06.05.2022, 08:53
@Pogu
Wir äußern uns hier in einer diffusen Lage über die Auswirkungen eines Prozesses, für den es so kaum bis keine Analogien gibt. Jede Spekulation über zukünftige Entwicklungen muss sich dabei zwangsläufig auf Vorannahmen stützen, die innerhalb einer Diskussion natürlich angegriffen werden können. Ich erhebe nicht den Anspruch in die Zukunft sehen zu können, sondern biete lediglich meine Einschätzung an. Diese Einschätzung kann angesichts der Informationslage nur falsch sein, bzw. nur eine Annäherung an die realen Verhältnisse darstellen.
Um den Quote-War etwas einzuschränken:
Zweifelsohne verzerrt unsere westliche Blase das Kriegsgeschehen dahingehend, dass wir nur wenig von ukrainischen Verlusten mitbekommen. Allerdings teile ich die These, dass das ‚ukrainische Potential‘ im ähnlichen Maße schwindet wie das russische so nicht. Wir können da gerne tiefer einsteigen, aber nach meinem Dafürhalten ist die ukrainische Kampfkraft seit Invasionsbeginn eher gestiegen als gesunken. Zumindest global gesehen.
Die These das Russland mit erheblicher personeller und technischer Überlegenheit angetreten ist schließt nicht aus, das die Kräfte gemessen an den verfolgten Kriegszielen unzureichend gewesen sind. Ich rücke davon auch nicht ab. Plakativ: Die russischen Streitkräfte hatten vor Kriegsbeginn allein in der Region Belgorod stärkere mechanisierte Kräfte zusammengezogen als der Ukraine im Osten des Landes überhaupt zu Verfügung standen. Die Massierung der russischen Kräfte jetzt dahingehen umzudeuten, dass das ja eh nie gereicht hätte, negiert die Zähigkeit des ukrainischen Widerstands, die Effektivität der westlichen Waffen und den Umstand, dass eine kompetentere Armee mit soliderer militärischer Planung mit den zu Verfügung stehenden Mitteln wesentlich mehr hätte erreichen können. Auch zu diesen Punkt können wir tiefer einsteigen, aber wie gesagt – unzureichende Kräfte gemessen an den kolportierten Kriegszielen ja, gleichwohl erhebliche materielle und personelle Überlegenheit gegenüber den Verteidigern bei Kriegsbeginn.
Hinsichtlich Mobilisierung – es ist eben dahingehend kein ‚passabler Startpunkt‘ für die russische Seite, Wehrpflichtige oder Reservisten in den Kampf zu werfen, dass es sich nicht um einen der üblichen Konflikte handelt in denen sich Russland für gewöhnlich involviert. Will heißen, dieser Krieg fordert Verluste, die jetzt schon weit über alles hinausgehen, dass die russische Föderation seit ihrem Bestehen erlitten hat. Jetzt mit Reservisten und Wehrpflichtigen die Ukraine niederringen zu wollen heißt Verluste in Kauf nehmen zu wollen die für Russland nicht tragbar sind. Da hilft auf kein Verweis auf Sowjetrussische Zeiten oder einen kolportierten ‚Russian way of life‘ – Russland heute ist ein anderes Land als die Sowietunion 1941 und die Aussicht, potentiell Hundertausende Familienväter oder die noch verbleibenden wenigen Söhne in einem besseren Grenzkonflikt zu verheizen, ist auch in Russland nicht mehr vermittelbar und politisch nicht Durchhaltefähig. Wenn du das anders siehst –> ‚Söhne und Weltmacht‘ als Grundstudium. Freilich ist die russische Gesellschaft dahingehend leidensfähiger als die westlicher Länder, aber alles hat seine Grenzen. Putin&Co wissen das auch sehr genau. Wie schon geschrieben, dass er so medienöffentlich empfindlich auf Meldungen reagiert hat, russische Wehrpflichtige würden in der Ukraine kämpfen kommt nicht von ungefähr.
Und nein, wie gesagt, diese Reservisten und Wehrpflichtige werden keine höhere taktische Kompetenz an den Tag legen können als Berufssoldaten. Auch nicht mit ‚kurzer Vorbereitung‘. Ich weiß nicht wie man überhaupt zu dieser Annahme kommen kann? Das mutet mir geradezu absurd an. Plakativ: Nach ‚kurzer Vorbereitung‘ kann man froh sein, wenn diese ausgehobenen Reserven unter Beschuss das Ak47 gerade halten können. Die Idee – Zitat - ‚in höchsten drei Monaten nach einer Mobilmachung der ukrainischen Widerstand zu ersticken‘ wird nicht so in einem russischen Sieg, sondern angesichts der Realität des modernen Schlachtfeldes in einem Gemetzel epischen Ausmaßes enden.
