Russland
Das ist ja gerade das bittere Element hieran. Da sich Sowjetunion - auch wenn Putin deren Zusammenbruch mal bedauert hatte - und Revolution mehr oder minder selbst diskreditiert haben, findet eine Hinwendung zum Davormaligen statt, wobei diese Hinwendung nicht im Rahmen eines kritischen Diskurses oder einer zumindest weitgehend historisch fundierten Erinnerung allgemein sich herausbildet, sondern als eine idealisierte Verzerrrung an den Tag tritt, die die Lücke des eigenen, patriotischen Fühlens in der heutigen Zeit schließen und ergänzen soll.

Allerdings muss man fairerweise auch die Frage stellen, inwieweit es der russischen Seele angesichts der bisherigen "Biographie" des Landes überhaupt noch zuzumuten (bzw. abzuverlangen) wäre, dieses zaristische Erbe ebenso - besser: auch noch - negativ-kritisch zu deuten, nachdem Bolschewismus, die marode Sowjetunion und das Jahrzehnt der protokapitalisch-oligarchischen "Halbwegs-Demokratie" danach ja völlig desavouiert sind. An was soll man sich als Russe denn sonst heutzutage noch anlehnen in einem Gebiet, in dem es 200 verschiedene Ethnien gab?

Weil: Selbst in einer gefestigten, wohlhabenden und kritisch-demokratisch ausgebildeten Zivilgesellschaft wäre diese Forderung nach Eigen- und Neudefinition schon eine Herausforderung. In einem Staat, der noch nie eine wirkliche Demokratie und eine demokratisch-tolerante Zivilgesellschaft verfestigen konnte und der sich tragischerweise von Monarchie über totalitäre Diktaktur zu Oligarchentum und wieder zur Autokratie entwickelt hatte, ist es quasi unmöglich, dies zu verlangen, weil die Gesellschaft es ohne gravierende Brüche schlicht nicht bewältigen könnte (und vermutlich es deswegen auch nicht wagen will - auch wenn sie es ahnen mag). Leider...

Schneemann.
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Rezepte gäbe es genug, wenn man von Russland aus nach Westen schielt. Das Problem ist nur, dass Demokratie in jedem Fall harte Arbeit voraussetzt und viel Geduld erfordert. Voraussetzung ist eine Staatsform, die Law-and-Order sicherstellt. Vielleicht wünschen sich Menschen in Russland ja auch deshalb einen Zaren: Eine Integrationsfigur, die Gutes tut (im Kontrast zu den ehemaligen Zaren). Während dieser Zeit haben Grundrechte sowie das Dreinreden von allen möglichen Gruppen halt einfach nichts in dem Gebilde verloren. Der Bürger will einen normalen Tagesablauf und Sicherheit. Erst wenn diese bestehen, kann man eine westliche Demokratie erstellen.
Putin ist auf diesem Weg irgendwo gescheitert, falls er überhaupt je in die Richtung wollte. Zu Beginn gab es durchaus Hoffnung, dass er den Sauhaufen, den Jelzin hinterliess, in Ordnung bringen würde um erst obiges Fundament zu schaffen. Russland hat sich tatsächlich ein Stück weit stabilisiert, bevor dieser Zug dann endgültig von den Schienen sprang. Inzwischen hat Putin ja nur noch den Ruf, sich auf Kosten des russischen Volkes schamlos zu bereichern. Die Oligarchen tragen heute einfach andere Namen als zu Jelzins Zeiten. Die Frage ist, ob nach Putin endlich mal kein egoistisches Staatsoberhaupt in Erscheinung tritt, das für die Russen arbeitet, statt für ein paar Günstlinge und sich selbst.
Den Russen selber attestiere ich durchaus die Fähigkeit und den Willen, sich zu wandeln. Im Verlauf der letzten 120 Jahre sind dort viele Revolutionen passiert.
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Das primäre Problem woran das ganze Land krankt ist heute die Korruption. Eine Mehrheit der Russen träumt zwar von einem (autokratischen) Staat der diese rigoros ausmerzt, praktiziert aber im Alltag selbst Korruption. Als (moralische) Legitimation dafür wird dann explizit genannt, dass die Regierung ja selbst hochgradig korrupt ist und man deshalb auch korrupt sein kann, während man unter einem richtigen Herrscher nicht korrupt wäre.
Man wartet in weiten Teilen des Volkes eigentlich auf eine Art Führer, und eine Mehrheit versteht heute dass Putin dieser herbei gesehnte Autokrat nicht ist. Dieser Erlösungswunsch durch einen Führer wird in Russland durchaus öffentlich diskutiert, beispielsweise wurde Nawalny schon von anderen Politikern als dieser bezeichnet und die Schärfe der Reaktionen des Systems Putin auf Nawalny bis hin zum Giftmord mit chemischen Kampfstoffen zeigt klar auf, dass man die Gefährlichkeit dieser Gemengelage begreift.

