Russland vs. Ukraine
Ich glaube nicht, dass die Ukrainer drum herum kommen werden, Cherson zu befreien. Sie werden nicht genug Kampfkraft über die gesamte Frontlänge aufbringen können, um den Russen dauerhaft standzuhalten oder sie gar zurück zu drängen. Dafür muss die Cherson-Front ins Wasser verlegt werden, wie auch immer man das schafft. Nur hier kann man die Nachschubwege ausreichend stören, nur hier hat man das natürliche Hinderniss des Dnjepr. Bleibt dieser Brückenkopf bestehen, wird man hier dauerhaft zu viel Kräfte gebunden haben, als dass man andernorts, wo die russische Logistik besser funktioniert, erfolgreich sein könnte.
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(31.08.2022, 22:36)Quintus Fabius schrieb: Meiner Ansicht nach sind das ca. um die 20.000 Mann auf russischer Seite. Von Armeen ist man mit so einer Zahl noch weit entfernt.
Nicht bezogen auf das was in Russland unter Armee firmiert und nach 6 Monaten Krieg noch übrig ist.

Wie auch immer, Russland hat in der Region in den letzten ein bis zwei Monaten so massiv verstärkt, dass dort kurz und mittelfristig meines Erachtens nicht mehr mit einschneidenden Ergebnissen zu rechnen ist, allen logistischen Problemen zum trotz.
Den Ukrainern mangelt es schlicht an geeigneten schweren Material um mehr zu erreichen als die Russen mit lokal beschränkten Einbrüchen unter Druck zu setzen und etwas zurückzudrängen. Das ist ob der Nachschubsituation sicherlich ein gewinnbringendes Unterfangen, es würde mich jetzt aber sehr überraschen, wenn die Russen hier jetzt auf breiter Front zurückweichen oder gar einbrechen würden.

Ich denke auch nicht, dass die Ukrainer hier von einer gänzlich anderen Entwicklung ausgehen. Es gibt mittlerweile auch durchaus aus Kiev und dem Pentagon die ein oder andere Meldung die den eher beschränkten Charakter der Offensive unterstreichen.
Das hätte auch anders sein können. Wenn sich der Westen im Frühjahr dazu hätte durchringen können den Ukrainern auch nur einige Hundert MBTs zu Verfügung zu stellen wäre die Situation eine ganz andere.
Aber man wollte ja nicht.
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Also ich bin mir da nicht mal so sicher. Dass man Kritik an der Zähigkeit, mit der manche Lieferungen vonstatten gingen, äußern kann, ist sicherlich teils richtig (nicht allerdings am Umfang). Gleichwohl denke ich, dass einige hundert MBT in den ersten Wochen des Konfliktes nicht wirklich was bewirkt hätten, da auch die Russen in dieser Zeit (bis grob Mai) mit unpassierbaren Wegen und Feldern bzw. Schlamm zu kämpfen hatten - die Bilder von T-80, die bis zum Turm weggesackt waren, sind ja bekannt.

Und bspw. immerhin die Polen haben den Ukrainern bis Mai rund 200 ältere T-72 bzw. dessen eigene Derivate zur Verfügung gestellt. Großartig zum Einsatz kamen sie allerdings nicht, gibt sogar Hinweise, dass die Ukrainer ihre eigenen T-64-Modelle vorzogen. Die Hälfte der T-72 musste bei Ankunft erstmal in die Wartung, dann standen nicht genügend Crews bereit, dann kam der Artilleriekrieg im Donbass.

Im Ergebnis kamen vllt. ein Drittel der großangekündigten polnischen Tanks punktuell zum Einsatz, und das auch nur stückweise. Und man musste feststellen, dass bei den polnischen Tanks die Türme genauso leicht wegfliegen wie bei den Russen, deren ATGMs nun auch nicht so schlecht sind. Insofern: Wenn man im April einige hundert westliche MBT geliefert hätte - ich denke nun mal an Abrams, Leopard oder Leclerc -, wären sie erstmal auf Halde herumgestanden, d. h. keine ausgebildeten Crews, keine passierbaren Straßen, Logistikprobleme. Sie wären also keine große Hilfe gewesen, da die Rahmenbedingungen noch nicht geschaffen worden waren und weil sie klimatisch und topographisch erst einmal nur sehr begrenzt eingesetzt hätten werden können. Wenn man dann mit der Umschulung ab April (sehr optimistisch) begonnen hätte, hätte man nun in der Endphase des Sommers die ersten Einheiten einsetzen können, aber vermutlich auch nur punktuell und nicht im Rahmen einer großen Durchbruchsschlacht.

Aber wenn der recht heiße Sommer nun vorübergeht, quasi die klassische Bewegungskriegsphase, der Regen dürfte wohl im September und damit recht bald kommen, dann ergibt sich die gleiche Lage wieder wie im Frühjahr. Ich vermute, dass die Ukrainer deswegen aktuell noch etwas Boden gewinnen wollen, bevor alles wieder sich festfährt.

Es würde also, wenn man eine Neuauflage des Konfliktes im Frühjahr 2023 nach einem möglichen Waffenstillstand im Herbst anstrebt, Sinn ergeben, jetzt Ausbildungsmaßnahmen auf modernen Systemen vorzunehmen - aber (und da gebe ich dir durchaus recht) es sind bislang ja immer noch keine westlichen MBT in Sicht, d. h. dass man sie bislang immer noch nicht geliefert hat, ist tatsächlich ein Versäumnis. Zumal die Ausbildung einer gut abgestimmten Crew sicherlich 5-6 Monate dauern dürfte...

Schneemann
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Broensen:

Hätten die Ukrainer eine ausreichende mechanisierte Komponente, wäre ein Schlagen aus der Nachhand wesentlich zielführender als der Versuch einer Gegenoffensive oder das Halten von Linien. Die starren Fronten welche sich da gebildet haben, waren und sind bestimmten Umständen geschuldet, sie sind aber militärisch gar nicht so sinnvoll von ukrainischer Seite aus. Genau genommen ist die ukrainische Kriegsführung zu linear, zu steif und damit zu sehr auf die Abnutzung hin ausgerichtet und gerade dadurch ist sie nachteilig gegenüber den russischen Streitkräften, welche sich ja exakt auf diese Art der Kriegsführung regelrecht spezialisiert haben.

lime:

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass der Nachschub durch HIMARS so weit zum Erliegen gebracht werden kann, dass die Bastion Kherson dadurch ausfällt. Kherson liegt einfach zu Nahe an der Krim, es hat einen Seehafen und einen Flusshafen und es gibt eine Unzahl von Schiffen dort, die Schwarzmeerflotte und die russischen Luftstreitkräfte können dort besser wirken als an jedem anderen Punkt.

Um (wie ich es ja schon einmal beschrieben habe) den rückwärtigen Raum auf der anderen Seite des Djnepr durch Feuer ausreichend sperren zu können, muss man von ukrainischer Seite "zu weit nach vorne", also damit zu nahe an die Bastion Kherson heran, und damit zu sehr in die Reichweite russischer Artillerie welche dann aus Kherson heraus wirken kann. Der Versuch die russischen Versorgungsketten auf der anderen Seite des Djnepr zu kappen führt also zwingend dazu, dass man hohe Verluste bei kritischen Systemen erleidet, weil Kherson hier wie die vorgeschobene Bastion einer Festung dies den Russen genau so ermöglicht.

Und den Fluss direkt bei Kherson vollständig mit Artilleriefeuer zu sperren um so der russischen Artillerie in der Stadt selbst den Nachschub zu nehmen wird keinesfalls gelingen. Dazu gibt es zu viele Möglichkeiten, zu viele Boote und Schiffe, und setzt man sich dann zu sehr feindlichen Artillerie- und hier auch Luftangriffen aus.

Aber ich will noch eine andere Theorie dazu darlegen: meiner Ansicht nach geht es den Ukrainern vor allem darum, in diesem Brückenkopf umgekehrt möglichst viele russische Truppen zu binden. Damit diese dort vorgehalten werden, muss man den Brückenkopf bedrohen. Dazu verwendet man Verbände welche man im starren Abnutzungskampf im Osten ohnehin nicht so einsetzen kann (beispielsweise Kampfpanzer etc) und dass führt dazu, dass die Russen dort im Brückenkopf für sie erhebliche Truppenmassen zusammen gezogen haben. Diese fehlen dann im Osten.

Die Zielsetzung der "Offensive" ist also gar nicht den Brückenkopf einzudrücken und auch nicht Kherson zu nehmen, es geht auch nicht um die Moral der Truppen insgesamt wie es hier der eine Sicherheitsexperte behauptet hat, sondern es geht darum den russischen Streitkräften an anderer Stelle Truppen zu entziehen und diese in dem Brückenkopf festzulegen. Damit wird die Situation für die Ukrainer dann an anderer Stelle besser.
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Und mal wieder was zur sogenannten Internationalen Legion (ukrainische Quelle!)

https://kyivindependent.com/investigatio...misconduct

Zitat:Suicide missions, abuse, physical threats: International Legion fighters speak out against leadership’s misconduct

The Kyiv Independent’s investigation reveals endemic problems in one of the International Legion’s wings that is overseen by Ukraine’s intelligence.

Some of the unit’s commanders are implicated in arms and goods theft, sexual harassment, assault, and sending unprepared soldiers on reckless missions, according to multiple sources.

The allegations in this story are based on interviews with legionnaires, written testimonies of over a dozen former and current members of the legion, and a 78-page report they’ve put together about problems within this particular unit of the International Legion.

For about four months, foreign fighters have been knocking on the doors of high offices asking for help. The report was filed to the parliament, and written testimonies were sent to Zelensky’s office. Alyona Verbytska, the president’s commissioner for soldiers’ rights, confirmed she had received legionnaires’ complaints and passed them on to law enforcement.

But authorities, soldiers say, are reluctant to solve the issue.

Solche Vorgänge sind in einem ernsthaften Krieg und gerade bei solchen Einheiten allerdings nicht ungewöhnlich. Zudem ist die Internationale Legion ja keineswegs der einzige Freiwilligen-Verband aus Ausländern welcher in der Ukraine kämpft. Notorisch berüchtigt sind beispielsweise auch die Norman Brigade oder die Georgische Einheit.
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(01.09.2022, 08:19)Schneemann schrieb: Also ich bin mir da nicht mal so sicher. Dass man Kritik an der Zähigkeit, mit der manche Lieferungen vonstatten gingen, äußern kann, ist sicherlich teils richtig (nicht allerdings am Umfang). Gleichwohl denke ich, dass einige hundert MBT in den ersten Wochen des Konfliktes nicht wirklich was bewirkt hätten, da auch die Russen in dieser Zeit (bis grob Mai) mit unpassierbaren Wegen und Feldern bzw. Schlamm zu kämpfen hatten - die Bilder von T-80, die bis zum Turm weggesackt waren, sind ja bekannt.

Es geht nicht um einen Einsatz in den ersten Wochen des Konflikts sondern um den Lieferbeginn. Wenn man - wie von mir damals gefordert - die Ukrainer ab dem Frühjahr im erheblichen Umfang mit westlichen Kampfpanzern ausgestattet und an ihnen ausgebildet hätte wäre es jetzt möglich gewesen dieser Offensive viel größeren Schwung zu verleihen.
Wenn es überhaupt dazu gekommen wäre und die ersten entsprechend ausgerüsteten Verbände nicht schon im Juni/Juli eine Entscheidung im Süden vor dem Eintreffen der russischen Verstärkungen hätten erzwingen können.

Diese Gekleckere mit den letzten abgehalfterten Sowjetkisten aus Osteuropa taugt nur als Notnagel und kann den Krieg nicht im positiven Sinne entscheiden. Dafür waren die Reserven schlicht zu gering. Wenn der Krieg weitergehen soll wird man längerfristig eh nicht umhin kommen diese heilige Kuh des Diplomatischen Parketts zu schlachten und viel kompromissloser westliches Gerät einführen. Und ist man dazu nicht gewillt kann man sich den nächsten Winter gleich sparen und sofort in Verhandlungen mit Russland eintreten. Mit dem jetzigen Kräfteverhältnis und Materialeinsatz aus dem Westen wird sich so schließlich nichts mehr entscheidend tun.
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Eine Entscheidung herbei zu führen wäre aber genau falsch. Es würde auch keinen nachhaltigen Frieden zur Folge haben, sondern selbst im Falle einer vollständigen Rückeroberung aller ukrainischen Gebiete lediglich einen Folgekrieg. Gerade deshalb ist das Ausmaß der Waffenlieferungen exakt richtig, auch wenn ich diese anfangs falsch eingeschätzt habe.

