Grundsatzdiskussion zur Ausrichtung von Beschaffungsprogrammen
#33
(08.05.2021, 22:31)Quintus Fabius schrieb: -die Rüstungsindustrie muss ferner von selbst und unabhängig von konkreten Forderungen der Truppe Systeme anbieten. Dies muss in Bezug auf die Entwicklung vom Staat finanziert werden.
Hier sehe ich ein große Gefahr hinsichtlich schädlicher Egoismen. Die Gefahr ist groß, dass so nur Systeme entwickelt werden, die dem Hersteller den größten Profit einbringen, unabhängig vom Wert für den Nutzer. Und da die Entwicklung ja eh finanziert wird, kann es den Firmen egal sein, ob sie das Produkt hinterher auch verkauft bekommen oder nicht. Das funktioniert nur in einem isolationistischem System, in dem nur nationale Abnehmer und nationale Anbieter bestehen. (Ich weiß, das wäre dir auch am liebsten so.)

(08.05.2021, 22:31)Quintus Fabius schrieb: -Man müsste es einfach nur tun.
Zumindest der maximal pragmatische Ansatz.

(08.05.2021, 22:31)Quintus Fabius schrieb: -Und gerade deswegen müssten Rüstungsindustrie und Militär so weit wie möglich entkoppelt werden und darf dass Militär in Bezug auf die Entwicklung von Waffensystemen nicht mehr so viel Einfluss haben. Das klingt auf den ersten Blick immer sehr kontraintuitiv, ist aber einer der wichtigsten Schritte.
Das klingt schon erstmal logisch, wenn man sich anschaut, wie gut zuletzt gelenkte (z.B. PUMA) und freie (z.B. LYNX) Entwicklung im direkten Vergleich so funktioniert haben.
Allerdings sehe ich hier wieder das Problem des Egoismus: z.B. werden Hersteller immer ein Interesse haben, möglichst viele Spezial-System anbieten zu können, weil so die meiste hochbezahlte Entwicklungsarbeit anfällt. Im Militär gibt es zwar den gleichen Standpunkt (Goldrand), aber woher soll so der Vernunft-Impuls kommen, der zu modularen Lösungen und multifunktionalen Generalisten führt?

(08.05.2021, 22:31)Quintus Fabius schrieb: -Im weiteren muss man eine Menge Geld für Entwicklung investieren. Die Unternehmen (auch andere EU Unternehmen) müssten dieses Geld aus einem entsprechenden Topf abgreifen können. Wenn wir dann ihr Waffensystem auswählen, müssen sie diese Entwicklungskosten nicht zurück zahlen und profitieren doppelt. Verlieren sie so müssen sie Kosten erstatten.
Versteh' ich das richtig, dass du hier eine Art Auftragslotterie vorschlägst? Firmen bekommen vorab Gelder für militärische Entwicklungen, die sie frei jeglicher Vorgaben nach eigenem Ermessen durchführen. Und nach Abschluss der Entwicklung stellen sie ihr Produkt vor. Erhalten Sie dann einen Auftrag, ist alles okay, wenn nicht, müssen sie alles zurückzahlen. Und das gilt EU-weit.
Ich kann mir das nicht vorstellen. Da wird es doch viel zu viel Missbrauchsmöglichkeiten geben. Sei es z.B. durch durch Firmengründungen, Umfirmierungen und gelenkte Pleiten, um Rückzahlungen zu umgehen oder durch absichtliche Verteuerung von Entwicklungen, deren Beschaffung bekanntermaßen alternativlos sein wird. Wie würde man verhindern, dass eine stillschweigende Übereinkunft der Rüstungsriesen hier die möglichen Entwicklungsprogramme so unter sich aufteilt, dass der Bundeswehr am Ende nur die Wahl bleibt, das eine angebotene, völlig überteuerte System zu bezahlen oder beim Ami zu kaufen und die heimische Rüstungsindustrie komplett zu beerdigen, weil diese die Entwicklungskosten nicht zurück zahlen kann, die dann so oder so weg wären?

