Leichte Infanterie
@ Quintus

Ich antworte ersteinmal hier, dann später bei den Schützenwaffen:

Zitat:
Echte Leichte Infanterie steht nie in einem Stau, da sie keine Straßen benutzt. Sie benutzt allenfalls einen Stau von Zivilisten wenn sie selber in Zivil diesen zur Fuß für eine gedeckte Bewegung verwenden wollte (so geschehen im Libanon). Leichte Infanterie steht schon deshalb nicht im Stau, weil sie keine Fahrzeuge hat und benötigt daher auch keine Brücken.

Im Kriegsgebiet kann sie - je nach Gelände - vielleicht den größten Teil ihrer Bewegungen so ausführen. Das Problem ist aber schon der Anmarsch ins Kampfgebiet. Bei der Gewässerüberquerungen wäre ich sehr vorsichtig, denn a) sind die Fließgeschwindigkeiten vieler "kanalisierter" Flüsse wesentlich höher als früher und b) wird so eine Operation immer von der Jahreszeit und dem Wetter abhängen.

Zitat: In meiner Vorstellung stirbt unser Infanterist inmitten eines dichten Waldes in einem Gebüsch durch massives Artilleriefeuer nachdem eine Drohne trotz der Überdeckung eine Themalsignatur aufdecken konnte, wenigstens einen Kilometer von jedem feindlichen Soldaten entfernt (so geschehen in Berg-Karrabach).

Das Sterben wird aber nicht nur die Infanterie betreffen, es wird in allen Truppengattungen erheblich sein und überall größtenteils außer der Sichtweite des Gegners stattfinden. Das ist einfach völlig normal. Tatsächlich würde echte leichte Infanterie hier weniger gefährdet sein als Panzerbesatzungen und anderes Großgerät welches von der Abschusspriorität höher gewichtet wird und viel leichter aufzuspüren ist.

Die Verlustquoten werden lediglich durch einen Faktor "limitiert" werden: Munitionsvorräte. Angesichts der teilweise absurd niedrigen Beschaffungszahlen westlicher Armeen (die Franzosen forderten schon für die Bombardierung Lybiens deutsche Vorräte an) dürfte die "Granatenkriese" des 1. Weltkriegs geradezu harmlos wirken. Das Problem dabei: Wir müssten die einmal beschaffte Munition natürlich so lagern, dass nicht die zweite russische Marschflugkörpersalve den halben Bestand in die Luft jagd. Hier kommt dann auch die Fregatte ins Spiel: Unser strategisch geschütztes Munitionsdepot sind de facto die Vereinigten Staaten - und wir brauchen die Fregatte schlichtweg, um den Seeweg dorthin zu sichern.

Zitat: Allgemein bin ich kein Freund einer Einheits-Infanterie, da zwingend das Gelände eine Spezialisierung erforderlich macht. Wir haben ja auch in allen anderen Bereichen spezialisierte Truppen, weil sie notwendig sind. Will man aber (aus Effizienz-Gründen etc) so weitgehend wie möglich vereinheitlichen, so sollte man eine echte leichte Einheits-Infanterie schaffen und eben nicht eine de facto mechanisierte Einheits-Infanterie. Da man Panzergrenadiere zwingend weiter benötigt so hat man schlussendlich zumindest zwei Typen von Infanterie (wobei ich Panzergrenadiere beispielsweise nicht mal als Infanterie sehe). Will man also aus kriegswirtschaftlichen Gründen vereinheitlichen, macht es am ehesten Sinn Truppen wie die Fallschirmjäger oder Gebirgsjäger abzuschaffen, dafür aber eben die Jäger-Truppe als leichte Einheits-Infanterie tatsächlich so aufzustellen, dass diese leichter strukturiert wird als dies heute selbst bei den Gebirgsjägern der Fall ist, also ohne Fahrzeuge, mit einer auf Nachschubunabhängigkeit spezialsierten Doktrin, Struktur, Bewaffnung und Ausrüstung.

Ich bin ein großer Freund der "spezialisierten" Truppe, jedenfalls wenn es um Gebirgsjäger, Fallschimrjäger und Marineinfanterie geht. Diese sollten auf keinen Fall so ausgerüstet werden wie der Rest der Infanterie! Ein Boxer als Fahrzeug für die Gebirgsjäger ist absurd. Das große Problem dabei ist: Die Spezialisierte Ausrüstung (z.B. Gebirgshaubitzen oder amphibische Fahrzeuge) lohnen sich halt nur, wenn die Truppe stark genug ist. Wir bräuchten also jeweils keine Formationen in Brigade - sondern mindestens in Divisionsstärke. Das wäre auch kein Problem, wenn wir a) das Militär ernst nehmen oder b) die Europäische Armee schaffen würden. So ist die Tendenz einfach: Breite geht vor Tiefe, und am Ende können wir nichts mehr richtig.

Noch als (lückenhafte) Begründung für die Notwendigkeit spezialisierter Infanterie: Operative Erfahrung. Wenn die Offiziere noch nie etwas von Ebbe und Flut, Wassertiefe und Strömung gehört haben, dann wird die erfahrenste Einheits-Infanterie schon an einer Landung auf Borkum scheitern, und wenn der Stab keine Ahnung davon hat, wie sich das Wetter im Gebirge verhält, dann startet man den Angriff bei Sonnenschein und wundert sich dann, warum nachmittags die halbe Truppe im Schnee erfriert.


Zitat:
Solange wir die dortigen Militärs fast dazu nötigen ebenfalls mechanisierte Einheiten aufzustellen und ihnen GTK Boxer verkaufen (aus Gewinngier und nicht aus militärischer Sinnhaftigkeit) kann ich dir nur zustimmen. Tatsächlich aber wäre das Baltikum durchaus in der Art verteidigbar, dass die Russen erheblich länger brauchen würden es zu besetzen und dafür erheblich mehr Truppen benötigen würden.

Das Baltikum könnte Wochen und in Teilen sogar Monatelang Kampfplatz sein und erhebliche Zahlen russischer Einheiten binden, wenn man dort nur sinnvoll rüsten würde. Es wäre leicht möglich mit ganz anderen militärischen Konzepten das Baltikum in ein Gebiet zu verwandeln, dass schon im ersten Auftakt den russischen Streitkräften horrende Verluste zufügt und einen Gros der real vorhandenen russischen Militärkapazität bindet. Nur dadurch würden dann Alternativen zu Aufgeben oder mühsamer Rückeroberung aus weiter Ferne überhaupt erst möglich werden.

Mir ist es sogar ziemlich egal, was für Truppen im Baltikum stationiert werden. Sie müssen nur eben mindestens so stark sein wie die der Russen. Dann brauchen wir mit einer 98% Wahrscheinlichkeit nie ausprobieren, wie sie sich denn im Gefecht schlagen würden - weil der Russe einfach nicht das Risiko eingehen wird, St. Petersburg zu verlieren um vielleicht Tallin zu gewinnen. Solange die Russen aber eine enorme materielle Überlegenheit ins Feld führen können, ist der "Partisanen"-Ansatz sehr vernünftig. Wir sind (aufgrund eigener Tohrheit!) Momentan der Part, der im Baltikum asymmetrisch agieren müsste.

Zitat: Rein persönlich war ich immer von der Armee der Schweiz fast am meisten begeistert, aber auch in der Schweiz hat der Niedergang eingesetzt und man entfernt sich immer mehr von dem was in Kalter Krieg Zeiten noch da war.

Ich habe absolut nichts gegen das Schweizer Miliz-System, allerdings wirken die Israelis auf mich "kompletter". Sie erreichen eine noch höhere Mobilisierungsquote (da sie auch die Frauen an die Waffe holen), verfügen völlig im Gegensatz zur Schweiz über eine vorzügliche Luftwaffe (der Chef der Luftwaffe genießt ein Prestige von dem sehr viele Politker in Israel nur träumen könnten) und eine Marine, die Feuerkraft über alles (bis hin zur Gefährdung der Seetauglichkeit) stellt. Ebenfalls ausgezeichnet sind die Südkoreaner, die für jeden deutschen Sicherheitspolitiker ein ständiger Dorn im Auge sein müssten: Sie beweisen, dass man auch mit niedrigerem Budget eine Armee aufstellen kann, die in so ziemlich allen Bereichen nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ deutlich besser aufgestellt ist als die Bundeswehr.


Zitat: Die Frage ist, was diese Bundeswehr so wie sie heute aufgestellt ist überhaupt leisten könnte. Das reicht ja weit über die Frage der Infanterie hinaus. De facto ist diese Bundeswehr hier und heute Kriegsunfähig. Verbleibt die Frage, wie man überhaupt zumindest in Bezug auf die Landesverteidigung und die Frage von assymetrischen Einsätzen im Inneren dieser Bundesrepublik eine ausreichende Kampfkraft an sich wieder herstellen soll. Man müsste zunächst erstmal hier die Defensiven Fähigkeiten stärken, von einer Offensivkraft sind wir aktuell derart weit entfernt, dass es eigentlich ohnehin ausgeschlossen ist, dass wir irgendwo in einem ernsthaften Krieg ernsthaft offensiv vorgehen könnten. Gerade deshalb mein Primat darauf, zuerst mal eine ausreichend große leichte Infanterie aufzustellen und dann erst mit anderen Dingen fortzufahren. Das reicht zudem wie geschrieben weit über die Frage eines großen konventionellen Krieges hinaus hin zur in den nächsten Jahrzehnten höchstwahrscheinlich zwingend notwendig werdenden Einsatz im Inneren hin zu sozialkulturellen Fragen.

Bei der Bundeswehr von heute würde ich duchaus die Chance sehen, sie innerhalb von 5-10 Jahren in die Kaderarmee umzubauen, als die sie ("Breite vor Tiefe") mal gedacht war. Oberste Regel für nahezu alle technischen und konzeptionellen Systeme müsste daher lauten: Leg sie so an, dass auch ein Hauptschüler nach sechs Wochen Ausbildung damit klar kommt. Alternativ würde ich furchtbar gerne dem Vorbild Südkoreas folgen, aber damit kommt man bei uns momentan eh nicht durch.


Zitat:Wie aber manövriert heute leichte Infanterie offensiv in den gegnerischen Raum hinein? Wenn die Umstände es gestatten (Flüchtlingsbewegungen, Gelände, Kriegslage, Abnutzung gegnerischer Großsysteme etc) schlicht und einfach zur Fuß. Wenn man 30 Kilometer am Tag zurück legt, ist man nicht viel langsamer als ein mechanisierter Verband heutzutage und hat man in einer Woche bereits 210 km zurück gelegt. Nach zwei Wochen 420 Kilometer und in der Zeitdauer des Berg-Karrabach Konfliktes beispielsweise (ca 4 Monate) könnte man ad extremum bereits 3360 Kilometer zurück legen. Das sind natürlich nur rein theoretische Werte, sie sollen lediglich aufzeigen, dass man heute die unspektakuläre Bewegung zur Fuß drastisch unterschätzt und die operative Geschwindigkeit mechanisierter Verbände drastisch überschätzt.

Dreißig Kilometer pro Tag bekommst du mit einer größeren Einheit dauerhaft nur auf guten Straßen hin, wenn deine Leute aus vorbereiteten Depots versorgt werden oder es eine ausreichend dichte zivile Besiedlung gibt, bei der Lebensmittel requiriert werden können. Wenn du hingegen unter Feindbedrohung durch unwegsames Gelände willst und auch noch mehrere hundert Mann fouragieren lassen musst, dann sind 5-10 Kilometer (Luftlinie) am Tag bereits eine mehr als ordentliche Leistung.


Zitat: Noch darüber hinaus ist eine solche leichte Infanterie vollumfänglich und ohne Einschränkung der Kampfkraft lufsturmtauglich. In dem Ausmaß in dem nach relativ kurzer Zeit die feindliche Luftraumverteidigung Lücken aufweist und schließlich zumindest in bestimmten Räumen bzw. temporär zusammen bricht, werden aufgrund der Räume mit sehr geringer Truppendichte in Osteuropa Luftsturmoperationen möglich, welche beispielsweise genau die Achillesferse der russischen Armee, nämlich ihre Versorgungslinien und rückwärtigen Dienste bedrohen. Gerade weil die Russen sehr weitgehend auf Mechanisierung und Artillerie setzen und zugleich unterentwickelte und anfälligere Strukturen für die Versorgung derselben haben, sind diese selbst für relativ schwache Verbände sehr verwundbar. So könnte hier eine verstärkte Kompanie bereits ausreichen wenn sie an der richtigen Stelle angesetzt wird eine ganze russische Brigade weitgehend in ihrer Kampfkraft einzuschränken. Dazu treten dann noch weiter in die Tiefe reichende Angriffe auf die feindliche Infrastruktur (womit die Russen übrigens rechnen weshalb sie gerade eben einen so starken Wert auf die Schwimmfähigkeit ihrer Fahrzeuge legen und so große Truppenstärken bei Kräften der Inneren Sicherheit (Innenministerium, Grenzschutz, geschlossene Einheiten der Polizei, paramilitärische Verbände) aufgestellt haben.

Die Kapazitäten für den Luftsturm werden ja unabhängig von der Zahl der bereitstehenden Infanteristen sehr begrenzt sein, weshalb ich hier statt "taktischer" (die Versorgung einer Brigade stören) eher auf operativer oder gar strategischer Ebene vorgehen würde. Also z.B. nicht das Depot einer Raketenartillerieeinheit angreifen - sondern den Fliegerhorst einer Staffel Tu-160, statt des Haupquartiers einer Division lieber Murmansk. Das zwingt den Gegner a) Seine Kräfte auf den Schutz solcher Hochwertziele zu konzentrieren und macht seine Feldtruppe verwundbarer und ist b) auch propagandistisch "wertvoller". Es mag taktisch absurd sein, aber z.B. ein Überfall auf Putins Palast am Schwarzen Meer dürfte für den Kriegsverlauf "wichtiger" sein als die Vernichtung einer Panzerdivision, weil ersteres Putin bis aufs Hemd blamieren würde wärend letztere einfach stillschweigend neu aufgestellt werden kann.

Zur Beweglichkeit in requirierten Fahrzeugen gebe ich die nicht eben üppige Treibstofflage zu bedenken. Nach einer Kriegswoche dürften die meisten Raffinerien entweder zerstört sein oder für rein staatliche Zwecke produzieren, weshalb die Wahrscheinlichkeit, noch Zivilfahrzeuge mit einem vollen Tank anzutreffen, wohl tatsächlich am ehesten bei landwirtschaftlichen Fahrzeugen gegeben ist. Damit reduziert sich der mögliche Fuhrpark dann doch schon sehr erheblich.


@ Pogu

Zitat: Unsere Jagdkampfverbände (taktisch waren das verstärkte Züge. Kompanien waren nur Verwaltungseinheiten.) hätten sich planmäßig NICHT überrollen lassen. Wir wären einfach allesamt überrollt worden. Da hat sich auch die NATO keine Illusionen gemacht. Und darauf aufbauend war alles hin konzipiert (Spannocchi-Doktrin). Eine Situation ganz ähnlich etwa Estland. Estland besteht militärgeographisch aus einer Stadt und einer Straße. Weder qualitativ noch qualitativ haben sie irgendetwas aufzubieten, das eine nachbarliche Großmacht bei einem etwaigen Einfall auch nur verlangsamen würde - geschweige denn aufhalten. Deshalb müssen sie sich was anderes einfallen lassen, und das tun sie durchaus auch. Das realistischste ist zugleich auch das produktivste: Minen! Minen und kreative Ideen sie anzuwenden und einzusetzen.

Du hast ja Recht. Und da wir uns Schützenminen zwar verboten haben, aber Panzerabwehrminen noch erlaubt sind, könnten wir den Balten in dieser Hinsicht sogar noch einiges an "High Tech" liefern. Hier könnten perspektivisch auch autonome UGVs nützlich werden. Schade nur, dass die Russen uns da offenbar deutlich vorraus sind...
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