Krieg im 21. Jahrhundert
#69
Helios:

Zitat:Es geht mir nicht um die Leistungssteigerung oder die Absolutleistung, es geht mir um das Leistungsgewicht und wiederum dessen Einfluss auf den Fahrzeugbau, also um genau das angesprochene Problem. Das Ziel ist es doch, eine bestimmte Last in einem bestimmten Gelände mit einer entsprechenden Robustheit möglichst effizient sowohl hinsichtlich Anschaffung wie auch Unterhalt zu bewegen. Wenn du dir dir durch einen möglichst einfachen Motor reduzierte Kosten bei höherer Robustheit erhoffst, darfst du dessen Nachteile hinsichtlich Größe und Gewicht nicht aus den Augen verlieren.

Wir haben da gar keinen Dissens. Deshalb ja meine ausdrückliche Forderung nach sehr leichten Waffensystemen, nach möglichst einfachen Waffensystemen, nach einer Gewichtssenkung beim und im Fahrzeug in jedem sonstigen möglichen Bereich. Das reicht also auch auf die transportiere Ladung hinaus: Nehmen wir mal beispielsweise Schutzwesten VPAM9. Diese wiegen ca 12 kg je Soldat. Verzichtet man auf diese und transportiert man 10 Soldaten, ergibt dies bereits 120 kg. Ein kompletter 98mm Mörser ist bereits leichter.

Ich nannte auch konkrete Zahlen für spezifische Waffen. Und deshalb weiß ich auch, dass die geringere Leistung ausreichend wäre, weil Fahrzeuge wie Waffen so leicht wären, dass der Transport dieser Systeme eben kein Problem darstellt. Und beschließend ist es vor allem ein Argument gewesen um - um das ganze grundsätzliche Konzept damit zu umreißen. Es ist also eine Illustration der allgemeinen dahinter stehenden Intention. In keinster Weise habe ich etwas gegen einen gewissen funktionalen Anteil von gehärteter Elektronik. Auch nicht in Motoren. Es geht mehr um das Gesamtprinzip, vor allem darum in welche Richtung man sich insgesamt entwickelt und du hast es von den Worten her deutlich besser als meine Wenigkeit umschrieben:

Zitat:Was du als Überelektrifizierung beschreibst sollte besser Überfunktionalisierung heißen, denn auch wenn es da häufig um Elektronik geht, ist das eigentliche Problem ein Übermaß an unnötigen Funktionen.

Exakt das meinte ich vor allem. Daraus folgt eine zu große Komplexität, damit einhergehend viel mehr Friktionen und Rebound-Phänomene und schlußendlich eine Leistungsminderung, wo die Leistung doch eigentlich durch das mehr an Funktionen erhöht werden sollte. Einfachheit, Minimalismus, handwerkliches Können (ich verwende durchaus bewusst immer intentional den Begriff Handwerk), schlichte Eleganz in der Kriegsführung sind das Fundament auf denen die Kriegsfähigkeit beruht.

Zitat:Die funktioniert halt nur, wenn der Gegner auch Panzer zum jagen hat.

Im Prinzip gibt es hier zwei grundsätzlich gegenüber stehende Pole: zum einen teure Systeme welche vergleichsweise günstige Munition verschießen, zum anderen günstige Systeme welche vergleichsweise teure Munition verschießen. Natürlich nehmen die meisten Systeme nicht absolut die eine oder die andere Form an, aber sie lassen sich doch recht weitgehend in diese beiden Schubladen kategorisieren.

Nun lassen sich die günstigen Plattformen aufgrund ihrer grundsätzlichen Konzeption eher an neue Herausforderungen anpassen, indem man die Munition wechselt. Panzerjäger könnten daher auch genau so gut Raketen mit Streumunition, mit Streuminen oder Thermobarischen Sprengköpfen von erheblicher Flächenwirkung verschießen. Auch die Kampfwertsteigerung ist deutlich einfacher und das gleiche Wirkmittel kann auch von anderen Plattformen aus verwendet werden, von Hubschraubern über feste Installationen welche man im Boden verbirgt bis hin zu Schiffen und Drohnen. Während es sehr schwer ist die gleiche Munition der teuren Plattform zugleich für mehrere andere Systeme zu verwenden (man nehme beispielsweise eine 155mm Haubitze, auf einem Schiff eventuell noch denkbar (ga ja entsprechende Experiemte), aber das war es dann auch schon).

Du selbst hast ja dankenswerterweise früh in dieser Diskussion darauf hingewiesen, dass wir zu viel über Plattformen, und zu wenig über Wirkmittel diskutieren. Und dass die Frage der Wirkmittel in Wahrheit in vielen Aspekten die entscheidendere ist. Das von mir hier propagierte Konzept geht nun in genau diese Richtung: es stellt das Wirkmittel selbst in den Vordergrund. Damit gelingt auch die Kampfwertsteigerung leichter, muss für diese doch sehr viel weniger oder sogar nichts an der eigentlichen Plattform geändert werden.

Ich schrieb ja schon, dass die Innovationszyklen immer kürzer werden, entsprechend wird sich nicht nur der Feind plötzlich auf uns einstellen und dann läuft uns schon wieder die Zeit davon, sondern auch das was man hat wird immer schneller veralten und irrelevant werden. Man benötigt also eine Struktur und Ausrüstung welche den schnelleren und kürzeren Innovationszyklen eher entspricht. Verändert dann der Gegner wiederum ebenfalls alles (in Reaktion), kann man selber ebenso wieder schneller als im anderen Fall umstellen und somit den Gegner fortwährend zum Reagierenden machen und dadurch verdammen. Es ist auch die Frage ob jeder Feind überhaupt dazu in der Lage sein wird, gerade weil Militärs stärker als andere Gruppen strukturkonservativ sind.

Zitat:Vielleicht sollte man das aus der anderen Perspektive betrachten, gehen wir mal davon aus, wir hätten nun eine solche Armee. Wie müssten die idealen Streitkräfte deiner Meinung nach aussehen, um eine solche Bundeswehr offensiv zu bekämpfen, völlig egal ob mit aktuell verfügbaren oder nur denkbaren Mitteln?

Das ist eine interessante Fragestellung und es gibt da schlicht immens viele Möglichkeiten. Ich selbst hatte hier ja schon ein paar wenige angerissen, beispielsweise dass man Nuklearwaffen über dem eigenen Territorium als Luftexplosion zündet (als niedrigere Eskalationsstufe eines sich abzeichnenden Atomkrieges) um damit die vordringenden feindlichen Verbände durch die entstehende EMP ihrer Vernetzung und vieler ihrer Systeme und Grundlagen zu berauben. Statt aber nun solche anekdotischen Einzelfälle abzuklappern will ich es mal grundsätzlich und allgemeiner versuchen:

In der Verteidigung gegen eine solche Armee wäre beispielsweise sowohl ein (etwas modifiziertes) Konzept der Raumverteidigung wie es beispielsweise Spannocchi für Österreich entwickelt hat sehr brauchbar, wie auch die ähnlichen Vorschläge von Brossollet (Essai sur la non-bataille) und Boserup oder in Deutschland von Eckart Afheldt und Uhle-Wettler. Du hast grundsätzliche Gedanken in diese Richtung ja auch schon angerissen, als du beispielsweise von der massenweisen Verteilung einfacher kostengünstiger Abwehr-Mittel geschrieben hast.

Man lässt den Gegner also durchaus passieren, während die eigenen Verbände in dem Raum bleiben in dem sie jeweilig sind. Man kontert also eine solche Massenarmee entsprechend durch Masse. Angesichts der heutigen Technologien und ihrer Möglichkeiten werden hier Feuer und Truppen in vielen Fällen austauschbar sein. Das spricht dafür eine möglichst leistungsstarke, quantitativ möglichst große Artillerie zu haben. Aus den bereits oben ausgeführten Gründen macht hier Raketenartillerie mehr Sinn. Aufgrund der Kostenfrage (Raketenartillerie sehr hoher Reichweite ist sehr teuer und aufwendig) macht sozusagen lokale Raketenartillerie beschränkter Reichweite hier mehr Sinn und ersetzt entsprechend in vielen Situationen dann Truppen. Der Gegner verfängt sich dann beim weiteren Vordringen regelrecht in einem Netz unserer Streikräfte, bis er darin so verfangen ist, dass dadurch derartige Nachteile für ihn entstehen, dass er relativ leicht geworfen werden kann. Eine solche Struktur wäre aktuell auch sehr gut geeignet um konventionelle schwere mechanisierte Verbände zu schlagen (das war ja mal der Grundgedanke der Raumverteidigung in Österreich). Solche konventionellen Offensivkräfte wären sogar noch deutlich schlechter dran im Vergleich zu der hier skizzierten Armee. Zugleich würde eine solche Verteidigung genau wie hier skizzierte Struktur erhebliche Mittel frei machen welche man dann an anderer Stelle zur Bildung eines Schwerpunktes einsetzen kann.

In der Offensive gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten: die einge wäre die für die Defensive eingesetzten leichten Verbände welche im Jagdkampf besonders geschult sind offensiv einzusetzen, also den eigenen Truppen sehr viele Antijagdkampfverbände voraus zu schicken. Diese treiben dann sozusagen die Einheiten der beschriebenen Struktur auf, woraufhin schnelle operativ hochbewegliche Einheiten welche diesen Verbänden zunächst folgen, sich aber dann primär über diesen aufhalten diese zerschlagen können. Aufgrund der Größe des Kampfraumes gerade in Osteuropa ist es meiner Meinung nach unwahrscheinlich, dass diese Jäger-Funktion welche da an die Seite der "Treiber" tritt von mechanisierten Großkampfverbänden geleistet werden kann. Hier muss erhebliche Feuerkraft sehr schnell sehr weiträumig (hinter oder über den eigenen Truppen verlegt werden). Das spricht meiner Meinung nach für eine Luftmechanisierung (im allerweitesten Sinn), wobei diese keineswegs nur in der Form heutiger Kampfhubschrauber gedacht werden sollte. Das könnten auch ganz andere Systeme sein, von Drohnen bis hin zu spezifischen Erdkampfflugzeugen.

Die andere Möglichkeit wäre ein erheblicher Schwerpunkt am Boden in Form von mechanisierten Großkampfverbänden von erheblicher Quantität, da sich diese im Kampf gegen die beschriebene Struktur schon durchsetzen würden, wären sie nur zahlreich genug. Dazu bedürfte es meiner Meinung nach zum einen einer Art Einheits-Panzer, welcher prinzipiell eine Art leichter Kampfpanzer mit einer gewissen geringen Transportkapazität sein müsste, diese "leichten Panzer" führen dann primär den Kampf am Boden als Bewegungskrieg. Und man benötigt eine gewisse geringe Zahl schwerer Verbände für das Zerschlagen von feindlichen Stellungssystemen wo diese gesichert an einem Fleck verbleiben (müssen) und deren Zerschlagung notwendig ist. Wobei diese "schweren Panzer" zugleich dazu dienen können "Korridore" in die feindlichen Streitkräfte zu schlagen welche dann die leichten Panzer für die Operation in die Tiefe nutzen können.

Auch wenn Konzepte wie die Raumverteidigung explizit vorsehen dass dies genau so geschieht, ist heute die Frage, ab welchem Punkt der Verlust von Territorium für uns politisch inakzeptabel wird und welche Flächen wir also überhaupt aufgeben könnten. Umgekehrt kann gerade Russland viel eher in einem defensiven Konzept immense Flächen an Raum für vordringende Truppen öffnen. Entsprechend wäre das beschriebene Konzept für die Russen sogar besser geeignet als das was sie jetzt verfolgen. Den sobald die NATO sich in der Luft durchgesetzt hat, spielt es keine Rolle mehr, ob die verbliebenen russischen Einheiten schwere Kampfpanzer sind oder leichte ungepanzerte Fahrzeuge, sie würden allesamt bei weiterem Vordringen ganz genau gleich der Luftwaffe zum Opfer fallen.

Beschließend sollte man vielleicht noch anmerken, dass jede denkbare Variante immer die Grundfrage aufwirft: habe ich die Lufthoheit oder nicht und/oder ist der Luftraum umkämpft. Es ist völlig müssig darüber nachzudenken offensiv irgendwo vorzustoßen solange man die Lufthoheit nicht hat. Und umgekehrt ist eine solche sehr leichte Armee viel eher in der Lage in der Defensive bei feindlicher Lufthoheit zu überdauern bis diese zurück gewonnen werden kann. Schwere mechanisierte Verbände hingegen fallen sowohl bei der Defensive wie bei der Offensive der Luftwaffe zum Opfer, und kommen erst dann zur Wirkung wenn man die Lufthoheit hat - haben aber heute eben nicht mehr die ausreichende Quantität und fallen daher dem Äquivalent moderner berittener Bogenschützen zum Opfer (Deshalb ja als Option 2 bei der Offensive die Widerherstellung der Quantität in diesem Bereich als Antwort auf eine solche leichte Armee).

Zitat:Falls du da Literaturempfehlungen für mich hast, gerne her damit!

Ich bin sehr stark von den Schriften von Richard E. Simpkin beeinflusst (Antitank war das erste Buch zu Militärischen Fragen überhaupt dass ich gelesen habe), insbesondere aber von seinem Buch Race to the Swift. Das kombiniert mit den Schlußfolgerungen des Buches Military Power von Stephen Biddle ist immer noch ziemlich oft die Grundlage von Ausführungen und Überlegungen meinerseits. Race to the Swift habe ich x-mal gelesen, von daher wäre das meine zuvorderste Empfehlung. Wahrscheinlich aber kennst du es schon ?!

Zitat:Weil du explizit die "Gesellschaft" nennst, gerade aufgrund dieser wäre sowas meines Erachtens tatsächlich nicht durchführbar, weil die reinen Verluste an Menschenleben bei einem tatsächlichen Einsatz höher wären und die Gesellschaft diese nicht akzeptieren würde.

Unsere aktuelle Gesellschaft würde aktuell überhaupt gar keinen echten Krieg aushalten, gleich welcher Form, ungeachtet der Frage mit was für Armeen er geführt wird - wir könnten die Bundeswehr daher genau genommen auch auflösen.

Zitat:Und tatsächlicher Einsatz meint dann wirklich schon niederschwelligstes IKM, dass wiederum gesellschaftlich gefordert wird. Oder habe ich da komplett falsch verstanden?

Was meinst du konkret mit dieser Frage? Ich befürchte dass ich sie falsch verstehe. Prinzipiell wäre eine Armee wie die von ObiBiber skizzierte für Einsätze wie in Mali deutlich besser geeignet als die jetzige Bundeswehr. Die basiert ja primär auf leichten MRAP und hätte viel mehr davon, mit einer Bewaffnung welche gerade zu ideal für diese Art von Einsätzen ist.
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