Russland
(02.04.2023, 22:56)Schneemann schrieb: Ohne nun den Ukrainern das Wort reden zu wollen, so scheint sich die Kriegstreiberbande in Moskau aktuell gegenseitig umzubringen...
https://www.n-tv.de/politik/Militaer-Blo...29316.html

Ist es nicht wahrscheinlicher dass es der ukr. Geheimdienst war oder zum Beispiel die Gruppe die die Tochter von Dugin getötet hatte?
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Zitat:Ist es nicht wahrscheinlicher dass es der ukr. Geheimdienst war oder zum Beispiel die Gruppe die die Tochter von Dugin getötet hatte?
Naja, theoretisch möglich wäre es. Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass irgendein Blogger, der eben eine prorussisch-belizistische Rhetorik pflegt, eine solche Operation, die durchaus etwas aufwendiger war und auch entsprechend ein Medienecho verursacht, "wert" wäre.

Es gibt da nicht nur "lohnendere Zielpersonen", sondern ich entsinne mich auch, dass Washington hinter den Kulissen den Ukrainern nach dem Dugin-Anschlag zu verstehen gegeben hatte, dass solche Aktionen die Unterstützung durch die USA gefährden könnten - was quasi eine "Drohung durch die Blume" war, dass man sich zusammenreißen solle. Und nun ein neues Theater wegen eines Bloggers? Eher unwahrscheinlich...

Dazu:
Zitat:"Nicht Kiew die Schuld geben"

Wagner-Chef vermutet Radikale hinter Blogger-Anschlag

Einer der bekanntesten russischen Militärblogger ist tot. Eine Büste explodierte in seiner Hand während einer Veranstaltung. Wer steckt hinter dem Anschlag? Wider Erwarten beschuldigt Wagner-Chef Prigoschin nicht die Führung in Kiew - sondern radikale Kräfte im eigenen Land. [...]

Bei einer Explosion in einem Café von Prigoschin wurde Tatarski, der mit bürgerlichem Namen Maxim Fomin hieß, getötet. Mehr als 30 Menschen wurden verletzt. Das Attentat löste in Russlands Machtapparat Entsetzen aus. Eine Frau wurde festgenommen. Sie hatte veröffentlichten Videos zufolge dem 41-jährigen kremltreuen Propagandisten am Sonntag in dem Café eine Büste überreicht, die wenig später explodierte. [...]

Das Café hatte Prigoschin der nationalistischen Bewegung Cyber Front Z für Kriegspropaganda im Internet überlassen. Über die Täter hinter dem Anschlag sagte der Wagner-Chef: "Ich denke, dass eine radikale Gruppe agiert, die kaum eine Beziehung zur Regierung (in Kiew) haben dürfte". Die russischen Behörden haben sich bisher nicht zu den Hintergründen geäußert.
https://www.n-tv.de/politik/Wagner-Chef-...29962.html

Schneemann
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Zu den bereits vielfach geäußerten Vermutungen, wonach Putin den Kontakt zur Außenwelt, vielleicht auch zur Realität, verloren haben könnte (und dass er sich allenfalls noch das aus dem Newsspektrum vorsetzen lässt, von dem seine Lakaien glauben, dass er es hören möchte), gibt es neuerliche Verdachtsmomente. Ein mutmaßlich hochrangiger Überläufer aus dem FSO hat nun diese Vermutungen nochmals bestätigt. Und zugleich auch ein Bild gezeichnet, dass einen Staatschef zeigt, dessen Paranoia beinahe an Enver Hoxha oder Ceaușescu erinnert...
Zitat:Russian defector sheds light on Putin paranoia and his secret train network [...]

Gleb Karakulov, who served as a captain in the Federal Protection Service (FSO), a powerful body tasked with protecting Russia’s highest-ranking officials, said the measures were designed to mask the whereabouts of the Russian president, whom he described as “pathologically afraid for his life”. [...]

The Guardian has reviewed an interview with Karakulov by the Dossier Centre, a political information outfit founded by the exiled Russian billionaire Mikhail Khodorkovsky, and confirmed the credentials of the senior Russian communications engineer, who travelled with Putin extensively and helped transmit some of his most secret messages. [...] “Our president has lost touch with the world,” he said. “He has been living in an information cocoon for the past couple of years, spending most of his time in his residences, which the media very fittingly call bunkers. He is pathologically afraid for his life. He surrounds himself with an impenetrable barrier of quarantines and an information vacuum. He only values his own life and the lives of his family and friends.” Karakulov described a virtual state within a state that includes firefighters, food testers and other engineers who travel with Putin on his trips abroad, providing a rare first-hand insight into the levels of paranoia and sheltered lifestyle of the Russian president. “They call him the Boss, worship him in every way and only ever talk of him in those terms,” he said. [...]

Karakulov said Putin used identical offices in St Petersburg, Sochi and Novo-Ogaryovo, and that the secret services used fake motorcades and decoy planes to pretend he was leaving. “This is a ruse to confuse foreign intelligence, in the first place, and secondly, to prevent any attempts on his life,” he said. [...] “He has shut himself off from the world,” Karakulov said. “His take on reality has become distorted.” [...]

Karakulov described his risky escape to the west during Putin’s visit to Kazakhstan. During the trip, his wife and daughter secretly flew to Astana. They postponed the defection several times until nearly the end of the trip, when Karakulov told his fellow officers he was feeling unwell and then fled with his family to the airport. The Dossier Centre said Karakulov’s current whereabouts were unknown.
https://www.theguardian.com/world/2023/a...cret-train

Schneemann
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Momentan häufen sich wieder die Nachrichten, dass es mit Russlands Wirtschaft bergab geht.

"Der Angriffskrieg gegen die Ukraine kommt Russland zunehmend teuer zu stehen. Laut russischem Finanzministerium ist der Etat im ersten Quartal klar ins Minus gerutscht. Gleichzeitig wertet der Rubel ab."
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/wel...t-101.html

"Milliardenloch im russischen Staatshaushalt: Russische Wirtschaft schrumpft wegen westlicher Sanktionen"
https://www.tagesspiegel.de/internationa...31925.html

"Westliche Sanktionen haben dafür gesorgt, dass das Bruttoinlandsprodukt im Vorjahresvergleich um 2,1 Prozent niedriger ausfiel. Die OECD rechnet erst 2025 wieder mit Wachstum."
https://www.wiwo.de/politik/ausland/ukra...85082.html


Was mich in dem Kontext wirklich mal interessieren würde ist, inwiefern diese "Horrormeldungen" (aus Russlands Sicht) tatsächlich der Wahrheit entsprechen und wieviel davon "westlicher Propaganda" bzw. gezielter Meinungsbildung zuzuschreiben ist. Immerhin wurde das Staatsdefizit ja durch eine russische Behörde veröffentlicht...
Mir wäre von westlicher Seite oftmals eine objektivere Berichterstattung wirklich lieber, denn wenn man die Nachrichten bezüglich der Sanktionen ab dem ersten Tag verfolgt hat, müsste die russische Wirtschaft schon längst kollabiert sein.

Deshalb meine Fragen an die Russlandkenner:
Funktioniert der Plan Putins, die westlichen Wirtschaftsbeziehungen durch China / Indien / Afrika zu ersetzen, oder sind das alles hohle Phrasen und Russland bekommt bald ernstzunehmende ökonomische Probleme die eventuell ab einem gewissen Punkt auch die Bevölkerung aufwiegeln könnten?
Wird es tatsächlich langsam kritisch (aus russischer Perspektive) , oder sind das hauptsächlich Nachrichten um die westliche Bevölkerung "bei der Stange" zu halten während Russland noch auf große Ressourcen im finanziellen Bereich zurückgreifen könnte?
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Russland kann noch eine überschaubare Zeit so weitermachen wie bisher, aber es ist absolut absehbar dass der Lebensstandard spürbar sinken wird. Rüstungsausgaben, Gehälter für Militär und Sicherheitsdienste, anteilig die damit steigende Korruption, Sanktionen, weggefallene Rohstoffkunden, Preisverfall und Ausfall von gelernten Arbeitskräften wirken unmittelbar bereits auf den Staatshaushalte in 2023.

Dabei muss man im Auge behalten, dass Putin aus finanz- und wirtschaftspolitischer Sicht immer vorsichtig agiert hat und es ziemlich sicher weiterhin so tun wird. Weder wurde das Land auf eine richtige Kriegswirtschaft umgestellt, noch kam bis dato die zweite große Mobilmachungswelle.

