Nationbuilding und die Alternativen
#1
Ich lagere das hier mal aus dem Afghanistanstrang aus, da es sich etwas zu sehr vom konkreten Thema weg bewegt und sich eher auf die ganze Region und darüber hinaus bezieht.
(@Mods: Falls ich ein passendes, bereits bestehendes Thema für sowas übersehen haben sollte: do your thing)

(07.09.2021, 21:31)Quintus Fabius schrieb: Für die Paschtunen wird es keinen Frieden geben bis sie das wieder haben was ihnen ihrer Ansicht nach rechtmässig zusteht. Das trifft für viele Völker zu. Von Großalbanien über die Neo-Osmanischen Träume in der Türkei hin zur Sammlung der slawischen Erde durch die Russen, es ist im Prinzip überall gleich, dass man sehr wohl sich exakt darauf beruft was früher war, ungeachtet der heutigen Realität.

Aus dem gleichen Grund ist in chinesischen Schulbüchern hier und heute sowohl die Mongolei bereits ein Teil Chinas wie auch die Meeresprovinz als unter russischer Verwaltung stehendes Gebiet gekennzeichnet und ebenso der Osten Kasachstans, Nepal und andere Gebiete. Warum? Weil die Qing Dynastie diese Gebiete erobert hatte und weil man sich als Imperium versteht und nicht als ethnisch homogenen Nationalstaat europäischer Prägung. Diese Völker - und auch und insbesondere die Paschtunen vertreten schlußendlich eine imperiale Idee und keine westlich moderne Nationalstaatliche.
...
Gebietsansprüche aus früherer Herrschaft abzuleiten war früher vorherrschend und ist es in weiten Teilen der Welt immer noch. Nur das wir uns von diesem Gedanken verabschiedet haben und die Ordnung der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges auf ewig in völliger Erstarrung konservieren wollen ändert nichts daran, dass andere Gruppen weltweit das ganz anders sehen.

Die Erkenntnis ist zwar richtig, führt nur halt zu nichts. Die Welt ist kleiner geworden seit den Zeiten des großen Khans, Osman oder den Moguln. Ich bin ja absolut dabei, wenn es heißt, dass die iranischen und auch viele andere Gesellschaften nicht zum europäischen Nationalstaat der Moderne passen. Aber in dieser kleineren Welt treffen die unterschiedlichen Gesellschaften zwangsläufig aufeinander und es muss daher Ziel internationaler Politik sein, Lösungen zu entwickeln, wie westliche Nationalstaaten und traditionelle Stammesgesellschaften koexistieren können, da man eine gegenseitige Beeinflussung nicht mehr vermeiden können wird.

(07.09.2021, 21:31)Quintus Fabius schrieb:
Zitat:Und genau aus diesen Gründen bin ich Verfechter einer großen iranischen Föderation. Ein loser Verbund von regionalen Systemen, die auf all diese Unterschiede Rücksicht nehmen können. In der die verschiedenen Völker sich selbst verwalten, ihr eigenes Staatswesen, ihre eigenen Gesetze und auch Stammesstrukturen bewahren können und sich lediglich zur Sicherung des Friedens untereinander und nach außen hin zusammenschließen. Dafür müssten der IRAN, Afghanistan und Pakistan allerdings aufgelöst werden, was aufgrund der Atomwaffenthematik eventuell nicht so einfach wäre.

Ohne mich damit tiefergehend beschäftigt zu haben, scheinen mir die VAE ein gutes Beispiel dafür zu sein, wie man traditionelle Strukturen islamischer Gesellschaften in ein (pseudo-)"modernes" Staatskonstrukt überführen kann.
Die Unterschiede zwischen Arabern und Iranischen Völkern sind erheblich, und obwohl beide traditionell islamische Gesellschaften aufweisen und teilweise ja sogar beide Sunniten sind, kann man die Umstände bei den Arabern eben nicht auf die iranischen Völker übertragen.

Natürlich kann man das Konzept nicht einfach übertragen. Es soll auch nur dienen als Beispiel dafür, dass es prinzipiell möglich ist, traditionelle Herrschaften in einer islamischen Gesellschaft derart zusammen zu bringen, dass diese nach außen als ein Staatsgebilde auftreten können, ohne einen demokratischen Nationalstaat zu bilden.

(07.09.2021, 21:31)Quintus Fabius schrieb: Insbesondere aber will keines der iranischen Völker selbst eine solche Föderation, die wollen alleine über die anderen herrschen. Die Perser wollen alleine herrschen. Und dass sich die anderen unterordnen. Die Paschtunen wollen alleine herrschen. Und dass sich die anderen unterordnen. Und so weiter und so fort. Daher ist deine Idee einer iranischen Föderation mal schlicht und einfach unmöglich. Keines der iranischen Völker will so ein Konstrukt. Jedes will ein Imperium für sich allein.

Das können sie ja wollen, nur können sie es halt nicht haben. Zumindest nicht alle gleichzeitig. Und das Problem ist nun mal eins, das globale Konsequenzen birgt. Also muss sich "die Weltgemeinschaft" oder "der Westen" damit beschäftigen. Zaun drum klappt nicht so gut. Vor allem nicht, wenn die pakistanischen Raketen innerhalb des Zaunes liegen.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Nationbuilding und die Alternativen - von Broensen - 07.09.2021, 22:44

Gehe zu: