(Zweiter Weltkrieg) Unternehmen Barbarossa
#47
(08.03.2023, 00:19)Quintus Fabius schrieb: Bleiben wir mal beim Punkt Flugzeuge:

Wenn ich für die Verteidigung eine Vorwärtsstrategie verfolge, und ich stehe sagen wir gemittelt 20 bis 40 km von der Grenze entfernt (was für die Mehrheit der Flugzeuge gar nicht der Fall war, die standen schon etwas weiter weg, wenn auch immer noch in "Grenznähe"), dann habe ich bei einer Reichweite von 300 km eine Operationstiefe von bis zu um die 100 km über die Grenze. Nicht gerade viel für eine weitreichende Operation in die Tiefe wie sie von sowjetischer Seite angedacht wurde. Entsprechend benötigst du eine ausreichende Infrastruktur vorne, damit die angedachte Angriffsoperation als Reaktion auf einen deutschen Angriff durchgeführt und aus der Luft unterstützt werden kann. Deshalb der entsprechende Ausbau dieser Infrastruktur "vorne" und die Belegung dieser Flugplätze als Reaktion auf die zunehmende deutsche Truppenkonzentration.

Alleine am ersten Tag hat die Wehrmacht 1.800 sowj. Flugzeuge vernichtet. Selbst die alten Jäger aus Mitte der 30iger wie I-15 und I-16 hatten eine Reichweite von 700 km und mehr, die neueren 1.000 km. Die "älteren" Bomber auch schon über 1.000 km und die neueren teilweise über 2.000 km. Ich hätte weiter oben von Radius und nicht von Reichweite schreiben müssen. Selbst bei einer offensiven Defensivdoktrin stell ich die Flugzeuge niemals in einen 40km Streifen, wie gesagt, teilweise im Wirkungsbereich der deutschen Artillerie.

Deine obigen Thesen halte ich nicht für überzeugend.

Und es gab keinen Defensivplan, sondern nur den Operationsplan v. 15.5., der eindeutig offensiv angelegt war. Und zu diesem Operationsplan paßt eben auch die Aufstellung der sowj. Luftwaffe. Das ist in sich absolut schlüssig.



(08.03.2023, 00:19)Quintus Fabius schrieb: Zur Frage der Chronologie:

Die deutsche Führung plante den Angriffskrieg gegen die Sowjetunion nachweislich schon 1940 ausführlichst.

Es gab lange vor der sowjetischen Truppenkonzentration an der Grenze ganz konkrete deutsche Kriegsplanungen mit dem Ziel eines Angriffskrieges gegen die Sowjetunion. Lies einfach die Originalquellen, und Berichte derjenigen welche selbst dabei waren und direkt in diese Planungen involviert waren.

Das ist doch alles unstrittig und durch den in der Tat erfolgten Angriff auch bewiesen.


(08.03.2023, 00:19)Quintus Fabius schrieb: Verbleibt natürlich die Frage, wozu dann der sowjetische Aufmarsch stattfand, und meiner rein privaten Ansicht nach (These) könnte es durchaus die Idee der Sowjets gewesen sein, einen Präventivkrieg zu führen, also einen Präventivangriff durchzuführen. Wozu es nicht mehr kam, weil die Deutschen ihnen mit dem Angriff zuvor kamen. Meiner Meinung nach könnte es also das Ziel der Sowjetunition gewesen sein, einen Präventivangriff zu führen. Das würde die entsprechende Dislozierung der Kräfte noch perfekter erklären.

Und genau das ist auch meine Meinung.



(08.03.2023, 00:19)Quintus Fabius schrieb: Selbst wenn dies der Fall gewesen ist, so wäre der deutsche Angriffskrieg dennoch immer noch kein Präventivkrieg, sondern das war schon 1940 als Angrifskrieg ganz konkret geplant und der Angriffskrieg gegen die Sowjetunion spukte eigentlich als politische Absichtserklärung bereits seit der Machtergreifung und in diffuser Form sogar schon davor in den Köpfen der führenden Nationalsozisalisten herum.

Es ist daher falsch, von einem deutschen Präventivkrieg zu sprechen. Die Kräftedislozierung der Sowjets ist dafür keinerlei (indirekter) Beleg. Allenfalls ist sie ein Indiz für einen etwaig von der Sowjetunion geplanten Präventivkrieg. Der deutsche Angriffskrieg stand aber schon vor dieser sowjetischen Truppenkonzentration an der Grenze eindeutig fest und verlief völlig unabhängig von jedweder sowjetischen militärischen Planung.

Das sehe ich nicht ganz so. Beide totalitären Systeme planten lange den Krieg gegeneinander. Diese Auseinandersetzung wurde als unausweichlich angesehen. Entsprechende Aussagen gibt es nicht nur von Hitler, sondern auch von Stalin. Und damit ist es dann doch ein Präventivkrieg. Wenn ich von einem Angriff ausgehe und deshalb zuerst angreife, dann ist es ein präventiver Angriff. Genauso hätte das auch die Sowjetunion für sich in Anspruch nehmen können, hätte sie am 1.6. in den deutschen Aufmarsch hinein angegriffen. Voraussetzung für einen Präventivangriff ist nicht, daß ich dem Gegner nur wenige Tage oder Wochen zuvorkomme. Und es reicht die Überzeugung, daß er mich angreifen wird, unabhängig von seiner Motivation. Bespr. greift er mich ebenfalls nur aus der Überzeugung an, selbst angegriffen zu werden.

Beides waren Systeme, die sich nicht an Regeln gehalten haben. Auch die Sowjets haben regelmäßig ihre Nachbarn überfallen.



(08.03.2023, 00:19)Quintus Fabius schrieb: Beschließend noch eine weitere recht brauchbare Quelle für dich diesbezüglich:

https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-16439

Das zieht sich übrigens so durch alle deutschen Originalschriften dieser Zeit, dass man davon ausging, die Sowjetunion rasch niederringen und besiegen zu können. Allein schon aus dieser Einschätzung heraus zeigt sich klar, dass hier kein Präventivkrieg geplant war, sondern von 1938 an ein absolut astreiner Angriffskrieg. Darüber diskutieren zu wollen ist recht müssig.

Es wäre daher viel interessanter darüber zu diskutieren, ob die Sowjets ihrerseits 1941 einen Präventivkrieg planten ! Das würde vieles was man da festgestellt hat erklären.

Es hätte ja auch fast gereicht. Und wäre nicht Griechenland dazwischen gekommen, wäre Moskau gefallen. Aber das ist alles müßig im nachhinein. Die Sowjets planten auch, und nicht esrt seit 1941, einen Angriffskrieg. Auch die vorherigen Operationspläne waren genauso offensiv angelegt.

Die kurze Zeit der Öffnung der Archive in den 90igern hat schon erstaunliches zutage gebracht. Gewißheit wird erst eine erneute Öffnung der Archive bringen, die aktuell unter Putin nicht absehbar ist.

Mir ging es darum, der aufgestellten Behauptung, die Frage wurde bereits in den 80igern entschieden und seitdem wird darüber nicht mehr diskutiert, zu widerlegen. Und die Behauptung, die Rote Armee war kampfunfähig, unvorbereitet, defensiv eingestellt und wurde von dem Angriff überrascht, zu widerlegen.

Wer das glauben möchte, wird das weiter glauben, unabhängig von dem, was ich, oder besser u.a. Schwipper, vorbringt, weiterglauben.

Ich denke, in diesem Strang wurde einiges vorgebracht, was nicht alle kannten und trägt zu einem Erkenntnisgewinn bei.

(08.03.2023, 11:27)Schneemann schrieb: @Rudi
Natürlich, ich habe selbst (wobei ich mich hinsichtlich der Weltkriege eher für Marinethemen interessiere) eine recht umfangreiche Buchsammlung dazu, angefangen beim spanischen Bürgerkrieg. Ganz interessant zu dem Thema sind John O'Connells The Effectiveness of Airpower in the 20th Century und Beevors The Battle for Spain. Zur Thematik Reichweite auch lesenswert (aber teils anderweitig etwas oberflächlich) Patrick Laureaus Polikarpov I-15. Bezogen auf "Barbarossa" selbst habe ich bspw. Carells Unternehmen Barbarossa (wobei er ja bekanntermaßen die revisionistische Schiene verfolgt und eine entsprechende Biographie hat, liest sich aber recht flott), Piekalkiewiczs Die Schlacht um Moskau (die Vorgeschichte ist hier aber eher dünner, es beginnt quasi nach 15 Seiten schon der eigentliche Konflikt, die historischen Presseberichte und die Lageeinschätzungen sind aber empfehlenswert), Glantzs Stumbling Colossus (er widerspricht der These, übrigens sehr detailliert, aber teils wenig lesefreundlich), Kershaws Stalinism and Nazism (sehr entschiedener Widerspruch, ich finde Kershaw aber teils auch eher weniger lesefreundlich, man muss sich teils durchwühlen; generell aber sehr sachlich). Roberts Planning for War ist hierbei auch interessant, liegt mir aber nur im Hefter und leider mit einigen fehlenden Seiten vor, da es eine ältere Kopie aus der Unibibliothek ist.
Leider nein. Denn genau jetzt sind wir am entscheidenden Punkt. Wir haben Argumente ausgetauscht, und uns dabei gedreht, sind aber immer näher an den Kulminationspunkt herangerückt. Und nun, in der Mitte des Kreises angekommen, erfolgt die entscheidende Frage - die Frage nach der "smoking gun", die "Gretchenfrage" quasi. Und diese lautet eben: Wo sind die Angriffsbefehle, wo ist der gegengezeichnete Marschbefehl, wo ist die "Stalin'sche Führerweisung" zum Losschlagen?

Es gibt sie nicht...



Und es drehte sich da schon seinerzeit vieles um technische, logistische oder planungsspezifische Fragen. Anfangs zumindest. Aber wenn man dann irgendwann die Frage nach den Befehlen, nach den Anweisungen stellte, brach der Diskurs oft steil ab. Es gab dann ferner fast immer die Entwicklung, dass das Gegenüber indigniert und teils beinahe beleidigt reagierte, so als wie wenn die Frage unzulässig, geradezu "häretisch" sei. Und deine Reaktion, dass das "unsachlich" sei, interpretiere ich ähnlich.

Aber es ist leider die entscheidende Frage.

Schneemann

Tut mir leid, da machst Du Dir das zu einfach. Man kann ja auch nicht die Judenvergasungen leugnen, nur weil es keinen von Hitler unterschriebenen Befehl dazu gibt.

Und Igor Bunitsch (und inszwischen weitere russ. Historiker) berichten genau von diesem Befehl des Volkskommissrs für Verteidigung der UdSSR v. 11.6.41. Dort steht: "Die Stäbe der Militärbezirke (Fronten) ... haben zum 1.7.1941 zur Durchführung von Angriffsoperationen bereit zu sein...

Allerdings mit dem Schönheitsfehler der fehlenden Quellenangabe, was aber durchaus zum Schutz seiner Quelle verständlich sein kann. Und dann gibt es genau die Folgebefehle, Direktiven usw. die man nach so einem Befehl erwarten würde und die liegen im Original vor. Ich habe sie weiter oben aufgeführt. Einen von Stalin unterzeichneten Befehl hat es vllt. nie gegeben oder der schlummert mit Geheimhaltungsvermerk noch im Archiv.

Natürlich ist das ganze ein Indizienprozeß. Aber mit so vielen überzeugenden Indizien mittlerweile, die auch alle in sch schlüssig sind, das ein Urteil möglich ist.

(08.03.2023, 11:27)Schneemann schrieb: Ich war aber etwas unfair zu dir und muss mich entschuldigen, da ich ein wenig manipulativ vorging. Ich hatte diese Art von Diskussionen (bzw. ähnliche) schon vor zehn, zwölf Jahren geführt ...

Das sei Dir verziehen, kein Problem. Aber Danke für Deine Worte, die nicht selbstverständlich sind.
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