muck:
Zitat:Bei mir ist der Eindruck entstanden—der falsch sein kann, aber nichtsdestotrotz besteht—, dass Du die vorherrschende Doktrin schon deshalb für falsch hältst, weil man an ihr festhält.
Nein durchaus nicht. Es geht nicht darum, bestehendes umzuwerfen nur weil es ist, sondern tatsächlich nur deshalb, weil es in entweder überholt ist - oder zum anderen (und dass ist noch öfter der Fall), weil es sich von seinem ursprünglichen Sinn und Zweck entkoppelt und weit entfernt hat.
Da du so ein Panzerfreund bist, nehmen wir mal zwei Beispiele aus dem Bereich Panzer bei der Bundeswehr: Aufgesessener Kampf von Panzergrenadieren hatte seinen Ursprung ursprünglich darin, dass die Kugel(schützen)waffen eine größere Reichweite als die Panzerabwehrhandwaffen hatten. Darüber hinaus hatten Panzergrenadiere durch die Vielzahl ihrer Augenpaare und weil sie oben offen in alle Richtungen heraus spähen konnten eine sehr viel bessere Wahrnehmung als ein Kampfpanzer dessen Wahrnehmung extrem beschränkt war. Man hatte somit eine Infanterie, welche gleich schnell war wie die Kampfpanzer, dort wo es notwendig wurde als normale Infanterie agieren konnte (dafür hatte man die notwendige Quantität !, dazu gleich unten noch etwas) und vor allem aber erhöhte sich so die Fähigkeit entsprechend gemischter Verbände feindliche Infanterie welche Panzerabwehrwaffen einsetzte zu kontern.
Der heutige aufgesessene Kampf ist demgegenüber völlig anders. Die Reichweite der Panzerabwehrhandwaffen feindlicher Infanterie liegt heute weit über der Reichweite der Kugel(schützen)waffen. Die Schützenpanzer sind geschlossen. An die Stelle der MG der Panzergrenadiere und die Augen derselben tritt die MK und die Sensorik des Panzers selbst. Dafür ist die Absitzstärke so weit gesunken, dass die Panzergrenadiere infanteristisch unzureichend geworden sind. Sie können daher sowohl die eine ursprüngliche Aufgabe (Aufspüren und Ausschalten feindlicher Panzerabwehrhandwaffen) nicht mehr erfüllen, als auch die andere ursprüngliche Aufgabe (als Infanterie agieren) nicht mehr ausreichend erfüllen. Das System Panzergrenadier hat sich damit vollständig von seinem Ursprung entfernt, entkoppelt und zu etwas entwickelt, was in Frage gestellt werden muss.
Ein anderes kürzeres Beispiel: es ist immer noch Bundeswehr-Doktrin, dass Kampfpanzer in die Tiefe des gegnerischen Raumes vorstoßen und dies auch dann, wenn es noch haltende Feindteile gibt, welche man dann hinter sich zurück lässt. Das ist seit dem 2WK klassische Panzerdoktrin, und zeigt sich selbst hier im Forum fortwährend, wenn über den magisch-mystischen Durchbruch der Panzer schwadroniert wird. Aber im 2WK folgten den durchbrechenden Panzern numerisch gewaltige Infanterieverbände und war selbst in den mechanisierten Einheiten sehr viel mehr Absitzstärke vorhanden. Noch darüber hinaus ist es weiterhin Bundeswehrdoktrin, dass Panzerkräfte in offenem Gelände an bedecktem Gelände vorbei stoßen. Das Minenfelder seitlich umgangen werden usw. All das sind Dinge die man heute in Frage stellen muss, nicht weil sie sind, sondern weil sie überholt sind oder inzwischen ohne Kontext blind nachgebetet werden.
Es geht nicht darum, dass die bestehende Doktrin falsch ist, nur weil sie ist. Würde ich so denken, würde ich ja meine eigene primäre These, dass es auf der taktischen Ebene praktisch keine Regeln gibt, und dass es auch im Bereich der Strategie nur einige wenige Prinzipien gibt in Frage stellen. Denn auch die bestehende Doktrin kann ja demzufolge absolut richtig sein (keine Regeln heißt, auch das bestehende kann richtig sein).
