Langlebige Staaten
#6
Schneemann schrieb:Aber zu den Fragen:

1.) Grob würde ich sagen, dass i. d. T. eine homogene Glaubenstruktur, auch ein Pantheon (Ägypten), eine lange Existenzzeit sichern kann. Allerdings hat die Theorie auch Schwächen, da etwa die Ägypter ein eigenes Pantheon hatten, aber auch die Römer oder Griechen, deren Reiche unterschiedlich lange Bestand hatten.

Ich würde diesen Punkt etwas allgemeiner fassen: Benötigt wird eine gemeinsame identitäts- und sinnstiftende Idee.

Im Mittelalter war die Religion in vielen europäischen Staaten und Gesellschaften die zentrale identitäts- und sinnstiftende Idee, wie im Moment auch in den meisten islamischen Staaten. In der Neuzeit hat diese Funktion aber häufig eine Ideologie wie Nationalismus oder Kommunismus übernommen.

Darum würde ich diesen Punkt lieber verallgemeinern und sagen, dass durch eine identitäts- und sinnstiftende Idee in einer Gesellschaft eine Vorstellung von Gemeinsamkeit und Homogenität hergestellt wird. Etwas das eine Gesellschaft zusammenhält und als eine Gesellschaft ausmacht.

Schneemann schrieb:2.) Die Ausdehnung sollte nicht zu groß sein, große Reiche (Alexander-Reich, Mongolen-Reich) zerfallen häufig recht rasch, etwa nach dem Tode eines bestimmenden Regenten, sei es durch die Verteilung des "Staats"-Gebietes über eine zu große Distanz, sei es durch Diadochen-Kämpfe.

Ich denke nicht, das die flächenmäßige Größe einer Nation etwas mit der Dauer ihres Bestandes zu tun hat. China ist unzweifelhaft sehr groß, existiert aber schon seit Ewigkeiten.
Bei den von Dir angeführten Beispielen, sollte man eher auf die inneren und äußeren Gründe des Niedergangs schauen. Also welchen äußeren Bedrohungen waren diese Staaten ausgesetzt und wie stark war der innere Zusammenhalt der Gesellschaft? Wenn es eine starke gemeinsame identitäts- und sinnstiftende Idee gibt, dann sind die Gesellschaften zum einen wesentlich wehrhafter und verteidigungsbereites (geschlossener) gegenüber äußeren Bedrohungen, da sie auch etwas gemeinsames zu verlieren haben.
Das Alexander und das Mongolenreich sind im Grunde "schnell" zusammeneroberte Staaten, die aber keinen inneren Zusammenhalt hatten.

Schneemann schrieb:3.) Lange Kriege schwächen Reiche nachhaltig, auch wenn zeitweiliger Gewinn zu erkennen ist und dies scheinbar eine Stärkung bedeutet, etwa beim römischen Reich. D. h. eine relative Friedfertigkeit kann helfen, den Kern eines Reiches und seine Zivilisation zu erhalten (etwa beim altägyptischen Reich, von der Thutmosiden-Epoche und einigen Umbruchszeiten abgesehen).

Im Prinzip sehe ich das ähnlich. Allerdings müssen längere Kriege auch tatsächlich Staat und Gesellschaft erheblich "stressen". Andererseits können längere Kriege auch den inneren Zusammenhalt stärken. Es ist dann wesentlich einfacher sich selbst seiner Gruppe zuzuordnen, wenn man sich von anderen abgrenzen kann und einen vermeintlich gefährlichen Gegner hat. Ebenso stärkt eine gemeinsam empfundene Niederlage (Frankreich 1871, Deutschland 1918) oder auch Sieg den inneren Zusammenhalt und die Entschlossenheit.

Schneemann schrieb:4.) Es muss zumindest eine kulturelle Basis hinsichtlich Seßhaftigkeit vorhanden sein, ansonsten assimilieren sich Reiche schnell mit der Kultur unterworfener Völker und gehen in diesen auf, etwa die Hunnen oder auch diverse germanische Stämme.

Seßhaftigkeit hat gewiss wirtschaftliche Vorteile. Allerdings haben viele Nomadenstämme und "Reiche" lange existiert. Bspw. die mongolischen Khanate, Indianer und auch meinetwegen die Juden oder Sinti und Roma.

Tiger schrieb:Auffallend ist, das viele Großreiche, die sich nicht auf die Ausübung von Seeherrschaft verstanden, ziemlich schnell zugrundegegangen sind. Dazu gehören etwa das Reich Alexander des Großen, das Empire eines Napoleon Bonaparte oder auch die Sowjetunion.
Nun haben sich aber gerade das byzantinische Reich, Venedig und übrigens auch der Malteserstaat sehr gut auf die Ausübung von Seeherrschaft verstanden.

Das sind aber auch imperialistische Großreiche. Wenn es um die Langlebigkeit geht, kann man auch Staaten ohne große Marine wie China und die Schweiz dagegenstellen.

Quintus Fabius schrieb:Gibt es nun Gemeinsamkeiten die für alle langlebigen Staaten gleich sind?
Es ist ein starker innerer Zusammenhalt der in einer gemeinsamen identitäts- und sinnstiftenden Idee begründet ist. Einhergehend mit der Idee und den daraus folgenden Werten ist auch ein gewisses kulturelles Sendungsbewußtsein, wodurch sie sich absetzt und auch häufig anderen gegenüber als überlegen wahrnimmt.

Quintus Fabius schrieb:Treffen diese Eigenschaften der Byzantiner auch auf andere Völker zu die sehr lange durchhielten?

Nur zum Teil. Religiösität ist nicht unbedingt nottwendig, wenn auch häufig vertreten. Auch ist eine gewisse "Defensivität" nicht unbedingt vonnöten. Dies hängt halt maßgeblich von den inneren Überzeugungen und Werten einer Gesellschaft und seiner "Bedrohungslage" ab.

Quintus Fabius schrieb:Was macht einen Staat oder eine Staatsform langlebig?
Eine Staatsform wird dadurch langlebig, wie sehr sie einen Rückhalt in der Bevölkerung hat. Natürlich muss sie auch über die Jahrhunderte gesehen dementsprechend anpassungs- und veränderungsfähig sein.

Ein Staat bzw Gesellschaft braucht eine gemeinsame identitäts- und sinnstiftende Idee.

Quintus Fabius schrieb:Bei Byzanz gab es beispielsweise massenweise äußere Feinde und Wirtschaftliche Probleme zugleich. Trotzdem hielt sich Byzanz.
Eine bedrohte Gesellschaft muß auch wehrfähig sein, wenn sie einem zu allem entschlossenen Feind gegenübersteht. Das ist natürlich auch eine wichtige Voraussetzung. Nebenbei hat sich das christliche Äthiopien/Abessinien noch viel erfolgreicher gegen die islamische Expansion/Mohammedanersturm zur Wehr gesetzt als das Byzantische Reich.
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