Würde ein entsprechender Populist in Russland auftreten, mit entsprechendem faschistischem Gedankengut, er könnte sich durchsetzen weil das Volk ab einer gewissen kritischen Masse zu ihm vollständig übergehen würde. Das würde nicht nur das aktuelle System eliminieren, es würde meiner Einschätzung nach eine Gefahr für Europa sondergleichen darstellen.

Meiner rein privaten Meinung nach ist es sogar recht wahrscheinlich, dass es in Russland einen Umsturz nach rechts in Richtung eines tatsächlichen offenen Faschismus geben wird. Bleibt die Frage wann?!
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(02.04.2021, 01:17)Quintus Fabius schrieb: Das primäre Problem woran das ganze Land krankt ist heute die Korruption. Eine Mehrheit der Russen träumt zwar von einem (autokratischen) Staat der diese rigoros ausmerzt, praktiziert aber im Alltag selbst Korruption. Als (moralische) Legitimation dafür wird dann explizit genannt, dass die Regierung ja selbst hochgradig korrupt ist und man deshalb auch korrupt sein kann, während man unter einem richtigen Herrscher nicht korrupt wäre.
Man wartet in weiten Teilen des Volkes eigentlich auf eine Art Führer, und eine Mehrheit versteht heute dass Putin dieser herbei gesehnte Autokrat nicht ist. Dieser Erlösungswunsch durch einen Führer wird in Russland durchaus öffentlich diskutiert, beispielsweise wurde Nawalny schon von anderen Politikern als dieser bezeichnet und die Schärfe der Reaktionen des Systems Putin auf Nawalny bis hin zum Giftmord mit chemischen Kampfstoffen zeigt klar auf, dass man die Gefährlichkeit dieser Gemengelage begreift.

Würde ein entsprechender Populist in Russland auftreten, mit entsprechendem faschistischem Gedankengut, er könnte sich durchsetzen weil das Volk ab einer gewissen kritischen Masse zu ihm vollständig übergehen würde. Das würde nicht nur das aktuelle System eliminieren, es würde meiner Einschätzung nach eine Gefahr für Europa sondergleichen darstellen.

Meiner rein privaten Meinung nach ist es sogar recht wahrscheinlich, dass es in Russland einen Umsturz nach rechts in Richtung eines tatsächlichen offenen Faschismus geben wird. Bleibt die Frage wann?!

Ich frage mich nur warum der Westen mal wieder sehenden Auges das Falsche tut? Wie kann man diese Entwicklung ernsthaft noch beflügeln wollen? Meines Erachtens wird die Fehleinschätzung noch größer sein wie beim sogenannten "arabischen Frühling". Jeder meiner Freunde der politisch interessiert ist hat vermutet dass bei diesem am Ende die Islamisten profitieren würden. Warum begreifen das viele Normalbürger aber die Politiker nicht? Ist der Elfenbeinturm schon so hoch?
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Was genau meinst Du mit "das Falsche tun" und "die Entwicklung beflügeln", was wäre stattdessen Deine Massnahme? Und wer genau ist hier "der Westen"?
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lime:

"Der Westen" hat im Prinzip bereits das falsche getan, indem er das System Putin viel zu lange viel zu weitgehend hat schalten und walten lassen wie es will - obwohl wir es noch vor einigen Jahren durchaus in der Hand gehabt hätten hier Einfluss zu nehmen. Man hat stattdessen viel zu viel zugelassen, während sich das System Putin de facto selbst in eine Richtung und Ecke manövriert hat, in welcher es gleichgültig welchen weiteren Weg es nimmt für "uns" nur schlechter werden wird. Und zwar unabhängig davon , ob das System überlebt oder nicht.

