Ist der Atomwaffensperrvertrag noch zu halten?
#2
Der Atomwaffensperrvertrag oder auch internationale Ordnung sind in gewisser Weise nicht tot. Wir befinden uns aktuell zwar in einer interessanten, wirr anmutenden und brüchig wirkenden Lage, die das Durcheinander suggeriert, aber wir sollten uns wegen irrlichternder Politiker, die alterstechnisch in den 70ern sind, nicht allzu sehr verrückt machen lassen. Sowohl die Tage von Putin als auch von Trump sind faktisch gezählt und es gibt immer noch genügend vernünftige Menschen in der Politik.

Übrigens hat man das Thema einer atomaren Abschreckung Europas schon vor 30 Jahren thematisiert und damals richtete sich die Sorge nicht gegen Russland, das in der Irrungen und Wirrungen der Zerfallswehen der Sowjetunion gefangen war, sondern es wurde mit Nordafrika begründet, mit algerischen Islamisten mit Atomwaffen oder einem Gaddafi mit Atomwaffen. Bekanntlich haben sich diese Sorgen verworfen.

Aber zurück zur Frage und zu uns: Wir sollten nicht aus dem hier und jetzt versuchen eine Einschätzung zu geben, wie die Lage in fünf oder zehn Jahren ist. Ein Unsicherheitsfaktor hinsichtlich der USA sehe ich da eigentlich nicht, auch wenn es einige Rechtsausleger in den Staaten vielleicht postulieren, so werden sich die USA nicht aus Europa verabschieden. Das würde man weder im Pentagon noch im State Department mitmachen und das strategische Standing in der alten Welt ist da viel zu wichtig - wichtig ist allerdings auch, dass die Europäer ihre Mindestverpflichtungen zumindest grob erfüllen müssen.

Und dies wiederum ist in unserem Interesse.

Welche Risikogebiete sind auszuloten?

1. Nordkorea - sehr unberechenbar. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kim unter dem Schutz seiner Atomwaffen einen Krieg beginnt, scheint - nach aktuellem Gebaren zu urteilen - durchaus gegeben. Und hier hätten sich auch die Strategen dann getäuscht, die seinerzeit mutmaßten, dass Kim sein Atomarsenal nur aufbaue, um sein Regime abzusichern (der Sturz Saddams wirkte da auch mit hinein). Aktuell kann man nicht mehr von ausgehen, dass dies zutrifft.

2. Iran - unklar bis diffus. Schon vor Jahren hieß es, sie stünden nur ein paar Jahre vor dem Bau der Bombe, dann sind die Jahre ins Land gegangen und es passierte nichts. Ein Jahrzehnte lang währendes, wildes Gezerre, ein Hin und Her mit Gesprächen, Attentaten, ein wenig Anreicherung und etwas mehr Anreicherung und vielen Nebelkerzen. Die Bombe haben sie bislang nicht, was eigentlich recht verwunderlich ist angesichts der Agitprop und dem Druck gerade aus USA. Selbst wenn man eine technische Rückständigkeit annimmt, so wäre ein Bau zumindest einfacher Atomwaffen innerhalb weniger Jahre machbar gewesen. Aktuell ist zumindest die Möglichkeit gegeben, dass Iran Technik aus Russland, China oder Nordkorea erhält, um das Programm zu beschleunigen. Es kann also sein, dass in den kommenden Jahren nichts passiert (und der Zoff in Nahost auf jetzigem Niveau weiterschwelt) oder dass recht überraschend es in diesem oder im nächsten Jahr einen überraschenden Atomtest gibt (und die Folgen wären sehr schwer abschätzbar). Infolgedessen alles sehr undurchschaubar.

3. Russland - erhebliches bis unklares Gefährdungspotenzial. Die inflationären Drohungen mit Atomwaffen in den letzten Jahren haben dazu geführt, dass man der russischen Führung quasi nicht mehr glauben kann. Ist es noch oder schon ernst gemeint? Oder nur psychologische Kriegführung? Maskirowka? Es ist mittlerweile egal, was in Moskau gesagt wird, weil es eh nur Schulterzucken generiert - weswegen man den aktuellen Aussagen Medwedews auch keinen Glauben schenkt, wenn er aussagt, man wolle kein NATO-Gebiet angreifen (selbst wenn der das ernst gemeint hat). Das große Problem und zugleich Risiko besteht darin, dass die russische Führung im Rahmen ihres hybriden Krieges einen Nebel erzeugt hat, der die tatsächlichen Absichten nur schwer erkennbar macht (insofern waren sie dabei durchaus erfolgreich) - und das birgt wiederum Risiken einer Fehleinschätzung bei der äußeren Betrachtung; zugleich jedoch fällt ihnen dies selbst auf die Füße, weil eben das Risiko einer Fehleinschätzung besteht (insofern waren sie zwar auch erfolgreich, aber nicht im Sinne der eigenen Interessen, weil eine solche Fehleinschätzung sehr schnell verhängnisvolle Kausalketten auslösen könnte). Zudem glaube man ihnen auch dann nicht mehr, selbst wenn sie es mal ernst meinen. Hinzu kommt, dass Putins Zeit nicht ewig währen wird, er ist nicht mehr der jüngste. Und hier ist nun die Frage, was nach ihm kommt und ob das Nachfolgesystem leichter oder schwerer einzuschätzen ist oder noch wirrer um sich schlägt?

Insgesamt betrachtet bedingen 1. und 2. keine europäischen Atomwaffen. Hier sind die internationalen Konstellationen vollkommen ausreichend und auch sind die Distanzen zu groß und die regionalen Begebenheiten einhegend. Bei 3. müssen wir uns aber tatsächlich fragen, ob wir nicht eine atomare Abschreckung bräuchten? Wenn in Russland eine Liberalisierung stattfindet, dann nicht. Wenn aber das Land in ein protofaschistisch-nationalistisches Regime abgleitet, dann wäre es zwingend notwendig. Die dritte Möglichkeit wäre, dass das Land in einer neuen Smuta und in einem internen Konflikt versinkt - dann sollten wir uns darauf gefasst machen, dass zumindest radikale Gruppen, die aber nicht zwingend im Auftrag des Staates agieren, Atomwaffen in die Hände kriegen könnten. Dann bräuchte man eigene Atomwaffen nicht zwingend, aber wir würden anderweitige Einmischungsbefähigungen besitzen müssen, um diese Waffen zu sichern.

Insofern: Der Atomwaffensperrvertrag ist im Grunde relativ sicher, was aber unsicher ist, sind einige Faktoren auf dem internationalen Parkett.

Schneemann
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
RE: Ist der Atomwaffensperrvertrag noch zu halten? - von Schneemann - 18.02.2024, 13:29

Gehe zu: