https://www.nzz.ch/amp/meinung/berliner-...ld.1597491
Der Streit um bewaffnete Drohnen sorgt seit Wochen für schlechte Laune zwischen den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD. Gegenüber Frankreich wäre eine deutsche Verweigerungshaltung besonders fatal.
Eigentlich war nach jahrelangem Hin und Her politisch geklärt, dass die Bundeswehr fünf israelische Aufklärungsdrohnen vom neuen Typ Heron TP bekommt, die im Unterschied zu den bisher genutzten Heron-Drohnen auch «bewaffnungsfähig» sein sollten. Nun aber blockiert die SPD die Zustimmung des Bundestages zum vorgelegten Leasingvertrag, weil man noch nicht genug darüber diskutiert habe.
Für die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer kann es jedoch noch schlimmer kommen. In den ersten Monaten dieses Jahres sollen die zuständigen Bundestagsausschüsse auch einem weit grösseren und wichtigeren Drohnenprojekt zustimmen: der Entwicklung und Beschaffung von 21 Exemplaren der Eurodrohne, des Resultats eines Gemeinschaftsprogramms von Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien unter Federführung der deutschen Airbus-Rüstungssparte.
Laut offiziellem Rüstungsbericht der Bundesregierung vom Dezember sollen diese unbemannten Flugzeuge nicht nur Luftbilder an ihre Bodenstationen funken, sondern auch die seit 2010 hingenommene Bundeswehrlücke bei der sogenannten signalerfassenden Aufklärung (Kommunikation, Radar) schliessen und, so der Rüstungsbericht, fähig sein zur «reaktionsschnellen, skalierbaren und hochpräzisen Wirkung einschliesslich Luftnahunterstützung für Bodentruppen» – eine echte Allzweck-Kampfdrohne also, einsatzbereit ab 2028. Der endverhandelte Industrievertrag liegt vor.
Stimmt der Deutsche Bundestag dem Vertrag nicht zu, weil die SPD noch nicht genug darüber diskutiert hat, verzögert sich die Auslieferung für alle vier Nationen. Frühestens Anfang 2022, wenn nach der Bundestagswahl in diesem September eine neue Regierung gebildet sein wird, käme die Eurodrohne wieder auf die Tagesordnung. Dass die SPD jetzt einerseits der gemieteten Zwischenlösung Heron TP die Billigung verweigert, andererseits aber die spätere Hauptlösung Eurodrohne passieren lässt, gilt als ausgeschlossen.
Wie sich dann 2022 ein möglicher grüner Koalitionspartner von CDU und CSU zur Kampfdrohnenbeschaffung verhält, bleibt auch erst einmal offen. Derweil verzweifeln die SPD-Fachpolitiker am neuen sicherheitspolitischen Linkskurs ihrer gegenwärtigen Partei- und Fraktionsführung, des sozialdemokratischen Aussenministers Heiko Maas wohl eingeschlossen.
Hängepartie bei der Eurodrohne
Gegenüber Frankreich wäre eine deutsche Verweigerungshaltung besonders fatal, weil damit das ganze Paket deutsch-französischer Rüstungskooperation, das Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron 2018 geschnürt hatten, Makulatur werden könnte.
Aus der gemeinsamen Modernisierung des deutsch-französischen Kampfhelikopters Tiger von Airbus Helicopters hat sich die Bundeswehr de facto schon verabschiedet: zu teuer, nutzlos. Mit einer Hängepartie bei der Eurodrohne stünde allerdings auch das Superprogramm «Future Combat Air System» («FCAS») infrage.
Dieses französisch-deutsche Nachfolgeprojekt für die Kampfflugzeuge Eurofighter und Rafale setzt auf eine Verknüpfung von bemannten Jets und Drohnen, verfügbar ab 2040. Für den Mega-Fighter der 6. Generation ist Frankreich (Dassault) federführend, für die immer autonomere Drohnentechnologie Deutschland (Airbus) – jedenfalls im Prinzip. Was Technologieführerschaft, Patentrechte und Arbeitsteilung angeht, wäre erst einmal nämlich noch eine Menge Misstrauen zu überwinden. Abgeordnete im Deutschen Bundestag befürchten, dass die französische Seite eigentlich immer und überall das Sagen haben will und die Deutschen vor allem als eine Art zahlungskräftige stille Teilhaber sieht.
Und beide Seiten trauen der jeweils anderen zu, dass sie, bevor das Programm richtig teuer wird – von 80 Milliarden Euro ist die Rede –, Knall auf Fall aussteigt. Das wäre keineswegs ein Novum. Schon der Eurofighter war zunächst als echtes europäisches Gemeinschaftsprojekt geplant – bis die Franzosen sich verabschiedeten und mit ihrer Rafale (von Dassault) ein nationales Konkurrenzprodukt auf den Markt brachten.
