Fähigkeiten der französischen Armee 2021
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Eine interessante Art der Aufschlüsselung dieser Thematik. Ein paar Einzelgedanken von mir dazu:

Zitat: Die Luft-Land-Umgebung wird urbanisiert

Dieser Punkt ist ja seit Jahren das ganz große Thema in der Frage wie der Krieg der Zukunft verlaufen wird. Die einen wollen ihre Armeen auf den Kampf in Städten gerade zu spezialisieren, die anderen warnen davor dass ein größerer Krieg in Mega-Städten und urbanen Komplexen so gar nicht führbar ist und/oder auch unnötig wäre um den Sieg zu erringen. Die ganze Diskussion ist meiner Meinung nach immer noch völlig offen, und ich habe noch keine wirklich absolut eindeutigen und nicht wiederlegbaren Fakten gehört die es rechtfertigen würden, im Kampf um Städte die Zukunft zu sehen.

Dann ist darüber hinaus noch zu bedenken, dass der Krieg in Städten ganz verschiedene Formen annehmen kann. Für einen als Guerilla agierenden Feind bietet die Stadt immense Vorteile, ebenso in der Verteidigung, umgekehrt hindert sie den Angriff, ist aber genau genommen mit Wegnahme des Umlandes gegenüber dem Angriff nicht überlebensfähig da die urbanen Massen heute zu zwingend auf diese Peripherie angewiesen sind. In einer ganzheitlichen Betrachtung erscheint mir der Kampf in Städten als etwas, was man allenfalls als Verteidiger mit darauf spezialisierten Kräften in einer Art von Jagdkampf mitten in der urbanen Bevölkerung betreiben kann und betreiben sollte, und ansonsten in jedem Fall vermeiden muss. Rein persönlich ist es meine Ansicht, dass es ein Trugschluss ist, dass die wachsende Urbanisierung weltweit dazu führen muss dass die Armeen sich auf ein urbanes Schlachtfeld hin spezialisieren und ich sehe darin eine gefährliche Überspezialisierung. Zudem gewinnt oft der militärische Vorteile, der nicht dem allgemeinen militärischen Trend folgt sondern diesem entgegen andere Konzepte der Kriegsführung verfolgt. Wenn man sich also ähnlich bis gleich wie die anderen entwickelt, worin soll darin der militärische Vorteil erlangt werden können ?!

Zitat:unabhängig davon, ob sie mit dem Völkerrecht vereinbar sind oder nicht.

Eine der wesentlichsten Erkenntnisse überhaupt und es zeichnet die französische Armee aus, dass sie diesen Gedanken verfolgt. Den eine völkerrechtskonforme Kriegsführung mündet zwingend in einer ritualisierten Kriegsführung und diese wird vom Feind als Schwäche exploriert werden, zumal unsere Feinde in Wahrheit gerade eben dem Völkerrecht wie auch dem Recht im allgemeinen keinerlei Bedeutung beimessen. Die Überbetonung des Rechtes in der Kriegsführung ist eine interessante Fehlentwicklung westlicher Streitkräfte, welche sich aus unseren Gesellschaften und ihren Sozialkulturen speist, die aber der Natur des Krieges selbst entgegen läuft und daher im Krieg zwangsläufig nur von Nachteil sein kann.

Zitat:und die Tiefe des Gefechtsraums sowie die Auswirkungen auf immaterielle Bereiche einbeziehen.

Immaterielle Faktoren sind im modernen Krieg meiner Überzeugung nach in Wahrheit die vorherrschenden und alles entscheidenden Faktoren. Wir scheitern oder siegen genau aufgrund dessen, weil wir immaterielle Bereiche vernachlässigen und uns zu sehr auf Technologie und Materielle Faktoren versteifen. Das zieht sich durch die gesamte militärische Kultur in Europa. Hier eine Gegenbewegung einleiten und etablieren zu wollen erkennt exakt das was notwendig ist.

Zitat:Eine glaubwürdige nukleare Abschreckung begünstigt indirekte gegnerische Strategien, denen die Landstreitkräfte entgegenwirken müssen.

Bei der Bundeswehr ist ja aktuell der gegensätzliche "Trend" feststellbar, dass man zu sehr in Richtung LV/BV in einem völlig veralteten konventionellen Rahmen denkt und die unkonventionelle Kriegsführung heillos vernachlässigt. Es gab schon in den 90er Jahren Studien der Sowjetarmee über die absolute Unbrauchbarkeit konventioneller Streitkräfte in der tradierten Form und dennoch wird diese gerade in der Bundeswehr wieder stark überhöht. Das bedeutet im Umkehrschluss nicht keine Streitkräfte mehr zu haben die für die konventionelle Kriegsführung befähigt sind, sondern dass man diese mit einer Struktur und Ausstattung welche gerade eben auch für die konventionelle Kriegsführung taugt auch für die unkonventionelle Kriegsführung befähigen muss. So weit ich es beurteilen kann könnte man hier in diesem spezifischen Aspekt tatsächlich viel von der französischen Armee lernen.