Bei mehr Interesse empfehle ich die Veröffentlichtungen von Leuten wie Janis Kluge, SWP.
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Wirtschaftswachstum in Russland laut IWF bei +0,7 %, während es in dieser Bundesrepublik bei - 0,1% liegt, und wir damit uns in einer Rezession befinden.

https://www.businessinsider.de/wirtschaf...utschland/

Rein persönlich kann ich anmerken, dass da gerade in Russland sich vieles erheblich ändert. Die Warenströme, die Frage was produziert wird und für wen etwas produziert wird und interessantererweise gibt
es auch jede Menge Neugründungen von Unternehmen die vorher nicht profitabel gewesen wären, jetzt aber wirtschaftlich geworden sind. Beispielsweise stellt eine kleine Fabrik jetzt Nägel und Schrauben in großer Menge her,
was vorher nicht wirtschaftlich machbar war und vieles weitere in diese Richtung. Und die einfache Bevölkerung darbt halt weiter vor sich hin - was ihr erstaunlich weitgehend egal ist, es war ja nie anders und Hauptsache man kann
saufen und es gibt keine Schwulen, denn dann steht ja alles bestens .........
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Zitat:Rein persönlich kann ich anmerken, dass da gerade in Russland sich vieles erheblich ändert. Die Warenströme, die Frage was produziert wird und für wen etwas produziert wird und interessantererweise gibt
es auch jede Menge Neugründungen von Unternehmen die vorher nicht profitabel gewesen wären, jetzt aber wirtschaftlich geworden sind. Beispielsweise stellt eine kleine Fabrik jetzt Nägel und Schrauben in großer Menge her, was vorher nicht wirtschaftlich machbar war und vieles weitere in diese Richtung.Und die einfache Bevölkerung darbt halt weiter vor sich hin - was ihr erstaunlich weitgehend egal ist, es war ja nie anders und Hauptsache man kann
saufen und es gibt keine Schwulen, denn dann steht ja alles bestens .........
Das Bittere in diesem Zusammenhang dürfte vermutlich wohl sein, dass du hiermit völlig richtig liegst. Ist es aber eine Lösung bzw. ein Lösungsansatz des gegenwärtigen - d. h. also des unsrigen Problems?

Nein. Leider eben nicht. Es mag zwar manches besser erklärbar sein, die Lösung rückt aber immer mehr in die Ferne, wenn man mal von rein "biblischen" Lösungsansätzen nach dem Charakterzug eines Arnaud d'Amaury ("Caedite eos. Novit enim Dominus qui sunt eius") absieht. Wobei ich mir mittlerweile nicht einmal mehr sicher bin, ob dieser degenerierte Hurenhaufen im Kreml hierüber überhaupt nachdenkt.

Schneemann
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In der Oberschicht Russlands gibt es zu viele, die sich gerade aufgrund des Krieges noch viel mehr als je zuvor berreichern können. Entsprechend profitieren die russischen Eliten von diesem Krieg, und wenn er nicht aus dem Ruder läuft und krachend verloren wird stabilisiert er in Wahrheit sogar noch ihre Herrschaft im Inneren statt sie zu destabilisieren usw. Entsprechend unterstützt eine Mehrheit der Eliten den Krieg, weil er für sie äußerst vorteilhaft ist.

Man kann so endgültig mit dem Westen brechen, somit dringen destabilisierende westliche Elemente nicht weiter in die russische Gesellschaft vor. Man kann sich global komplett neu aufstellen und sich völlig neue, völlig andere Partner suchen und natürlich hat man insgesamt etliche Verluste, aber langfristig gesehen ist die Sache nur vorteilhaft für die aktuellen russischen Eliten. Finanziell wie auch persönlich.

Deshalb gehe ich inzwischen auch recht sicher davon aus, dass die Russen selbst ihre Pipelines sprengten. Das passt einfach insgesamt zu sehr in das Bild: die brechen ganz bewusst alle Brücken in den Westen ab, dauerhaft. Die wollten mit uns brechen und wollen das weiterhin. Weil sie uns mehr als Problem und Gefährdung ihrer Pfründe sehen denn als sonst etwas.

Und es gibt sogar Verschwörungstheorien in Russland, dass selbst die Niederlage der Armee und deren Ausbluten teilweise intentional sind bzw. von den Eliten nun genutzt werden, um die Armeeführung im Verhältnis zu ihnen zu schwächen, damit nicht die Armee gegen die aktuelle Führung putscht.

In Russland wurden schon seit Dekaden erfolgreiche Generäle nach Kriegen in welchen sie siegten (Tschetschenien etc) ermordert oder verschwanden, dass passt also auch durchaus ins Bild. Nachdem der Handstreich auf die Ukraine missglückte, befürchtete man seitens der Eliten den Militärputsch. Entsprechend macht man sicherheitshalber die eigene Armee gleich mit nieder.

Aus Sicht weiter Teile der russischen Eliten ist der aktuelle Krieg und sein Zustand daher keineswegs schlecht, ganz im Gegenteil. Der Krieg nützt genau diesen Eliten erheblich, vom eigenen Reichtum bis hin zu weiteren Möglichkeiten der Berreicherung bis hin zur Stabilisierung ihrer Vorherrschaft.

Und ob die einfachen Russen darunter leiden oder nicht, war und ist in Russland jederman egal, auch den einfachen Russen selbst. Man darf es nur nicht zu sehr übertreiben und man braucht natürlich immer ein paar schuldige Bojaren um den Zaren zu entlasten, denn der Zar ist immer gut und heilig.
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(12.04.2023, 08:02)Quintus Fabius schrieb: In der Oberschicht Russlands gibt es zu viele, die sich gerade aufgrund des Krieges noch viel mehr als je zuvor berreichern können. Entsprechend profitieren die russischen Eliten von diesem Krieg, und wenn er nicht aus dem Ruder läuft und krachend verloren wird stabilisiert er in Wahrheit sogar noch ihre Herrschaft im Inneren statt sie zu destabilisieren usw. Entsprechend unterstützt eine Mehrheit der Eliten den Krieg, weil er für sie äußerst vorteilhaft ist.
Das ist aber nicht Rußlandspezifisch sondern war und ist bisher in jedem Staat sogewesen.

Zitat:Man kann so endgültig mit dem Westen brechen, somit dringen destabilisierende westliche Elemente nicht weiter in die russische Gesellschaft vor. Man kann sich global komplett neu aufstellen und sich völlig neue, völlig andere Partner suchen und natürlich hat man insgesamt etliche Verluste, aber langfristig gesehen ist die Sache nur vorteilhaft für die aktuellen russischen Eliten. Finanziell wie auch persönlich.
Spätestens mit Beginn des Ukrainekrieges hat ein gewichtiger Teil des Westens aber mit an dieser Entwicklung gearbeitet. Sozusagen kann man vermuten dass diese Trennung durchaus einvernehmlich stattfindet.

Zitat:Deshalb gehe ich inzwischen auch recht sicher davon aus, dass die Russen selbst ihre Pipelines sprengten. Das passt einfach insgesamt zu sehr in das Bild: die brechen ganz bewusst alle Brücken in den Westen ab, dauerhaft. Die wollten mit uns brechen und wollen das weiterhin. Weil sie uns mehr als Problem und Gefährdung ihrer Pfründe sehen denn als sonst etwas.
Welche Pfründe soll der Westen in Rußland denn gefährdet haben?

Zitat:Und es gibt sogar Verschwörungstheorien in Russland, dass selbst die Niederlage der Armee und deren Ausbluten teilweise intentional sind bzw. von den Eliten nun genutzt werden, um die Armeeführung im Verhältnis zu ihnen zu schwächen, damit nicht die Armee gegen die aktuelle Führung putscht.
Ich halte einen Militärputsch in Rußland für völlig abwegig. Das ist pures Wunschdenken.

Zitat:In Russland wurden schon seit Dekaden erfolgreiche Generäle nach Kriegen in welchen sie siegten (Tschetschenien etc) ermordert oder verschwanden, dass passt also auch durchaus ins Bild. Nachdem der Handstreich auf die Ukraine missglückte, befürchtete man seitens der Eliten den Militärputsch. Entsprechend macht man sicherheitshalber die eigene Armee gleich mit nieder.
Nette Verschwörungstheorie aber mehr nicht. Im Übrigen würde eine derartige Handlungsweise einen Militärputsch nur begünstigen, wenn denn einer geplant wäre.

