Sechster Nahostkrieg
Es wird vermutlich keine größeren Reaktionen (rein international gesehen) geben.

Das "Warschauer Syndrom" von 1944 - hier meinerseits schon einmal umrissen und auf den Nahen Osten, zugegeben, sehr arrogant meinerseits umgelegt - wird hier weiter vorherrschen, übrigens "schlimmer" noch als in Gaza geschehen.

Rein technisch gesehen, als Zahal die Hamas in Gaza in den letzten elf Monaten plattwalzte, gab es ein dezidiertes, mediales "Geschrei" aus manchen Ländern, obwohl sie ja sunnitisch sind und eigentlich ihnen das Schicksal der Palästinenser nahegehen müsste, aber faktisch ist sehr wenig geschehen (welcher säkulare sunnitische Staatschef des Nahen Osten mag schon sunnitische Fanatiker oder gar die Muslimbrüder?).

Und nun? Walzt die IDF die schiitische Hisbollah nieder. Eine konzertierte Operation, erst mit detonierenden Pagern und Walkie-Talkies, dann mit 2.000+ Luftschlägen. Gibt es aus den sunnitischen Staaten nennenswerte Reaktionen? Proteste aus Arabien? Aus Tunesien oder Algerien? Aus Ägypten? Aus Pakistan? Droht Hr. Erdogan mit weitreichenden Konsequenzen?

Nein.

Schließlich zermalmt Zahal ja aus säkular-sunnitischer (und auch extrem religiös-sunnitischer) Sicht nur "Häretiker". (Ich setze dies bewusst in Anführungszeichen, da ich die Schiiten nicht per se als Ketzer definieren will.)

Nicht, dass ich dies beweinen würde, wenn die unsäglichen Hetzer von Hisbollah und Co. sang- und klanglos untergehen (sicherlich nicht, meine Position dürfte bekannt sein - und wer sich die "Inhalte" von al Manar etc. einmal angeschaut hat, weiß, welche zutiefst düsteren Aspekte der Menschheitsgeschichte hier bedient werden), aber es stellt sich die Frage, ob denn die so seitens der iranischen Propaganda postulierte "Achse des Widerstands" nicht mehr nur ein Gespenst, sondern eher ein Gespinst ist, zumal und gerade im nahöstlichen Kontext?

Schneemann
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Nennenswerte Reaktionen können in diesem Kontext eigentlich nur konkrete Handlungen sein. Denn die Rethorik ist ja schon so schrill wie sie nur sein könnte. Gedroht wird zuhauf, auch von Erdogan. Nur sind Drohungen und überhaupt jede Art von Rethorik in dieser Region eigentlich irrelevant und allenfalls Teil psychologischer Kriegsführung bzw. des Kampfes im Informationsraum.

Rethorische Reaktionen dienen im weiteren vor allem auch rein innenpolitischen Motiven, um die eigene Bevölkerung für sich einzunehmen.

Im übrigen könnte man darauf verweisen, dass auf der rein rethorischen Ebene nicht nur Sunniten, sondern beispielsweise auch die Maroniten / Christen den aktuellen israelischen Angriff auf den Libanon sehr scharf verurteilen. Die rethorische Reaktion reicht daher inzwischen sogar zu den traditionellen Todfeinden der Hisbollah und auch diese sehen die Handlungen Israels als untragbar.

Aber was zählt sind am Ende nur reale Handlungen.

Insgesamt ist mir deine Sichtweise hierzu auch zu kurzfristig. Nur weil hier und jetzt keine militärische Reaktion / Eskalation erfolgt, heißt dies nicht, dass Israel praktisch nach Belieben damit durchkommen wird. Die Fernwirkungen bei derart radikalen Eingriffen sind nicht so eindeutig kalkulierbar. Und da Israel totalitäre / extremistische Kriegsziele verfolgt, entstehen dadurch sehr viele Möglichkeiten der Weiterentwicklung in jedwede Richtung. Schlussendlich erzeugt das gerade entstehende Chaos Chancen sowohl für die massivste Eskalation als auch für völlig andere Entwicklungen. Was auch immer aber daraus erwachsen wird, ist hier und jetzt meiner Überzeugung nach nicht so eindeutig kalkulierbar.

