Ich versuche hier jetzt einfach mal gesammelt auf verschiedene Fragen hier einzugehen.
1. Was macht SeaFire so besonders?
Wie andere hier schon richtig dargestellt haben ist SeaFire das erste europäische MMR, das sowohl im AAW wie auch im BMD eingesetzt werden kann und dabei klein genug ist, um vielseitig auf Schiffen verschiedener Größen (besonderes kleinen Größen) eingerüstet zu werden.
SeaFire ist ein skalierbares Radarsystem, das je nach Größe eine Reichweite zwischen ca. 300-500km schafft. Dabei agiert es sowohl als Air Search wie auch als Fire Control Radar (für Lfk und Bordkanone) und ist speziell auf die Aster Familie ausgelegt. Es kann laut Hersteller gegen jegliche Luftziele von BM bis Kleinstdrohnen einsetzt werden.
Besonders ist zudem, dass SeaFire nicht wie etwa wie das SMART-L oder die Kronos Familie einen lokalisierten „BMD Sector Mode“ hat sondern nur einen einzigen Operationsmodus. Oder einfacher formuliert, SeaFire kann auf 300-500km 360°x180° gleichzeitig AAW wie auch BMD betreiben. Das (weltweit) einzige andere System, dass das bis jetzt kann, ist die AN/SPY Serie.
2. Gesprächspunkt Lfk
Da hier anscheinend ein wenig Unsicherheit über die Lfk herrscht, über die wir hier alle reden, ordne ich das jetzt einfach mal kurz ein. Hier gehts anscheinend ein bisschen drunter und drüber.
ESSM, CAMM-ER und IRIS-T SLM sind mehr oder weniger das gleiche. Nicht was die Effektoren selber angeht, sondern ihren doktrinalen nutzen.
Vergleichsweise einfache und kleine Lfk, die relativ günstig sind und hauptsächlich zur Bekämpfung von SeaSkimmern bis zum Radarhorizont dienen. Diese Lfk sind vor allem dazu gedacht, Schiffe vor Saturationsangriffen von dutzenden oder mehr tief und langsam fliegenden ASCM zu schützen, sobald diese den Radarhorizont überqueren. Der liegt bei SeaSkimmern üblicherweise zwischen 20-30km.
Natürlich nicht exklusiv, da ESSM, CAMM-ER und IRIS-T SLM mit jeweils 40-50km Reichweite und 10-15km Dienstgipfelhöhe potenter sind als sie sein müssten, trotzdem reden wir hier definitiv vom untersten Leistungsspektrum.
Diese Lfk haben den Vorteil, dass sie (je nach VLS) im quadpack eingerüstete werden können, was die Wirkfähigkeit gegen Saturationsangriffe natürlich um ein Vielfaches potenziert und den Geldbeutel der Verteidigungsministerien schont. Speziell deshalb sind ESSM (u.Ä.) auch so beliebt.
Interessant ist hier übrigens die Frage, ob Lfk in diesem Leistungsspektrum zukunftsfähig sind.
Dieser Lfk „Typ“ ist primär im Kontext der 70er und 80er entstanden bei dem NSSM und später ESSM eine Lösung leistungsfähiger als Rohrwaffen mit geringer Reichweite wie bspw Goalkeeper dargestellt haben, aber deutlich günstiger waren als die teuren und großen SMs.
Seitdem entwickelt sich der klassische Nähstbereichsschutz aber immer mehr hin zu Lfk basierten CIWS wie RAM, HHQ-10, Mistral und co, die deutlich größere Wirkweiten bieten als ihre Vorgänger und immer mehr in ESSM-Territorium „vordringen“. Die RAM b2 bspw schafft bereits ganze 15km. Es kann gut und gerne sein, dass ein Next-Gen CIWS bereits bis zum Radarhorizont wirken können wird, ab dann man sich dann ernsthaft fragen muss, ob ein Lfk in ESSM Wirkweite im VLS-Komplex noch gerechtfertigt ist.
Den Fall haben wir jetzt noch nicht, weshalb ich auch nicht dafür plädiere, ESSM und co abzuschaffen, aber diese Entwicklung sollte man mMn trotzdem perspektivisch im Kopf behalten.
ASTER, SM und co sind hingegen eine ganz andere Hausnummer. Da diese Lfk alle recht unterschiedlich sind und man hier schlecht allgemeine Aussagen treffen kann, beschränke ich mich diesbezüglich jetzt nur mal auf die ASTER 30 B1NT, die hier hauptsächlicher Diskussionsgegenstand ist.
Dieser Lfk stellt mehr oder minder eine leicht potentere Form der in der Deutschen Marine verwendeten SM-2MR dar, verfügt aber im Gegensatz zu dieser über einen aktiven Radarsuchkopf (benötigt also keine Zielbeleuchtung via APAR oder Ähnliches) und kann zudem noch Terminal gegen BM eingesetzt werden. Womit der Lfk wohl eher mit der RIM-67 (SM-2 ER) als mit „unserer“ RIM-66 (SM-2 MR) zu vergleichen ist.
Die Reichweite der B1NT liegt oberhalb von 150km und die Dienstgipfelhöhe zwischen 25-30km. Die Minimum Engagement Range liegt bei etwa 3-4km.
Der Lfk dient damit sowohl als „klassischer“ Langstreckeneffektor wie auch zur Bekämpfung von terminalen ballistischen und hypersonischen Bedrohungen.
3. Was hat das ganze jetzt mit uns zu tun?
Nun ja, bisher tut die Marine noch so, als wenn es immer noch die 80er und 90er wären, sozusagen. Schiffe der deutschen Marine sind üblicherweise fantastisch gegen Saturationsangriffe durch SeaSkimmer gewappnet. Wenn wir hier die F126 mal als Beispiel nehmen, sprechen wir hier von 64x ESSM + 42x RAM b2 + Bordgeschütz + MLG + ECM. Damit ist das Schiff realistisch in der Lage, einen Saturationsangriff von 100x oder mehr ASCM zu überstehen, was durchaus beachtlich ist.
Das Problem daran ist, dass man sich anscheinend weigert, mit der Zeit zu gehen und auf neu aufkommende Bedrohungen zu reagieren. So als hätte die Geschichte im Jahre 2000 offiziell geendet und militärische Innovation gleich mit. Neue Bedrohungen entstanden, wurden erkannt und plump ignoriert.
BM sind da wohl das beste Beispiel. Ballistic Missile Defense ist in Europa ja bei weitem nichts Neues, BMD Fähige Schiffe waren hier ja schon Mitte der 2000er in der Pipeline und waren damit im Vergleich zu den Amerikanern noch spät dran. Dass es der deutschen Admiralität jetzt auch mal nach 25 Jahren aufgefallen ist, ist ja nett und lobenswert, aber eigentlich ein absolutes Armutszeugnis. Wobei da auch viele unserer europäischen Nachbarn nicht wirklich besser aussehen.
Was ist denn diese „neue“ Bedrohungslage? Natürlich auch der internationale Trend aber vor allem erstmal die Neuausrichtung der russischen ASCM Entwicklung hin zu ballistischen und hypersonischen Effektoren - denen wir aktuell nichts entgegenzusetzen haben.
Nicht falsch verstehen, Russland verfügt über einiges an alter sowjetischer Hardware, gegen die wir uns hervorragend mit unserem Fokus auf „SeaSkimmer Defense“ wehren können. Aber gegen die aktuellen Neuentwicklungen haben wir nichts und das wird immer mehr zum Problem.
Krux:
Die Bedrohungslage verlagert sich immer weiter von SeaSkimmern hin zu ballistischen und hypersonsichen Zielen. Dementsprechend muss sich auch der defensive Aspekt unserer Einheiten immer weiter von SeaSkimmern hin zu ballistischen und hypersonischen Bedrohungen verlagern.
4. Was das ganze jetzt mit dem F126-Ersatz zu tun hat
Nachdem wir jetzt hier eine Grundlage geschaffen haben um alle erstmal auf dem gleichen Wissenstand zu sein (bei Punk 1&2, Punkt 3 könnt ihr gerne anders sehen) kommen wir nun zum eigentlichen Thema: dem F126-Ersatz.
Den Aspekt der Notlösung und der langfristigen Flottenplanung setzte ich jetzt einfach mal voraus, denn hier geht’s ja mehr um die Bewaffnung aus Ausrüstung besagter Notfall-Lösung.
Die ganzen Fragen ob MEKO oder FDI, ASTER oder ESSM, SeaFire oder APAR oder sonstiges, kann man mMn in Bezug auf den Notfall-Ersatz in folgender Kernfrage zusammenfassen:
Hypersonic & Ballistic Missile Defense + Reduzierte Fähigkeiten gegen SeaSkimmer
ODER
kein Hypersonic & Ballistic Missioe Defense, dafür aber wie gewohnt starke Fähigkeiten gegen SeaSkimmer
?
Das ist die fundamentale Kernfrage um die wir uns hier gerade über die Notfall-Lösung zanken.
Das muss jeder für sich selber beantworten. Für mich ergibt sich hier persönlich gar keine Frage, vor allem nicht mit dem Vorwissen von weiter oben, aber das müsst ihr wie gesagt für euch selbst beantworten.
5. Konkretbeispiel FDI
Wie einigen hier wohl bekannt, gibt es einen Lösungsvorschlag, den ich klar favorisiere. Nachzulesen hier:
https://www.forum-sicherheitspolitik.org...11&page=19
Dieser beinhaltete unteranderem die Beschaffung von 6x FDIs als temporäre stopgap solution, die entsprechende (jedoch abgespeckte) Fähigkeiten im europäischen Nordmeer stellt bis potentere Einheiten zulaufen. Die 6x Schiffe werden dann die K130 in der Ostsee ersetzte, in der mittlerweile eine ähnliche Bedrohungslage entsteht. Spätere refits (bspw auf EuroVLS) eingeschlossen.
Bei diesen Schiffen handelt es sich um leicht abgewandelte Versionen der griechischen Kimon Klasse mit folgenden essenziellen Änderungen:
- VLS Komplex umgestellt auf 4x8 Sylver A50 für 32x Aster 30 B1NT
- Nach Möglichkeiten 2x21 RIM-116 b2 statt 1x21
- Kleinkalibrige Rohrwaffen entsprechend angepasst
- Saab 9LV statt SETIS
Diese Liste stellt den Austattungszustand der Schiffe bei Auslieferung an die deutsche Marine dar. Entsprechende spätere Änderungen werden hier nicht behandelt.
Jetzt der Knackpunkt mit dem viele hier ein Problem haben:
Diese Schiffe kommen nicht mit einem zum Quadpacking befähigten Effektor auf kurze bis mittlere Reichweite. ESSM und IRIS-T SLM sind nicht in das Sylver integriert und CAMM wird hierfür nicht extra beschafft werden.
Heißt, die Lfk Bewaffnung dieser Schiffe wird sich auf 32x ASTER 30 B1NT und 1x/2x 21 RIM-116 b2 RAM beschränken.
Jetzt ist die Frage: reicht das gegen hypersonische, ballistische und sea skimming Bedrohungen?
Ersteres kann man schnell mit „Ja“ beantworten, sowohl ASTER 30 B1NT wie auch SeaFire sind dazu in der Lage.
Beim zweiten kommt es jetzt drauf an, ob uns das Reicht. SeaFire kann Sea Skimmer problemlos erkennen und tracken, aber im Bereich Effektoren haben wir natürlich keine ESSM oder Äquivalent zur Verfügung.
Meiner Meinung nach ist der Schutz gegen SeaSkimmee hier ausreichend gegeben. Es stehen 21x (eventuell 42x) RAM Lfk zur Verfügung mit der gegen ASCM gewirkt werden kann. Dazu kommt noch die OTO 76mm SuperRapid die genau dafür konzipiert ist und mit 80x Schuss im Ready-to-Fire-Magazine in kürzester Zeit gegen eine Menge ASCM wirken kann, bspw auch mit gelenkter Munition. Hinzu kommen noch MLGs oder Äquivalente, Decoy Launcher und ECM, letzteres besonders ein „Wunder Punkt“ vieler älteren sowjetischen ASCMs.
Dazu hat man auch noch Zugriff auf 32x ASTER 30 B1NT die vielleicht nicht sonderlich dafür geeignet sind, aber mit ihrer Minimum Engagement Range von 3-4km auch durchaus dafür eingesetzt werden könnten, wenn es drauf ankommt.
Ob ältere sowjetische ASCMs (was den Großteil der russischen SeaSkimmer ausmacht) überhaupt so weit verbracht werden können (da deren Reichweite üblicherweise echt nicht atemberaubend ist) sei mal dahingestellt, aber man könnte sich mMn durchaus dagegen wehren, wenn es darauf ankommt.
Natürlich nicht so gut wie eine „ESSM Fregatte“ dies könnte, dafür kann die sich nicht (bzw. gar nicht) gegen hypersonische und ballistische Bedrohungen behaupten, die sowohl in Europa wie auch weltweit immer beliebter werden.
Perfekt wäre natürlich eine Lösung, die beides hat, IRIS-T SLM und ASTER 30 B1NT. Der ASW-Zerstörer bspw. Den gibt es jetzt gerade aber nicht und der wird als Notfall-Lösung auch nicht rechtzeitig kommen. Man muss hier nehmen was man bekommen kann und da ist die FDI mMn die, mit großem Abstand, beste Alternative.
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So sehe ich das ganze jedenfalls. Wenn ihr andere Meinungen dazu habt, gerne darstellen.