(Land) Die Brigade Scorpion
#14
Broensen:

Der Militär der so etwas auch nur öffentlich anspricht kann froh sein wenn er ohne Strafverfahren davon kommt. Niemand wird auch nur ansatzweise Gedanken in dieser Richtung propagieren und viele hochrangige Militärs sind auch tatsächlich einer gegenteiligen Ansicht.

voyageur:

Zitat:Scorpion entwickelt eine Einsatzdoktrine vor allem fûr leichte und mittlere Brigaden.

Ich schreibe ja oft über Panzerspäher und andere vergleichbare Kräfte welche als Streifscharen (=Raider) tief in feindliches Gebiet vorstoßen und dort möglichst unabhängig und weitreichend agieren und zugleich Feuerkraft auf große Distanzen abrufen und einsetzen können. Die französischen Einheiten bieten sich für diese Rolle geradezu an, beispielsweise ist der Jaguar hierfür wesentlich besser geeignet als selbst ein GTK CRV. Und gerade eben das Scorpion System bietet hier nochmals entscheidende Vorteile. Dazu kommt noch dass eine solche Doktrin ohnehin gut zur traditionellen Auffassung der französischen Panzerwaffe passt.

Aber das ist für sich allein im konventionellen Krieg eben unzureichend. Um das Beispiel eines Boxers zu verwenden: Die französische Armee könnte in einem solchen Kontext die Führhand sein, welche mit schnellen Jabs den Einsatz der Schlaghand vorbereitet bzw. den Gegner durch diese schwächt. Eine noch so starke Schlaghand ist ohne gute Führhand nutzlos und umgekehrt gilt dies ebenso:

Zitat:Was schwere Brigaden angeht, hier werden zur Zeit (der Rest) der Kampfpanzer Leclerc renoviert, um diese in das Konzept einbinden zu können.
Aber das ist der Teil der (2008 kaputtgesparten) französischen Armée, der noch nicht wirklich aus seinem "Dornröschschlaf" erweckt wurde. Kostet halt viel Geld.

Und selbst wenn sie renoviert werden, wird das völlig unzureichend sein. 200 Leclerc sind auch in ihrer renovierten Form einfach konzeptionell veraltet und vernachlässigbar in ihrer Kampfkraft. Zudem wäre es eben meiner Meinung nach genau falsch im Rahmen des Scorpion Systems parallel auch noch schwere Brigaden aufzubauen und einzubinden. Genau diesen Ansatz: jeder in Europa macht alles parallel könnte man hier überwinden und die schweren Brigaden (die Schlaghand) Deutschland und Polen überlassen. Dazu bedarf es lediglich der Anbindung der entsprechenden deutschen Verbände an das Scorpion System - eben das was ich mit Interoperabilität meinte.

Zitat:Bof, das ist lesen im Kaffeesatz. Hier wird viel "geübt" in der französischen Armme, wie "schwer" Verbände sein können (Panzer 45 oder 75 Tonnen) hängt viel vom Einsatzgebiet, und von der Logistik ab ( Treibstoffverbrauch ).

Die Grundlagen meiner "Kaffeesatzleserei" habe ich ja ausführlichst dargelegt, und auch die Theorie genannt auf welcher sie beruhen. Die französische Panzerwaffe strebte meiner Kenntnis nach immer schon in der Kalten Krieg Zeit an leichter zu sein im Vergleich und das bietet ja auch spezifische Vorteile. Im Verbund der heutigen Technologie aber stellt sich die Frage nach der Rolle dieser im Vergleich leichteren Panzerwaffe. Und ob man nicht gerade eben im Kontext des Scorpion Systems dieses aktuelle Primat bei leichten und mittleren Verbänden zumindest in Frankreich nicht konsequent als Schwerpunkt weiter führen sollte.

Als praktische Konsequenz einer solchen Überlegung könnte man beispielsweise die Leclerc komplett aufgeben - ich weiß, ein radikaler Schritt und entsprechend freiwerdende Mittel in weitere Jaguar etc stecken.

