11.07.2023, 23:19
Zitat:Nehmen wir mal an es gäbe die nächsten 12 Monate keine Frontverschiebung, was wäre danach trotzdem anders?
Aktuell nutzen die Ukrainer die russische Artillerie ungefähr 1 zu 4 ab. Für jedes Artilleresystem dass die Ukraine verliert, verlieren die Russen 4. Und die Russen können diese Verlustrate so nicht durchhalten, ohne auf totale Kriegswirtschaft umzustellen, und entsprechend würde die gesamte russische Artillerie in einem Jahr entweder vollständig einknicken oder die Russen müssten die entsprechenden innenpolitischen Folgen einer totale Mobilisierung für den Krieg tragen.
Darüber hinaus hat man mehr Zeit die militärische Führung der Ukraine zu verbessern. Und damit meine ich nicht nur irgendwelche Kampfgruppen- oder Bataillonskommandeure, sondern schon auch die Führung darüber. Wobei man nicht unterschätzen sollte, wie sehr sich die mangelnder Qualität auch auf Bataillons-Ebene auswirkt.
Eine ausreichend befähigte militärische Führung auf höheren Ebenen kann man nicht einfach so aus dem Boden stampfen. Das benötigt Zeit. Und dass die Verluste nicht so übermässig sind.
Und auch die russische Bevölkerung ist kriegsmüde dahingehend, dass sie den aktuellen Zustand als katastrophal bewertet und zutiefst enttäuscht ist von ihrer Regierung, weil das wesentlichste Versprechen, nämlich die eigene militärische Stärke sich als Illusion erwiesen hat. Entsprechend würde auch in Russland der Druck immens zunehmen irgendwie zu einem Abschluss zu kommen.
Die Aussage, dass die Ukraine zeitnah einen Offensiverfolg benötigt um die Unterstützer bei der Stange zu halten liest man zwar oft, aber ich will sie hiermit in Frage stellen. Denn wenn die Ukraine eindeutig am Siegen ist, wird die Unterstützung stattdessen reduziert werden, weil sie ja scheinbar gewinnen, benötigen sie keine weitere Hilfe mehr, so wird die Logik sein.
Zu den von Nightwatch aufgeworfenen Fragen über die strategische Ebene möchte ich anmerken, dass eine erhebliche Zusammenballung von Kräften in einem Bereich angesichts der Umstände dort auch immer ein Problem darstellt, zum einen wegen der Logistik, zum anderen wegen der schlechten Infrastruktur (es nützt ja nichts, wenn sich die Einheiten da stauen ohne zu wirken), als nächstes weil es die Fronten an anderer Stelle entblößt und die Reserven bindet (denn auch die Ukraine hat noch nicht die Reserven welche sie meiner Meinung nach benötigen würde), und schließlich sind solche Truppenzusammenballungen ein gutes Ziel für die Russen, und ganz schlussendlich muss man immer befürchten, dass die Russen doch die Nerven verlieren und taktische Nuklearwaffen gegen einen solchen Bereitstellungsraum mit einem klar erkennbaren Truppenschwerpunkt einsetzen.
Und Krieg auf diesem Niveau ist keine Raketenwissenschaft, zweifelsohne, aber im Krieg ist selbst das einfachste in der realen Praxis immens schwierig. Das sieht alles einfach aus, ist aber real praktisch kaum umsetzbar, auch wenn man das meist gar nicht glauben kann, an was für einfachen Aufgaben man da scheitert. Selbst offenkundige, absolut offensichtliche und einfachste Dinge funktionieren dann praktisch nicht.
Das reicht von ganz oben bis nach ganz unten und dieses ganze Scheitern auf allen Ebenen kulminiert sich schlussendlich zu dem was wir da beobachten.