Zur Offensive in Richtung Kherson:

Aus dem Studium russischer Quellen ist es inzwischen mein Eindruck, dass die Ukrainer gar nicht in Richtung Kherson vorstoßen, sondern versuchen den Djnepr nördlich davon zu erreichen. Zielsetzung ist meiner Interpretation nach das russisch besetzte Gebiet zwischen Zolota Balka bis maximal Nova Khakovka einzudrücken. Erst in einem zweiten Schritt könnte man dann von dort aus in westlicher Richtung bis zum Inhulez Fluss vorrücken bzw. diesen und das sumpfige Waldland entlang dieses Flusses als Deckung der eigenen Flanke verwenden.

Entsprechend laufen die zwei "Hauptachsen" der ukrainischen Angriffe meiner Ansicht nach von Losowe (inzwischen unter ukrainischer Kontrolle, und südlich des Flusses dort) in südöstlicher Richtung und dann die Straße T2207 entlang in Richtung Nova Khakovka und im Norden parallel zum Djnepr die Straße TO403 südwärts. Beide Straßen vereinigen sich dann genau bei Beryslaw am Djnepr gegenüber von Nova Khakovka.

Sollte diese Operation gelingen, wäre das bereits ein erheblicher Erfolg und man könnte dann aus dem Gebiet zwischen dem Inhulez Fluss und Beryslaw die rückwärtigen Räume der Russen hinter Kherson auf der anderen Seite des Djnepr recht weitreichend unter Feuer nehmen.
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Das hatten wir ja schon.
Meiner Meinung nach ist eine schnelle Entscheidung zugunsten der Ukraine die für alle Beteiligten beste Lösung. Ja, das löst den Konflikt in dem Sinne nicht, dass der Kreml weiterhin aus Mücken Elefanten machen und Gründe erfinden kann warum es jetzt unbedingt einen Nachfolgekrieg geben muss.
Gleichzeitig besteht aber durchaus auch die Möglichkeit, dass man derart mit Wunden lecken beschäftigt ist bis sich das Regime Putin überlebt hat oder zumindest die ukrainische Armee stark genug ist um neuen Abenteurern den Wind aus den Segel zu nehmen.

Dein Ansatz des fortwährenden Kleinkrieges am besten über viele Jahre (der ja so auch in den USA präferiert wird) scheitert meines Erachtens schon schlicht an den politischen wie gesellschaftlichen Flurschäden im Westen, selbst wenn die Ukraine dauerhaft bereit wäre den dafür notwendigen Blutzoll und Wohlstandsverlust in Kauf zu nehmen. Was ich auch nicht für ausgemacht halte.
In jedem Fall aber sehe ich nicht, dass Europa querschnittlich bereit ist mehr als einen Kälte-Winter als Happening mitzumachen. Die Wahrscheinlichkeit ist da viel zu groß das ... Stimmen wie aktuell der sächsische Ministerpräsident Gehör finden, die Koste es was es wolle auf eine Einfrierung des Konflikts drängen. Dann haben wir nicht den präferierten Kleinkrieg in dem Russland langsam ausblutet sondern einen fortwährend schwelenden Konflikt in dem die Russen bereits maximale Zugeständnisse einfordern konnten und selbstverständlich genauso sofort weitermachen werden wenn es ihnen passt.

Zu Kherson:
Da stößt Infanterie unterstützt durch leichte Panzerfahrzeuge gegen vollmechanisierte Verbände vor. Ich erwarte da keine operativ relevanten Verschiebungen und einen hohen Blutzoll auf beiden Seiten.
Das mag angesichts der russischen Nachschubprobleme für die Ukrainer günstig sein, Erfolge werden sich aber nur dadurch einstellen, dass die Russen unter zu großen Druck Gebiete räumen müssen.
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Zu Kherson:

Voll-mechanisierte Verbände benötigen immense Mengen an Verbrauchsmitteln, und die BTG der Russen aufgrund ihrer Artillerie-lastigkeit gleich noch mal mehr. Da alle Brücken in diesen Bereich hinüber sind, ist die Durchhaltefähigkeit dieser vollmechanisierten Einheiten meiner Meinung nach fragwürdig.
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Im Prinzip ja. Allerdings bieten sich den Russen über die Brücken hinaus aber noch einige andere Möglichkeiten um zumindest die nötigste Verosrung zu garantieren - Pontons, Fährbetrieb, Hubschrauber, kleine Transportflugzeuge. Da geht so einiges, inwieweit die Russen das kompetent genug aufgezogen bekommen ist natürlich auch fragwürdig.
Ein weiterer Punkt den wir überhaupt nicht beurteilen können ist wie viel Material die Russen im Vorfeld haben heranschaffen können. Das was da jetzt läuft ist je keine besonders überraschende Entwicklung sondern sollte mindestens den lokalen Kommandeuren über zwei, drei Monate klar gewesen sein.
Und schlussendlich, der Materialverbrauch kann gerade in der Defensive schon erfheblich reduziert werden. Erst recht wenn es dann wie hier gegen einen unterlegenen Gegner geht. Will heißen, der Verbrauch an Materiel ist für einen mechanisierten Verband geringer wenn er gegen leichtere Verbände lediglich halten muss.

Von daher, who knows. Auszuschließen ist sicherlich nicht, dass die Ukrainer die Russen soweit unter Druck setzen können, dass das halten da zu kostspielig wird. Aber ich sehe das so aktuell nicht und wäre auch überrascht, wenn sich da vor der Schlammsaison noch groß irgendetwas tut außer großen Verluste auf beiden Seiten.
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In Wahrheit sind wir über die Erfolgsaussichten der ukrainischen Offensive gar nicht auseinander, und ich hatte ja mehrfach explizit geschrieben, dass ich sie für verfrüht halte, dass ich sie für einen Fehler halte und dass ich die Erfolgschancen als sehr gering ansehe.

Aber es gibt hier natürlich keine Axiome. Anscheinend ist die russische Verteidigung entlang der von mir beschriebenen Straßen geschwächt / angeschlagen, aus welchen Gründen auch immer, oder es macht zumindest so den Eindruck. Und auch das könnte - wenn die Russen fähige Offiziere vor Ort haben - auch noch eine Falle sein, den das Gelände und die genannten Achsen könnten hier auch den Russen ein Schlagen aus der Nachhand ermöglichen, wodurch die vorgedrungenen ukrainischen Verbände nun ihrerseits von den Russen eingekesselt und dann vernichtet werden.

Von daher ist hier immens viel möglich, für beide Seiten. Schlußendlich müssen die Ukrainer aber die von mir beschriebenen Achsen nehmen und das genannte Gebiet einnehmen, alles andere macht zum einen keinen Sinn, und ist zum anderen zwingend notwendig wenn man gegen Kherson selbst vorrücken will.

Auch und gerade um die von dir beschriebenen anderen Transportmittel anzugehen, insbesondere Fähren, Flussschiffe und im Bereich des Seehafens von Kherson auch größere seegängige Schiffe, ist es notwendig in den genannten Raum vorzudringen, weil dann von dort aus ukrainische Artillerie diese russischen Transporte am ehesten angehen kann und nur so tatsächlich der Nachschub der Russen so weit abgestellt werden kann, dass sie dann nachhaltiger einknicken.

Von daher der richtige Gedanke, die richtigen Ziele, aber wie geschrieben verfrüht und deshalb mit unzureichenden Kräften und damit meiner Meinung nach ein Vabanque Spiel in Richtung Hasardeurtum.
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Wenig mehr als Kaffeesatzleserie bei dieser Informationslage. Kann alles sein.

Mein Eindruck ist noch eher zu spät als zu früh. Dei ganze Geschichte im Süden hat sich ja aus dem Umstand herausgebildet, dass die Ukrainer schon ab Ende Mai in die Offensive gegangen sind und dabei Anfangs größere Geländegewinne gemacht haben als sich bislang während dieser Offensive abzeichnet. Schlicht weil die Russen im Juni noch nicht genügend Kräfte in diesem Frontbereich hatten.
Meine Hoffnung bzw. auch Erwartung zu diesem Zeitpunkt war eigentlich gewesen, dass man im Südabschnitt der Front entlang der M14 über Kyselivka auf dem Flughafen Kherson zustößt udn wichtiger noch, die T1501 abriegeln kann sodass die russischen Kräfte im Raum zwischen Zomyna Balka und Stanislaw abgeschnitten gewesen wären. Das sa auch eine ganze Zeitlang recht günstig aus, aber ganz offensichtlich waren die Ukrainischen Kräfte im Schwerpunkt unzureichend und der Angriff lief sich auf Höhe Kyselivka irgendwann aus.

