Todesstoß für die NATO ?
#6
Das sagst du kurzsichtigerweise jetzt Kosmos, weil du wie auch die meisten russischen Außenpolitiker veralteten Welt- und Weltpolitikvorstellungen anhängst, inklusive einer Vorstellung von Russland als Groß- und Supermacht, die genauso gut aus dem 19. Jahrhundert stammen könnte und all die Probleme des 21. Jahrhunderts verschläft.

Russlands gespanntes Verhältnis zu seinen ehemaligen Vasallen rührt letztlich eben nur aus diesem Umstand her, der ehemaligen Herrschaftsbeziehung zu jenen. Diese historische Erfahrung, dieser Fakt an sich, macht diese Staaten aber in ihrer Wahrnehmung gegenüber Russland geradezu kopflos aggressiv gegenüber Russland. Man ist daher historisch bedingt antirussisch eingestellt. Andererseits - und das muss man genauso klar sagen - wird diese paranoide Russophobie in Staaten wie Georgien, dem Baltikum oder auch Polen oder Tschechien durch kontinuierlich geäußerte, veraltete und obsolete russischen Großmachtansprüche und -träume immer weiter am Leben gehalten. Russland hat seine Niederlage nie innerlich verarbeitet und beansprucht weiterhin - und eben unbegründet - nach seinem Rückzug und dem Ende der sowjetischen Herrschaft seine alte Einflußsphären. Aber dies wird eben heute von einem nach "Westeuropa" strebenden Osteuropa nicht mehr akzeptiert. Die aggressive Einstellung also, die Russland entgegenschlägt, ist letztlich das aufgebauschte Produkt einerseits seiner eigenen, unhinterfragten Großmachtträume und Ansprüche, andererseits der historischen Fixierung der Osteuropäer. Psychoanalytisch würde man sagen, es treffen überzogene Träume (russ.) und auf überzogene Ängste (osteuropäisch). Letztlich ist das ganze eine aufgebauschte, symbolische Fehde, eine Verlängerung der Geschichte ins Jetzt. Ehrlich gesagt, weder muss man im Baltikum noch Angst haben vor den Russen, noch brauchen die Russen davon zu träumen, dass sie in Baltikum oder in Polen oder Tschechien etwas zu sagen hätten.

Das aber alles sind "historisch ins jetzt verlängerte" Konflikte, eher symbolischer Natur, ohne echten substanziellen Kern.
Das, dagegen, was Russland noch bevorstehen wird aus seinem Inneren und aus dem Süden und Osten, ist dagegen sehr real und substanziell. Weder die Polen, die sich viel zu sehr aufs Geldverdienen im kapitalist. Business stürzen, noch die Amerikaner, die anderes zu tun haben, wollen einen direkten Konflikt mit Russland.
Sieht man aber dagegen die demoraphische Schrumpfung Russlands, die proportionale hohe Zunahme des muslimischen Bevölkerungsanteils in Russland selbst, grassierende Radikalismen an seinen südlichen Grenzen in auch schon in seinen eigenen muslimischen Provinzen (Tschetschenien, inzwischen Inguschetzien, wo der Präsident zurücktreten musste..), allgemeine Korruption und die Begehrlichkeiten eines wachsenden chinesischen Molochs für Ressourcen sieht man, dass realere Bedrohungen bestehen für Russland als eine hypothetische Raketenabwehr in Polen und Tschechien.

Um aber wieder etwas zum Thread an sich zu sagen und damit den Bogen zum Thema zu bekommen: Es gibt weiterhin Bedrohungen, Bedrohungen, die durchaus ernst sind und internationale Kooperation bedürfen. Natürlich braucht man da viele Partner, auch Russland und China, aber es gibt eben auch Unterschiede und manchmal muss eben auch in kleineren Koalitionen gehandelt werden können, so wie in der NATO.
Man hat die letzten 10 oder 12 Jahre etwas verschlafen, wenn man einfach sich nur am Argument hochzieht, dass die NATO als Institution ihrer früheren Gründungsursache verlustig gegangen ist.
Staaten wurden ganz früher auch mal nur geschaffen, um durchaus gewaltsam die Herrschaft einiger weniger zu sichern und heute würde man ganz anders über den Sinn und den Zweck von Staaten sprechen, kurz: Institutionen mit eiger gewissen Stärke und Lebensdauer sind einfach nicht nur Zweckverbünde, sie entwickeln ein Eigenleben und suchen ihren Bestand zu erhalten. Das ist, was Organisations- und Institutionenkunde angeht, relativ lange und relativ unbezweifelt bekannt.
Und sieht man sich mal die ganzen Dokumente der letzten Jahre an, die 1999 Erklärung des Washingtoner Gipfels, die Europäische Sicherheitstrategie von 2003, die diversen EU-Beschlüsse dann muss man konzedieren, dass es eben doch eine gewisse Bandbreite an Aufgaben gibt, die man eben multilateral angehen muss. Und dafür braucht man auch NATO und gemeinsame NATO-Ressourcen. Abseits davon, wie die NATO nun selbst funktioniert, hat die EU ihr weiterhin eine sicherheitspolitische Primärstellung eingeräumt, die die meisten EU-Staaten teilen. Selbst Frankreich ist inzwischen auf dieser Linie. Daher fällt es mir etwas schwer, den errungenen Grad von Zusammenarbeit und Abstimmung in den transatlanischen Gremien bei allen Problemen einfach so zu verdammen. Ich finde, dass man da genauer, differenzierter rangehen sollte.

Um nun ein paar Worte zu den russischen Vorschlägen zu machen: Letztlich sind sie heiße Luft. Ich hab im Sommer das erste Mal davon gelesen gehabt, als der NATO-Botschafter Russlands, Rogozin, solche vagen Sprechblasen dem NATO-Rat vorlegte. Man wartet immer noch auf konkrete Vorschläge aus Russland, aber es bleibt fraglich, ob sie je kommen werden. In dieser Phase, in der die NATO und damit die EU (und auch innerlich die EU) und die USA ihre globale Politikvorstellungen aneinander reiben und auch mal spannungsreich konfrontieren, sind solche Vorschläge ein "Test", ein Testballon für die NATO.
Echte Substanz haben sie nicht; dafür ist auch die politische Verfassung Russlands einfach noch nicht reif genug meines Erachtens.
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