Eine Ironie ist hier noch, dass Nexter schon mehrfach hochinteressante und zukunftsweisende Prototypen möglicher neuer schwerer Kampfpanzer vorgestellt haben. Beispielsweise einen Leclerc mit einer 40mm Maschinenkanone als Prototypen, kennt selbst in Frankreich kaum jemand. Genau solche Panzer sind konzeptionell die Zukunft, aber der Zug ist in Frankreich meiner Meinung nach abgefahren. Es wäre aber sinnvoll und denkbar wenn entsprechend die deutsche Armee und andere ausgesuchte Verbände in Osteuropa sich genau in diese Richtung entwickeln und spezialisieren würden und entsprechend dann die schwere Komponente im Scorpion System stellen würden.

Zitat:Belgien benutzt es schon, Spanien hat Contact Funkgeräte (Lizens) bestellt, und der (Rest) Benelux beobachtet.

Exakt. Und was für ein Schritt und was für eine Signalwirkung wäre es, wenn Deutschland hier über seinen Schatten springt und entsprechend ebenfalls sich in dieses System einklinken würde - mit einer dezidiert schweren Komponente hierfür, was umgekehrt Frankreich davon entlastet selbst eine solche mit der Zeit aufzubauen, so dass beide Länder sich jeweils spezialisieren und dann im jeweiligen Spezialbereich wesentlich mehr Quantität und wesentlich mehr Vereinheitlichung erlangen könnten. Zugleich würde dieses mehr an Quantität entsprechender Verbände Vorteile für die französische Expeditionskriegsführung in Übersee nach sich ziehen.

Zitat:Was defensif/offensif angeht.
Müdes Gähnen, das ist wie Ebbe und Flut, beides kommt, und mann muss beides können.

Ich vermute ein Sprachproblem. Den das ist nicht der Punkt auf den ich hinaus wollte. Es geht nicht darum dass man beides beherrschen muss, sondern dass aufgrund eines ganzen Bündels von Faktoren, unter anderem vor allem aber auch der Technologie jeweils die eine oder die andere Form der Kriegsführung überlegen ist.

Oder um bei deinem Ebbe - Flut Vergleich zu bleiben. Wenn die Flut einläuft ist es sehr schwierig entgegen der Flut vom Ufer wegzuschwimmen. Läuft das Wasser bei Ebbe ab, wird es sehr schwierig nicht hinaus gezogen zu werden. Darum geht es, dass die Umstände jeweils das eine oder das andere stärker machen und derjenige welcher dann entsprechend "mit den Gezeiten schwimmt" dadurch militärische Vorteile erlangt und zwar ungeachtet der Frage wer er ist.

Es geht also nicht darum dass man beides können muss, sondern dass eines von beidem stärker und das andere schwächer ist. Und die Frage welches von beiden das Scorpion System stärkt und welche Seite an sich aufgrund der Gesamtumstände stärker ist.

aramiso:

Zitat:Das Kernproblem in Deutschland liegt im Umstand, dass es keine klar formulierten internationalen Interessen mehr gibt......Welche Partnerschaft wollen wir mit Frankreich? Was wollen wir mit Polen? Sind das unsere Partner und Waffenbrüder? Oder sind es nur ungehorsame EU-Renegades, die deutsche Politiker zur Raison bringen wollen? Was wollen wir in Bezug auf Russland? Nichts ist klar formuliert oder auch nur gedacht. Und diese wischiwaschi-Politik schließt natürlich die Landesverteidigung mit ein.

Um es auf den Punkt zu bringen: Die Diskussion über vernetzte Systeme und Schlachtfelder bringt nichts, wenn kein politischer Wille ausformuliert ist. Die Frage, warum sollten wir kämpfen, mit welchem finalen Ziel und welche konkreten Mittel sind dafür notwendig, muss am Anfang stehen. Danach wird klar, ob und wie das Skorpion-Programm dabei hilfreich ist.