Zitat:weil Storr natürlich innerhalb der britischen Armee sozialisiert wurde, die keine Auftragstaktik nach deutschem Muster lebt, was denn auch aus mancher Anekdote erhellt.
Die Auftragstaktik ist bei der Bundeswehr hier und heute nur noch ein Mythos, eine Illusion, eine bloße Worthülse, der jedwede Substanz und jedes Leben fehlt. Die Bundeswehr redet von Auftragstaktik, aber die Kultur der Auftragstaktik ist in dieser als Armee getarnten Bürokratie tot.
Zitat:seine Kritik trägt doch nicht allzu viel zu der hier diskutierten Frage bei? Worauf beziehst Du Dich genau?
Vor allem auf die Prozessbesessenheit. Soldaten (als Typus von Mensch) sind querschnittlich immer strukturkonservativer als andere, regel- und ordnungsbesessener und prozessbesessener. Und kriegsgeschichtlich sind schon viele militärische Katastrophen genau dadurch unnötig produziert worden.
Zitat:Eine Kritik wie Deine (oder Storrs) findet man wohl in Bezug auf jede Epoche—wenn nicht schon von Zeitgenossen formuliert, dann zumindest als rückblickende Kritik durch Historiker. Daraus folgere ich, dass die diskutierten Probleme allgemeiner Natur sind, menschlicher Makel, und es wenig Sinn hat, sich allzu sehr an konkreten Entscheidungsträgern und Strukturen abzuarbeiten.
Da kommen wir zu einem entscheidenden Punkt: natürlich sind das allgemeine menschliche Fehler. Die schon immer vorkamen und immer vorkommen werden.
Aber gerade eben deshalb muss man sich an aktuellen und konkreten Entscheidungsträger und Strukturen abarbeiten. Gerade eben deshalb ist es notwendig, dass bestehende kritisch zu sehen. Denn die allgemeine menschliche Natur hat einen gewissen Spielraum. Es ist also möglich, etwas weniger zu scheitern als die anderen und genau dadurch gewinnt man.
Krieg stellt sich mir so dar, dass eigentlich alle Beteiligten in nicht vorstellbarem Ausmaß fortwährend scheitern, schier unvorstellbare Fehler begehen und alles so schlecht und unfähig wie nur irgendwie denkbar ist, dass aber eine Seite weniger Fehler macht als die andere. Und diese siegt dann, darum geht es.
Um im Krieg zu siegen, muss man massiv gegen die normale querschnittliche menschliche Natur anarbeiten. Das reicht bis hin zur expliziten Auswahl derjenigen welche da kämpfen und welche die Kämpfenden führen sollen. Darüber hat Storr ja auch ein Buch geschrieben (The Human Face of War) in welchem ebenfalls gut dargelegt wird, wie sich Armeen psychologisch und sozialkulturell in Friedenszeiten verändern.
Der Krieg stellt andere Anforderungen und benötigt andere Menschen, als die Armee sie in Friedenszeiten generiert und fordert. Entsprechend degenerieren Armeen in langen Friedenszeiten grundsätzlich, was allgemein an der menschlichen Natur liegt. Und diese Bundeswehr ist gerade eben deshalb so wie sie ist, weil allgemeine Prinzipien sie in einer zu langen Phase des Friedens und der Erschlaffung negativ verändert haben.
Zitat:Außerdem, und das wiegt schwerer, ist eine Fehleranalyse nur so nützlich wie die Veränderungen, die sie ermöglicht.
Es kann aber auch umgekehrt ohne Fehleranalyse keinerlei Veränderung geben. Hier und heute aber verweigert sich diese Bundesrepublik wie auch zu große Teile der Bundeswehr beidem. Man lässt schon keine ernsthafte Fehleranalyse zu und Veränderung schon gleich gar nicht. Die aktuelle Bundeswehr hat eine katastrophal schlechte Fehlerkultur, die Kultur des Scheiterns wird durch die organisierte Verantwortungslosigkeit der höheren Führungsebenen allenfalls zum persönlichen Vorteil verwendet.
Man könnte also die Frage stellen, wozu man in Bezug auf diese Bundeswehr überhaupt noch eine Fehleranalyse betreiben soll ?! Man könnte es wegen der Unmöglichkeit von Veränderungen ja ohnehin gleich sein lassen, bis zu dem Tag, an welchem die Bundeswehr in einer militärischen Katastrophe untergeht. Das wäre eine berechtigte Frage von dir !
Zitat:Was ich mit meinen beschränkten Mitteln die ganze Zeit zu sagen versuche, und warum ich Dich radikal nenne: Du willst meiner Meinung nach zu viel Veränderung, und Du willst sie zu schnell. Darin zumindest bleibe ich fest: Der Umbau, den Du forderst, ist nicht evolutionär, sondern revolutionär. Und Revolutionen haben die Angewohnheit zu scheitern. Lieber im Schneckentempo in die richtige Richtung, als mit Känguruhsprüngen voranpreschen und auf die Nase fallen.
Das ist eine berechtigte Befürchtung, aber es gibt zwei Punkte die ich diesbezüglich ansprechen will:
1. Entscheidende schnelle militärische Siege erfolgten in der Kriegsgeschichte mehrheitlich durch einen revolutionären Umbruch in der Kriegsführung. Dieser war zwar immer nur temporär, erzeugte aber vorübergehend die Möglichkeit eines kurzen Krieges. Und unsere Gesellschaft ist in ihrer aktuellen Verfasstheit nicht in der Lage, einen langen Zermürbungskrieg durchzuhalten. Dafür fehlen wirklich jedwede Grundlagen.
2. Uns rennt die Zeit davon. Wir werden spätestens mittelfristig die Mittel für den zwingend notwendigen Umbau nicht mehr haben, wir haben sie nur hier und jetzt. Wir haben aber vor allem anderen keine Zeit mehr, und insbesondere keine Zeit im Schneckentempo in die richtige Richtung zu kriechen.
Gerade im militärischen Bereich ist Geschwindigkeit alles. Von Innovationszyklen hin zu Beschaffungen hin zu Entscheidungen hin zu Handlungen, alles ist ein Rennen zur Geschwindigkeit. Nehmen wir einmal an, meine Ansichten und Pläne wären fehlerhaft, hätten deutliche Schwachstellen usw. usf. und deine Ansichten und Pläne wären demgegenüber absolut perfekt, makellos, ohne jede Schwachstelle. Aber deine Pläne wären entsprechend nur extrem langsam umsetzbar (Schneckentempo). Dann verhält es sich in militärischen Belangen in der gesamten Kriegsgeschichte immer so, dass der weniger perfekte aber viel schnellere Plan sich als der bessere heraus stellt. Damit sind wir nun im Bereich der Strategie und in dieser gibt es (im Sinne von Jomini) durchaus einige wenige allgemein gültige und die Zeit überdauernde Prinzipien.
Und eines dieser allgemein immer gültigen Prinzipien ist das der Geschwindigkeit. (wohlgemerkt auf der strategischen Ebene). Ein halbwegs guter Plan, der jetzt mit Gewalt umgesetzt wird, ist besser als ein perfekter Plan, der irgendwann in der Zukunft umgesetzt wird. So einfach ist das.
Zitat:Ist dieser Ansatz praktisch umsetzbar? Siehst Du ihn in der jüngeren Vergangenheit umgesetzt, insbesondere durch Staatsführungen, deren Beispiel wir folgen könnten?
Er wäre praktisch umsetzbar. Dafür sind jedoch bestimmte Umstände notwendig. Vergleichbares wurde auch immer schon im Krieg möglich bzw. unter realem militärischen Druck. In Bezug auf die jüngste Vergangenheit wäre die Ukraine ein Musterbeispiel dafür was ich meine. Der Staatsführung der Ukraine könnte man diesbezüglich durchaus folgen.
Die interessante strategische Problemstellung in diesem Kontext ist, dass ein solcher Ansatz meistens nur im Krieg unter dem Druck des Krieges umgesetzt werden kann. Jedoch war dies nicht immer so. Einzelfallweise konnten Armeen dies auch im Frieden und erlangten dadurch (zumindest vorübergehend) immense militärische Vorteile - statt dann während der Krieg läuft viel mühsamer das zu tun was eigentlich notwendig wäre.
In Bezug auf diese Bundeswehr verhält es sich jedoch meiner Ansicht nach zweifelsohne so, dass hier erst ein ernsthafter Krieg notwendig wäre, damit da überhaupt substanziell etwas voran kommt. Aber: diese Bundesrepublik hält in einem ernsthaften Krieg nicht lange durch, womit die Frage ob man diesen Ansatz noch verwirklichen kann eine
zeitkritische ist.
Zitat:selbst eine Welt ohne wertegeleitete Ordnung ist keine darwinistische Dystopie, in der ständig und allseits Krieg geführt würde; es gibt fast immer kostengünstigere Mittel, um die Ziele eines Staates zu verwirklichen
Exakt deshalb gibt es ja die Politik. Die Politik ist genau dieses kostengünstigere Mittel um die Ziel des Krieges zu verwirklichen.
Geschichtlich gesehen ist der ständige und allseitige Krieg seit der neolithischen Revolution der Naturzustand für die Menschheit. Erst im Laufe der Zeit und mit großer Mühe gelang es kostengünstigere Mittel wie beispielsweise die Politik zu implementieren und den Krieg langsam zurück zu drängen. Das gilt aber natürlich nur so lange, wie diese Fortsetzung des Kriegens mit anderen Mitteln kostengünstiger ist. Und das ist in die Zukunft gedacht keineswegs dauerhaft so.
Was aber das Originalzitat anlangt, bezog ich mich darauf, dass—wenn Krieg lediglich gewaltsam durchgesetzte Politik ist—der einzige Maßstab der Qualität einer Kriegskunst sein kann, ob sie die politisch formulierten Ziele erreicht (und zu welchen Kosten). Müsstest Du diese Sichtweise nicht teilen, Dich auf den von Dir betonten funktionalistischen Imperativ stützend? Oder habe ich Dich schon wieder falsch verstanden?
Anders herum: Der einzige Maßstab der Qualität der Politik ist es, ob sie anstelle der Kriegskunst das gleiche erreichen kann. Gewisse Machtgruppen haben Ziele, und die Politik dient nur dazu, diese kostengünstiger gegen andere Machtgruppen durchzusetzen. Und das sind keine anonymen abstrakten Entinitäten, dass sind immer ganz konkrete benennbare reale Personen und Strukturen.
Zitat:Wenn dem aber so ist, warum sollte dann ein Staat, der auf Angriffskriege verzichtet, deshalb nicht kriegstauglich aufgestellt sein?
Weil die Kriegstauglichkeit die Befähigung zum Angriffskrieg mit beinhaltet. Denn entweder ist man vollumfänglich kriegstauglich, oder man ist es nicht. Beherrscht man nicht alle Möglichkeiten, ist man nicht vollumfänglich kriegstauglich. Noch darüber hinaus erzeugt der Erstschlag immer strategische Vorteile. Auch das ist eines der wenigen allgemeinen strategischen Prinzipien. Ob dann im weiteren die Offensive oder die Defensive stärker sind, spielt dafür keine Rolle, dass wechselt je nach den Umständen. Trotzdem ist der Erstschlag für sich allein ein immenser militärischer Vorteil.
Da die Bundesrepublik jedoch aus moralisch-ethischen Gründen, gesetzlich, kulturell usw. Angriffskriege ausschließt und diese als schwerwiegendes Verbrechen eingestuft hat, (
womit sie natürlich moralisch-ethisch absolut recht hat, da Krieg immer ein schwerwiegendes Verbrechen ist, und diese Aussage ist meine tatsächlcihe Überzeugung !), hat die Bundeswehr allein bereits daraus eine Einschränkung ihrer Kriegstauglichkeit und einen militärischen Nachteil.
Also muss man von Anfang an unter Berücksichtigung dieses militärischen Initialnachteiles planen. Oder diesen in der üblichen verlogenen Heuchelei umgehen (Stichwort: der Kosovokrieg war kein Krieg und wir waren daran gar nicht beteiligt und damit war das kein Angriffskrieg etc.)
Unterliegt aber nicht auch die Kunst Gesetzmäßigkeiten, selbst wenn es mitunter schwierig oder sogar unmöglich ist, sie allgemeingültig auszudrücken
Ja natürlich. Es gibt zum einen unbekannte Regeln, welche man sich jeweils im speziellen und auf den jeweiligen einzelnen Fall bezogen heraus arbeiten muss (wer dies schneller kann, hat dadurch immense Vorteile), und zum anderen gibt es auf der strategischen Ebene einige allgemeine und über die Zeiten hinweg gleichbleibende Prinzipien die man aufgreifen kann.
Darin liegt ja übrigens der primäre Unterschied zwischen Jomini und Clausewitz. Clausewitz ging davon aus, dass es auf der stragischen Ebene keine wirklichen die Zeit überdauernden allgemeinen Regeln gibt, diese aber auf der taktischen Ebene wissenschaftlich, allumfassend und ganzheitlich beschrieben werden könnten. Jomini ging vom genauen Gegenteil aus, und dass es gerade auf der strategischen Ebene einige wenige Prinzipien gibt, die dafür aber die Zeit überdauernd allgemein gültig sind, während die unbekannten Regeln der taktischen Ebene sich ständig ändern würden, und nicht nur keineswegs bekannt seien, sondern darüber hinaus auch jeweils kaum greifbar und für die allermeisten nicht gedanklich durchdringbar. Deshalb betonte Jomini ja immer den Charakter des militärischen Genies und des Künstlers, das Primat des Militärs über die zivile Politik im Krieg und die Frage von Moral und Psychologie, während Clausewitz mehr wissenschaftlich, definierend, eindeutiger und klarer an die Sache heran ging und das Primat der zivilen Politik über das Militär postulierte. Und wie geschrieben bin ich ein Anhänger von Jomini und eben nicht von Clausewitz.
Zitat:Wenn Lehrsätze für Dich keine Bedeutung haben, wie lässt sich dann überhaupt in Deinen Augen eine künftige Gliederung der Bundeswehr formulieren? Wäre nicht jede Gliederung Ausdruck von verallgemeinerten Beobachtungen? Das verstehe ich in der Tat nicht.
Wie schon weiter oben angerissen, geht es nicht darum, perfekte Pläne zu haben, sondern ausreichend gute Pläne so schnell wie möglich umzusetzen. Und ja, es ist immens schwierig überhaupt irgendeine zukünftige Gliederung der Bundeswehr zu formulieren, genau wegen der von mir beschriebenen Problemstellungen.
Deshalb bin ich aber umgekehrt hier auch viel ergebnisoffener als du es meinen möchtest: Ich bin beispielsweise gegen eine Wehrpflichtarmee, weil ich diese unter den aktuellen strategischen Umständen für schlechter halte als eine Berufsarmee (eine strategische Frage, wo es allgemeine Prinzipien gibt).
Ich wäre aber zugleich genau so gut für eine Wehrpflichtarmee, in vollem Bewusstsein dass diese nicht so gut ist, vorausgesetzt man würde diese so schnell wie möglich und so radikal wie möglich aufstellen und einsatzfähig kriegen.
Ich wäre daher sogar für eine Panzerarmee, wenn nur die grundsätzlichen strategischen Prinzipien darin ihre Anwendung finden würden. Das Problem sind also nicht die Panzer per se, sondern der fehlende strategische Kontext derselben und die mangelnde Geschwindigkeit und die Planlosigkeit.
Aber ja, wie können konkrete Pläne und das Fehlen von Lehrsätzen in Übereinstimmung gebracht werden ?! Meine Antwort darauf ist: gar nicht. Der Krieg wird ständig von solchen Paradoxien geprägt. Diese Widersprüche sind eines der wesentlichsten Merkmale des Kriegs an sich. Der Umkehrschluss daraus ist, dass man bei dieser Quadratur des Kreises so oder so nie zu perfekten Ideallösungen kommen kann. Und weil dem so ist, es auch gar nicht erst versuchen sollte. Stattdessen muss man hier an ganz anderen Stellschrauben drehen.
Zitat:welche Armee ist schon nach den von Dir skizzierten Grundsätzen organisiert und geführt?
Beispielsweise die Ukrainische (bei all ihrer Unzulänglichkeit, die aber ja in Wahrheit ohnehin den Normalfall im Krieg darstellt). Beispielsweise die israelische Armee.
Ich nenne diese mal als allgemein und weitgehend bekannte Beispiele, denn es gibt allerlei eigentümliche Streitkräfte die aber viel zu obskur sind um für die Diskussion hier irgend einen Erkenntniswert zu bringen.
Zitat:Dann lasse mich eine ganz konkrete Verständnisfrage stellen: Gibt es Dir zufolge andere Formen oder Abstufungen von Kriegstauglichkeit?