Man hat der russischen Regierung viel zu viel durchgehen lassen. Und man seine Chancen die man aufgrund der Abhängigkeit der frühen Regierung Putin von den Einnahmen aus den Rohstoffexporten hatte vertan. Und einfach ohne zu handeln zugesehen wie dort zunehmend alles entgleitet.

Selbst jetzt noch nachdem Mordanschläge mit chemischen Kampfstoffen durchgeführt wurden (ich möchte hier betonen das ich explizit nicht sage, welche Gruppe in Russland dafür verantwortlich ist) zieht man weder rote Linien noch hat dies ernsthafte Konsequenzen. Allein das ist ein katastrophales Signal nicht nur für die russische Regierung die entweder völlig aus dem Ruder läuft oder: Variante 2: den eigenen Laden nicht mehr ansatzweise im Griff hat - es ist auch ein ebenso katastrophales Signal für das russische Volk dass daraus nur schlußfolgern kann, dass der Westen keinerlei Werte besitzt und alles nur Lüge und Heuchelei ist was wir fordern und tun.
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https://inmoscowsshadows.wordpress.com/2...ritocracy/

Zitat:Late Putinism – the nature of the state

Putin came to power in 1999-2000 and assumed a legal-rational (‘dictatorship of the rule of law’) legitimation of his political authority. By 2011-2012, a shift was underway, from legal-rational to historical-charismatic (“No Putin, no Russia”) legitimation. By 2020-21, Putin legitimizes his political authority increasingly through national-patriotic mobilization and coercion, and Putin presides over a fully-fledged authoritarian regime and police state.

Core characteristics of the regime include:

an absence of a rotation of power and the presence of an imperial bureaucracy and enlarged military and security service sector;

a lack of any liberal or democratic impulses or even an authoritarian modernization project, i.e. late Putinism lacks a vision of the future;

a marketing of external and internal threats to bind a passive, conformist, indifferent and apathetic majority of the population to the state to legitimise the regime and keep it safe;

the all pervasive presence of the state which manifests itself by praetorian guard capitalism, an economy marked by a low dynamic, reflecting the lack of a law-based state, high levels of raiding, and a disproportionate allocation of resources for prestige state projects;

securitization of the political space and civil society, resulting in generational gaps where the views of active 18-24 year olds on Navalny and ‘foreign agents’ differ from those − more passive and conformist − in their 50s and 60s, but conservatism is a dominant trend in both generations;

shrinking opportunities for change in the name of stability, characteristics include the lack of a positive agenda, which is a problem because repression of the opposition and wider civil society is not the same as mobilizing supporters around a compelling vision of the future.

Civil Society

The regime has criminalized not only political, but also civic activity. As a result, civil society is being politicized, with Navalny a symbol of moral resistance to the regime. A broken social contract and high levels of corruption drive the opposition and animate civil society protest. Although Levada surveys indicate that 41% of respondents in 2017 wanted radical change and that in 2019 that number had risen to 57%, this indicates a declaration of a desire for change but not the expectation that change will be forthcoming.
The State’s response is to try and make Navalny a person of the past by keeping him incommunicado and arresting team Navalny and other non-systemic opposition soft targets. Calibrated responses by the authorities attempt to manage the situation and prevent a mobilization, hardening and crystallization of the opposition.
Pensions and pandemic (but not yet Putin) rather than economic mismanagement elicit a psycho-emotional opposition to the regime. Putin the president remains, in the eyes of “his” majority, the unquestioned symbol of national unity; Putin the politician—i.e., the specific actions that he takes and the officials whom he appoints—is perceived as fallible. Nevertheless, ‘rational conformism’ results in the Putin majority voting for Putin approved candidates. In the upcoming September Duma elections, ‘smart’ voting (direct votes to whichever candidate can beat United Russia) will have the unintended effect of giving the impression of political pluralism in Russia, whereas in fact all systemic opposition parties (and only these parties will be registered) are controlled by the state.

Securitocracy

This strata of law enforcement agencies, prosecuting bodies and the security service are not a monolithic bloc but one within which fluid alignments and rivalries proliferate:

Institutional factional rivalries exist, for example, between the Interior Ministry and police who resent OMON and the National Guard (NG) – the police resent having had to clean up after NG deployments and having been provided early access to vaccination and preferential equipment;

The temporary alliances are formed. For example, even alliances forged between NG and FSB, who are in the vanguard of repression, have their limits. An example of this is the FSB’s veto of the NG’s attempts to create its own investigation committee, as this was perceived to encroach on the power of the FSB;

The newly appointed first deputy director of the FSB, Sergei Korolev, has a very unsentimental view of those above him in the chain of command.

The Orthodox chekist mindset of the securitocracy is one of defensiveness, ever more repressive and non-responsive to public opinion. The managers of the authoritarian system, including or above all the siloviki, do not fear a radical democratic breakthrough resulting from mass protest, but worry about the accumulated friction and costs imposed on them in their role as managers of stability. They feel embattled and defensive and so embrace entrenchment. Managers want to hold on to power and money (not just control but continue to own the country’s resources) at all cost.

Reforms or any kind of modernization (even economic) are not possible under Putin; any modernization puts in question the very foundations of his system. Only small changes are possible from within with the help of relatively young appointees − technocrats controlled by the siloviki, who formulate real political priorities. As Putin has completed the nationalization of elites, technocrats are beholden to and hostages of Putin. Take, for instance, the example of Sergei Kiriyenko, leader of the political bloc and first deputy chief of staff of the presidential administration – he is now bound to Putin for the rest of his career. As a result, an elite conspiracy in the shape of a ‘palace coup’ against Putin is not possible. As the breakup of the FSB would be one of the first reforms in a democratic break-through scenario, Bortnikov, Ivanov and Patrushchev (current and former FSB directors) will resist any regime change until the end.

Disruptive unknowns include regional debt defaults; technological breakthroughs that can undercut Russia’s commodities export business model; and political blunders (such as the Navalny botched Novichok assassination attempt).

Foreign Policy Implications

Navalny and protests in Russia undercut Putin’s attempts to ease Lukashenka out of power under the cover of constitutional change and reform. Putin is hostage to his rhetoric on western containment and protest as ‘color revolution’. Lukashenka instrumentalises this to his advantage (‘we can’t bow to the street and western security service manipulation’).

Generally, foreign policy has lost the ability to unify and animate Putin’s majority, but under some scenarios we may see foreign adventurism, especially those involving reactions to perceived external threats:
If Kyiv launched a military campaign to retake the Donbas, Moscow would feel it had no option but to punch back and that it could use this opportunity to push further. This would be another example of ‘offensive defensiveness’ in response to a perceived existential challenge to Russian credibility.

If the Belarus opposition turned violent Putin could and most likely would intervene militarily.
In general, however, there are likely to be only low cost moves useful for public consumption. An example would be Russian anti-piracy operations off the coast of Sudan to demonstrate Russia’s global role.
Russia is not so ‘post-post imperial’ as Dmitry Trenin and Vladimir Frolov have suggested, focused on rational, non-ideological, pragmatic costs/benefits calculations. Russia is still imperial in outlook. Putin perceives himself as Tsar of Eurasia and seeks to create a quasi-empire out of the non-recognized states on Russia’s periphery.
Confrontation with the U.S. is the norm; relations with the EU have deteriorated to a record low and will continue to remain there; and offensive cyber operations as well as active measures will continue. Offering concessions to Russia in the name of pragmatic and flexible cooperation will not alleviate Russia’s narrative of western encroachment, encirclement and containment. The West does not have to confirm Russia’s claim to Great Power status as it defines it. Russia’s placing of its own interests above the sovereignty of neighboring states is neither aligned with Western national interest nor its democratic norms and values.

