Krieg im 21. Jahrhundert
#66
Helios:

Meiner Meinung nach versteifst du dich zu sehr auf die Frage der Leistungssteigerung, weil Leistung ja kein Wert für sich ist, sondern im Verhältnis zu den Anforderungen betrachtet werden muss und das war doch eigentlich der Anfang unserer Diskussion: als du erklärt hast, dass die Leistung der von mir propagierten Fahrzeuge unzureichend sei, im Verhältnis zu dem Mehrgewicht welches die Bewaffnung darstellen würde.

Natürlich kann durch die elektrische Motorsteuerung eine höhere Leistung erzielt werden, aber das viel relevantere Verhältnis von Leistung zu Gewicht kann auch auf andere Weise verbessert werden, beispielsweise indem man das Gewicht senkt. Man kommt dann auf das gleiche Leistungs / Gewichts Verhältnis.

Was man in Bezug auf die deutlich leistungsstärkeren Motoren heute stattdessen beobachtet ist genau dass, was mit Jarvins Paradox (ironischerweise bezog sich dieses ja explizit auf die Weiterentwicklung von Motoren) beobachtet werden kann, die Leistung wird mit Rebound-Phänomenen verschwendet.

Ich nannte ja schon den neuen französischen 4x4 der auf dem Ford Everest basiert. Nur dass dieser ca 1,8 Tonnen wiegt und das neue Armeefahrzeug stattdessen ca 3,5 Tonnen mindestens. Man baut also leistungstärkere Motoren die weniger Benzin verbrauchen und der Benzinverbrauch steigt und das Verhältnis von Leistung zu Gewicht wird ungünstiger weil das Gewicht so exorbitant mitsteigt. Genau der Grund warum heute so viele SUV überhaupt nichts taugen: wie hast du es so treffend geschrieben: Möchtegerns.

Ich will also gar nicht weiter auf der Frage der Motoren herum reiten, dass ist glaube ich völlig klar (und ich bin in Wahrheit auch gar nicht per se gegen Elektronik im Motor und insbesondere nicht gegen Härtung - sondern eigentlich bin ich nur gegen die Überelektrisierung der derzeitigen Fahrzeuge). Sondern ich will mal auf die Frage des Gewichtes zurück kommen - mit dem Ziel der Leistungssteigerung durch Gewichtsreduktion.

Das was heute so gebaut wird ist zu schwer. Und es könnte sowohl technisch deutlich vereinfacht werden als auch zugleich dadurch deutlich leichter sein. An jedem Fahrzeug gibt es immens viel für das Militär unnützes welches man "abschrauben" könnte. Man kann zwar darüber lächeln wenn ich schreibe, dasss man elektrische Fensterheber genau so wenig benötigt wie Airbags und vieles andere auch, aber an jedem Fahrzeug könnte man sofort um die 100 kg unnützes Zeug dieser Art heraus holen. Und ein 98mm Mörser wiegt gerade mal ca 100 kg.

Kommen wir also mal zum Gewicht der Bewaffnung: Ein Anhänger mit 8 Raketen darauf welche jede eine Reichweite von ca 15 km haben lässt sich insgesamt mit allem drum und dran für um die ca 500 kg machen. Diesen zieht ein entsprechendes Fahrzeug (wie von mir skizziert) recht problemlos. Aufgrund des angenommmen Kampfes auf Abstand ist hier auch das Problem der Querfeldeinbeweglichkeit nicht so gegegeben. Wenn man nun annimmt, dass 40 Schützenpanzer im weiteren 400 solcher Fahrzeuge gegenüber stehen und diese gesamt 3200 Raketen auf diese 40 Schützenpanzer abfeuern können, wird sofort offensichtlich, dass kein C-RAM, kein Hardkill-System und auch sonst nichts die vollständige Vernichtung dieses Bataillons verhindert.

Das ist natürlich wieder nur ein sehr plakatives Beispiel welches lediglich das zugrundeliegende Prinzip verdeutlichen soll. Es sind schlicht und einfach Waffen denkbar welche ausreichend wären um damit den Feind aus dem Felde zu schlagen und welche zugleich so leicht sind, dass sie die Leistung des Fahrzeuges eben nicht überfordern !

Zitat:Allerdings halte ich den Versuch, Extremismus mit Extremismus zu bekämpfen den völlig falschen Ansatz

Meine Idee, meine Zielsetzung hinter dieserm Ansatz wäre es zuvorderst bewusst stärkere Assymetrien zu erzeugen. Deshalb beispielsweise meine allgemeine Manie mit Panzerjägern anstelle von Kampfpanzern und anderen solchen Systemgegenüberstellungen.

Was mir konkret fehlt sind zum einen eine Szenarienvielfalt, insbesondere was die technischen und organisatorischen Anpassungen des Gegners angeht, und dann eine konkrete Skizze, wie in solchen Szenarien taktisch und strategisch von beiden Seiten agiert wird.

Man müsst ein Buch schreiben um das ausführlich genug darzustellen. Aber was ich da propagiere ist ja nicht grundsätzlich neu. Es gibt schon seit Dekaden Literatur in diese Richtung, sowohl was rein Defensive Ansätze angeht, als auch für eine offensivere Verwendung solcher Streitkräfte. Meiner Meinung nach ist die Zeit für den Durchbruch dieser schon länger propagierten Umbrüche gerade eben aufgrund der Technologie gekommen.