Ja natürlich. Es gibt da nicht nur Schwarz und Weiß, und praktisch kann das Ideal der absoluten Kriegstauglichkeit gar nicht erreicht werden. Man kann sich ihm nur so weit wie möglich annähern.
Und da die Bundesrepublik sich selbst in vielem einschränkt (was zivilisatorisch und auch sonst äußerst löblich ist) - hat sie zwar eine deutlich verminderte Kriegstauglichkeit, aber das könnte durch entsprechenden Strategie, Doktrin, Strukturen, Ausrüstung usw. zumindest teilweise kompensiert werden.
Wie ich es oben schon schrieb, müsste man halt als erstes mit den Einschränkungen anfangen, und sich überlegen, was diese für Folgen haben und wie man damit umgeht. Als konkretem Einzelfall bzw. in Bezug auf jeden konkreten Einzelfall.
Davor müsste aber erst mal die Erkenntnis stehen, dass die Bundeswehr sehr viel weniger kriegstauglich ist als andere Streitkräfte und dann müsste man von dieser Erkenntnis aus planen und diese mit berücksichtigen und mit einberechnen. Die "Behinderungen" der Bundeswehr müssen daher bereits vor Kriegsausbruch mit eingepreist sein, sonst führen sie zur militärischen Katastrophe.
Genau das ist übrigens in Wahrheit eine der wesentlichsten Erkenntnisse von Clausewitz (leider wird ohnehin meist nur sein erstes Buch gelesen und der Rest weitgehend ignoriert). Die Divergenz zwischen dem was Logik und Kausalkette zwingend herbei führen, und dem was real ist. Er schreibt darüber in seinem achten Buch, Kapitel 2 in Bezug auf den Unterschied zwischen absolutem Krieg und wirklichem Krieg. Er nennt diesen Umstand die Inkonsequenz des wirklichen Krieges.
Der Krieg wird durch diese Inkonsequenz zu etwas ganz anderem, als dem was er dem Begriff nach sein sollte, also zu einem Halbding ohne inneren Zusammenhang. Der wirkliche Krieg wird also vor allem auch durch die Inkonsequenz, die Unklarheit und die Verzagtheit des Menschen entscheidend geprägt. Clausewitz zieht daraus den Schluss, dass der Krieg oft die ihm eigene logische Folgerung verliert, und damit bald mehr, bald weniger Krieg ist. Jomini kommt zu dem gleichen Schluss, zieht aber daraus vor allem die Auffassung, dass es immer das Ziel sein muss, so radikal wie möglich der logischen Folgerung zu entsprechend, weil man damit militärische Vorteile generieren kann. Man muss also so weit wie möglich an den absoluten Krieg heran kommen. Clausewitz räumt dies zwar indirekt ein, zeigt aber meiner Meinung nach ein deutliches Unbehagen darüber. Er sieht selbst im absoluten Krieg noch die Beschränkung und verweist dabei auf die französischen Revolutionskriege und Napoleon. Er schreibt dem folgend, dass man die absolute Gewalt zwar als allgemeinen Richtpunkt gebrauchen kann, dass man sich ihr aber nur insoweit nähern sollte, wie man dies tatsächlich unbedingt muss, um das politische Ziel zu erreichen. Die Krieg Napoleons bezeichnete er daher als warnendes Beispiel für die zerstörende Kraft des losgelassenen Elements. Clausewitz hatte ein persönliches Unbehagen gegenüber dem absoluten Krieg und lehnte diesen meiner Ansicht nach innerlich ab, auch wenn er ihn natürlich als Mechanismus und als Ziel des Krieges als Entinität selbst (als Ziel des Krieges als Prozess für sich selbst) anerkennen musste. Umgekehrt hatte Jomini, dessen Abgott ja gerade eben Napoleon war kein solches Unbehagen und propagierte daher den Vorteil, welcher sich aus der Annäherung des wirklichen Krieges an den absoluten Krieg nun mal ergibt, auch bei Clausewitz. Letztgenannter warnte daher in seinen Ausführungen zum Kriegsplan davor, den ersten Schritt zu tun, ohne an den letzten zu denken. Tut man aber diesen ersten Schritt nur schnell und entschlossen genug, so verändert dies meiner Meinung nach die Umstände dahingehend, dass der letzte Schritt anders ausfallen wird.