05.06.2022, 09:11
@Nightwatch
Grob wären es im günstigen Fall also 300.000 Neuzugänge für den direkten Fronteinsatz bis Jahresende. Wenn es stimmt, was Selenskyj kürzlich sagte, dass die ukrainischen Streitkräfte derzeit schon pro Tag rund 300 bis 400 Mann verlieren - und die Intensität der Gefechte dürfte im Sommer eher noch zunehmen -, so wären dies zehntausende von Ausfällen bis Jahresende. Ich denke also, dass a) sich diese Neuzugänge nicht so stark auswirken werden, eher werden nach und nach Lücken gestopft, und b) dass beiden Akteuren davor die Kraft ausgehen wird, noch ehe sich die Verstärkungen signifikant bemerkbar machen würden. Man sollte aber nicht dem Irrtum aufsitzen zu meinen, dass diese "eine Million Mann zu Jahresende" urplötzlich am 31. Dezember aus dem Nebel auftauchen wie einstmals die Chinesen am Yalu.
Was aber möglich wäre, ist, dass man sich im Herbst in einen Waffenstillstand flüchtet, um die eigene Streitkraft zu konsolidieren und neu aufzufüllen und dass man dann nach sechs, sieben Monaten Kampfpause im Frühsommer 2023 wieder antritt zur zweiten Runde. Ist aber nun sehr spekulativ meinerseits.
@Quintus
Nur um kein Missverständnis entstehen zu lassen: Der Grad der Zersetzung und Unterversorgung in den russischen Streitkräften ist enorm, da möchte ich gar nicht widersprechen, aber ich denke, dass der Umstand, dass solche Berichte recht ungefiltert nach außen dringen können, obgleich gerade in Kriegszeiten das eigentlich auf das schärfste unterbunden werden müsste, es aufzeigt, dass auch höhere Chargen eben dies gewähren lassen, weil sie ebenso unzufrieden sind wie ihre Untergebenen. Und dies wiederum kann ein Hinweis darauf sein, dass die Unzufriedenheit in der Truppe enorme Ausmaße angenommen hat - von den unteren bis zumindest zu den mittleren Rängen (ggf. auch darüber hinaus). Und dies wiederum kann Putin wesentlich gefährlicher werden als irgendwelche zivile Oppositionelle wie Nawalny und Co.
Man erinnere sich: Die Revolution von Februar 1917 wurde eingeleitet, als von der Front abgezogene bzw. zurückkehrende Soldaten in St. Petersburg überraschend meuterten und sich weigerten, auf Demonstranten zu schießen, die gegen die den Krieg und Hunger bzw. den Zaren und seine Kriegspolitik demonstrierten. Es war bekanntlich der Anfang vom Ende des Zarenreiches. Gut möglich, dass es rund 100 Jahre später bald zu einer ähnlichen Entwicklung kommt...
Hierzu (wenngleich auch durch die Ukraine eingesteuert) ein Bsp. für eine offene Befehlsverweigerung - aber wenn von 600 Mann eines Bataillons nur 215 übrig sind, so mag man es verstehen:
Darüber hinaus soll die Lage in den Feldlazaretten katastrophal sein, es fehlt oftmals an Schmerzmitteln und Verbandsmaterial. Berichten zufolge (ich verlinke sie hier nicht) werden lebenserhaltende Operationen entweder nicht vorgenommen oder aber es wird amputiert wie zu Zeiten des Sezessionskrieges in den Vereinigten Staaten vor 160 Jahren...
Schneemann
Zitat:Ich glaube du übersiehst den kommenden Impact der laufenden ukrainischen Mobilisierungsbemühungen und überschätzt so den Impact der Verluste. Die Zahlen diesbezüglich gehen von 700.000 Mann im Moment über eine Million bis zum Jahresende auf bis zu 1.5 Millionen nächstes Jahr.Das ist eine sehr optimistische Rechnung. Was ich für möglich halte, wenn man sich im Herbst nicht auf einen Waffenstillstand einigen wird und wenn der Zustrom westlicher Ausstattung so anhält und wenn die Zahl der Rekruten wirklich so stark werden wird, ist, dass die Ukrainer im nächsten Frühjahr, grob ab Mai, zur Rückeroberung des Donbass ansetzen könnten. Darüber hinaus jedoch rate ich zur Vorsicht. Selbst wenn man bis Ende 2022 eine Million Mann auf die Beine stellt, sind davon die meisten ohne Erfahrung (die Ausrüstung dürfte auch kaum reichen für diese Anzahl) und der Großteil in Logistik, Instandsetzung, Kommunikation, Sanitätswesen (das derzeit übrigens jeder Beschreibung spottet) gebunden.
Wenn die Ukraine davon nur einen Bruchteil an einer Front in die Wagschale wird werfen können ist ein Zusammenbruch der russischen Verteidigung unvermeibar.
Ich rechne da für die zweite Jahreshälfte weniger mit Grabenkämpfe als neuen, plötzlichen Rückzügen der Russen analog Kiev und Kharkiv. Ich kann mir ohne weiteres Vorstellen, dass Ende des Jahres die Russen alle besetzen Gebiete jenseits des Donbas wieder verloren haben.
Grob wären es im günstigen Fall also 300.000 Neuzugänge für den direkten Fronteinsatz bis Jahresende. Wenn es stimmt, was Selenskyj kürzlich sagte, dass die ukrainischen Streitkräfte derzeit schon pro Tag rund 300 bis 400 Mann verlieren - und die Intensität der Gefechte dürfte im Sommer eher noch zunehmen -, so wären dies zehntausende von Ausfällen bis Jahresende. Ich denke also, dass a) sich diese Neuzugänge nicht so stark auswirken werden, eher werden nach und nach Lücken gestopft, und b) dass beiden Akteuren davor die Kraft ausgehen wird, noch ehe sich die Verstärkungen signifikant bemerkbar machen würden. Man sollte aber nicht dem Irrtum aufsitzen zu meinen, dass diese "eine Million Mann zu Jahresende" urplötzlich am 31. Dezember aus dem Nebel auftauchen wie einstmals die Chinesen am Yalu.
Was aber möglich wäre, ist, dass man sich im Herbst in einen Waffenstillstand flüchtet, um die eigene Streitkraft zu konsolidieren und neu aufzufüllen und dass man dann nach sechs, sieben Monaten Kampfpause im Frühsommer 2023 wieder antritt zur zweiten Runde. Ist aber nun sehr spekulativ meinerseits.
@Quintus
Zitat:Ein Soldat berichtete beispielsweise davon, dass seine Einheit seit Kriegsbeginn (zu diesem Zeitpunkt also seit 92 Tagen) keinerlei Verpflegung erhalten hat und man bei den Ukrainern inzwischen auch nichts mehr zum Essen plündern könne, weshalb er und seine Kameraden jetzt einen toten Hund der da auf der Straße lag gegessen haben weil der noch Zitat: halbwegs frisch war. Ein anderer berichtete, dass seine Einheit ohne Unterlass und Pause seit mehr als einem Monat durchgehend im Gefecht stand, bis von seinem ganzen Bataillon nur noch 13 Mann unverwundet übrig waren. Daraufhin habe man sie als "Zug" einer anderen Einheit zugeteilt und sie sollten wieder unmittelbar ins Gefecht, obwohl sie davor mehrere Tage de facto nicht geschlafen hätten. Andere berichten davon, dass sie vollkommen unsinnige Befehle verweigerten und dann ein Offiziere eine Handgranate auf sie geworfen habe, oder dass man keine Aufklärungseinheiten hat weil diese als Leibwache der höheren Offiziere abgestellt sind, wofür diese Offiziere geplünderte Güter und Geld beschlagnahmten von den einfachen Truppen um diese als Bestechung eben jenen Aufklärern zu geben, dass Tschetschenen einfache russische Soldaten überfallen und ausrauben um ihnen ihre Beute abzunehmen (das führte sogar schon nachweislich zu Schießereien zwischen Tschetschenen und russischen Soldaten) usw usw usfVorab: Ich denke, dass solche Begebenheiten durchaus möglich sind und auch vorkommen. Und dass die Russen in einem äußerst desolaten Zustand sind, wird wohl niemand anzweifeln. Allerdings rate ich auch ein wenig zur Vorsicht bei solchen Geschichten. Manches mag sicherlich auch übertrieben sein und diese Horrorgemälde werden von den moralisch angeschlagenen jungen Soldaten nach Hause gemeldet, nur um aufzuzeigen, wie grausig der Dienst in der Ukraine ist und um eben zu vermeiden, dass der Bruder oder der Onkel vielleicht auch noch losziehen. Quasi eine Art verdeckte Kritik an der Führung und ein Versuch, diesen Krieg, auf den eh niemand mehr großartig begierig ist, völlig in Misskredit zu bringen. Quasi also eine Art von "Wehrkraftzersetzung" der etwas subtileren Vorgehensweise.
Nur um kein Missverständnis entstehen zu lassen: Der Grad der Zersetzung und Unterversorgung in den russischen Streitkräften ist enorm, da möchte ich gar nicht widersprechen, aber ich denke, dass der Umstand, dass solche Berichte recht ungefiltert nach außen dringen können, obgleich gerade in Kriegszeiten das eigentlich auf das schärfste unterbunden werden müsste, es aufzeigt, dass auch höhere Chargen eben dies gewähren lassen, weil sie ebenso unzufrieden sind wie ihre Untergebenen. Und dies wiederum kann ein Hinweis darauf sein, dass die Unzufriedenheit in der Truppe enorme Ausmaße angenommen hat - von den unteren bis zumindest zu den mittleren Rängen (ggf. auch darüber hinaus). Und dies wiederum kann Putin wesentlich gefährlicher werden als irgendwelche zivile Oppositionelle wie Nawalny und Co.
Man erinnere sich: Die Revolution von Februar 1917 wurde eingeleitet, als von der Front abgezogene bzw. zurückkehrende Soldaten in St. Petersburg überraschend meuterten und sich weigerten, auf Demonstranten zu schießen, die gegen die den Krieg und Hunger bzw. den Zaren und seine Kriegspolitik demonstrierten. Es war bekanntlich der Anfang vom Ende des Zarenreiches. Gut möglich, dass es rund 100 Jahre später bald zu einer ähnlichen Entwicklung kommt...
Hierzu (wenngleich auch durch die Ukraine eingesteuert) ein Bsp. für eine offene Befehlsverweigerung - aber wenn von 600 Mann eines Bataillons nur 215 übrig sind, so mag man es verstehen:
Zitat:Intercepted audio said Russian soldiers almost blew up a top general for ordering them to the front line, Ukraine sayshttps://www.businessinsider.com/russian-...ine-2022-5
An intercepted phone call indicated that Russian soldiers were moments from killing a top general who ordered them to the front line, Ukrainian intelligence said. On Tuesday, Ukraine's Security Services published audio it said was from an intercepted call describing the situation.
The call, said to be made by a soldier calling his wife, described a unit in Donetsk getting into a standoff with Gen. Valeriy Solodchuk, the commander of the 36th Army, after he ordered them to fight. Almost all the remaining 215 troops in the 600-person battalion refused to follow Solodchuk's instructions, the soldier is heard saying, even though their contracts with the Russian military obliged them to follow orders. [...]
Darüber hinaus soll die Lage in den Feldlazaretten katastrophal sein, es fehlt oftmals an Schmerzmitteln und Verbandsmaterial. Berichten zufolge (ich verlinke sie hier nicht) werden lebenserhaltende Operationen entweder nicht vorgenommen oder aber es wird amputiert wie zu Zeiten des Sezessionskrieges in den Vereinigten Staaten vor 160 Jahren...
Schneemann