Grundsatzdiskussion zur Ausrichtung von Beschaffungsprogrammen
#37
(12.05.2021, 20:27)Quintus Fabius schrieb: Aufgrund der Unmöglichkeit einer eigenen Machtstellung unseres Landes in dieser Gegenwart muß zudem zweifelsohne innerhalb der EU weiter ein rüstungstechnischer Austausch stattfinden und auch die Beschaffungen zwischen den EU Ländern abgestimmt werden. Das findet sogar noch viel zu wenig statt und schränkt damit unsere Kriegsfähigkeit ein.
...
Die Bevorzugung "deutscher" Rüstungsunternehmen ist daher in bestimmten Fällen ein Fehler. Hier und heute aber werden "nationale" Rüstungsunternehmen drastisch und einseitig bevorzugt und dies auch dann, wenn ihre Angebote schlechter sind und die Kriegsfähigkeit darunter leidet.

Da wir hier eh in einer Grundsatzdiskussion sind, erlaube ich mir mal den politischen Abstecher noch etwas zu weiten:
Langfristig kann ich mir nicht vorstellen, dass es ohne eine effektivere Umsetzung der Ansätze von GASP, OCCAR und Co. funktionieren wird. Da diese und viele andere existenzielle Bestrebungen aber aktuell alle ständig an Partikularinteressen scheitern, halte ich persönlich eine weitere Vertiefung der europäischen Integration für unumgänglich, wenn wir international nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken wollen. Konkret halte ich es für erforderlich, dass alle im internationalen Austausch relevanten Ressorts europäisch vereinigt und den Nationen entzogen werden müssen. Also hauptsächlich Diplomatie, Verteidigung, Währung, Außenwirtschaft. Einhergehend natürlich mit einer grundlegenden Reform der demokratischen Institutionen. Nur so können die nationalen Egoismen überwunden werden, die uns insgesamt, vor allem aber auch militärisch gerade das Genick brechen.
In diesem Zusammenhang war insbesondere die Ost-Erweiterung allerdings nicht gerade hilfreich, da die Mentalitäten innerhalb der EU inzwischen doch sehr auseinander gehen. Daher, und aufgrund der vorhandenen Strukturen, wäre es ggf. hilfreich bis notwendig, solch eine Weiterentwicklung in Form einer neuen, zusätzlichen (nord-/westeuropäischen) Föderation anzugehen, die selbst dann wiederum anstelle Ihrer Mitgliedsnationen zum EU-Mitgliedsstaat wird. Das würde dann natürlich auch echte gemeinsame Streitkräfte umfassen und das Thema der abgestimmten Beschaffungen wäre keins mehr.
Diese Föderation (anfangs vermutlich in etwa der 90er-Jahre-EU entsprechend) sollte dann eine echte Militärallianz mit den von mir bereits genannten Staaten vergleichbarer Gesellschaftsprägung eingehen. Aufgrund des Umstands, dass hier dann wenige, aber größere und kompatiblere Partner zusammenarbeiten, entfallen derart viele Reibungsverluste, dass diese Allianz die NATO, zumindest als Verteidigungsbündnis, tatsächlich obsolet machen dürfte.

Ich frage mich ja, was realistischer ist: diese Utopie einer neuen Weltordnung, oder eine ernsthaft sinnvolle Bundeswehrreform...

(12.05.2021, 20:27)Quintus Fabius schrieb: - Relevant ist dann, dass man konsequent evolutionäre Ansätze verfolgt, und revolutionäre Ansätze wo möglich vermeidet. ...
Das löst man also so weitgehend wie möglich durch Doktrin, Struktur und neue Konzepte der Verwendung, nicht durch revolutionäre Neubeschaffungen.

Dann würde ich allerdings so etwas wie ein europäisches DARPA-Pendant vorschlagen, gemeinsam finanziert, unabhängig von den Rüstungskonzernen und Regierungen. Mit Militärs und Ingenieuren besetzt, vielleicht in Form von zeitlich begrenzten Abbestellungen nach dem Motto "bevor du Chefingenieur/Stabsoffizier wirst, gehst du für ein-zwei Jahre in die Innovationsforschung." Das wäre bestimmt auch eine gute Vorraussetzung, um später einen der von dir geforderten verantwortlichen Projektleiterposten zu übernehmen.

(12.05.2021, 20:27)Quintus Fabius schrieb: Evolution vor Revolution. Das heißt aber auch, dass man durchaus für Systeme neue Rollen, neue Aufgaben usw finden sollte und finden muss. Ein Musterbeispiel wäre der Kampfpanzer, den man weder aufgeben, noch weiter als Hauptwaffensystem verstehen sollte, sondern der natürlich evolutionär ausläuft während zugleich seine Aufgaben verschoben werden.

Bin ich voll dabei. Gerade bei dem Beispiel. Wie wir an anderer Stelle schon angerissen haben, verschwimmen hier die Aufgaben von Artillerie, Mörsern, Panzerjagd, Feuerunterstützung etc. miteinander. Und all diese Fähigkeiten werden weiter gebraucht. Nur kann sich die Verteilung dieser Aufgaben auf die Einzelsysteme zukünftig komplett verschieben, so dass der Kampfpanzer z.B. nur noch mit 40mm schießt, während der Mörser Panzer jagt und die Haubitze direkt Infanterie unterstützt. Oder nochmal ganz anders.
Die Frage wäre nur, welche Bedingungen man schaffen muss, damit derartige Entwicklungen tatsächlich auch erdacht, geprüft und umgesetzt werden. Nötig sind sie allemal.

