26.01.2024, 21:13
(26.01.2024, 20:32)Quintus Fabius schrieb: Die ukrainische Regierung schürt im weiteren in ihrer Staatspropaganda seit ein paar Wochen zunehmend das Narrativ, dass man ja schon gesiegt hätte, wenn der Westen einen nicht im Stich gelassen hätte um die Schuld am bisherigen Geschehen ebenfalls auf uns abzuschieben. Ala: ihr müsst ja nur deshalb sterben weil uns in Wahrheit niemand hilft usw.
Das ist halt auch viel Wahres dran.
Die Ukrainer wären durchaus nicht schlecht beraten, sich aus rein ukrainischer Sicht die Frage zu stellen, wofür sie an diesem Punkt des Krieges überhaupt genau kämpfen.
- Der Westen ist nicht daran interessiert, dass die Ukraine siegt; man schafft es seit Jahren kaum mehr, als das Geschehen in der Balance zu halten. Anzeichen dafür, dass sich das ändert, sind nicht erkennbar.
- Die Fronten sind dermaßen erstarrt, dass es ohne substantielle Hilfe des Westens (die es nicht geben wird) zu keinen größeren Frontverschiebungen zugunsten der Ukraine kommen wird.
- Wesentliche Chancen den Krieg in Jahr 1 und 2 rasch und siegreich zu entscheiden wurden verpasst, primär aufgrund ausbleibender westlicher Unterstützung. Die Chancen, dass ein festgefahrener Konflikt aus der Abnutzung heraus plötzlich doch operativ entschieden wird sind sehr gering; in diesem Krieg ist es nicht anders.
- Russland hat sich in einen Abnutzungskrieg eingerichtet und steht mit einer weiterhin existierenden Wirtschaft, starken Unterstützern wie Nordkorea, Iran und China sowie einer deutlichen Neuausrichtung auf Kriegsproduktion gut da.
- Der Westen ist nicht im Ansatz gewillt, die Ukraine entsprechend für einen Abnutzungskrieg auszustatten; man scheitert schon an der Lieferung von mehr als ein paar hunderttausend Granaten.
Insofern gibt es auch keine Perspektive auf die Lieferung innovativer Waffensysteme die dem Krieg nochmals eine neue operative Dynamik geben könnten.
- Die geopolitischen Aussichten sind in Hinblick auf die ausbleibenden Hilfen durch die USA und den US-Wahlkampf alles andere als rosig. Es sieht schwer danach aus, dass es auch an dieser Front nicht besser wird.
- Sofern entfernt die Kriegsziele sein mögen, sie sind jenseits der Krim auch sinnlos. Der Donbas ist weitgehend zerstört, vermint und entvölkert und wäre (im Falle eines Sieges) nach dem Krieg nur ein Klotz am Bein der Ukraine.
- Selbst bei einem günstigen Kriegsverlauf (warum auch immer) und einer direkten Chance auf die Eroberung der Krim kann Russland den Konflikt fast nach Belieben auf die nukleare Ebene heben und so einfrieren, erst recht mit einem Trump im Weißen Haus oder einem über den Senat und das House blockierten Biden.
Insofern würde ich rein aus ukrainischer Sicht an ihrer Stelle schon die Kalkulation aufmachen, ob die (sehr geringe) Aussicht auf einen Sieg über Russland mit etwa einer Rückeroberung der Krim es wirklich wert ist, den großen Opfergang für einen Abnutzungskrieg fortzusetzen, den man am Ende wahrscheinlich sowieso in der Form verlieren wird, dass man am Ende nicht mehr hat als das was man jetzt noch verteidigt.
Aus rein ukrainischer Sicht würde mir diese Rechnung nicht gefallen. Wäre ich Zelensky, würde ich die Krim und ein Einfrieren des Konflikts mit Handkuss gegen eine EU-Mitgliedschaft eintauschen. Mein Ansatz wäre eher, mit den Russen noch auszuhandeln, dass die ukrainische Bevölkerung die Krim und den Donbas nach Westen verlassen darf, wenn sie das denn überhaupt möchte.
Natürlich ist es eine vollkommen andere Frage, ob Putin in diesem Moment überhaupt bereit ist, sich auf derartige Ansätze einzulassen oder (weiterhin) aufs Ganze geht. Eigentlich müsste sich bei ihm die Erkenntnis durchsetzen, dass die Front zu verhärtet ist, um hier noch irgendwie groß mehr erreichen zu können. Und wenn doch, dann nur auf Kosten weiterer Hunderttausender Verluste, einer völlig zerstörten und ausgebluteten Armee mit einer Beute, die nur noch aus menschenleeren Trümmerwüsten besteht. Wobei ihm schon viel hätte aufgehen müssen.
Aus westlicher Sicht wiederum würde ich mir dann auch langsam mal die Frage stellen, wie lange die Ukrainer unser blutiges Spiel noch mitspielen werden.