Theorie einer Territorialmiliz
#46
Schneemann:

Das Problem ist hier vermutlich, dass im heutigen Deutschen der Begriff Miliz sprachlich negativ besetzt ist. Daher schwingen da immer gleich Assoziationen mit, wie dein Beitrag sehr gut aufzeigt.

Zu deinen Fragen:

Zitat:Ist das 1.) der Gedanke, der in Richtung Nationalgarde geht?

Ja absolut. Wobe die Ausrichtung, Konzeption, Ausrüstung usw. eine andere wäre. Es wäre also eine Nationalgarde, aber mit anderen Schwerpunkten:

Zitat:Also ähnlich wie in den USA, mit eigenen Luftstreitkräften?

Also zwar vom Grundgedanken her ähnlich, aber eben nicht wie in den USA, also nicht mit eigenen Kampfpanzern, eigenen Kampfhubschraubern usw. sondern spezifisch: Leichte Infanterie, Pioniere, Sondereinheiten - mit dem Schwerpunkt auf Leichter Infanterie. Der Grund hierfür sind zum einen die Kosten, denn solche Infanterie kann sehr günstig aufgestellt werden, wenn sie nicht kaserniert ist und wenn sie keinen regulären Sold bezieht und zum anderen der militärische Nutzwert und schließlich die Frage des notwendigen Zeitansatzes (weil Leichte Infanterie schneller auf ein sehr hohes Niveau in ihrem Bereich gebracht werden kann) etc.

Zitat:wer die Zuständigkeit dann innehat [Verteidigungsminister oder Innenministerium]

Spezifisch für die Bundesrepublik würde die Miliz dem Verteidigungsministerium unterstehen.

Zitat:bei zweitem Punkt habe ich arge Bedenken. Gerade dann auch, wenn es Freiwillige sein sollten.

Es wären Freiwillige im Rahmen einer allgemeinen Dienstpflicht, die für Männer wie Frauen gleichermaßen gilt. Der Dienst in der Miliz tritt dann, wenn die Bewerbung akzeptiert wird an die Stelle der Dienstpflicht die sonst andernorten geleistet werden muss. Er ist dann zudem was den zusammenhängenden Anteil angeht viel kürzer, da er anders konzipiert ist und die Zeit daher im weiteren durch viele weitere folgende Wehrübungen zusammen gebracht wird, statt durch einen Dienst am Stück.

Zitat:die auch nur gegen zweitklassig bewaffnete Räterepubliken vorgehen mussten.

Wobei die aktuellen inneren Sicherheitsstrukturen dieser Bundesrepublik bereits mit so einem Gegner nicht mehr fertig werden würden. Aktuell ist es so, dass wir intern erstaunlich hilflos sind. Wir wären aber auch gegen eine überraschende äußere Bedrohung erstaunlich hilflos, wenn - aus welchen Gründen dann auch immer - das Bündnis nicht für uns eintritt. Man muss das weiter in die Zukunft denken als nur ein paar Jahre. Hier und heute kann die Bundeswehr ihrem verfassungsgemäßen Auftrag nur im Bündnis nachkommen. Und selbst dies ist in vielen Konstellationen fragwürdig. Eine Miliz von erheblichem Umfang aber könnte - zu wesentlich geringeren Kosten - den Kernauftrag der Verfassung tatsächlich gewährleisten, nämlich dass das Staatsgebiet der Bundesrepublik von einem Gegner nicht eingenommen und gehalten werden kann. Und auch dies muss man weitläufiger denken als nur in Bezug auf irgendwelche konventionellen Feinde, aber auch solche werden irgendwann in den nächsten Dekaden wieder auftreten. Man muss es auch ganzheitlicher denken ! Denn eine solche Remilitarisierung der Gesellschaft selbst ist für den Krieg insgesamt von erheblichem Nutzen, selbst wenn dieser rein konventionell geführt wird, nicht in oder an unserem Staatsgebiet geführt wird und im Rahmen unserer Bündnisse geführt wird. Selbst dann wäre eine solche Miliz militärisch insgesamt ein erheblicher Mehrwert.

Zitat:die letzte "große" Miliz dürfte hierzulande vermutlich der Volkssturm gewesen sein, über dessen Kampfwert wir hier nicht reden müssen.

Auch der Kampfwert der Wehrmacht war zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend degeneriert, aber darum geht es gar nicht. Allein das du diese Beispiele aussuchst (auch Jugoslawien) zeigt auf, wie sehr der Grundgedanke negativ besetzt ist, ohne die ebenfalls existenten positiven Beispiele zu berücksichtigen. Und um beim aktuellsten zu bleiben: in der Ukraine waren und sind genau solche Strukturen absolut wesentlich für den bisherigen militärischen Erfolg der Ukrainer gewesen. Der enorme Wert der Territorial Defence Forces, und der Milizen welche der Nationalgarde der Ukraine unterstellt wurden wird von niemandem mehr bestritten und sollte daher hier eher das zu diskutierende Beispiel sein als der Volkssturm der Nationalsozialisten 1945.