Langfristig gesehen halte ich es für sehr fragwürdig, dass die aktuelle Strategie der Regierung Netanyahu sich als Nutzen für Israel heraus stellen wird. Ganz im Gegenteil.
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Allgemein:

Ist Nasrallah eigentlich als Kombattant einzustufen ? Sind "Terroristen" dadurch dass man Feinde als solche bezeichnet automatisch vollständig rechtlos ? Ist es rechtlich gesehen noch im Rahmen der Verhältnismässigkeit derart viele Zivilisten mitzutöten, um einen Nicht-Kombattanten umzubringen ? (ja ich weiß, waren auch noch militärische Anführer / Offiziere mit im Bunker). Und wenn der Feind einfach durch Definition zu einem völlig rechtlosen Subjekt wird, warum dann nicht gleich alle Hemmungen fallen lassen. Es reicht ja ihn selbst nach Belieben zu klassifizieren um dann nach Belieben mit ihm verfahren zu können ?!

Und was soll diese Aktion strategisch konkret bewirken ? Mit wem will man jetzt noch verhandeln ? Wohin soll das langfristig führen ?

Meiner Ansicht nach ist die langfristige israelische Zielsetzung hier, ein Ende des Krieges proaktiv zu verhindern und im Idealfall den Krieg zu eskalieren bzw. den Krieg mit dem Iran herbei zu führen. Auf politisch-strategischer Ebene verfolgt die Regierung Netanyahu die Zielsetzung jedes Ende des Kriegs zu verhindern und die Option auf eine Eskalation zu schaffen. Und reagiert der Feind weiter nicht, "gewinnt" man ebenfalls, weil man dann den Feind stückweise abnutzen kann.

Die ganze aktuelle israelische Strategie zielt daher meiner Meinung nach darauf ab, den Krieg als mindestes auf dem aktuellen Niveau weiter zu führen, mit der Zielsetzung ihn wenn möglich auszuweiten. Man glaubt, damit käme man praktsich real auch langfristig nach belieben durch und die Feinde würden in der dardurch erzeugten Zwickmühle in jedem Fall verlieren, mal mehr oder weniger. Dazu kommt noch ein Aspekt:

Wenn der Feind jetzt eskaliert, zwingt dies die USA dazu, Israel weiter uneingeschränkt zu unterstützen. Damit verbaut man den USA die Möglichkeit, sich hemmend auf Israel auszuwirken und einen Waffenstillstand etc. herbei zu zwingen. Die Suche nach der Eskalation dient also auch der Überbrückung zu einem erhofften Sieg von Trump, damit die Regierung Biden nicht vor dem Wechsel die Hilfen für Israel reduziert, um damit diplomatischen Druck auf Israel auszuüben. Durch die Eskalation zwingt man die USA also dazu den Status Quo weiter zu führen.
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(27.09.2024, 23:38)Nightwatch schrieb: Nicht nur Hezbollah, eigentlich müsste auch der Iran langsam mal reagieren.

Da ist der Konjunktiv einmal mehr angebracht.

Die Iraner sitzen in ihren unterirdischen Waffenfabriken und überlegen noch.
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Zitat:Ist Nasrallah eigentlich als Kombattant einzustufen ? Sind "Terroristen" dadurch dass man Feinde als solche bezeichnet automatisch vollständig rechtlos ? Ist es rechtlich gesehen noch im Rahmen der Verhältnismässigkeit derart viele Zivilisten mitzutöten, um einen Nicht-Kombattanten umzubringen ? Und was soll diese Aktion strategisch konkret bewirken ? Mit wem will man jetzt noch verhandeln ? Wohin soll das langfristig führen ?

All diese Fragen stelle ich mir auch. Und zwar seit der wahnsinnigen Kriegsführung in Gaza schon. Israel ist in eine Art unkontrollierten Blutrausch verfallen. Aber liegt es jetzt wirklich am Iran, Israel zu stoppen? Und wenn ja, womit? Durch Beschuss? Ein Angriff Irans würde es dem Westen, Israels Partnern und Freunden, wahrscheinlich noch viel leichter machen, ihnen weiter den Rücken zu decken. Es würde diesen Krieg zu einer iranischen Sache machen und dazu noch die USA, UK usw. auf den Plan rufen. Die Rufe aus dem Iran oder arabischen Welt und auch anderen Staaten vor der UN hören wir. Sehr deutlich. Als Netanjahu gestern in New York die Bühne betrat, verließen die meisten Nationen den Saal. Aber dieses Organ funktioniert in dieser Struktur nicht. Es sind Israels Verbündete die "langsam" dem letzten ihr wahres Gesicht zeigen, indem sie nichts tun, im Gegenteil, sogar Israel weiterhin verteidigen, innerhalb der UN weiter blockieren. Also konkret den Israelis in diesen Tagen sogar noch über 8 Mrd. Waffenhilfe genehmigen. Es sind ganz erhebliche militärische Assets von Israels Partnern zur Abschreckung Irans zusätzlich in die Region verlegt worden. Der Ruf nach einer iranischen Reaktion, um Israel aufzuhalten ist eine Falle. Eine recht perfide sogar.
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Zitat: Israel Defense Forces @IDF
Hassan Nasrallah will no longer be able to terrorize the world.
https://x.com/IDF/status/1839937408587968917