Critical Thresholds and Drivers of Change

As Russians are habituated to the circumstances and rules of an authoritarian political regime, a democratic breakthrough precipitated by street protests is highly unlikely. It is still possible to envisage a more practical and realistic evolution of change – one that can be termed: ‘Medvedev 2.0’, that is, the attempt to achieve authoritarian, top-down reform efforts, but without Medvedev as the post-Putin president. These could be set in motion by:

a realization within the regime that the absence of reforms creates more instability than stability and that, therefore, reform is needed for regime continuity. Given that the siloviki are rich, cynical, pragmatic and determined to hold onto power, if reform and change is the means through which they think that they will stay in power, then they will go for it.

fear of trade-technological dependence on China and loss of strategic autonomy as this would restore or enhance pride, prestige, status and power. Reform in such a context would be a means to preserves Putinism and resists Xi-ism.

intra-elite struggles and factional infighting as the competitive goals of key factions clash: reforms enable a re-division of resources and power.

generational developments within the siloviki. The current seniors have very different horizons than the 50-something-year-old colonels who now do the heavy lifting in the system, but still have up to 20 years in active service. These younger mid-level managerial strata are all members of the Russian middle class; enjoy stable incomes and predictable career trajectories. They have incentives to undertake reform to maintain their consumption habits and status.

gradual loss of active support of the population. Reforms could provide safety valves, and new political narrative that can bind Putin’s passive majority to the regime and encourage conformism. The performative politics involved in anti-corruption show trials, for example, can be the answer to the demand that ‘something must be done’.
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Zeit für die übliche Parade:

https://www.youtube.com/watch?v=DvD_fZr-6hw

Hier mal eine Zusammenfassung was alles herumeiern soll:

https://twitter.com/Russia/status/139066...20/photo/1
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Sicher ist es derzeit ein noch übertriebenes und dramatisierendes Szenario, den Gulag der 1930er bis 1950er Jahre wird es zum Glück in Russland nicht mehr geben, aber dass eine Verschärfung des Strafrechtes hin zu Lagerhaft und Zwangsarbeit einsetzen könnte, ist im System Putin nicht ganz von der Hand zu weisen. Zumal: Was, wenn nach ihm ein rechtsradikaler Eurasier ans Ruder kommt, der das Lagersystem dann weiter ausbaut und brutalisiert? Und wir wissen ja: Wehret den Anfängen...
Zitat:Zwangsarbeit als Konjunkturmotor

Bringt Russland den Gulag zurück?

Der russische Präsident Putin verspricht neue Eisenbahnstrecken, Brücken und Häfen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Das Kapital für die Konjunkturprojekte ist vorhanden. Wegen der Corona-Krise fehlen aber günstige Arbeitskräfte. Die Sowjetunion liefert vielleicht die Lösung. [...] Aber mehrere Minister aus dem Kabinett von Präsident Wladimir Putin und der Chef der russischen Eisenbahn haben eine "bescheidene" Idee, wie ihr geholfen werden kann: Bringt den Gulag zurück. [...]

Jan Claas Behrends glaubt nicht, dass es im Kreml tatsächlich Pläne gibt, dieses Wahrzeichen der kommunistischen Diktatur in Russland wiederaufzubauen. Der Historiker, der am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung das Projekt "Legacy of Communism" leitet, spürt eher eine "generelle Re-Sowjetisierung unter Putin in den vergangenen Jahren. In den Massenmedien wird ein sehr positives Bild von Stalin und der Sowjetunion gezeichnet", erzählt er im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Viele sowjetische Traditionen werden wiederbelebt." [...]