Zitat:Diese Struktur ermöglicht ein kohärentes Gesamthandeln auf allen Ebenen, indem sie den Willen der übergeordneten Ebene versteht

= Auftragstaktik, der am meisten missbrauchte Begriff. Den eine solche Vorgehensweise tatsächlich anwenden zu können erfordert einiges. Die US Streitkräfte versuchen seit Jahrzehnten ihr Konzept von Mission Command voran zu bringen, ohne praktischen realen Erfolg (mit geringen Erfolgen beim USMC). Und die Bundeswehr predigt zwar die Auftragstaktik als genuin deutsche Erfindung, praktiziert diese aber im realen Einsatz nicht.

Den Willen der übergeordneten Ebene tatsächlich richtig zu verstehen und eigeninitiativ mit vollem Elan wirklich selbst umsetzen zu wollen klingt zwar einfach, aber wie es seit jeher geschrieben steht ist im Krieg das einfache schwierig. Von daher ist das ein sehr ehrgeiziges Ziel, aber eines das unbedingt erreicht werden muss, da im modernen Krieg immer davon ausgegangen werden muss, dass die Vernetzung der Streitkräfte zusammen bricht, man nicht mehr miteinander ausreichend kommunizieren kann und die aktuelle Lenkung der Soldaten durch den taktischen General so nicht mehr möglich sein wird.

Wir brauchen also tatsächlich den strategischen Obergefreiten, anstelle dessen haben wir den taktischen General. Ein Resultat der Technologie. Diesen Rebound-Phänomenen der Technik aktiv entgegen zu steuern ist eine Kunst, welche die Bundeswehr definitiv noch nicht gelernt hat. Ob und in wieweit diese in Frankreich verstanden wird entzieht sich natürlich meiner Kenntnis.

Zitat:Der von SCORPION eingeführte kooperative Kampf wird trotz der logistischen Herausforderungen eine schnellere Entscheidungsfindung und Ausführung (größere Streuung/schnellere Konzentration) ermöglichen.

The Race to the Swift wie es ein Autor mal so schön beschrieben hat. Simultanität zur gezielten Erzeugung von Chaos für den Gegner und der ständige und rasend schnelle Wechsel sind ebenso Bereiche, die eine höhere Befähigung der Soldaten erfordern. Wir benötigen also bessere, befähigtere Krieger, und ich verwende das Nomen hier intentional. Der Soldat in seinem bisherigen Konzept und Selbstverständnis ist im modernen Krieg ein Auslaufmodell.

Zitat:Die Armee muss auf größere Konfrontationen vorbereitet sein. Sie muss daher :

Was im weiteren angeführt wird sind vor allem Aspekte welche unter den Bereich der Widerstandsfähigkeit fallen. Ich will aber noch einen Gedanken anfügen der hier nicht genannt wird:

Die Frage der Personalgewinnung und der Personalentwicklung. Krieg ist schlußendlich eine menschliche Angelegenheit, was im Zeitalter von Cyber, KI und Drohnen nur allzu leicht vergessen wird. Schlußendlich sind auch diese allesamt nur Mittel um damit auf Menschen einzuwirken und dienen der Interaktion zwischen diesen. Daher steht der Mensch im Mittelpunkt des Krieges, sowohl als Ziel des Krieges wie auch als dessen Träger und Ausführender.

Was mir bei der Diskussion in Frankreich aktuell daher fehlt, und was in dieser Bundeswehr und anderen Streitkräften noch viel mehr fehlt ist die Frage, wie man die oben bereits angerissene besonders hohe Qualität der Kämpfer erzeugen und im Weiteren sicher stellen will. Die querschnittliche Qualität der Kämpfer in der Bundeswehr ist beispielsweise ungenügend. Ich maße mir nicht an die der französischen Streitkräfte zu beurteilen, dazu fehlt es mir an ausreichend Einblick, aber auch hier hat man von außen her den Eindruck, dass man eigentlich insgesamt bessere Soldaten benötigen würde, um die oben angeführten Bereiche und Zielsetzungen tatsächlich erreichen zu können.

Den es nützt ja nichts, richtig zu erkennen was notwendig wäre, dieses umsetzen zu wollen und die Mittel dafür bereit zu stellen, wenn der Mensch selbst der im Mittelpunkt steht unzureichend ist. Wie also kann man die Qualität des menschlichen Materials so weit verbessern, dass sie für die genannten Anforderungen ausreichend wird, dass ist meiner Meinung nach die entscheidende Frage der Zukunft und wird den zukünftigen Krieg entscheiden.
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RE: FR: Fähigkeiten der Armee 2021 - von Quintus Fabius - 09.10.2021, 15:37

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