In dem Zusammenhang frage ich mich auch, wie man schon damals auf dem Trichter gekommen ist im Raum um Davydiv Brid angreifen zu müssen. Natürlich kennt man die Situation vor Ort nicht, aber nach meinem Dafürhalten stößt man hier zumindest mit den ukrainischen Möglichkeiten ins weite operative Nichts, selbst wenn man erfolgreich durchbricht sind das 50 Kilometer über freie Ackerflächen bis man auch nur den Denjpr irgendwo in der Pampa erreicht. Mir schiene es sinnvoller zu sein, die beschränkten Mittel möglichst in einem Schwerpunkt konzentieren, idealerweise dort, wo man im Maximum auf weniger als 15km ans Zielobekt (Flughafen, T1501) herangekommen ist.

Aber man steckt natürlich nicht drin. Jedenfalls ist diese Offensive mit ihrem unbefriedigenden Ende mitverantwortlich dafür, dass die Russen über Juli und August hinweg dort massiv verstärkt haben. Jetzt hat man dort eine massiv andere und meines Erachtens auch nicht mehr wirklich günstige Lage - das HIMARS-Brücken-Theater hin oder her - sodass man sich schon fragen kann, ob es das jetzt so wirklich braucht.
Ich sehe aber auch nicht wie sich die Lage hier im Sinne von die Offensive kommt jetzt verfrüht in absehbarer Zeit ändern wird. Der Herbst mit viel Schlamm rückt näher und danach wird es für angreifende Infanterie über kahle Äcker noch sehr viel unvorteilhafter.
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Gerade in diesem Bereich ist die Schlammzeit deutlich weniger ausgeprägt als im Rest der Ukraine. Das ist spezifisch dort in keiner Weise vergleichbar wie im Norden oder in anderen Bereichen. Die Böden dort sind trockener, natürlich nicht alle, aber querschnittlich.

Zitat:idealerweise dort, wo man im Maximum auf weniger als 15km ans Zielobekt (Flughafen, T1501) herangekommen ist

Einen solchen direkten Vorstoß nach Kherson halte ich für sowohl falsch als auch für noch risikoreicher und zum Scheitern verurteilt. Man könnte ja den Flughafen nicht halten und nur um den Betrieb dort vollständig abzustellen reicht es ja ihn in Artilleriereichweite zu haben. Warum also sollte man so direkt nach Kherson vorstoßen wollen? Die Stadt ist so aktuell nicht zu nehmen, und in den anderen Gebieten ist die russische Truppendichte viel geringer, erzeugt man weniger Zerstörung und zivile Verluste und kann mehr manövrieren, da es dort zumindest Platz dafür gibt.

Was für einen Sinn sollte so ein direkter Vorstoß auf Kherson haben?
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@Quintus
Zitat:Gerade in diesem Bereich ist die Schlammzeit deutlich weniger ausgeprägt als im Rest der Ukraine. Das ist spezifisch dort in keiner Weise vergleichbar wie im Norden oder in anderen Bereichen. Die Böden dort sind trockener, natürlich nicht alle, aber querschnittlich.
Das ist sicherlich richtig. Das Gebiet zw. Cherson, Perekop und Mykolajiw ist z. T. sogar verkarstet, d. h. weniger "wasserempfindlich" als die Gebiete im Donbass.

Gleichwohl bin ich mir noch nicht so sicher, ob dies nun den Einsatz von schwerem Gerät begünstigt. Manche Gebiete dort sind relativ unübersichtlich, teils gibt es steile Geländeeinschnitte, teils ausgedehnte Wasserläufe. Schon die Deutschen und Rumänen haben sich dort 1941 zumeist mit Infanterie vorgearbeitet, was auch ihre relativ hohen Verluste erklärt, während Panzer meistens als Back-Up fungierten.

Ein weiterer Punkt ist, dass es dort in diesen Gebieten gezwungenermaßen relativ viele Straßenbrücken (bedingt durch die Mäander und aufgestauten Teile von Dnjepr und Sywasch) gibt. Ich weiß nun nicht, wie deren Zustand aktuell ist, aber ich könnte mir vorstellen, dass sie im Vergleich zum Frühjahr deutlich stärkere Zerstörungsspuren aufweisen bzw. wesentlich weniger Brücken derzeit noch befahrbar sind als vor 5-6 Monaten. Zudem dürften, etwas spekulativ nun, die noch befahrbaren Brücken eher in Reichweite von Artilleriesystemen sich befinden (oder vermint sein).

Ein anderes Thema (hier auch schon mal thematisiert) - anscheinend sterben relativ wichtige russische Wirtschaftsfunktionäre derzeit wie die Fliegen. Und zumeist sind die Todesumstände eher seltsam (vorsichtig ausgedrückt). Es stellt sich die Frage, was hier dahintersteckt? Sind es versteckte Abrechnungen des Kreml mit früheren Kritikern an diesem Krieg? Oder Gleichschaltungsmaßnahmen, um die wichtigsten Konzerne auf Linie zu halten? Oder stecken doch mafiöse Strukturen dahinter?
Zitat:At least eight Russian businessmen have died in apparent suicide or accidents in just six months

CNN — At least eight prominent Russian businessmen have reportedly died by suicide or in as yet unexplained accidents since late January, with six of them associated with Russia’s two largest energy companies. Four of those six were linked to the Russian state-owned energy giant Gazprom or one of its subsidiaries, while the other two were associated with Lukoil, Russia’s largest privately owned oil and gas company.

Earlier this year, the company took the unusual public stance of speaking out against Russia’s war in Ukraine, calling for sympathy for the victims, and for the end of the conflict. Lukoil’s chairman Ravil Maganov died this week after falling out of the window of a hospital in Moscow, according to Russian state news agency TASS. [...] Another top Lukoil manager, Alexander Subbotin, was found dead near Moscow in May after reportedly visiting a shaman, TASS reported. Russia’s State News Agency quoted an official as saying authorities were called to an unconscious man suffering from a heart failure. TASS reported the police opened a criminal investigation into the case. [...]

In the first of the deaths reported this year, a top executive at Gazprom was found dead in his cottage in the village of Leninsky near Leningrad on January 30, 2022, according to Russian state media outlet RIA Novosti.
https://edition.cnn.com/2022/09/02/busin...index.html

Schneemann
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(02.09.2022, 22:57)Quintus Fabius schrieb: Was für einen Sinn sollte so ein direkter Vorstoß auf Kherson haben?

https://imgur.com/a/0KkDpGr

Hellblau markiert in etwa die ukrainischen Positionen zum Kulminationspunkt der Juni-Offensive, dunkelblau das was eventuell mit einem größeren Kräftedispositiv möglich gewesen wäre. In der ersten Phasen einer solchen Operation wäre es nicht um Kherson gegangen, vielmehr stellt der Flughafen den Fixpunkt den die (damals wenigen!) russischen Kampftruppen im Kherson verteidigen müssen und dann in dessen Rücken ein ukrainischer Vorstoß die letzten 5 Kilometer bis zu den Ausbuchtungen des Dnepr Deltas unmittelbar östlich von Biloserka auf Höhe Pryozerne-Komyschany nehmen können. Das würde die T1501 unterbrechen und die due im Stanislaw-Tomyna Balka haltenden und von ukrainischen Vorstößen über Olxeandriwka bedrängten russischen Verbände von der Versorgung abschneiden.

Ziel weiterführender Operationen wäre es dann gewesen, den Keil zwischen diesen Verbänden und Kherson zu vergrößern und diese Verbände durch einen Angriff aus dem Raum Olxeandriwka zu zerschlagen:
https://imgur.com/a/kJHRtT2
Die Russen hätten als Antwort natürlich Ihre Truppen Nordöstlich von Kherson zurück in die Stadt verlegen müssen und hätten wahrscheinlich versucht die M14 zu erreichen, entsprechend hätten die Ukrainer hier halten müssen. Diese erzwungene Verlegung führt aber natürlich dazu, dass sich die russische Präsenz nordöstlich von Kherson erheblich reduziert und sich das zähe ringen am Inhulets wie wir es gesehen haben nie materialisiert.
Stattdessen haben wir im Südwesten nach der Aufrollung der russischen Verbände westlich von Kherson eine erhebliche Frontverkürzung und stehen Mitte Juli am Denpr und direkt an der Stadtgrenze von Kherson.
Was dann ist hätte man sehen müssen.
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