Meiner Ansicht nach könnte da auch ein Missverständnis zwischen uns bestehen, nämlich dass ich hier Technik-Feindlich rüber komme. Aber dem ist nicht so. Einen Motor durch elektronische Steuerung in der Leistung zu steigern ist gut, aber wirkliche Hochtechnologie wäre ein Motor mit nochmals mehr Leistung ohne eine solche Steuerung. Oder ein komplett anderes Motorkonzept, mit komplett anderen Antriebsstoffen, oder oder. Ich bin ganz im Gegenteil durchaus für Hochtechnologie, aber ich kann Überkomplexität nicht als Gipfel der Hochtechnologie ansehen, sondern wahre Hochtechnologie bedeuet, dass man die gleiche Leistung mit möglichst einfachen genialen schlichten und möglichst wenig komplexen Dingen erzielen kann, so wenig Komplexität wie möglich ist hier der Anspruch und gerade weil das so besonders schwierig ist, ist dass Hochtechnologie.

Zitat:Ersteres versuche ich hier im Forum schon seit Ewigkeiten klar zu machen, trotz aller modernen Technik, trotz aller Leistungssteigerungen, wird auch der nächste Krieg in weiten Teilen diffus sein. Gerade deshalb erachte ich aber die Aufklärung für enorm wichtig, das "wesentlichste" will ich nicht sagen, aber relevant genug, um ihr mehr Augenmerkt zu schenken als dies gemeinhin der Fall ist.

Da ist keinerlei Dissens zwischen uns. Sieh dir doch nur mal jede von mir jemals vorgestellte Struktur an und du wirst immer überproportinal viel Aufklärungs-Einheiten finden. Selbst in der aktuellen "realistischen" neuen Struktur für die Bundeswehr welche da Broensen und meine Wenigkeit angerissen haben ist ein Übermaß an Aufklärungseinheiten, von zwei Drohnen-Regimentern bis hin zu drei Panzerspäh-Regimentern auf Korps-Ebene, so viele ECR Flugzeuge dass selbst du die Zahl viel zu hoch findest usw

Das primäre Dreieck ist meiner Auffassung nach Tarnung - Aufklärung und Feuerkraft. Das wird im Bereich der Bodeneinheiten beispielsweise die bisherige Stellung von Mobilität - Panzerung und Feuerkraft ersetzen. Wer den anderen zuerst sieht wird in zuerst beschießen können und damit grundsätzlich im Vorteil sein. Eben auch das spricht meiner Ansicht nach für ein Konzept welches primär in der Defensive stark ist und zugleich nach dem bestimmte Umstände produziert werden konnten auch in der Offensive funktioniert. Unsere gegenwertigen Streitkräfte funktionieren aber in keinem Bereich mehr wirklich gut. Dafür fehlen ihnen im modernen Krieg die wesentlichsten Grundlagen.

Zitat:Und gebe eben zu bedenken, dass ich hier primär ein Szenario lese: der Angriff einer konventionellen Streitmacht. Für mich ist eine solche Betrachtung, vielleicht weil ich sie in der Tiefe nicht verstehe, viel zu eindimensional.

Ein guter Einwand. Die hier skizzierte Streitmacht wäre in der Defensive einer konventionellen Armee welche angreift deutlich überlegen. Diese müsste erst umgebaut werden um sich darauf einzustellen. Wie aber sieht es mit anderen Szenarien aus? Von einem Bürgerkrieg bis zu einem Einsatz in Übersee bis hin zu friedenserhaltenden Maßnahmen, bloßer Terroristenjagd oder was auch immer an aktuellen realen Einsätzen anfällt wäre die hier skizzierte Armee dem was ist ebenfalls deutlich überlegen. Es müsste eigentlich sofort selbsterklärend sein, dass zehntausende solcher Fahrzeuge und die dazugehörigen Infanterie-Pioniere sowohl strategisch sehr viel leichter verlegt werden können, als dass sie gegen die Feinde die man da real hat aufgrund ihrer Quantität deutlich besser geeignet sind und zugleich aufgrund der Quantität viel mehr Rotation von sehr viel mehr Einheiten stattfinden kann was die Einsatzbelastung zurück fährt und Freiräume für Übung und Modernisierung usw kreiiert.

Es gibt keine Vorhersehbarkeit über der Unmittelbarkeit hinaus, wir wissen nicht, wie der Gegner tatsächlich reagieren wird, welche Systeme er entwickeln wird und wie gut wir darauf reagieren können. Wir können Vermutungen anstellen, und da sehe ich sehr viele und meines Erachtens zu viele positive Vorzeichen bei euren Überlegungen.

Zweifelsohne, für die negativen Vorzeichen sind ja die anderen zuständig. Und um das nochmal zu betonen, ich verteidige hier zwar Obibibers Konzept, dass aber nur aus kriegswissenschaftlicher Neugier. Wie ich es schon schrieb, wäre meine Idealvorstellung eine ganz andere und würde sich die Frage von Qualität vs Quantität so gar nicht stellen. Aber nichts könnte ferner der Realität sein und Obibibers Konzept ist zumindest dahin gehend reizvoll, als dass es in dieser Gesellschaft wie sie nun einmal ist zumindest theoretisch durchführbar wäre und zugleich Mittel frei machen würde.

Um diese Mittel dann dort zu investieren, wo sie wesentlicher sind und wo sie mehr gebraucht werden.
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