Zitat:Aus Sicht weiter Teile der russischen Eliten ist der aktuelle Krieg und sein Zustand daher keineswegs schlecht, ganz im Gegenteil. Der Krieg nützt genau diesen Eliten erheblich, vom eigenen Reichtum bis hin zu weiteren Möglichkeiten der Berreicherung bis hin zur Stabilisierung ihrer Vorherrschaft.
Setzt man Putin und die russischen Eliten gleich dann stellt sich die Frage inwiefern deren Vorherrschaft denn gefährdet gewesen sein soll. Keine politische Kraft in Rußland wäre dazu auch nur annährend stark genug gewesen.

Zitat:Und ob die einfachen Russen darunter leiden oder nicht, war und ist in Russland jederman egal, auch den einfachen Russen selbst. Man darf es nur nicht zu sehr übertreiben und man braucht natürlich immer ein paar schuldige Bojaren um den Zaren zu entlasten, denn der Zar ist immer gut und heilig.
Ich war als junger Mann großer Anhänger der SPD und Verfechter der sozialen Gerechtigkeit. Einige aus meiner Familie sagten immer dazu: "100 Jahre wählen arme Deutsche SPD und sie sind immer noch arm." Das nur als kurze Anekdote. Fakt ist die Russen haben so einen von dir genannten Zaren schon einmal gestürzt, die Deutschen hingegen nicht. Wahr ist auch dass es den einfachen Russen schon wesentlich schlechter ging, nicht nur beim Zaren, sondern auch nach der Ära Gorbi unter Jelzin.
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Da sich deine Antwort auf Quintus' Beitrag bezog, will ich gar nicht so sehr ins Detail einsteigen bzw. einer Antwort von ihm vorgreifen. Nur dieser Abschnitt...
Zitat:Fakt ist die Russen haben so einen von dir genannten Zaren schon einmal gestürzt, die Deutschen hingegen nicht. Wahr ist auch dass es den einfachen Russen schon wesentlich schlechter ging, nicht nur beim Zaren, sondern auch nach der Ära Gorbi unter Jelzin.
...ist schon ein bitterer Sarkasmus und auch etwas unfair bzw. doch etwas "oberflächlich".

Die Deutschen haben 1918 ihren Kaiser ins Exil gezwungen, wobei die Sozialdemokraten hier mit federführend waren. Und in Russland übrigens wurde der Zar auch nicht von jenen gestürzt, deren skrupelloser "Erbe" derzeit in Moskau regiert. Es waren genau genommen die Menschewiki (quasi die russischen Sozialdemokraten), die im Rahmen der Februarrevolution 1917 das Ende der Monarchie und die Abdankung des Zaren in Russland einläuteten. (Hier sind sich Deutschland und Russland also durchaus ähnlich.) Das Problem war nur, dass in Russland die von den Menschewisten geprägte provisorische Regierung den wenig geliebten Krieg gegen die Mittelmächte fortsetzen wollte (s. Kerenski-Offensive). Das wiederum hat als Folgewirkung die Radikalen (Bolschewisten) enorm begünstigt, die sich im Oktober 1917 dann an die Macht putschten (bzw. den Putsch gegen einen schwächelnden, aber nicht mehr zaristischen Staat, als "Oktoberrevolution" verkauften).

Weiterhin: Genau genommen waren Gorbi und Jelzin nur noch die Insolvenzverwalter eines Regimes, das spätestens seit den 1970ern sich nicht mehr rechnete, massiv misswirtschaftete und einen beständigen Abstieg des Lebensstandards der Menschen in der UdSSR bewirkte. Sie haben dann aber von der "alten KPdSU-Garde", die Erben quasi von denen, die die zaghaften demokratischen Bewegungen nach dem Sturz des Zaren abwürgten, die Scherben vor die Füße geworfen bekommen nach dem Motto Nun macht mal schön! - und Gorbi war sicher vieles, aber eben kein Wirtschaftsfachmann. Er versuchte noch zu retten, was er irgendwie retten wollte und konnte - was aber hoffnungslos war. Das Bittere dabei ist, dass man in Russland heute noch Gorbi den Vorwurf macht, er habe die UdSSR gegen die Wand gefahren, während in Wirklichkeit nun seit über 20 Jahren ein "Kind" von genau jenem sich selbst strangulierenden System (bzw. ein "Kind", das von diesem System herangezogen wurde) im Kreml sitzt und das Land erneut gegen die Wand fährt.

Gleichwohl allerdings sehe ich derzeit keinen Gorbi, dem man im letzten Moment den Ball zuspielen könnte, um so die Verantwortung für das gegenwärtige Desaster auf diesen abwälzen zu können. Ergo - die jetzige russische Führung müsste gezwungenermaßen die Verantwortung übernehmen für ihren Krieg. Dass diese Mafiosis im Kreml dies allerdings gedenken zu tun, wage ich zu bezweifeln...