Zitat:Full statement by the IDF on Nasrallah's death:

"The IDF eliminated Hassan Nasrallah, the leader of the Hezbollah terrorist organization and one of its founders, along with Ali Karaki, the commander of the southern front in Hezbollah, and other commanders in Hezbollah.

Fighter jets of the Air Force under the precise intelligence guidance of the intelligence wing and the defense system, attacked the central headquarters of Hezbollah, which is located underground, under a residential building in the Dahiya area of ​​Beirut.
The attack was carried out while the top brass of Hezbollah were at the headquarters and engaged in coordinating terrorist activities against the citizens of the State of Israel.

During the 32 years of the terrorist Hassan Nasrallah's tenure as the leader of the terrorist organization Hezbollah, he was responsible for the murder of many Israeli civilians and soldiers, and for the planning and execution of thousands of terrorist acts against the State of Israel and around the world. Nasrallah was the main decision-maker and the sole approver of strategic-systemic decisions, and sometimes also tactical decisions in the organization.

The terrorist organization Hezbollah and its leader Hassan Nasrallah, joined the war against the State of Israel on October 8. Since then, Hezbollah has continued its attacks against the citizens of the State of Israel, and has dragged the State of Lebanon and the entire region into escalation.

The IDF will continue to harm anyone who promotes and engages in terrorism against the citizens of the State of Israel."


(Gestern, 08:00)Quintus Fabius schrieb: Allgemein:
Ist Nasrallah eigentlich als Kombattant einzustufen ? Sind "Terroristen" dadurch dass man Feinde als solche bezeichnet automatisch vollständig rechtlos ?
Ist es rechtlich gesehen noch im Rahmen der Verhältnismässigkeit derart viele Zivilisten mitzutöten, um einen Nicht-Kombattanten umzubringen ? (ja ich weiß, waren auch noch militärische Anführer / Offiziere mit im Bunker).
Und wenn der Feind einfach durch Definition zu einem völlig rechtlosen Subjekt wird, warum dann nicht gleich alle Hemmungen fallen lassen. Es reicht ja ihn selbst nach Belieben zu klassifizieren um dann nach Belieben mit ihm verfahren zu können ?!

Nasrallah war sehr eindeutig ein legitimes Ziel. Er war Teil der Befehlskette bzw. in weiten Teilen autonomer Befehlshaber und wenigstens entscheidend beteiligt an strategischen Planungen und Entscheidungen des bewaffneten Armes der Organisation.
Er hatte also durchaus direkten Einfluss auf die Kampfhandlungen und war insofern auch ein legitimes Ziel. Nicht viel anders als es ein Staatschef auch wäre.

Er war auch ohne Zweifel ein Kombattant. Die Frage wäre eher, ob er (und seine Kämpfer) als im Sinne der 3. Genfer Konvention als priviligierter oder ungesetzlicher Kombattant einzustufen wäre.
Wobei es A) hinsichtlich der rechtlichen Bewertungen dieser Tötung irrelevant ist, die politisch-militärische Führung einer wie auch immer gearteten militärisch agierenden Gruppierung ist in einem zwischenstaatlichen Konflikt so oder so ein legitimes Ziel. Und es B) zumindest rechtlich auch eine relativ einfach zu beantwortende Frage ist, wer sich einer Terrororganisation anschließt, die wenigstens in großen Teilen die völkerrechtlichen Vorgaben zum Kombattantenstatus schon doktrinär nicht erfüllen will, kann nicht als privilegierter Kombattant gelten, auch wenn er persönlich sauber kämpft.

Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeitsprüfung; zunächst einmal ist völlig unklar, wie viele Zivilisten überhaupt getötet wurden. Das Haaretz Stunden nach dem Angriff irgendwelchen libanesischen Quellen zitiert hat so viel Relevanz wie die Verlautbarungen der Gesundheitsbehörden in Gaza. Zumal man die Gesamtzahl der Toten auch noch nach Zivilisten und Hezbollah Mitgliedern aufdröseln müsste.
Aber wenn wir postulieren, dass da tatsächlich 300 Zivilisten getötet wurden - der erlangte militärische Vorteil durch die Tötung der obersten Führung der Hezbollah (und da traf es ja beileibe nicht nur Nasrallah was man so hört) ist so immens, dass es keinesfalls exzessiv ist, dafür einige Wohnhäuser in Beirut zu zerstören, die direkt über einem Bunkerkomplex stehen und noch dazu hauptsächlich von Hezbollah-Mitgliedern und ihren Familien bewohnt wurden.
Das ist auch nicht viel anders als wenn man ein Kasernengelände angreifen würde. Persönlich halte ich noch viel höhere Opferzahlen für sehr gut vertretbar in diesem Fall, aber das man jeder anders interpretieren.

Zitat:Und was soll diese Aktion strategisch konkret bewirken ? Mit wem will man jetzt noch verhandeln ? Wohin soll das langfristig führen ?
Aus israelischen Sicherheitskreisen hieß es, dass Nasrallah ein Problem war, weil er nicht unabhängig von Gaza mit Israel über einen Rückzug verhandeln wollte. Deshalb hat man ihn beseitigt. Strategisches Ziel Israels ist es, die Hezbollah durch militärischen Druck zum Einlenken zu bewegen, dass sie die Resolution 1701 umsetzt und sich wenigstens hinter den Litani zurückzieht.
Persönlich halte ich das für ein ziemlich sinnloses Unterfangen und hoffe, bzw. gehe auch davon aus, dass das vorgeschobene Aussagen für die Diplomatische Bühne sind und es in Wahrheit darum geht, die militärischen Fähigkeiten der Hezbollah auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. So wie man es schon in Gaza erfolgreich gemacht hat. Das geht aber auch im Libanon nicht ohne Bodenoffensive.

Langfristig hätte man dann eine Situation, in der die Hezbollah um eine Größenordnung zurückgestutzt wurde und ihre Strukturen im Südlibanon nahezu zerstört sind. Die Bedrohung für Israels Nordgrenze ist damit wieder auf viele Jahre hinaus minimal und es besteht zumindest die Chance, dass sich der libanesische Staat wieder eher gegen die Hezbollah behaupten und sie kontrollieren kann. Man könnte auch davon träumen, dass UNIFIL ohne eine Nachfolgemission eine Wiederbewaffnung und Wiedereinsickern der Hezbollah in den Süden etwas mehr bremst als beim letzten Mal, aber das sind Träumereien. Perönlich würde ich da eher wünschen, dass Israel viel aggressiver gegen Waffenlieferungen aus dem Iran vorgeht.


Zitat: Meiner Ansicht nach ist die langfristige israelische Zielsetzung hier, ein Ende des Krieges proaktiv zu verhindern und im Idealfall den Krieg zu eskalieren bzw. den Krieg mit dem Iran herbei zu führen. Auf politisch-strategischer Ebene verfolgt die Regierung Netanyahu die Zielsetzung jedes Ende des Kriegs zu verhindern und die Option auf eine Eskalation zu schaffen. Und reagiert der Feind weiter nicht, "gewinnt" man ebenfalls, weil man dann den Feind stückweise abnutzen kann.
Es dauert einfach bis man aufgeräumt hat. Israel/Netanyahu möchte den Krieg nicht einfach einstellen und mit irgendeinem halbgaren Abkommen beenden nur damit sich nichts ändert. Ich weiß auch nicht was daran verwerflich sein soll. Es ginge sicher schneller, wenn sich nicht immer mit irgendwelchen Verhandlungsinitiativen beschäftigen müsste.