(12.05.2021, 20:27)Quintus Fabius schrieb: Meiner Meinung nach ist eine solche Lösung möglich, aber sie senkt meiner aktuellen Ansicht nach die Geschwindigkeit des Beschaffungsprozesses. Wenn alles aus einer Hand kommt, geht es schneller, und dass ist für mich immer ein Wert für sich.

Nachvollziehbar. Bestimmt wäre das auch nicht in allen Bereichen sinnvoll. Abhilfe könnte allerdings eine Zwischenlösung in Form einer "Initialproduktion" schaffen: Ein Planungsbüro entwirft ein Produkt und muss selbst oder durch einen frei zu wählenden Produktionspartner in Form einer ARGE ein erstes Produktionslos abliefern. Danach hat der Auftraggeber das Recht, die weiteren Lose auch an andere Produzenten zu vergeben. Das stünde nur deinem Ansatz entgegen, dass die Auftragnehmer mit der Aussicht auf lukrative Großproduktionsaufträge motiviert werden sollen. Aber insgesamt halte ich das für einen Teil der denkbaren Aufträge schon für sinnvoll.

(12.05.2021, 20:27)Quintus Fabius schrieb: Auf deine Grundannahme hin hatte ich ja explizit erwiedert, dass man mehr Geld einsetzen muss. Es geht nicht anders, selbst wenn alle Prozesse deutlich effizienter wären. Oder man muss auf bestimmte Fähigkeiten verzichten. Rein theoretisch: Nehmen wir einmal an wir würden weitgehend auf die Marine verzichten, so würde das in erheblichem Maße Geld frei machen (das ist jetzt nur eine theoretische Aussage).

Und da wären wir wieder beim europäischen Ansatz: wir brauchen eigentlich keine Marine. Solange die Skandinavier die Ostsee, die Briten den Nordatlantik und die Italiener das Mittelmeer sichern, können wir uns wieder auf die zentraleuropäische Panzerschlacht konzentrieren. Aber dazu: siehe oben!

(12.05.2021, 20:27)Quintus Fabius schrieb: - Diesbezüglich wäre es meine nächste Forderung das Beschaffungsamt komplett aufzulösen. Ersatzlos.

- Beschaffungsanregungen (ich nenne es einmal so) kommen stattdessen direkt aus der Führung der Kampftruppe. Die Führung der Kampftruppe selbst trifft sich entsprechend, tauscht sich aus und erarbeitet notwendige Fähigkeiten, Zeiträume und Stückzahlen. Das Verteidigungsministerium übernimmt diese Vorschläge dann einfach

Somit wäre es dann ja nicht ersatzlos, sondern es gäbe eine, wie auch immer ausgestaltete, Findungsmethodik für die Bedarfsermittlung innerhalb der Truppe, die dann den Auftrag an das Ministerium erarbeitet. Auch wenn diese keine zentrale Dienstelle darstellt, wird es ja trotzdem Strukturen geben, die diesen Prozess begleiten, evaluieren und definieren. Aber ich will dir damit gar nicht widersprechen, ein Amt müsste es nicht sein.

(12.05.2021, 20:27)Quintus Fabius schrieb: Eine Person muss hier absolut das sagen haben. Ihre Macht beschränkt sich allerdings auf das Projekt und ist zeitlich terminiert (zeitgleich zur vorher festgelegten Dauer des Prozesses). ... Umgekehrt sollte eine solche erfolgreiche Tätigkeit als Prokonsul der zwingend notwendige Schritt für den Aufstieg in die höchsten Führungsämter sein. Auch und gerade ein Verteidigungsminister sollte eine solche Aufgabe bereits erfolgreich wahrgenommen haben.
Das wäre schonmal ein hilfreicher Ansatz für die Motivierung geeigneter Personen. Allerdings frage ich mich, ob es in unserem politischen System noch realistisch ist, das der/die Verteidigungsminister/-in ernsthaft die Führung der Streitkräfte in derartigen Belangen direkt übernehmen kann. Denn Kabinettsposten werden bekanntermaßen leider nicht nach Kompetenz vergeben. Hier würde ich den Minister mehr als Schnittstelle zwischen Politik und Streitkräften betrachten. Hingegen sollte es möglich sein, Staatssekretäre explizit nach derartigen Referenzen auszuwählen und ihnen dann auch entsprechende Aufgaben und Kompetenzen zu übertragen.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
RE: Grundsatzdiskussion zur Ausrichtung von Beschaffungsprogrammen - von Broensen - 12.05.2021, 23:27
RE: GTK Boxer - von Quintus Fabius - 01.05.2021, 22:18
RE: GTK Boxer - von ede144 - 02.05.2021, 13:36
RE: GTK Boxer - von Broensen - 02.05.2021, 15:59
RE: GTK Boxer - von Quintus Fabius - 02.05.2021, 16:22
RE: GTK Boxer - von ede144 - 02.05.2021, 17:44
RE: GTK Boxer - von Quintus Fabius - 02.05.2021, 18:11
RE: GTK Boxer - von ede144 - 02.05.2021, 18:46
RE: GTK Boxer - von Broensen - 02.05.2021, 19:27
RE: GTK Boxer - von Quintus Fabius - 02.05.2021, 22:02
RE: GTK Boxer - von Broensen - 02.05.2021, 23:01
RE: GTK Boxer - von Helios - 03.05.2021, 14:11
RE: GTK Boxer - von Quintus Fabius - 04.05.2021, 08:42
RE: GTK Boxer - von Ottone - 04.05.2021, 13:07
RE: GTK Boxer - von Helios - 04.05.2021, 14:08
RE: GTK Boxer - von Broensen - 04.05.2021, 22:00

Gehe zu: