Kulturen im Konflikt
Ich stelle es mal hier ein - ggf. müsste man den Titel des Threads abändern. Aber das Kernproblem bzw. der Grundsachverhalt bleibt davon unberührt - die Demokratie westlicher Prägung befindet sich in der Defensive.

Und es ist die Frage, ob wir es nicht mit einer gewissen Art der Wiederholung der Geschichte zu tun haben? Auch nach 1918 gab es zunächst weltweit eine Zunahme hinsichtlich jener Staaten, die demokratisch regiert wurden - die großen Monarchien von Hohenzollern, Habsburgern, Romanows und Osmanen waren gestürzt worden -, die Zahl der Demokratien nahm dann aber bereits im Verlauf der 1920er langsam wieder ab und bekanntermaßen eskalierte die Lage dann in den 1930ern final hin zum Zweiten Weltkrieg.

Und aktuell - man könnte also sagen, genau ca. 100 Jahre später - sind wir vor ähnliche Probleme gestellt. Es sind heute zwar nicht mehr ein ultranationalistisch-militarisiertes Japan, ein auf Revision von Versailles und Gebietseroberungen im Osten ausgerichtetes NS-Deutschland, ein faschistisches und den alten Gebieten des antiken Roms hinterhertrauerndes Italien oder rechte Generäle in Spanien und Polen, aber die Situation ist dahingehend ähnlich, als dass andere Staaten diktatorisch reagiert werden und teils extrem militarisiert und nationalistisch ausgerichtet sind - und unverhohlen nicht nur Expansionsgedanken haben, sondern auch offen dem Westen oder Staaten, die mit dem Westen assoziiert sind, mit dem Militär drohen.

Und zugleich haben wir es mit einem Westen zu tun, der in vielerlei Hinsicht uneins ist und unter Druck steht. Die USA sind innerlich über Rassenthemen etc. zerstritten und bereits unter Trump war eine Tendenz erkennbar, die einen gewissen Isolationismus erkennen lässt zumindest gegenüber europäischen Problemen, wenngleich auch nicht gegenüber China. In Europa wollen die Briten lieber dem Ideal der früheren "splendid isolation" des längst verflossenen Empire nachträumen und wenden sich von der EU ab, auch wenn ihnen die Wirtschaft um die Ohren fliegt. Die Deutschen lavieren zur Genervtheit beinahe aller Verbündeter irgendwo zwischen Brüssel und wirtschaftlichen Eigeninteressen und haben wenig Begeisterung übrig für größeres militärisches Engagement, geben sich aber zugleich gerne oberlehrerhaft der Moralisierung hin. In Paris versucht die gegenwärtige Administration die EU hochzuhalten und schaut mit Sorge nach Nordafrika, aber muss gleichzeitig mit dem Fuß die Türe des eigenen Büros zudrücken, weil rechte und rechtsextreme Politiker versuchen, in das Zimmer reinzukommen, was die EU vermutlich final zerrütten würde, wenn dies gelänge.

Derweilen haben wir es mit einem massivst aufrüstenden und wirtschaftlich sehr starken China zu tun, das neue Seidenstraßenprojekte quer durch Asien spinnt, unverhohlen seinen Nachbarn mit Krieg droht und mit Geld versucht, die afrikanischen Staaten in eine neue, quasi beinahe koloniale Abhängigkeit zu bringen. Und ein Russland, dass seit grob 2008 sein Militär stark reformiert und wieder zu enormer Schlagkraft gebracht hat und dass derzeit die schwerste Krise in Europa seit Able Archer verursacht - auch wenn es "nur" die Wirtschaftskraft von Italien hat. Daneben sind wir in Europa umgeben von Konflikten im Mittelmeerraum (Libyen, Syrien), Hybridregimen (Türkei, Algerien), Volldiktaturen (Ägypten) und fragilen Staaten (Libanon). Und auf dem Balkan zündeln manche Nationalisten in Bosnien schon wieder...

Man kann nur hoffen, dass diese gegenwärtige Krise der Demokratie nicht genauso, d. h. so wie vor 100 Jahren die Phase in der Zwischenkriegszeit, die Ouvertüre ist vor dem großen Konflikt...
Zitat:Weltweite Untersuchung

Demokratie auf dem Rückzug

Nur noch 45,7 Prozent der Weltbevölkerung leben in einer Demokratie. Zu diesem Ergebnis kommt eine "Economist"-Studie. Es handelte sich um den stärksten Rückschritt seit 2010. Deutschlands Bewertung blieb unverändert.

Die Demokratie ist einer aktuellen Studie zufolge weltweit auf dem Rückzug. Wie die britische "Economist"-Gruppe in ihrem jährlichen "Demokratieindex" ermittelte, lebten 2021 nur noch 45,7 Prozent der Weltbevölkerung in einer Demokratie. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das einen deutlichen Rückgang. 2020 waren es noch 49,4 Prozent gewesen.Der neue Index "wirft ein Licht auf die anhaltenden Herausforderungen für die Demokratie weltweit, unter dem Druck der Coronavirus-Pandemie und der zunehmenden Unterstützung für autoritäre Alternativen", teilten die Autoren mit. [...]

Weit mehr als ein Drittel der Menschen leben in einer Diktatur - 37,1 Prozent bedeuteten ein leichtes Plus zu 2020. Der Anteil der autoritär regierten Staaten ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Die letzten drei Länder der Liste sind Nordkorea, Myanmar und Afghanistan.Kritisch sieht die Forschungseinheit der "Economist"-Gruppe auch die Rolle Chinas. "China ist nicht demokratischer geworden, während es reicher geworden ist. Im Gegenteil, das Land ist unfreier geworden", hieß es zur Begründung im Bericht "The China Challenge". Menschenrechtler klagen über zunehmende Überwachung sowie Repressionen gegen Regierungskritiker, Andersdenkende und Minderheiten wie die muslimischen Uiguren.
https://www.tagesschau.de/ausland/wenige...n-101.html

Schneemann
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Kulturen im Konflikt - von Erich - 05.05.2004, 21:27
RE: Kulturen im Konflikt - Übermacht des Westens? - von Schneemann - 13.02.2022, 10:03
RE: Kulturen im Konflikt - von Schneemann - 06.09.2023, 08:56
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