Schneemann
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Es gibt wieder Orden...

Zitat:Die Auszeichnung hatte der Kreml-Chef im August vergangenen Jahres eingeführt. Sie soll dazu beitragen, den rapiden Fall der Geburtenrate in Russland abzubremsen. Neben einer Medaille erhalten die Frauen, die mindestens zehn Kinder geboren haben, eine Million Rubel. Nach aktuellem Kurs sind das etwa 11.600 Euro.

https://www.stern.de/politik/ausland/wla...94130.html
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Ich stelle es mal hier ein...

In gewisser Weise, allerdings nicht uneingeschränkt, neige auch ich zum Gaullismus. Besonders bezogen auf Europa. (Das muss ich wohl auch, als alter Fan von Peter Scholl-Latour.)

Nun, voyageur möge meine Seitenhiebe bitte verzeihen: Es war de Gaulle, der einst die unsinnigen, nicht mehr zeitgemäßen und auch blutigen Reminiszenzen an das Empire Colonial Français in den 1960ern endgültig beerdigte, gezwungenermaßen, quasi frei nach Massu - als man in Algerien in du sang et de la merde "ausrutschte". Viele Optionen gab es auch keine mehr.

Die Größe und den Verstand, die/den de Gaulle einst hatte, als das Empire Français zerfiel, als die Völker Afrikas und Asiens nach Unabhängigkeit strebten und als er die Unausweichlichkeit einer geopolitischen Neuorientierung des Mutterlandes als zwingende Notwendigkeit sah, nun, dies lässt Hr. Putin aktuell leider vermissen, weswegen er auch seinen erbärmlichen, postsowjetisch-imperialistischen Krieg in der Ukraine führt.

Und wenn man nun Putins aufgesetzte, eingeübte, stoisch wirkende Kontrollmiene sieht, aber zugleich diese mit seiner Unbeherrschtheit und seinen vulgären Ausbrüchen in der Vergangenheit in Pressekonferenzen vergleicht, so wird man erkennen, dass er keinesfalls die Weitsicht, den Anstand oder die Einsicht eines de Gaulle hat.

Es wird Russland zum Nachteil gereichen...

Anbei:
Zitat:Geopolitics

Putin, de Gaulle and national greatness

Just as France in the 1960s quit Algeria, so Russia should end its disastrous colonial war in Ukraine [...]

“France cannot be France without greatness,” wrote Charles de Gaulle in the opening of his memoirs. His nation, he insisted, must always be in “the first rank”.

Vladimir Putin feels the same way about Russia. Back when I was still able to visit that country, Fyodor Lukyanov — a foreign policy thinker close to Putin — told me that the Russian president was driven by the fear that his nation might permanently lose its status as a great power. That fear and paranoia reached its tragic apogee with the full-scale invasion of Ukraine in 2022. But instead of restoring Russian national grandeur, Putin’s war has disgraced and isolated his nation. [...]

The dilemmas faced by Putin and de Gaulle were similar in some ways. The French leader was intent on rebuilding national grandeur after the humiliation of defeat and occupation in the second world war. Putin regarded the break-up of the Soviet Union after 1991 as a humiliation for Russia and a “geopolitical tragedy”. Both leaders’ writings display a preoccupation with their nation’s history — and their own destiny in shaping it.

The difference lies in the way that de Gaulle and Putin defined “national greatness”. Unlike Putin, de Gaulle was a genuine war hero who was wounded several times fighting for his country. While Putin cowered at the end of a long desk to avoid Covid-19, de Gaulle walked through Paris under fire during the city’s liberation in 1944. [...]

De Gaulle was wise enough to realise that fighting a losing colonial conflict would destroy French greatness rather than rebuild it. As the academic Frederick Starr has written: “De Gaulle succeeded because he envisioned a better future for France without Algeria than with it.”

Freed of its colonial burden in Algeria, France was able to forge a new future. Modern France is not a superpower, but it remains a leader in Europe. It is a global player in culture, diplomacy, business, sport and military affairs. France retains some of the badges of great-power status, such as nuclear weapons and a permanent seat on the UN security council. But its grandeur today rests on culture and the global respect it inspires, rather than on raw power or territory. [...]