Zitat:Also beinahe alles, was man zusammen suchen kann, spricht im Grunde gegen Milizkonzepte:

Nur weil du dir negative Beispiele dafür zusammen suchst, die deiner bereits vorgefassten Meinung entsprechen, spricht das nicht gegen die Miliz als Konzept. Ganz im Gegenteil bieten selbst solche negativen Erfahrungen wertvolle Erkenntnisse darüber wie man erfolgreiche Milizen aufbauen kann, da man bereits gemachte Fehler nicht wiederholen muss.

Zitat:Die Freiwilligkeit bietet Nischen für dubiose Figuren,

Dies ist nicht der Fall, wenn die Freiwilligen aus einer allgemeinen Dienstpflicht her rühren und wenn sie von kleinen notwendigen Kadern von Berufssoldaten geführt werden, die spezifisch dafür abgestellt werden.

Zitat:Ausbildung und Ausstattung waren meist unzulänglich,

Die Ausbildung könnte aber auch ganz im Gegenteil auf höchstem Niveau sein und die Ausrüstung leichter Infanterie auf dem neuesten Stand der Dinge kostet fast nichts im Vergleich zu anderen Systemen. Spezifisch in Bezug auf ein Milizsystem sollte man zudem bedenken, dass die Einsparungen was den Sold angeht und wenn man den Streitern in einer solchen Miliz gestattet eigene Ausrüstung (Bekleidung, Stiefel, Schlafsack usw) zu beschaffen, die Kosten noch weiter sinken.

Zitat:die Disziplin ließ zu wünschen übrig, .....Eigenwilligkeiten (wenn irgendwem in der Führung der Milizen die Regierung nicht gefiel) griffen um sich,

Wie die Disziplin ausfällt ist eine Frage der Führung und der Ausbildung. Und daher in dem Konzept welches ich hier ausgeführt habe sogar weniger ein Problem als bei Wehrpflichtigen. Zudem wäre die Führung der Miliz eine rein militärische - gestellt durch hochprofessionelle Berufssoldaten - und die Miliz unterstünde ja auch direkt und allein dem Verteidigungsministerium und wäre damit in die Staatsstrukturen fest eingebunden.

Zitat:nicht zuletzt war der Kampfwert gering.

Der Kampfwert ist eine absolut nichtssagende Worthülse, wenn man nicht den Kontext dazu nennt, was ich explizit getan habe. Der Kampfwert steht immer in Relation zur Quantität, zu Faktoren welche sich aus den Umständen ergeben und zur Qualität der Soldaten im Kontext des jeweiligen spezifischen Auftrags.

Entsprechend könnten Milizen in ihrem Aufgabenbereich und innerhalb ihres Auftrages sehr leicht auch einen deutlich höheren Kampfwert haben als jedwede konventonelle Armeeeinheit aus Berufssoldaten.

Zitat:D. h. solange es nicht eine wirklich voll ausgestattete Truppe im Sinne einer Nationalgarde ist, öffnet das Konzept nur die Türe zu Problemen und erhöht den Kampfwert eines Landes nicht.

Die Frage was für eine Ausstattung eine Miliz hat hängt von ihrem konkreten Auftrag ab, von ihrer Rolle im Gesamtgeschehen, von ihrer Funktion innerhalb der gesamten Militärmaschinerie. Entsprechend muss eine Miliz überhaupt gar nicht voll ausgestattet sein.

Und der "Kampfwert eines Landes" - besser wäre es von der Kriegsfähigkeit zu sprechen, erhöht sich über Milizen gewaltig, wenn diese sinnvoll aufgestellt und betrieben werden.

Zitat:Wenn ich aber eine voll ausgestattete Truppe benötigen würde, wieso investiere ich diesen finanziellen und logistischen Aufwand dann nicht gleich in die regulären Streitkräfte?

Aus Kostengründen. Wie Schaddedanz es ja auch absolut richtig beschrieben hat, spare ich mir selbst bei einer vollausgestatten Truppe den Sold. Aber nochmal: was heißt Vollausstattung? Eine Miliz benötigt weder Kampfpazer noch Kampfhubschrauber (ala Nationalgarde) um eine erhebliche Kampfkraft zu generieren und im Rahmen einer Netzverteidigung das Staatsgebiet der Bundesrepublik selbst durch kampfstarke konventionelle feindliche Streitkräfte praktisch nicht eroberbar zu machen. Und das nur für sich allein. Und zusätzlich noch arbeitet sie in der Gesamtmaschinerie dem konventionellen Militär zu und stärkt dadurch dieses erheblich.

Ansonsten kann ich beschließend hier dann nur auf die Ausführungen von Schaddedanz hinweisen, denen ich mich hiermit vollumfänglich anschließe.

PS: Hast du mal das Buch: Das Ende der Schlacht von Guy Brossolet gelesen ? Respektive die Werke von Spannocchi und insbesondere Afheldt ?
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