Während der Corona-Pandemie hat Russland wie viele andere Staaten auch seine Grenzen geschlossen. Tausende Arbeitsmigranten vor allem aus Zentralasien sind deshalb in ihre Heimat zurückgekehrt. Nun fehlen etwa 600.000 Spezialisten, die auf dem Bau schuften können. Das gefährde den Post-Corona-Boom, hat Bauminister Irek Fajsullin im April gewarnt, und sich deshalb dafür ausgesprochen, die fehlenden Fachkräfte mithilfe von 188.000 Häftlingen zu ersetzen. Der russische Justizminister unterstützt das Vorhaben, genauso ein Vize-Ministerpräsident, der Chef der russischen Eisenbahn und auch der Chef des russischen Strafvollzugs. [...] Das erste Projekt hat die Arbeitsgruppe bereits gefunden. Ende Mai wurden 600 Häftlinge in den Fernen Osten geschickt, um die Baikal-Amur-Magistrale zu warten. Eine passende Aufgabe, denn die 4000 Kilometer lange Eisenbahnstrecke wurde von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen gebaut. Und eine gewagte, meint Kommunismus-Experte Behrends. Denn die Häftlinge wissen schließlich nicht, was sie tun. "Zwangsarbeiter sind oft wenig motiviert und wenig qualifiziert.
https://www.n-tv.de/politik/Bringt-Russl...04908.html

Und genau letzter Satz enthält einen wahren Kern - die Zwangsarbeit des Gulags war nicht wirklich wirtschaftlich bzw. sonderlich produktiv. Zumal die organisierte Kriminalität in den Lagern ("Diebe im Gesetz") massiv zunahm.

Schneemann.
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(10.06.2021, 10:29)Schneemann schrieb: Sicher ist es derzeit ein noch übertriebenes und dramatisierendes Szenario, den Gulag der 1930er bis 1950er Jahre wird es zum Glück in Russland nicht mehr geben, aber dass eine Verschärfung des Strafrechtes hin zu Lagerhaft und Zwangsarbeit einsetzen könnte, ist im System Putin nicht ganz von der Hand zu weisen. Zumal: Was, wenn nach ihm ein rechtsradikaler Eurasier ans Ruder kommt, der das Lagersystem dann weiter ausbaut und brutalisiert? Und wir wissen ja: Wehret den Anfängen...
https://www.n-tv.de/politik/Bringt-Russl...04908.html

Und genau letzter Satz enthält einen wahren Kern - die Zwangsarbeit des Gulags war nicht wirklich wirtschaftlich bzw. sonderlich produktiv. Zumal die organisierte Kriminalität in den Lagern ("Diebe im Gesetz") massiv zunahm.

Schneemann.

In den USA ist Zwangsarbeit verfassungsrechtlich legitimiert, Zitat aus dem 13. Zusatzartikel:
„Weder Sklaverei noch Zwangsdienstbarkeit darf, außer als Strafe für ein Verbrechen, dessen die betreffende Person in einem ordentlichen Verfahren für schuldig befunden worden ist, in den Vereinigten Staaten oder in irgendeinem Gebiet unter ihrer Gesetzeshoheit bestehen.“
Würde mich nicht wundern wenn Rußland Ähnliches einführt. Gefühlt würde dies von einer großen Mehrheit in Rußland auch befürwortet werden.
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Naja, da musst du aber fair sein: Der Zusatz stammt aus der Zeit des Bürgerkriegs (1861-1865) und verbietet im eigentlichen Sinne Zwangsarbeit (der Bezug hier war die Sklaverei in den Südstaaten). Es sei denn, dass du uns mitteilen wolltest, dass Russland sich aktuell auf dem Niveau des 19. Jahrhunderts bewegt - das würde selbst ich als Kritiker des Systems Putin als doch übertrieben ansehen - und dass das deswegen vergleichbar sei? Big Grin

Schneemann.
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(02.07.2021, 10:51)Schneemann schrieb: Naja, da musst du aber fair sein: Der Zusatz stammt aus der Zeit des Bürgerkriegs (1861-1865) und verbietet im eigentlichen Sinne Zwangsarbeit (der Bezug hier war die Sklaverei in den Südstaaten). Es sei denn, dass du uns mitteilen wolltest, dass Russland sich aktuell auf dem Niveau des 19. Jahrhunderts bewegt - das würde selbst ich als Kritiker des Systems Putin als doch übertrieben ansehen - und dass das deswegen vergleichbar sei? Big Grin

Schneemann.

Juristisch gesehen ist es immer noch möglich. So 1990 rum hatten es auch einige Bundesstaaten in Form von "Chain-Gangs" usw. wieder eingeführt. Auch aktuell gibt es gerade in den privaten Haftanstalten zwar keine echte Zwangsarbeit aber gerade armen Häftlingen bleibt eigentlich gar nichts anders übrig. Dagegen können sich Wohlhabende dort auch Luxuszimmer buchen.
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Zitat:Prozessauftakt in Moskau

Memorial droht das Aus

Die russische Generalstaatsanwaltschaft fordert die Auflösung der Menschenrechtsorganisation Memorial - die vermutet dahinter den Kreml. Heute beginnt die Verhandlung vor dem Obersten Gerichtshof. [...]

Jedes Jahr am 29. Oktober erinnern Menschen in Russland, Belarus, Tschechien und auch Deutschland mit Memorial an die Opfer des politischen Terrors in der Sowjetunion. Dann lesen sie die Namen der Getöteten und das Datum der Exekution vor. "Zurückgeben der Namen" nennt Memorial diese Lesungen. Pandemiebedingt wurde dieses Jahr online der Opfer gedacht. [...] Memorial ist die größte und älteste unabhängige Menschenrechtsorganisation in Russland. Gegründet 1988 noch zu Sowjetzeiten setzt sie sich für Aufarbeiten von politischer Verfolgung und Stalin-Terror in der Sowjetunion und die Rehabilitierung von Betroffenen ein. Allein 3,5 Millionen Schicksale sind in Datenbanken zugänglich. [...]

Nun hat die Generalstaatsanwaltschaft die Auflösung von Memorial beantragt. Der Vorwurf: wiederholter Verstoß gegen das "Gesetz über ausländische Agenten". Als "ausländische Agenten" werden Organisationen registriert, die zum Beispiel Gelder aus dem Ausland beziehen. Auch Memorial muss sich "ausländischer Agent" nennen - in jeder Veröffentlichung, in Radiointerviews oder in Online-Texten. Auf alten Büchern und Webseiten fehlte das, so die Anklage. Sie wirft Memorial auch Nähe zu Terrorismus und Extremismus vor.
https://www.tagesschau.de/ausland/europa...s-101.html

Schneemann
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Zitat:RUSSISCHES GERICHT

Auflösung von Menschenrechtszentrum Memorial angeordnet

Ein Moskauer Gericht ordnet die Auflösung des Zentrums an – einen Tag, nachdem das Oberste Gericht ein Verbot der Dachorganisation verhängt hat. Das Zentrum veröffentlicht jedes Jahr eine Liste politischer Gefangener in Russland. [...] Das Urteil erging einen Tag, nachdem das Oberste Gericht Russlands bereits ein Verbot der Dachorganisation Memorial International verfügt hatte, wie eine AFP-Korrespondentin berichtete. Das Menschenrechtszentrum Memorial setzte sich bisher für die Rechte politischer Gefangener in Russland sowie von Minderheiten wie Migranten und Homosexuellen ein.

Das Gericht habe entschieden, „dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Auflösung des Menschenrechtszentrums Memorial und aller damit verbundenen Einrichtungen nachzukommen“, sagte der Richter Michail Kasakow. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Menschenrechtszentrum Verstöße gegen das sogenannte Ausländische-Agenten-Gesetz sowie die „aktive“ Unterstützung von Extremisten vorgeworfen. [...]

Das umstrittene Gesetz verpflichtet NGOs, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten, dazu, ihre Publikationen mit speziellen Kennzeichnungen zu versehen. Den russischen Behörden zufolge haben Memorial International und das Menschenrechtszentrum Memorial gegen diese Auflagen verstoßen. Vertreter von Memorial hatten die Vorwürfe als „absurd“ bezeichnet. [...] Memorial ist die älteste und wichtigste Menschenrechtsorganisation in Russland. Die Dachorganisation setzt sich seit mehr als 30 Jahren für die Aufarbeitung der stalinistischen Verbrechen in der Sowjetunion ein.
https://www.faz.net/aktuell/politik/ausl...06565.html

Schneemann
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Ich frage mich warum man nicht einfach die Kennzeichnungspflicht beachtet hat? Es ist doch in Rußland kein Geheimnis dass diese Organisation größtenteils aus dem Ausland finanziert wurde.
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