While de Gaulle was often accused of being an instinctive authoritarian, he ran for power in genuine elections — and accepted the rules and culture of democracy. In 1968, France was shaken by street uprisings. (Some things never change.) A year later, de Gaulle lost a referendum, stepped down as president and retired.

By contrast, Putin has been unable to separate his vision of national grandeur from his personal power and wealth. He clings on in the Kremlin. Those who disagree with his policies are beaten up in the streets, imprisoned, driven into exile or die in suspicious circumstances. Russia needed its own de Gaulle. Instead, it has ended up with a pale imitation of Ivan the Terrible.
https://www.ft.com/content/1aaea5e1-87c2...PTcJ2A4XXY

Schneemann
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Interessant...
Zitat:+++ 20:15 Putin vergleicht Gaza-Blockade mit Leningrad +++

Der russische Präsident Wladimir Putin vergleicht die Blockade des Gazastreifens durch Israel mit der Belagerung von Leningrad durch deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg. Die Blockade des Gazastreifens sei inakzeptabel, sagt Putin. Er forderte, eine Lösung des Konflikts durch Vermittlung zu finden.
https://www.n-tv.de/politik/20-50-Israel...47017.html

Ich bin leider ein recht naiver Mensch und als Historiker bislang immer in der Annahme gegangen, dass die Blockade Leningrads durch die Deutschen, im Kontext des Überfalles Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion, ein Kriegsverbrechen war (immerhin sind eine Million Menschen gestorben, größtenteils verhungert).

Offenkundig ist dem nicht so bzw. Hr. Putin hat weiterführende, bislang uns völlig unbekannte Informationen, wonach man Gaza, nach dem Überfall der Hamas auf Israel, anscheinend doch mit Leningrad gleichsetzen kann. Da die israelische Reaktion gegenüber Gaza absolut nachvollziehbar ist, teilt uns Hr. Putin also indirekt mit, dass die Blockade Leningrads auch nachvollziehbar war.

Das irritiert mich aber irgendwie doch, da z. B. Leningrad auch als sog. "Heldenstadt" in der Sowjetunion angesehen wurde. Heißt das, dass der Titel der Stadt vielleicht bald aberkannt wird?

Schneemann
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(13.10.2023, 21:12)Schneemann schrieb: Interessant...
https://www.n-tv.de/politik/20-50-Israel...47017.html

Ich bin leider ein recht naiver Mensch und als Historiker bislang immer in der Annahme gegangen, dass die Blockade Leningrads durch die Deutschen, im Kontext des Überfalles Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion, ein Kriegsverbrechen war (immerhin sind eine Million Menschen gestorben, größtenteils verhungert).

Offenkundig ist dem nicht so bzw. Hr. Putin hat weiterführende, bislang uns völlig unbekannte Informationen, wonach man Gaza, nach dem Überfall der Hamas auf Israel, anscheinend doch mit Leningrad gleichsetzen kann. Da die israelische Reaktion gegenüber Gaza absolut nachvollziehbar ist, teilt uns Hr. Putin also indirekt mit, dass die Blockade Leningrads auch nachvollziehbar war.

Das irritiert mich aber irgendwie doch, da z. B. Leningrad auch als sog. "Heldenstadt" in der Sowjetunion angesehen wurde. Heißt das, dass der Titel der Stadt vielleicht bald aberkannt wird?

Schneemann

Um die Aussage einzuschätzen stellt sich für mich die Frage ab welchem Punkt die Blockade Leningrads zum Kriegsverbrechen wurde. Durch die Blockade allein? Durch die Aktenlage (Aussagen und Befehle der damaligen Regierung) usw. ? Warum floh die Zivilbevölkerung vor dem drohenden Hunger nicht über den Ladogasee? Warum hat sich die Stadt nicht ergeben um den drohenden Hungertod abzuwenden?
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Um mal zu de Gaulle und Putin zurückzukehren:
De Gaulle hatte die Intelligenz, die Situation richtig zu analysieren und die nötigen Schlüsse zu ziehen. Vor Allem hatte er die Größe, diese Schlüsse auch konsequent umzusetzen, um Frankreichs Grandeur in Zukunft zu erhalten. Seine Konstruktion der französisch-deutschen Achse war einfach genial.
Putin dagegen will nur die gute alte Zeit zurück, egal ob es die je gegeben hat.
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