Auch das oft (jetzt nicht hier vor dir) gebrachte Argument, Netanyahu bräuchte den Krieg um sich im Amt zu halten zieht einfach nicht. Netanyahu hat auch nach einem Ende der Kämpfe noch eine Regierungsmehrheit in der Knesset und keiner seiner Partner hat etwas davon, die Koalition vorzeitig zu beenden. Gleichzeitig wird in Israel 2026 so oder so wieder gewählt und es ist für Netanyahus Zukunft absolut nicht entscheidend ob er nun 2025 oder 2026 abgewählt wird. Wenn es denn dazu kommt, Gantz ist seit seinem Austritt aus der Regierungskoalition auf Talfahrt während Netanyahu seine Position schon vor den Ereignissen im Libanon deutlich gestärkt hat. Wenn es ihm jetzt gelingt, die Hezbollah weitgehend vom Spielfeld zu nehmen... die Begeisterung über Netanyhau in den letzten drei Wochen reicht in Israel weit ins Oppositionslager hinein. Unter Umständen wäre es politstatregisch für ihn gar sinnvoll schon in 2025 wählen zu lassen, wenn es so weitergeht ist mindestens ien Patt zwischen den Blöcken möglich, auch ohne Wildcard Naftali Bennett.

Zitat: Im übrigen könnte man darauf verweisen, dass auf der rein rethorischen Ebene nicht nur Sunniten, sondern beispielsweise auch die Maroniten / Christen den aktuellen israelischen Angriff auf den Libanon sehr scharf verurteilen. Die rethorische Reaktion reicht daher inzwischen sogar zu den traditionellen Todfeinden der Hisbollah und auch diese sehen die Handlungen Israels als untragbar.
Gibt es sicherlich, ich sehe aber genauso sehr gegenläufige Trends, die Nichtschiiten im Libanon sind angepisst weil sie die Hezbollah hier völlig ohne Not reingeritten hat.
Die Jubelfeiern über den Tod Nasrallahs im Libanon und Syrien heute Nacht sprechen da für sich.
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(Gestern, 08:00)Quintus Fabius schrieb: Allgemein:
Kurz vorweg: Ich bin in der Region nicht so tief im Thema wie einige hier, daher sind das folgende eher Spekulation meinerseits:
Zitat:Ist Nasrallah eigentlich als Kombattant einzustufen ?
Jemand, der Teil der militärischen Führungsstruktur einer kriegsführenden Partei ist, kann natürlich als Kombattant gewertet werden. Und der oberste Anführer ist zwangsweise auch immer Teil sämtlicher unter ihm existierender Strukturen, auch wenn er selbst primär als politischer oder ideologischer Führer in Erscheinung treten sollte.
Zitat:Und was soll diese Aktion strategisch konkret bewirken ? Mit wem will man jetzt noch verhandeln ? Wohin soll das langfristig führen ?
Da gibt es viele aus israelischer Sicht erstrebenswerte Effekte, wenn man es denn im Gesamtzusammenhang hinsichtlich der Eliminierung jeglicher höherer Führungsstrukturen der Hisbollah betrachtet. Da ist vor allem die Störung weiterer Angriffe auf Israel sowie der Verteidigung gegenüber bevorstehenden Gegenangriffen durch fehlende Führung und Koordinierung. Aber auch die Option auf ein Auseinanderbrechen der Gesamtorganisation Hisbollah oder zumindest eine solche Schwächung, dass in einigen Gebieten andere lokal agierende Kräfte die Oberhand gewinnen können. Bei der Hisbollah handelt es sich ja nun mal um eine vergleichsweise erfolgreiche und etablierte Kraft unter den Feinden Israels, die auch eine tiefe Verwurzelung im zivilen Umfeld ihrer Herrschaftsgebiete vorzuweisen hat und so auch Einfluss auf die dortigen politischen und zivilen Führungsebenen nimmt. Ohne eine obere Führungsebene ist das alles nicht mehr so effektiv möglich und die Macht der Hisbollah wird sehr viel mehr geschwächt, als es durch Bodenoffensiven oder die Bombardierung von Waffenlagern etc. der Fall wäre.
Zitat:Meiner Ansicht nach ist die langfristige israelische Zielsetzung hier, ein Ende des Krieges proaktiv zu verhindern und im Idealfall den Krieg zu eskalieren bzw. den Krieg mit dem Iran herbei zu führen.
Das mag zwar möglich sein, allerdings halte ich es für wahrscheinlicher, dass sich die aktuelle Vorgehensweise als Enthauptung und Zerschlagung des Feindes erklären lässt, mit denen man beabsichtigt, die Hisbollah von ihrem vergleichsweise hohen "Entwicklungsgrad" mit quasi-staatlichen Strukturen und Ressourcen zurück zu bomben auf das Niveau einer losen Ansammlung von jeweils dezentral agierenden und geführten kleineren Terrorgruppen, die sich im Idealfall perspektivisch noch gegenseitig oder mit anderen wie dem IS oder gar syrischen und libanesischen Regierungskräften bekämpfen werden und somit für Israel eine deutlich geringere, besser zu kontrollierende Gefahr darstellen würden.
Hinzu kommt mMn noch die Möglichkeit, Erfolgsmeldungen zu produzieren, was am anderen Ende des Landes gerade nicht mehr so gut funktioniert.
(Gestern, 10:11)Nightwatch schrieb: Auch das oft (jetzt nicht hier vor dir) gebrachte Argument, Netanyahu bräuchte den Krieg um sich im Amt zu halten zieht einfach nicht. Netanyahu hat auch nach einem Ende der Kämpfe noch eine Regierungsmehrheit in der Knesset und keiner seiner Partner hat etwas davon, die Koalition vorzeitig zu beenden. Gleichzeitig wird in Israel 2026 so oder so wieder gewählt und es ist für Netanyahus Zukunft absolut nicht entscheidend ob er nun 2025 oder 2026 abgewählt wird. Wenn es denn dazu kommt, Gantz ist seit seinem Austritt aus der Regierungskoalition auf Talfahrt während Netanyahu seine Position schon vor den Ereignissen im Libanon deutlich gestärkt hat. Wenn es ihm jetzt gelingt, die Hezbollah weitgehend vom Spielfeld zu nehmen... die Begeisterung über Netanyhau in den letzten drei Wochen reicht in Israel weit ins Oppositionslager hinein. Unter Umständen wäre es politstatregisch für ihn gar sinnvoll schon in 2025 wählen zu lassen, wenn es so weitergeht ist mindestens ien Patt zwischen den Blöcken möglich, auch ohne Wildcard Naftali Bennett.
Dieser Argumentation kann ich nicht ganz folgen. Beschreibst du da nicht gerade genau, dass die aktuelle Vorgehensweise Bibi zu helfen scheint, an der Macht zu bleiben? Das ist doch genau das, was du vorher in Frage gestellt hast. Denn was ihm aktuell anscheinend -wie du es schreibst- vermehrten Zuspruch einbringt, ist ja offenbar ein hartes militärisches Vorgehen ohne konkretes Ziel und eine erkennbare Exit-Strategie. Also eben die Eskalation und Verfestigung des Konfliktes.
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(Gestern, 14:01)Broensen schrieb: Dieser Argumentation kann ich nicht ganz folgen. Beschreibst du da nicht gerade genau, dass die aktuelle Vorgehensweise Bibi zu helfen scheint, an der Macht zu bleiben? Das ist doch genau das, was du vorher in Frage gestellt hast. Denn was ihm aktuell anscheinend -wie du es schreibst- vermehrten Zuspruch einbringt, ist ja offenbar ein hartes militärisches Vorgehen ohne konkretes Ziel und eine erkennbare Exit-Strategie. Also eben die Eskalation und Verfestigung des Konfliktes.
Ich stelle in Frage, dass Netanyahu den Krieg künstlich verlängert um an der Macht bleiben zu können. Er ist an der Macht bis 2026. Dann muss er sich sowieso regulär zur Wahl stellen und es gibt jetzt keinen direkten Grund warum die Regierungskoalition auch ohne Krieg nicht noch solange halten sollte.

Gleichzeitig ist es (momentan) halt so, dass sich die großen militärischen Erfolge Israels positiv auf seine Wahlchancen auswirken könnten, wenn relativ bald gewählt wird. Hypothetisches (nicht unbedingt realistisches Szenario): Hezbollah knickt ohne Bodenoffensive ein und zieht sich zurück, Sinwars Leiche wird gefunden, ein Abkommen mit der Hamas bringt alle Geiseln zurück und im Frühjahr 2025 wird neu gewählt - die Chancen wären für seinen Block besser als zu den regulären Wahlen in 2026, wenn man wieder im politischen Alltag angelangt ist oder der Krieg noch immer recht ergebnislos weitergeführt wird.

Vermehrten Zuspruch bringen ihm insofern Erfolge auf dem Schlachtfeld, nicht dieses ewige Zuwarten, Verhandeln und Hinauszögern. Wenn man sich die Entwicklung der Wahlumfragen ansieht, hat sich die Situation der Regierungsparteien nach dem Exit von Gantz nach Ablauf dieses reichlich albernen Deadline Ultimatums beständig verbessert. Die Rafah-Offensive, die Tötung der Geiseln, die Kappelei um den Philadelphia Korridor, der Streit mit Biden und die gescheiterten Verhandlungen haben Netanyahu überhaupt nicht geschadet, im Gegenteil.

Für Gantz, der sich aus der Verantwortung gestohlen hat und sich jetzt wieder darin gefällt vom Seitenrand aus Kritik in alle Richtungen zu üben ging es geradezu dramatisch bergab.
Plakativ: Die entschlossene Führungsfigur die militärischen Erfolge feiert kommt gut an, der (vermeintliche) Zögerer und Zauderer der auf der Stelle tritt, gleich einknickt und davonläuft dagegen nicht.
Das Netanyahu eigentlich durchaus eher zögernd agiert und gerne zum Jagen getragen werden muss (dann das Ding allerdings auch halt entschlossen durchzieht) steht auf einem anderen Blatt, wird halt von seiner Wählerschaft nicht so rezipiert.

Was man denke ich auch sehen muss, in Israel reduziert man den Konflikt nicht auf ein Abkommen jetzt vs. stetig weitergehender Konflikt ohne Perspektiven. Diese Lesart gibt es natürlich, aber sie ist nicht in der Mehrheit, auch wenn das hierzulande medial gerne so dargestellt wird. Vielmehr sieht, bzw. meint durchaus ein beträchtlicher Teil der Wählerschaft, dass man mit Eskalation und entschlossener Bekämpfung des Feindes sehr viel mehr erreichen kann als ein 'weiter wie gehabt'. Vielleicht nicht gleich eine vollständige Vernichtung der feindlichen Kräfte (auch wenn viele das wollen, fordern und erwarten), aber doch eine neue Situation und eine wesentlich entspanntere Zukunft, schlicht weil dem Feind die Zähne und Klauen gezogen wurden.

Wir müssen immer im Kopf behalten, dass wir vom israelischen Wahlvolk zuallermeist nur Stimmen aus dem kosmopolitischen, linken bis maximal zentristischen und aschkenasisch dominierten Lagern hören und leicht auf die Idee kommen können, dass ja alle bis auf ein paar zwanzigprozent Verstrahlte den ultrarechten Netanyahu hassen. Und wenn sie ihn nicht (mehr) abkönnen und abwählen, dann genau wegen der Gründe warum wir ihn als so verachtenswert dargestellt bekommen. Ist aber halt nicht so, gibt genug die Netanyhu aus mannigfaltigen Gründen loshaben möchten, eher zentristischer orientiert sind aber gleichzeitig absolute Härte gegen Hamas und Hezbollah fordern.

Meine Prognose ist jedenfalls, dass wir in den Umfragen bald echte Patts zwischen den Blöcken sehen werden. Zumindest wenn sich die Lage auf dem Schlachtfeld nicht dramatisch verschlechtert.
Das ist aber keine direkte Prognose für die Wahlen, weil wenn Bennett einsteigt plötzlich ganz andere Koalitionen möglich sein werden und wahrscheinlich eine rechtsdominierte Regierung ohne die extreme Rechte und die Orthodoxen gebildet werden kann.
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@IsraelRadar_com
Israel estimates: Over 50% of Hezbollah military power demolished; IDF eliminated 90% of Hezbollah’s top & mid-level military command. via @N12News& @ynetalerts
https://x.com/IsraelRadar_com/status/184...4723115439

Hezbollah’s Rocket and Missile Fire today seems Totally Unorganized and Random; with No Orders coming from Senior Commanders as well as the Pager and Radio Attacks last week, it is now likely up to Regional and Local Officers to Coordinate their own Attacks.
https://x.com/sentdefender/status/1840036261790191765

Senior U.S. Officials have stated that Israel has Totally Rejected any kind of Ceasefire, whether that be Long-Term or just Temporary, with Hezbollah in Lebanon; as preparations for an Invasion of Southern Lebanon appear to be in Full-Swing across the North of Israel.
https://x.com/sentdefender/status/1840138510826619151
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