Wenn Mobilisierung effektiv sein soll heißt das Training, Training, Training. Individuell, am Gerät und in der Einheit. Die russische Armee hat kein Reservesystem im westlichen Sinne, dass ihnen jetzt ermöglichen würde gefechtsfähige Reserveeinheiten rasch in den Einsatz zu bringen. Zwar sind die humanen Reserven potentiell gewaltig, Mobilisierungsstrukturen wie wir sie aus Israel, Finnland, den Vereinigten Staaten oder auch aus früher aus der Bundesrepublik kennen existieren nicht. Und das fällt ihnen jetzt halt auf die Füße, wenn dieses rohe Potential mit minimaler Vorbereitung in den Kampf geworfen werden soll.
Was das eingemottete Gerät angeht – die These das Russland nach der Sowjetära substantielle/relevante (?) Reserven generiert hätte halte ich gelinde gesagt für hanebüchen. Tatsache ist doch vielmehr, dass Russland den Bestand eingemotteter Fahrzeuge aus Sowjetzeiten kontinuierlich und erheblich verringert hat. Die letzten belastbaren Zahlen liegen da mittlerweile deutlich unter 10k noch physisch vorhandenen Panzern. Ebenso unbestreitbar ist doch, dass Russland nicht die nötigen Mittel aufwendet um den noch bestehenden Reservefuhrpark vollumfänglich gefechtsfähig zu halten. Die Frage ist insofern zuallererst, in welchen Umfang eingemottetes Gerät ohne *monatelange* Instandsetzung gefechtsfähig ist. Ich vermute – basierend auf dem allgemeinen Zustand des aktiven russischen Geräts, die strukturelle Unterfinanzierung der Reserve und an der galoppierende Korruption in der russischen Gesellschaft – das die schnell verfügbaren Reserven kaum ausreichen werden, die bereits erlittenen Verluste in der Ukraine auszugleichen. Längerfristig gesehen dürfe sich mit nicht unerheblicher Kraftanstrengung noch mehr Schlagkraft regenerieren lassen, da sprechen wir dann aber über Zeiträume deutlich jenseits des Sommers.
Grundsätzlich scheint es mir als würdest du in deinen Vorstellungen noch zu sehr in der alten Sowjetunion verhaftet sein. Es ist etwa mitnichten die ‚ausgewiesene Doktrin‘ der russischen Armee den Feind mit schierer Masse erdrücken zu wollen. Das war meinetwegen mal der Sowjetische Ansatz jenseits der nuklearen Gefechtsführung im Kalten Krieg, die Armee der russischen Föderation hat sich davon in den letzten drei Jahrzehnten doch deutlich emanzipiert. Mit dem Resultat dieser Emanzipation scheiterte man freilich in der Ukraine was nun sicherlich dazu führt, sich vermehrt an Altbewährten Konzepten zu orientieren. Was mangels Masse und Opferbereitschaft nur schiefgehen kann.
Wir äußern uns hier in einer diffusen Lage über die Auswirkungen eines Prozesses, für den es so kaum bis keine Analogien gibt. Jede Spekulation über zukünftige Entwicklungen muss sich dabei zwangsläufig auf Vorannahmen stützen, die innerhalb einer Diskussion natürlich angegriffen werden können. Ich erhebe nicht den Anspruch in die Zukunft sehen zu können, sondern biete lediglich meine Einschätzung an. Diese Einschätzung kann angesichts der Informationslage nur falsch sein, bzw. nur eine Annäherung an die realen Verhältnisse darstellen.
Um den Quote-War etwas einzuschränken:
Zweifelsohne verzerrt unsere westliche Blase das Kriegsgeschehen dahingehend, dass wir nur wenig von ukrainischen Verlusten mitbekommen. Allerdings teile ich die These, dass das ‚ukrainische Potential‘ im ähnlichen Maße schwindet wie das russische so nicht. Wir können da gerne tiefer einsteigen, aber nach meinem Dafürhalten ist die ukrainische Kampfkraft seit Invasionsbeginn eher gestiegen als gesunken. Zumindest global gesehen.
Die These das Russland mit erheblicher personeller und technischer Überlegenheit angetreten ist schließt nicht aus, das die Kräfte gemessen an den verfolgten Kriegszielen unzureichend gewesen sind. Ich rücke davon auch nicht ab. Plakativ: Die russischen Streitkräfte hatten vor Kriegsbeginn allein in der Region Belgorod stärkere mechanisierte Kräfte zusammengezogen als der Ukraine im Osten des Landes überhaupt zu Verfügung standen. Die Massierung der russischen Kräfte jetzt dahingehen umzudeuten, dass das ja eh nie gereicht hätte, negiert die Zähigkeit des ukrainischen Widerstands, die Effektivität der westlichen Waffen und den Umstand, dass eine kompetentere Armee mit soliderer militärischer Planung mit den zu Verfügung stehenden Mitteln wesentlich mehr hätte erreichen können. Auch zu diesen Punkt können wir tiefer einsteigen, aber wie gesagt – unzureichende Kräfte gemessen an den kolportierten Kriegszielen ja, gleichwohl erhebliche materielle und personelle Überlegenheit gegenüber den Verteidigern bei Kriegsbeginn.