Meinem Verständnis nach ist die Sache einfach(er): wir haben die EU. Diese ist zuvorderst auch ein sicherheitspolitisches Bündnis und - was wenig in Deutschland verstanden wird - ein Militärbündnis. Und zwar ein viel weitergehendes als es die NATO ist. Das heißt wir werden bei einem Angriff auf einen EU Partner im Krieg sein. Damit ist auch die Frage recht leicht beantwortet wo die Kriegsräume und wer die Gegner sein werden oder sein könnten: da haben wir die Türkei (im Kontext Griechenland / Zypern etc) und dann haben wir Russland und damit den Kriegsraum Baltikum / Osteuropa etc. Beschließend bleibt noch Nordafrika im Rahmen assyemtrischer Kriegsführung, Stabilisierungsmissionen und möglichen Völkerwanderungsbewegungen in diesem Raum etc

Ein Krieg gegen die Türkei ist primär einer der Marine und der Luftstreitkräfte - zumal es unmöglich ist die Türkei zu erobern und zu besetzen, er wird also auf einen Schlagabtausch hinaus laufen bei dem die Türkei rein theoretisch den Kürzeren ziehen muss weil sie so einen Krieg gar nicht stemmen kann. Aufgrund des Primat bei See und Luft brauchen wir diesen Krieg also im Rahmen des Scorpion Programms weniger zu beachten.

Für den assymetrischen Einsatz in Nordafrika ist Scorpion perfekt und wäre noch besser, wenn Frankreich bewusst seinen Schwerpunkt unter Aufgabe bestimmter Felder (beispielsweise Leclerc) noch mehr auf genau die jetzt im Mittelpunkt stehenden Systeme weiter konzentrieren würde.

Verbleibt also Russland und die Frage wie um das Baltikum gekämpft werden muss. Und hier kann man höchst einfach festhalten, dass das Baltikum nicht verteidigt werden kann. Wie also soll man einen russsischen Angriff abschrecken und wie auf einen reagieren? Wir werden dort in jedem Fall in eine offensive Rolle geraten, selbst dann wenn es sich bloß um die Vertreibung russischer "Rebellen" handelt oder um den Angriff auf russische Verbände welche das Baltikum besetzt halten. Eine deutlich größere Offensivkraft aber wäre für Russland hier ein erhebliches Problem den sie zöge die Gefahr nach sich, dass unsere Truppen mitten in der russischen Zivilbevölkerung stehen was die Option einer Eskalation hin zu taktischen Nuklearwaffen senkt - und dass die für den Erhalt der Kampfkraft der russischen Verbände im Baltikum notwendigen Mittel rasant wegbrechen (das geht weiter über Logistik hinaus) und dass wir uns damit schlußendlich ein Faustpfand erkämpfen welches man dann in den Verhandlungen zur Beilegung des Krieges einbringen kann.

Auch in diesem Szenario wäre das Scorpion System hervorragend, für Truppen welche in diesem Fall wie beschrieben die "Führhand" bilden. Dazu müsste man es aber meiner Ansicht nach stärker als bis jetzt auf die Offensive Rolle hin ausrichten (Stichwort Verteidigungswolke etc) und die Offensivfähigkeiten dieses Systems vor seinen Defensivfähigkeiten befördern und zum Schwerpunkt des Systems zu machen. Damit könnte das französische Heer dann sozusagen "die Führhand" Europas werden, was zugleich seinen Interessen in der Expeditionskriegsführung entgegen kommt.

Der Hemmschuh für eine solche Aufteilung der militärischen Arbeit in Europa aber sind natürlich einmal wieder wir mit unserer Verweigerung sich der Realität zu stellen. Frankreich würde sich einer solchen Lösung meiner Einschätzung nach nicht verweigern (Scorpion für deutsche Truppen - Deutschland stellt die schwere Komponente des Scorpion Gesamtverbundes), die Vorteile wären einfach zu eklatant.

Meiner Kenntnis nach gibt es aber zur Zeit noch überhaupt keine ernsthafte Diskussion in diese Richtung in Deutschland (ob es in Frankreich schon Überlegungen dieser Art gab entzieht sich natürlich meiner Kenntnis). Allen Bekenntnisen zu einer EU Verteidigungspolitik zum Trotz sind wir der primäre Bremsklotz und verweigern uns ja selbst in einem solchen eindeutigen und klaren Fall dem was einfach notwendig ist.
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Die Brigade Scorpion - von voyageur - 18.10.2021, 13:38
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