Krieg im 21. Jahrhundert
Um die wesentlichen Punkte aus dem von mir zu spät nächtens verfassten Sermon vielleicht noch etwas klarer und kürzer zusammen zu fassen:

Zusammenfassung:

1. Es gibt zwar je nach den Umständen ein Primat der Defensive oder der Offensive, aber dieses ist kein so wesentlicher Faktor im Vergleich mit anderen Umständen. Auch in scheinbar extremen Fällen wie dem 1WK nicht.

2. Eine strategische Linie ist eigentlich ein Gebirgszug, ein großer Fluss mit angrenzendem von ihm beeinflussten Gelände, ein umfangreiches Waldgelände. Man könnte daher ein ausgedehntes Befestigungssystem durchaus auch eine strategische Linie nennen (und damit analog zu den genannten Geländehindernissen benennen, welche Patton ja auch explizit nennt); rein persönlich bevorzuge ich für das was du unter einer solchen Linie definiert hast jedoch den Begriff einer strategischen Befestigung.

3. Eine „strategische Linie“ ist daher auch immer ein Raum. Sie hat immer eine Tiefe und muss auch eine solche haben. Allein schon daraus handelt es sich bei der aktuellen russischen „Befestigungs“-Linie eben nicht um eine wirkliche „strategische Linie“. Dafür fehlt dieser Karikatur einer Befestigung jedwede Tiefe.

4. Wenn man nun einen Raum verteidigt, so gibt es dafür unterschiedliche Konzepte, und nicht alle entsprechen der Verzögerung. Ich weiß schon, dass gerade bei der Bundeswehr sehr viel unter Verzögerung subsumiert wird, aber auch wenn jede Verzögerung eine Art der Raumverteidigung ist, so ist nicht jede Raumverteidigung eine Verzögerung.

5. Den primären Unterschied sehe ich darin, dass eine strategische Befestigung das Ziel hat eine strategische Entscheidung herbei zu führen, während eine Verzögerung eben keine Entscheidung herbei führen soll.

6. Nur weil jede strategische Befestigung theoretisch durchbrochen werden kann, bedeutet dass nicht, dass sie damit wertlos ist, oder sinnlos ist, oder ein Monument menschlicher Dummheit etc. Die Frage ob eine „strategische Linie“ Sinn macht oder nicht hängt davon ab, ob sie ihren Zweck erfüllte, nämlich eine strategische Entscheidung herbei zu führen. Dafür ist es unerheblich ob sie langfristig gesehen gehalten werden kann oder nicht.

7. Nicht jede strategische Befestigung kann real praktisch durchbrochen werden, nur weil man es theoretisch könnte.

Fallbeispiel Baltikum:

Und beschließend noch zu einer praktischen Überlegung diesbezüglich: meiner Überzeugung nach wäre es sinnvoll das Baltikum mit einer solchen strategischen Befestigung zu schützen. Dies würde sowohl einen überraschenden russischen Zugriff verhindern, als auch analog zu einer Verzögerung Zeit gewinnen, als auch es verhindern, dass zu große Anteile der baltischen Zivilbevölkerung den Russen de facto als Geißeln in die Hände fallen.

Rein persönlich glaube ich an die Machbarkeit einer strategischen Befestigung des Baltikums, welche es ermöglichen würde die Russen so weit zu verlangsamen und „draußen zu halten“, bis Verstärkungen und weitere Truppen und Luftwaffeneinheiten vor Ort zur Wirkung kommen. Für eine bloße Verzögerung ist der Raum dort meiner Meinung nach ungeeignet und sind die Wehrstrukturen vor Ort anfangs ungenügend und das bewusste Räumen unter Abnutzung des Gegners führt eben dazu, dass die Russen baltische Zivilbevölkerung in ihre Hände kriegen würden und sich auf baltischem Gebiet dann eingraben könnten.

Eine solche auf eine extreme Defensive ausgerichtete Vorwärtsverteidigung wäre zudem keine offensive Bedrohung für die russische Föderation und würde daher weniger Spannungen nach sich ziehen als ein fortwährend im Baltikum stehendes Offensivpotential (was sowohl für eine zunächst erfolgende Verzögerung, als auch für die dann notwendigen Gegenangriffe in jedem Fall vorgehalten werden müsste).

Noch darüber hinaus wäre eine solche strategische Befestigung weniger anfällig für einen überraschenden Erstschlag. Und sie könnte sogar kostengünstiger sein als äquivalent wirkende mechanisierte Großkampfverbände welche hier zunächst Verzögern sollen. Das würde aber natürlich im Baltikum ganz andere Wehrstrukturen, eine vollständig andere Ausrichtung und eine andere Doktrin erfordern. Davon sind wir weit weg. Aus diesen Gründen kritisiere ich ja auch seit Jahren was da im Baltikum getan wird, beispielsweise den Kauf von GTK Boxer durch baltische Streitkräfte.
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