Hinsichtlich Mobilisierung – es ist eben dahingehend kein ‚passabler Startpunkt‘ für die russische Seite, Wehrpflichtige oder Reservisten in den Kampf zu werfen, dass es sich nicht um einen der üblichen Konflikte handelt in denen sich Russland für gewöhnlich involviert. Will heißen, dieser Krieg fordert Verluste, die jetzt schon weit über alles hinausgehen, dass die russische Föderation seit ihrem Bestehen erlitten hat. Jetzt mit Reservisten und Wehrpflichtigen die Ukraine niederringen zu wollen heißt Verluste in Kauf nehmen zu wollen die für Russland nicht tragbar sind. Da hilft auf kein Verweis auf Sowjetrussische Zeiten oder einen kolportierten ‚Russian way of life‘ – Russland heute ist ein anderes Land als die Sowietunion 1941 und die Aussicht, potentiell Hundertausende Familienväter oder die noch verbleibenden wenigen Söhne in einem besseren Grenzkonflikt zu verheizen, ist auch in Russland nicht mehr vermittelbar und politisch nicht Durchhaltefähig. Wenn du das anders siehst –> ‚Söhne und Weltmacht‘ als Grundstudium. Freilich ist die russische Gesellschaft dahingehend leidensfähiger als die westlicher Länder, aber alles hat seine Grenzen. Putin&Co wissen das auch sehr genau. Wie schon geschrieben, dass er so medienöffentlich empfindlich auf Meldungen reagiert hat, russische Wehrpflichtige würden in der Ukraine kämpfen kommt nicht von ungefähr.
Und nein, wie gesagt, diese Reservisten und Wehrpflichtige werden keine höhere taktische Kompetenz an den Tag legen können als Berufssoldaten. Auch nicht mit ‚kurzer Vorbereitung‘. Ich weiß nicht wie man überhaupt zu dieser Annahme kommen kann? Das mutet mir geradezu absurd an. Plakativ: Nach ‚kurzer Vorbereitung‘ kann man froh sein, wenn diese ausgehobenen Reserven unter Beschuss das Ak47 gerade halten können. Die Idee – Zitat - ‚in höchsten drei Monaten nach einer Mobilmachung der ukrainischen Widerstand zu ersticken‘ wird nicht so in einem russischen Sieg, sondern angesichts der Realität des modernen Schlachtfeldes in einem Gemetzel epischen Ausmaßes enden.
Wenn Mobilisierung effektiv sein soll heißt das Training, Training, Training. Individuell, am Gerät und in der Einheit. Die russische Armee hat kein Reservesystem im westlichen Sinne, dass ihnen jetzt ermöglichen würde gefechtsfähige Reserveeinheiten rasch in den Einsatz zu bringen. Zwar sind die humanen Reserven potentiell gewaltig, Mobilisierungsstrukturen wie wir sie aus Israel, Finnland, den Vereinigten Staaten oder auch aus früher aus der Bundesrepublik kennen existieren nicht. Und das fällt ihnen jetzt halt auf die Füße, wenn dieses rohe Potential mit minimaler Vorbereitung in den Kampf geworfen werden soll.
Was das eingemottete Gerät angeht – die These das Russland nach der Sowjetära substantielle/relevante (?) Reserven generiert hätte halte ich gelinde gesagt für hanebüchen. Tatsache ist doch vielmehr, dass Russland den Bestand eingemotteter Fahrzeuge aus Sowjetzeiten kontinuierlich und erheblich verringert hat. Die letzten belastbaren Zahlen liegen da mittlerweile deutlich unter 10k noch physisch vorhandenen Panzern. Ebenso unbestreitbar ist doch, dass Russland nicht die nötigen Mittel aufwendet um den noch bestehenden Reservefuhrpark vollumfänglich gefechtsfähig zu halten. Die Frage ist insofern zuallererst, in welchen Umfang eingemottetes Gerät ohne *monatelange* Instandsetzung gefechtsfähig ist. Ich vermute – basierend auf dem allgemeinen Zustand des aktiven russischen Geräts, die strukturelle Unterfinanzierung der Reserve und an der galoppierende Korruption in der russischen Gesellschaft – das die schnell verfügbaren Reserven kaum ausreichen werden, die bereits erlittenen Verluste in der Ukraine auszugleichen. Längerfristig gesehen dürfe sich mit nicht unerheblicher Kraftanstrengung noch mehr Schlagkraft regenerieren lassen, da sprechen wir dann aber über Zeiträume deutlich jenseits des Sommers.
Grundsätzlich scheint es mir als würdest du in deinen Vorstellungen noch zu sehr in der alten Sowjetunion verhaftet sein. Es ist etwa mitnichten die ‚ausgewiesene Doktrin‘ der russischen Armee den Feind mit schierer Masse erdrücken zu wollen. Das war meinetwegen mal der Sowjetische Ansatz jenseits der nuklearen Gefechtsführung im Kalten Krieg, die Armee der russischen Föderation hat sich davon in den letzten drei Jahrzehnten doch deutlich emanzipiert. Mit dem Resultat dieser Emanzipation scheiterte man freilich in der Ukraine was nun sicherlich dazu führt, sich vermehrt an Altbewährten Konzepten zu orientieren. Was mangels Masse und Opferbereitschaft nur schiefgehen kann.