Deutsche und Franzosen (und Spanier) hätten auch heute durchaus Alternativen. Die Eurofighter-Nationen Grossbritannien und Italien arbeiten gemeinsam mit Schweden (das einen Nachfolger für seinen Jagdbomber Gripen braucht) ebenfalls an einem neuen europäischen Kampfflugzeug, Programmname: «Tempest». Politisch läge nun nichts näher, als die beiden europäischen Vorhaben fusionieren zu lassen, bevor sie richtig ins Geld gehen. Aber dieser Gedanke kommt in Paris bis jetzt nicht so gut an, weil er den französischen Führungsanspruch und die nationale Industrieauslastung beeinträchtigen könnte.
Fragil scheint nach wie vor auch die Balance im Gemeinschaftsprogramm «Main Ground Combat System» («MGCS») zu sein, das als Nachfolge für den deutschen Nato-Standardpanzer Leopard 2 und den französischen Leclerc gedacht ist. Die Federführung liegt hier bei Deutschland, und die deutschen Industriepartner (jedenfalls die Ingenieure von KMW und Rheinmetall) lassen wenig Zweifel daran, dass sie einen Wunderpanzer Leopard 3 zur Not auch ohne französische Beihilfe konstruieren könnten. Finanziell geht es bei den Landsystemen allerdings nur um einen Bruchteil der «FCAS»-Kosten. Ein früherer deutsch-französischer Kooperationsversuch für einen «Kampfpanzer 90» war damals übrigens von den Deutschen abgebrochen worden. Scheiterte nun «FCAS», stünde wohl auch «MGCS» zur Disposition.
All diese gemeinsamen Rüstungsvorhaben (es gibt auch noch Programme für Artillerie und einen Seefernaufklärer) leiden nicht nur unter den politischen Unwägbarkeiten etwa der Regierungsbildung in Deutschland, sondern sie stehen allesamt unter einem Finanzierungsvorbehalt, den jede künftige Koalitionsregierung erst einmal auflösen müsste. Eberhard Zorn, der Generalinspekteur der Bundeswehr, spricht im Zeitungsinterview von einem «Kassensturz nach Corona». Auch eine Reduzierung der deutschen Zusagen an die Nato steht dann im Raum.
Abstriche in Sicht
In den letzten Monaten hat das Verteidigungsministerium bereits Ausschreibungen für wichtige Beschaffungsvorhaben wieder aufgehoben, so etwa bei der Nachfolgeentscheidung für den schweren Transporthelikopter CH-53. Die US-Rüstungskonzerne Lockheed Martin und Boeing lagen mit ihren Preisvorstellungen – angeblich jenseits von 10 Milliarden – deutlich höher als im Ministerium kalkuliert. Die Bundeswehr wird Abstriche von ihren Fähigkeitsforderungen machen müssen, vielleicht auch die Stückzahl reduzieren. Ähnliches gilt für die neuen Marinetanker.
Gar nicht mehr in der Haushaltsplanung berücksichtigt ist ein Grossprojekt, auf das die Luftwaffe seit Jahren wartet. Anstelle alter amerikanischer Technik sollte es ein neues «Taktisches Luftverteidigungs-System» («TLVS») geben, verantwortet vom deutschen MBDA-Zweig und von Lockheed Martin. Auch hier lag das inzwischen dritte industrielle Angebot mit angeblich über 10 Milliarden Euro jenseits des Bezahlbaren. Zudem war man nicht glücklich mit dem Industrie-Management. Ersatzweise soll nun wohl eine Patriot-Weiterentwicklung von Raytheon kommen.
Die neue Bundesregierung wird sich spätestens 2022 auch über den Kauf amerikanischer F-18-Flugzeuge von Boeing für die Nachfolge des Tornado-Bombers in seiner Nuklearrolle verständigen müssen. Der SPD war in der ablaufenden Wahlperiode nicht mehr zuzumuten, sich mit solch einer Beschaffungsentscheidung ausdrücklich auf die weitere «nukleare Teilhabe» Deutschlands in der Nato (mit auf deutschem Boden stationierten US-Atombomben) festzulegen.
Immer mehr richten sich jetzt alle Blicke auf die Grünen, von denen erwartet wird, dass sie in der nächsten Regierung den Platz der SPD einnehmen könnten. Im Moment machen sie noch tüchtig Opposition gegen viele der umstrittenen Rüstungsprojekte.
Hans-Peter Bartels war SPD-Abgeordneter, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und von 2015 bis 2020 Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages.