Russland vs. Ukraine
Zum ukrainischen Vorstoß auf Kursk:

Der ukrainische Geländegewinn beträgt auf Perpetuas Lagekarte nun 1.239 km².

Die ukrainische Regierung hat sich erstmals zu ihren operativen und strategischen Zielen geäußert. Präsident Selenskyj bezeichnete die Operation auf Telegram als präventive Maßnahme gegen weitere russische Aggressionen. Man wolle dem "Aggressor Kopfzerbrechen bereiten". Explizit zielt die Operation auf die weltweite Meinung, v.a. im Westen: "Das ganze naive, illusorische Konzept der sogenannten roten Linien gegenüber Russland, das die Einschätzungen des Krieges bei einigen Partnern dominierte, ist dieser Tage irgendwo vor Sudscha zusammengebrochen. Die Welt sieht, dass in diesem Krieg alles nur vom Mut abhängt – unserem Mut, dem Mut unserer Partner. Von mutigen Entscheidungen für die Ukraine, von mutiger Unterstützung der Ukraine und mutigen Schritten – und nicht nur unseren Schritten. Es ist wichtig, dass die Partner in dieser Entschlossenheit mit uns übereinstimmen, dann wird es in Russland keinen anderen Schritt mehr geben als einen gerechten Frieden." (Quelle)

In der Sache muss ich dieser Einschätzung zustimmen. Die "roten Linien" Russlands, bei denen nicht selten westliche Regierungen als Stichwortgeber fungierten, indem sie orakelten, was passieren könne, wenn man dieses und jenes tue, haben sich als Bluff erwiesen. Die Kehrseite der Medaille: Selenskyj hat mit seiner Wortwahl selbst die Deutung eines möglichen Scheiterns vorgegeben. Scheitert die Ukraine im Raum Kursk, dürfte das empfindliche Auswirkungen auf die Unterstützung der Ukraine durch andere Staaten haben.

Das 'Redaktionsnetzwerk Deutschland' hat die Situation vor ihrem politischen Hintergrund analysiert und schließt: Putin hat keine guten Optionen, da die Lage kurzfristig nicht in den Griff zu bekommen sei, ohne unerfahrene Wehrpflichtige einzusetzen oder die ukrainische Front zu schwächen. Er sei in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber als Militärstratege blamiert, aber auch als Geheimdienstler, da der Angriff nicht vorhergesehen wurde; sein Bild als gütiger Kümmerer leide in den westlichen Regionen Russlands; außerdem schreite die Verzwergung gegenüber China voran. Erstmals schreibe die Ukraine das Drehbuch, nicht Russland. Der russische Sozialvertrag (Sicherheit und Wohlstand gegen Gehorsam) leide. Dass Putin dies durchaus als Bedrohung wahrnehme, zeigt sich nach Meinung des Autors darin, dass er sich von dem Geschehen distanziert, es kaum kommentiert, und Gouverneur Smirnow als Schuldiger hingestellt wird. Der Artikel ist überaus lesenswert, wobei natürlich betont werden muss, dass es sich beim RND um ein regierungsnahes Unternehmen handelt. (Link)

Die Ukrainer machen weiter zahlreiche Gefangene. Am 15.08. wurde auf Video aufgenommen, wie sich über 100 Mann auf einmal ergaben. (Quelle)

Bild des Tages: Ukrainische Soldatin vor dem Pjaterotschka in Sudscha. Man beachte die Katzenohren. Viele ukrainische Soldaten machen sich einen Spaß daraus, die russische Propaganda zu parodieren, wonach Ukrainer mit dem "Virus der Homosexualität" und westlicher Verweichlichung infiziert seien.

[Bild: https://s20.directupload.net/images/240820/f54vxsjl.jpg]
(19.08.2024, 22:52)Schwabo Elite schrieb: Weshalb sollte ein IRIS-T-System in 2024 nicht ausgeliefert werden, weil dafür im Haushalt für 2025 kein Geld eingestellt ist?

Möglicherweise liest hier keiner aus dem Forum den Haushaltsplan, kommentiert denselben aber kräftig.
In dem Artikel (bzw. in der Quelle des Artikels hinter der Paywall) steht, dass ein internationaler Kunde unter dem Eindruck des russischen Angriffs auf die Ochmatdyt-Kinderklinik ein gerade produziertes IRIS-T SL_-System (ich schloss SLM, weil nur dafür internationale Bestellungen bekannt sind) an die Ukraine abtreten wollte, sofern Deutschland einen Teil der Kosten trüge. Verteidigungsminister Pistorius bekam das Geld aber nicht bewilligt. Das zeugt von mangelnder Strategiefähigkeit. Die angespannte Marktlage ist mehr als bekannt, es kann nicht sein, dass Deutschland sich außerstande sieht, in einem solchen zeitkritischen Fall mal €50 Mio. aufzutreiben.
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(20.08.2024, 04:52)muck schrieb: Zum ukrainischen Vorstoß auf Kursk:

Der ukrainische Geländegewinn beträgt auf Perpetuas Lagekarte nun 1.239 km².
....
nach der Zerstörung der Brücken (die BILD titelt:
Zitat:Letzte Brücke zerstört, Russen sitzen fest

https://www.bild.de/politik/ausland-und-...2399e4f5e3) über den den Fluss Sejm in der russischen Region Kursk scheint mir klar zu sein, dass die Ukraine einen breiten Streifen zwischen Riwne und Oleksandrya https://www.google.com/maps/d/u/0/viewer...1&entry=yt nördlich von Sumy jenseits der russische-ukrainischen Grenze als Sicherheitskorridor erobern will. Das wäre eine Verdoppelung des jetzt schon unter ukrainischer Kontrolle stehenden Gebietes.
Der Fluss selbst und die russischen Befestigungslinien zwischen Fluß und ukrainischer Grenze dürften im Falle einer Gegenoffensive größere Hindernisse für Russland darstellen.

Auch Russland hat wohl die Gefahr erkannt und im östlichen Bereich des noch russisch besetzten Territoriums https://liveuamap.com/en/2024/19-august-...e-taken-on eine Pontonbrücke errichtet https://liveuamap.com/en/2024/19-august-...e-taken-on sowie https://liveuamap.com/en/2024/19-august-...seym-river
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Die Ukrainer haben anscheinend von Washington die Schnauze voll und beschlossen, sich dem israelischen Modus Operandi im Umgang mit dem Weißen Haus anzunähern Big Grin

Zitat:Ukraine Defies the U.S. to Launch a Showy Offensive Into Russia

[...]
“The United States government currently has no strategy for Ukraine. Zero. None at all,” a former high-ranking Ukrainian intelligence and national security official told Tablet. “That fact is apparent to the current Ukrainian government. The political decision and the timing chosen to go into Kursk were made at the political level by the Zelenskyy administration at the request of the army command. Which wanted to take the initiative.” The former intelligence official added, “This is war, and I cannot recall an example, any time in history, of a war being won while commanders were unable to make their own decisions and to take on their own responsibilities.”
[...]
Kyiv observed carefully how Israel conducted its strikes immediately after Prime Minister Netanyahu returned from a triumphant speech before the U.S. Congress. In fact, earlier this week the chair of the Ukrainian Parliamentary Committee on National Security and Defense, Roman Kostenko, explicitly referenced the Israeli example in a televised interview. “So Israel announced that they would take the advice of their partners very seriously but would afterward make their own decisions in the best interest of their own national security. I think that we can simply mirror that approach in our own case.”
[...]
The Ukrainians demonstrated remarkable operational discipline in preparing this offensive—ordinary soldiers were reportedly only informed of the battle plans the day before they were sent over the Russian border. Keeping the Americans in the dark was also key to keeping the Russian intelligence services and army from being able to prepare. “We have learned some very hard lessons from the events of the previous counteroffensive,” a highly placed member of Zelenskyy’s team informed Tablet. “Last summer we told everyone what we were going to do and we all know how that turned out. Everyone knew what we were going to do and in which location we intended to strike. There is definitely something to be learned from the Israeli example of acting first and only later explaining what you are doing.”
https://www.tabletmag.com/sections/news/...rsk-russia

Vertrete ich schon seit längeren, die Ukrainer müssten die diversen auferlegten Beschränkungen viel offensiver in die Öffentlichkeit zerren und übertreten. Schließlich lassen die sich gegenüber der Medienöffentlichkeit politisch nicht vertreten.
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Die Ukraine hat nicht eine solche Lobbygruppe wie Israel in den Staaten. Und im Gegensatz zu den arabischen Ländern steht der Ukraine eine atomar hoch aufgerüstete Großmacht gegenüber.
Die Ukraine ist auf die weitere Unterstützung mit Waffen und Munition angewiesen und kann sich nicht einfach so über die Vorgaben der Lieferländer - insbesondere der USA - hinwegsetzen, wie (un-)begründet die auch erscheinen mögen.
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Und was soll passieren wenn man es trotzdem macht? Die Hilfen können schlicht nicht eingestellt werden.
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(20.08.2024, 16:18)Nightwatch schrieb: Und was soll passieren wenn man es trotzdem macht? Die Hilfen können schlicht nicht eingestellt werden.

Doch können sie, ist sowie nur eine Frage der Zeit bis die USA die Ukraine wie eine heiße Kartoffel fallen lässt. Mit Trump kommt es früher mit den Demokraten etwas später.
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Das mag so sein oder auch nicht, ändert nichts daran, dass die Hilfe jetzt politisch nicht eingestellt werden kann. Erst recht nicht wenn die Ukraine den öffentlichen Druck erhöht, militärisch wie diplomatisch.
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(20.08.2024, 14:29)Kongo Erich schrieb: Die Ukraine ist auf die weitere Unterstützung mit Waffen und Munition angewiesen und kann sich nicht einfach so über die Vorgaben der Lieferländer - insbesondere der USA - hinwegsetzen, ...

Das hat die Ukraine auch nicht.

Kursk ist eng mit den USA abgestimmt und wäre ohne US-Aufklärung so nicht möglich gewesen.

Es soll eben der Eindruck erweckt werden, westliche Berater und westliches know-how sei praktisch unbeteiligt.

Das weiß jeder, und die USA wissen, dass das die Russen auch wissen.
Aber im Moment macht man eben kein Aufhebens darum.
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Wenn das so ist, dann wäre die "Rote Linie" aus Moskau tatsächlich nur Propaganda - wie auch inzwischen Medial hinterfragt wird:
Zitat:"Sind Russlands rote Lionien nur ein Bluff?"
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Ich finde ja die ganzen Berichte über die Wehrpflichtigen der Russen in der Kursk Region ja fürchterlich interessant. Geringe Kampfkraft, schlecht ausgestattet und generell nicht vorbereitet - von der unmenschlichen Konzentration Lagern für unwillige Soldaten mal ganz abgesehen, ergeben sie sich oft nach kurzen Gefechten in großer Anzahl.

Und das ist ja im Prinzip nichts neues, war es doch grundsätzlichen Zügen schon die Einschätzung der NATO während des Kalten Krieges, daher empfinde ich es immer ganz schön absurd wie man oft eine Überlegenheit bezüglich der Kriegstüchtigkeit der Russen erdichtet. Diese Russen würden einen Krieg gegen die NATO nicht lange überstehen.
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(20.08.2024, 10:38)Kongo Erich schrieb: nach der Zerstörung der Brücken über den den Fluss Sejm in der russischen Region Kursk scheint mir klar zu sein, dass die Ukraine einen breiten Streifen zwischen Riwne und Oleksandrya nördlich von Sumy jenseits der russische-ukrainischen Grenze als Sicherheitskorridor erobern will. Das wäre eine Verdoppelung des jetzt schon unter ukrainischer Kontrolle stehenden Gebietes.
Der Fluss selbst und die russischen Befestigungslinien zwischen Fluß und ukrainischer Grenze dürften im Falle einer Gegenoffensive größere Hindernisse für Russland darstellen.
...
die NZZ meint dazu:
Zitat:Brücken und die Eisenbahn im Visier: Die Ziele und Grenzen des ukrainischen Vorstosses in Kursk werden klarer
...
! Zahlschranke - aus urheberrechtlichen Gründen werde ich den Bericht nicht weiter zitieren !
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(20.08.2024, 16:36)lime schrieb: Doch können sie, ist sowie nur eine Frage der Zeit bis die USA die Ukraine wie eine heiße Kartoffel fallen lässt. Mit Trump kommt es früher mit den Demokraten etwas später.
Das ist nur eine von sehr vielen Möglichkeiten, und keineswegs sicher. Möglich wäre z.B. auch, dass der weiter oben genannte, von Selenskyj angestrebte Effekt eintritt und die westlichen Partner ihre Politik revidieren, weil sie merken, dass seine Einschätzung richtig war.

Davon abgesehen kamen aus dem Trump-Lager zuletzt einige Vorschläge zur Lösung des Konflikts, die allermindestens mal nahelegen, dass Trump keine Absicht hat, die Ukraine einfach fallenzulassen, sobald er die Wahl gewonnen hat. Der britische Ex-Premier Johnson behauptet, dass sein Busenfreund Trump ihm im Zwiegespräch versichert habe, dass er die Ukrainer sogar aufrüsten und alle Beschränkungen kippen wolle, um die Russen an den Verhandlungstisch zu zwingen. Auch Pompeo, Außenminister unter Trump, äußerte sich dahingehend.
(20.08.2024, 20:27)Pmichael schrieb: Ich finde ja die ganzen Berichte über die Wehrpflichtigen der Russen in der Kursk Region ja fürchterlich interessant. Geringe Kampfkraft, schlecht ausgestattet und generell nicht vorbereitet - von der unmenschlichen Konzentration Lagern für unwillige Soldaten mal ganz abgesehen, ergeben sie sich oft nach kurzen Gefechten in großer Anzahl.

Und das ist ja im Prinzip nichts neues, war es doch grundsätzlichen Zügen schon die Einschätzung der NATO während des Kalten Krieges, daher empfinde ich es immer ganz schön absurd wie man oft eine Überlegenheit bezüglich der Kriegstüchtigkeit der Russen erdichtet. Diese Russen würden einen Krieg gegen die NATO nicht lange überstehen.
Wie man v.a. in Deutschland von einer erdrückenden russischen Übermacht und unvermeidlichen ukrainischen Niederlage auszugehen bereit ist – selbst ehemalige Offiziere wie Vad, Kujat, Thiele, die es besser wissen müssten –, ist natürlich großer Quatsch. Ein Krieg ist kein Trumpf-Kartenspiel, es gewinnt nicht automatisch der, der den höchsten Wert auf seiner Karte stehen hat. Trotzdem denke ich, dass Deine Einschätzung ein bisschen zu optimistisch ist.

Man muss auch die Verhältnisse vor Ort bedenken. Die Lage in Kursk ist aus russischer Sicht objektiv ein Alptraum, da findet auch zwei Wochen nach Beginn der Offensive offensichtlich immer noch keine richtige Koordination der Verteidigung statt, es gibt unklare und konkurrierende Hierarchien, Panzer müssen aus dem Raum Woltschansk (bei Charkiw) herangekarrt werden, also direkt von der Front.

Die Kadyrowzy, die das Gebiet verteidigen sollten und offenbar ihre Zeit damit verbrachten, auf den Dörfern Frauen zu belästigen, haben sich beim ersten Anzeichen von Gefahr verpisst.

Und jetzt stehst Du da als grüner Wehrpflichtiger ohne klaren Auftrag, und siehst Dich ukrainischen Truppen gegenüber, die auf zwei, drei, in einzelnen Fällen zehn Jahre Kriegserfahrung zurückblicken und in bester Laune sind, weil sie dem Woschd ein herrliches Schnippchen schlagen konnten?

Ganz ehrlich, wer würde sich da nicht ergeben?

Jetzt kommt das aber.

Was die, nennen wir sie mal, Veteranen Russlands angeht – die Kontraktniki, Mobiks und Freiwilligen der letzten drei Jahre –, so werden sie von ihren ukrainischen Gegnern keineswegs geringgeschätzt. Etwaige Ausbildungsmängel und die grottenschlechte Führung (sowohl taktische als auch Menschenführung) machen sie durch persönlichen Mut wett. Wohlgemerkt: Wir sprechen hier von einer Gruppe, die nach konservativer Schätzung mindestens eine halbe Million Mann stark ist. Und das ist eine halbe Million kriegserfahrener Soldaten mehr, als die NATO hat. Denn, wie es unlängst der ranghöchste Unteroffizier des US-Heeres (Command Sergeant Major of the Army) Michael Weimer so treffend formulierte: "I've seen a lot of combat. But I have no idea what war is. I can't even begin to imagine what fighting in Ukraine is like."

Ich denke nicht, dass die NATO Russland einfach zum Frühstück verputzt. Insbesondere die Opfer- und Leidensbereitschaft der russischen Bevölkerung könnte einen solchen Konflikt erheblich in die Länge ziehen.

Demgegenüber sehe ich keine solche Resilienz in den meisten westlichen Gesellschaften. Insbesondere nicht in den westeuropäischen. Mal ganz abgesehen vom Zustand und den Werten der Generation, die diesen Krieg führen müsste, man stelle sich das mal vor: Da sitzen einige der ranghöchsten deutschen Offiziere außer Dienst (wie General Kujat und Vizeadmiral Schönbach) und bezeichnen es praktisch seit Tag 1 dieses Krieges als ihre Expertise, dass die Ukraine nicht gewinnen könne und sich lieber ergeben solle, um unnötige Opfer zu vermeiden. Ganz im Ernst, ich hoffe wirklich, dass diese ganze Riege von Russland bezahlt wird, denn wenn dies die Mentalität unserer militärischen Führung ist – wegducken und aufgeben –, dann gute Nacht.
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(21.08.2024, 00:48)muck schrieb: Insbesondere die Opfer- und Leidensbereitschaft der russischen Bevölkerung könnte einen solchen Konflikt erheblich in die Länge ziehen.

Die russische Leidensfähigkeit ist einfach ein zeitloser Klassiker, der insbesondere in Deutschland gerne von Generation zu Generation weitergereicht wird.

Und "Russland ist unbesiegbar" ist Teil der deutschen DNA (was historische Gründe hatBig Grin)

Und manche Teutonen haben eben eine Überdosis dieser DNA abbekommen, bspw. MP Kretschmer aus Sachsen.
Kujat und Konsorten natürlich auch.
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(21.08.2024, 02:22)Schwabo Elite schrieb: Die russische Leidensfähigkeit ist einfach ein zeitloser Klassiker, der insbesondere in Deutschland gerne von Generation zu Generation weitergereicht wird.
@Schwabo, ich denke, dass diese Leidensfähigkeit objektiv existiert. Auch heute noch. Wenn man sich ansieht, was russische Soldaten ihrer Führung alles durchgehen lassen; wie sie sich militärisch sinnlos zu Massen verheizen lassen; muss man sich fragen, warum es nicht regelmäßig zu Meutereien und "Fragging" kommt.

Erst vor ein paar Wochen habe ich ein Drohnenvideo gesehen, wie etwa 60 Mann eine ukrainische Stellung in Awdijiwka angreifen, in Wellen zu etwa zehn Mann. Die zu überwindende Distanz ist ziemlich kurz, vielleicht 100 m. Will sagen, die hinten sehen, hören und riechen, was vorne passiert.

Das Gelände ist eine Todeszone. Trotzdem wird stur und ohne jede Deckung durch eigenes Feuer angegriffen. Jede einzelne Gruppe wird von den Ukrainern aus überhöhter Position mit Kleinwaffenfeuer und einem automatischen Granatwerfer niedergemäht. Trotzdem kommt die nächste. Und die nächste. Und die nächste.

Bis alle tot oder verwundet sind. Das Ganze dauert vielleicht zwanzig Minuten. Zwanzig Minuten, wo die hinteren Zeit haben, darüber nachzudenken, ob das alles einen Sinn hat.

Es muss doch selbst der fanatischste Nationalist, der aus ganzem Herzen an die Ziele der "speziellen Militäroperation" glaubt, etwas dagegen haben, sinnlos zu sterben.

Übrigens, in dem Video dreht ein einziger Hansel um und rennt zurück.

Wo ihm mit hoher statistischer Wahrscheinlichkeit das Schicksal drohte, das vielfach durch Videos und Bilder in den russischen sozialen Medien belegt ist, und sogar als gerecht und richtig beworben wird: Bestenfalls bindet man ihn mit Klebeband an eine Laterne und lässt ihn einfach mal ein paar Stunden zum Beschimpfen stehen.

Schlimmstenfalls wandert er in die Jama (яма, Grube). Heißt: Er wird nackt ausgezogen, verprügelt, in ein Erdloch gestoßen und bepisst. Und darf da die ganze Nacht ausharren, auch bei Minusgraden.

Auch für zehn Jahreslöhne Verpflichtungsprämie tut sich das niemand aus bloßem Gewinnstreben an, wenn er es nicht als normalen Vorgang internalisiert hat. Sogar im Kaukasus und östlich des Ural, den ärmsten Gebieten Russlands, gibt es auch heute noch wesentlich einfachere Wege, Geld zu verdienen.

Ebenso bemerkenswert ist, wie achselzuckend die Gesellschaft das alles hinnimmt.

Die übrigens durchaus weiß, was in der Ukraine passiert, über Telegram und VK fließen die Fronterfahrungen noch ungefiltert in die Gesellschaft ein.

Mediazona schätzt (ich verlinkte es vor ein paar Wochen), dass seit Jahresanfang täglich mindestens 250 Russen fallen. Das wären Stand heute 58.000 Gefallene seit Jahresbeginn. Für einen Geländegewinn, der sich nach Abzug der ukrainischen Rückeroberungen seit 2022 und des Sudscha-Brückenkopfs auf etwa 900 km² beläuft.

Ich glaube wirklich nicht, dass westliche Staaten zu solchen Verlusten bereit wären, schon gar nicht im Kontext eines Abfangens einer möglichen Aggression jenseits der eigenen Grenzen. Nicht einmal die Amerikaner, wesentlich wehrbereiter als wir, sind zu einem Konsens dazu in der Lage, ob Länder wie Estland es wert sind, für sie zu kämpfen, Verluste zu erleiden und den Weltkrieg mit Russland zu riskieren.
(21.08.2024, 02:22)Schwabo Elite schrieb: Und manche Teutonen haben eben eine Überdosis dieser DNA abbekommen, bspw. MP Kretschmer aus Sachsen.
Es ist wirklich bemerkenswert, wie sehr sich die Ostdeutschen von den Menschen anderer Staaten des vormaligen Ostblocks unterscheiden, was die vorherrschende Haltung gegenüber Russland angeht. Allenfalls in der Slowakei und in Bulgarien findet man das noch, und auch da längst nicht so krass.

In den 1980ern glaubten die Sowjets, dass die DDR der einzige Staat im Warschauer Pakt sei, auf den sie sich im Kriegsfall vollauf verlassen könnten: (Link)

Persönlich glaube ich, dass da nicht nur die massive anti-amerikanische Propaganda nachwirkt (ich sage nur: Kartoffelkäfer), sondern auch, dass in der DDR sozialisierte Menschen eine Art Stockholm-Syndrom gegenüber Russland entwickelt haben. Ihre ganze Identität, ihr Nationalgefühl, war sozusagen ein Geschenk Russlands.

Denn Stalin war schon kurz nach Kriegsende zur Wiedervereinigung bereit, wenn auch unter der Maßgabe der Neutralität. Für ihn, der sagte, der Tod von Millionen sei bloß eine Statistik für ihn, und der in der Tat Millionen in den Tod geschickt hatte, waren die NS-Verbrechen nicht so erschreckend wie für die Demokratien des Westens.

Die sowjetische Besatzungszone und spätere DDR entwickelte sich unter seiner Ägide sehr viel schneller zu einem formal gleichberechtigten und anerkannten Teil der (östlichen) Staatengemeinschaft, als die BRD dies konnte. Die Ideologie der sozialistischen Brüderlichkeit ersparte den Ostdeutschen im Kontakt mit ihren sozialistischen Nachbarn so manche unschöne Erfahrung, die deutsche Touristen in Frankreich und Großbritannien noch in den 1980ern machen mussten.

Bis zu Brandts Ostpolitik (und eigentlich bis zu Gorbatschow) war es die offizielle Lesart der Sowjetunion, die in der DDR entsprechend vermittelt wurde, dass die BRD ein quasi-faschistisches Staatsgebilde unter der Fuchtel der Amerikaner sei, menschenunwürdig und durchsetzt von Altnazis, während in der DDR die erwiesenermaßen antifaschistischen "guten Deutschen" lebten, die stolz auf ihr Land sein und sich sagen durften, dass der Makel der Geschichte ihnen nicht anhaftete.
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Grundsätzlich sollte man vorsichtig sein irgendwelche Eigenschaften eine Gruppe, insbesondere einer Nation, zu zuschreiben. Je nebulöser desto gefährlicher können darauf basierende Schlüsse sein, es würde ansonsten keine Folterlager, kein Dedowschtschina oder Sperrkommandos notwendig sein, um die eigene Soldaten auf Linie zu halten. Wer wohlhabend ist haut dann auch sowieso ab, sah man ja ganz wunderbar als es zu der Teilmobilisierung kam.
Dann kommt dazu, dass die Russen seit dem Beginn des Krieges keine Versorgung über dem Stellungskrieg zu standen bekommt.Immerhin kennt man bei der Bundeswehr Gabelstapler und Paletten und es muss nicht alles per Hand umgeschlagen werden (Vorteilhaft um Teile der Güter unter der Hand verschwinden zu lassen).

Im Westen sollte man unbedingt damit aufhören in Russland irgendwelche Ideale zu projektiere, sind sie doch meistens komplett haltlos.
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