(08.05.2021, 22:31)Quintus Fabius schrieb: ... innerhalb der NATO muss grundsätzlich die ebenso unsinnige wie lächerliche 2% BIP Regel weg. Stattdessen sollte genau festgelegt werden, was für Streitkräfte in welchem Umfang mindestens zur Verfügung gestellt werden müssen. Wenn man diese für weniger als 2% des BIP realisieren kann, dann gibt man weniger dafür aus. Es muss also genau definierte militärische Mindestfähigkeiten geben und diese müssen völlig unabhängig von der Frage der Finanzmittel definiert werden.
Ja, das symbolische 2%-Ziel ist Blödsinn. (Bei der Rüstung, wie auch beim Klima.) Ich kann mir nur auch die Alternative nicht so recht vorstellen. Wie soll man das denn vernünftig festlegen?. Und was soll das auch bringen?
Es gibt schon das Prozedere, dass die Mitgliedsstaaten ihre Fähigkeiten in Form von zugesagten Beiträgen an die NATO melden und sich so selbst verpflichten. Das ist deutlich näher an sinnvoll als eine 2%-Ausgaben-Selbstverpflichtung, die eh keiner einhält. Aber eine Verpflichtung der Mitglieder durch das Kollektiv, einen bestimmten Mindeststandart zu liefern, wird auch nicht funktionieren. Wie detailliert soll man denn diese Vorgaben machen? Fordert die NATO eine Brigade, heißt das in jedem Land etwas anderes. Auch ist ja die Vergleichbarkeit gar nicht gegeben. Wie will man denn eine voll ausgestattete Division auf dem Balkan mit BMP-1, T-72 und BTR-60 vergleichen mit der 1.Panzerdivision unter Materialmangel? Ich sehe da kein praktikables System, das nicht genau so von den Mitgliedsstaaten unterwandert werden kann wie jetzt auch schon. Dann doch besser komplett freiwillige Selbstverpflichtung und jeder kann sich dann stolz damit brüsten, wenn er mehr als im Vorjahr angeboten hat.
Und es reicht ja noch nicht, die Beiträge miteinander zu vergleichen und zu bewerten. Hinzu kommt ja noch die Frage, auf welcher Grundlage man denn überhaupt die Mindestanforderung der Allianz im Ganzen festlegt, und nach welchen Kriterien diese dann auf die Mitglieder verteilt wird: Pro Kopf? oder dann doch wieder nach BIP? Da wird man nie ein System finden, das für alle akzeptabel ist.

Die Lösung für dieses Problem liegt für mich viel mehr im Wesen der NATO an sich. Diese ist inzwischen viel zu divers aufgestellt, um noch eine derartige Gleichbehandlung ihrer Mitglieder beizubehalten. Aber das hat nicht mehr direkt mit der Beschaffung zu tun.

(08.05.2021, 22:31)Quintus Fabius schrieb: -Im Weiteren muss ein klarer Zeitrahmen gesetzt werden, bis zu dem das zu beschaffende System fertig ist. Eine bestimmte Fähgikeit muss also in einer bestimmten Zeit unter allen Umständen zur Verfügung stehen.
Und wie soll das mit dem Prinzip zusammengehen, dass keine Entwicklungsaufträge vergeben werden? Ohne einen solchen Auftrag kann doch auch kein Zeitziel gesetzt werden. Oder habe ich das komplett falsch verstanden, dass das Militär keinen Einfluss auf die Entwicklung nehmen soll? Gibt es hier doch zumindest Beschaffungsprojekte, in denen Ziele definiert werden?

(08.05.2021, 22:31)Quintus Fabius schrieb: Dies geht nur, wenn man die Frage angeht was geschieht wenn dies nicht gelingt und dies geht nur über persönliche Verantwortung:

-Viele Projekte müssen durch eine einzelne dafür Verantwortliche Person durchgeführt werden. Man bestimmt also einen dafür höchstwahrscheinlich geeigneten Verantwortlichen und gibt diesem dann auch die notwendigen realen Machtmittel um seine Aufgabe wahrnehmen zu können. Die Entscheidung erfolgt dann von dieser verantwortlichen Einzelperson aus, und dieser haftet uneingeschränkt und vollständig, mit all seinem Hab und Gut und auch schlußendlich seiner Freiheit sollte es drastisch scheitern.
Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich dafür dann Leute finden würden. Wer soll denn freiwillig so einen Schleudersitz-Posten übernehmen? Jemand, der es geschafft hat, sich ausreichend Expertise anzueignen, ein so großes Projekt wie eine Rüstungsbeschaffung zu leiten, der hat sich schon mindestens ein bisschen was aufgebaut im Leben und wird nicht alles riskieren für einen Prozess, der mit soviel Unwegsamkeiten verbunden ist. So gut kann dein System gar nicht aufgebaut sein. Es wäre zwar wünschenswert, dass Firmen und auch öffentliche Strukturen wieder so funktionieren würden, aber das wird sicher nicht kommen.
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