür wären mit mechanisierten Einheiten durchbrochen und aufgerollt zu werden, womit sie nach dem Durchbruch auch völlig sinnfrei und wertlos werden.

Dies geschieht anscheinend vor allem deshalb nicht, weil die Artillerie solche Durchbruchsversuche mechanisierter Einheiten weitgehend zusammen schlägt. Die Front entsteht als durch die Wirkung der Artillerie auf die Durchbruchselemente.

Es glingt nun beiden Seiten nicht die feindliche Artillerie ausreichend auszuschalten bzw. für den benötigen Zeitraum während des Durchbruchs niederzuhalten. Weder aus der Luft noch mit eigener Artillerie.

Westliche Streitkräfte bedürfen daher meiner Ansicht nach einer größeren Konterartillerie-Befähigung, und zwar sowohl in der Luft als auch am Boden. Dies bedeutet zwingend mehr Luft-Boden Fähigkeiten bei den Flugzeugen, mehr Munition für solche Einsätze und weiter reichende und präzisere Artillerie, sei es Rohr oder Rakete und entsprechend deutlich mehr Aufklärungsmittel welche man entsprechend in die Tiefe des gegnerischen Raumes hinein einsetzen kann.

Nun hört man allenorten, dass unsere Luftwaffen diese Aufgabe schnell und vollständig lösen würden. Das bezweifle ich aber, trotz der immens viel größeren Möglichkeiten welche gerade die US Luftwaffe hier hat. Um im nächsten (modernen) Krieg möglichst schnell die Entscheidung herbei zu führen (was zwingend notwendig ist), muss man möglichst schnell, also gleich zu Beginn die feindliche Artillerie aus der Distanz angehen, da nur so der Durchbruch entsprechender Großkampfverbände sicher gewährleistet ist.

Nach dem Durchbruch kann dieser dann von schnelleren Einheiten exploriert werden und dann kann man sich die feindliche Artillerie auch so mit Bodentruppen greifen bzw. vor sich her treiben. Für das initiale Moment aber benötigen wir mehr Feuerkraft / Kampfkraft welche zudem schneller und weitreichender bewegbar sein muss und ad hoc auf bestimmte Bereiche konzentrierbar sein muss.

Dies geht am besten aus der Luft UND mit weitreichender Raketenartillerie, wobei die Luftkomponente zugleich auch der Aufklärung dient. Sich hier zu sehr auf die Luft zu spezialisieren ist meiner Meinung nach ungenügend.

Im weiteren sollte man es gar nicht erst dazu kommen lassen, dass der Gegner entlang bestimmter Geländeformen und Städten etc eine Art Front aufgebaut bekommt. Die entsprechenden feindlichen Truppen sollten im Idealfall schon in ihren Bereitstellungsräumen angegriffen und dem folgend nie mehr gänzlich in Ruhe gelassen werden. Aber auch wenn dann eine Front zustande kommt, kann man diese durchbrechen und zerschlagen.

Dazu wäre es aber besser, zwischen dezidierten Durchbruchseinheiten und leichteren beweglicheren Elementen zu unterscheiden, welche dann den Durchbruch explorieren und schon ist man wieder bei dem Konzept des Angriffs in die Tiefe mit schweren- und leichten Panzern. Welches eigentlich genuin russisch ist, auch wenn die RF dies offenkundig vergessen hat. Interessantererweise geht der aktuelle Plan der USA entsprechende überschwere Durchbruchs-Divisionen zu schaffen auch in diese Richtung.

Das leitet dann gleich über zur Frage der Größe der Verbände. Um eine entsprechende Front mit möglichst geringen eigenen Verlusten tatsächlich durchbrechen zu können benötigt man mehr Masse in einem Verband. Während umgekehrt die Einheiten welche den Durchbruch explorieren explizit kleiner und kompakter sein sollten.

Will man beide in einem Verband abbilden, so könnte man an eine Division denken, welche geschlossen den Durchbruch führt, und dem folgend wird dieser dann von Teilen / Untereinheiten der Division exploriert, welche dezidiert dafür vorgesehen und ausgerüstet sind. Spezifisch für die Pläne der Bundeswehr könnte man dafür die hier bereits im Forum vor kurzem auch mal angerissene Struktur einer Eingliederung von leichten und mittleren Brigaden in eine Division mit jeweils mehreren schweren Brigaden dafür andenken.

Die mittleren Kräfte dienen dabei als Plänkler, bereiten damit den Durchbruch der schweren Einheiten vor, und explorieren dann als Streifscharen zusammen mit den leichten Kräften den erzielten Durchbruch. Dazu müssen solche "leichteren" Brigaden aber auch die notwendige organische Durchhaltefähigkeit haben, also unabhängig von ihrer Eingliederung in eine Division als selbstständige Verbände konzipiert und aufgestellt sein.

Dies führt zu der Frage, ob man solche Einheiten überhaupt innerhalb einer Division eingliedern muss, oder ob man sie nicht einfach als Korpstruppe unabhängig von den Divisionen vorhält.

Insgesamt stellt die Existenz von Frontlinien im allerklassischsten Sinne hier vieles in Frage was man bereits für gesichert gehalten hat.
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RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - von Quintus Fabius - 21.06.2022, 11:29
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