China vs. Japan
Ein gelungener Artikel aus der aktuellen Ausgabe des Marineforumüber die Streitigkeiten zwischen China und Japan und seine Hintergründe:
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.marineforum.info/Aktuelles_Heft/Japan/japan.html">http://www.marineforum.info/Aktuelles_H ... japan.html</a><!-- m -->
Zitat:ES GEHT UM MEHR ALS EIN PAAR UNBEWOHNTE INSELN

UNTER DEM DRUCK CHINAS ERODIERT JAPANS PAZIFISTISCHE TRADITION DER NACHKRIEGSZEIT

Raimund Wallner

(Kapitän z. See a.D. Raimund Wallner war 1999 bis 2003 Verteidigungsattaché in Japan und den Philippinen. Seit seiner Zurruhesetzung 2010 absolvierte er drei seiner vier Einsätze als MilAtt-Reservist an der Deutschen Botschaft Tokyo, zuletzt im Sommer 2014.)



„Und ihr Japaner, glücklich könnt ihr euch schätzen, dass wir euch vor dreitausend Jahren auf diesen schönen Inseln siedeln ließen.“ Diese Worte aus dem Jahr 2002 brachten bereits 10 Jahre vor der Ära Xi Jinping auf den Punkt, was die sich heute neu manifestierende Selbstbehauptung, die „assertiveness“ des „Reiches der Mitte“ gegenüber seiner Peripherie ausmacht. Ein junger Referent der chinesischen Botschaft in Tokyo sagte das allen Ernstes, dahingesprochen in fließendem Japanisch, im Hause eines deutschen Diplomaten, umringt von japanischen und internationalen Gästen.

Das war zu Anfang der Ära Hu Jintao, bei dessen späterem Staatsbesuch 2008 in Tokyo in einer gemeinsamen Erklärung eine heute wie aus der Zeit gefallen wirkende „positive Würdigung der Tatsache, dass Japan seit dem Ende des Krieges an seinem Kurs als ein zutiefst dem Frieden verpflichteter Staat festhält und mit friedlichen Mitteln einen Beitrag für Frieden und Stabilität in der Welt leistet“ von chinesischer Seite eingebracht wurde.

Damit erkannte China an, dass der Nachbar von den „schönen Inseln“, der in der jüngeren Geschichte brutale Aggressor, sich an seine pazifistische Verfassung gehalten hatte. In deren Artikel 9, die dem besiegten Land 1947 durch die USA auferlegt wurde, verzichtet Japan „für immer“ auf das souveräne Recht der Kriegsführung, auf die Androhung und Anwendung von Gewalt zur Beilegung internationaler Streitigkeiten sowie auf den Unterhalt regulärer Streitkräfte. Jede Verfassungsänderung bedarf einer Zweidrittel-Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments und eines zusätzlichen Referendums, Bedingungen, die jede Änderung bis heute verhinderten.

Alle bisherigen Regierungen interpretierten Artikel 9 so, dass das Recht auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der VN-Charta „auf minimal erforderlichem Niveau“ verfassungskonform sei. Japan erkennt zwar das Recht souveräner Staaten auf „kollektive Selbstverteidigung“ an, versagte sich bis vor Kurzem ein solches Recht jedoch selbst, weil es über jenes „minimale Niveau“ hinausginge. Auf der Grundlage dieses Verfassungsverständnisses wurden 1954 die „Selbstverteidigungskräfte“ (SDF) aufgestellt. In der Verfassung finden sie keine Erwähnung.

Es gibt bis heute keine sicherheitspolitischen Strukturen in Nordostasien, die den Dialog institutionalisiert hätten oder gar zum modernen Krisenmanagement taugten. Es gibt aber ein gemeinsames Band, das sich aus der Kultur- und Religionsgeschichte herleitet: den Konfuzianismus. Bei den drei großen Völkern der Region handelt es sich, aufgrund des chinesischen kulturellen Erbes, um zutiefst konfuzianisch geprägte Gesellschaften, ohne dass dies heute noch religiöse Bedeutung hätte.

Eine „historische Aufarbeitung“, wie wir Deutschen sie uns selbst auferlegt haben – und die deshalb friedensstiftend wirkt, weil unsere demselben Kulturkreis angehörigen europäischen Nachbarn dieses Bemühen anerkennen – ist dort undenkbar; weder zum zig-millionenfachen Mord des Maoismus an den eigenen Landsleuten noch zur Geschichte der japanischen Aggression.

Wir Deutschen gingen aus konfuzianischer Sicht über das Äußerste hinaus, denn in jenen Kulturen ist es verwerflich, Schande über die Ahnen zu bringen oder sie zu kriminalisieren. Obwohl es gemeinsame Ansätze zur Verständigung unter Historikern gibt, ist Schweigen und Warten, bis Zeit und Biologie ihr Übriges tun, vorherrschend.

Der Konsens zur Beibehaltung der weltweit einzigartigen Verfassung geht heute noch quer durch alle Parteien und hat in der japanischen Bevölkerung eine klare Mehrheit. Die pazifistische Festlegung der Verfassung als quasi Ausweis der Friedfertigkeit und ihre de facto Unabänderbarkeit machen zudem in den Augen der meisten Japaner die Aufarbeitung der belastenden Geschichte überflüssig. Mit den im Folgenden noch zu thematisierenden formalen Entschuldigungen für seine Kriegsgräuel ist Japan schon bis zum Äußersten gegangen.

Beide Nachbarn kennen diese Befindlichkeit Japans genau, haben jedoch, insbesondere China, die kulturell bedingte „Beißhemmung“ abgelegt. Sorgfältig orchestrierte, in allen Medien zeitnah und in englischer Sprache präsente Propaganda blendet heute die von Hu Jintao noch gelobte, nun fast siebzig Jahre währende Geschichte Japans als „zutiefst dem Frieden verpflichteter Staat“ aus. Tokyo wird mit historischen Vorhaltungen belegt, wann immer gerade politisch opportun, im klaren Wissen darum, dass es aus den o.a. Gründen nicht über das Äußerste hinauszugehen vermag. Beim Rest der Welt und dessen Medien zeigt dieses Vorgehen Wirkung. Japan – insbesondere unter seinem derzeitigen, als Nationalist abgestempelten Premierminister Shinzo Abe – wird auch in Teilen der westlichen Presse verdächtigt, das Rad der Geschichte zurückdrehen zu wollen.

Was war in den vier Jahren seit Hu Jintaos freundlicher Erklärung von 2008 bis zu Abes Amtsantritt im Dezember 2012 und darüber hinaus bis heute geschehen, dass Peking zahlreichen Versuchen Tokyos, ein Gipfeltreffen zustande zu bringen, die kalte Schulter zeigte? Warum brachten in einer weltweiten Pressekampagne Botschafter von mehr als dreißig chinesischen Vertretungen in Namensartikeln zeitgleich solche Vorhaltungen zu Papier, wie Chinas Repräsentant in Berlin, Shi Mingde, am 14. Januar 2014 in der FAZ, in denen es heißt: „Das Ziel [Abes] ist es, die gerechte Verurteilung des japanischen Militarismus durch die internationale Staatengemeinschaft nach dem Krieg aufzuheben und in ihrer Folge die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs und die internationale Nachkriegsordnung in Frage zu stellen“. Ein ungeheuerlicher Vorwurf von offizieller Seite eines nach wie vor totalitären Staates an einen demokratisch verfassten, liberalen Rechtsstaat.

Im Folgenden zu klärende Fragen sind: Worauf will China hinaus? Mit welchen Maßnahmen begegnet Japan zusammen mit dem Verbündeten USA der sich zur Bedrohung auswachsenden Selbstbehauptung Chinas? Doch zunächst noch ein Exkurs zu den Konfliktherden, die China bevorzugt instrumentalisiert, um Japan international zu belasten.


Konfliktherde, Japans Schuld und Sühne, Senkaku-Frage

Botschafter Shi erinnert in seinem FAZ-Artikel daran, dass China 1972 im Zuge der Normalisierung der chinesisch-japanischen Beziehungen auf Kriegsreparationen verzichtete, um anzuerkennen, dass die Schuld für den Aggressionskrieg bei einer kleinen Gruppe von japanischen Militaristen gelegen habe. Abe weigere sich jedoch, die historische Verantwortung zu übernehmen und Schuld anzuerkennen, er verbeuge sich sogar vor Kriegsverbrechern der Kategorie A.

Zunächst zu historischer Verantwortung und Schuldanerkenntnis: Wiederholt bis heute vorgebrachte Anwürfe auch höchster chinesischer Politiker, dass Japan sich nie schriftlich für die in seinem Namen begangenen Untaten entschuldigt habe, unterschlagen die Tatsachen. Alle Regierungen Japans – spätestens seit März dieses Jahres auch die gegenwärtige von Shinzo Abe – hielten die am 15. August 1995 mit schriftlicher Note vorgelegte „Murayama-Erklärung“ aufrecht.

Sie entstand aufgrund eines einstimmigen Kabinettsbeschlusses unter dem damaligen Premierminister gleichen Namens zum 50. Jahrestag der Kapitulation und gilt als offizielle Regierungsposition. Murayama ging darin – im Sinne meines o.a. kulturellen Exkurses – bis zum Äußersten mit den Worten: „...einer verfehlten nationalen Politik folgend schritt [Japan] auf dem Weg des Krieges voran, verstrickte das japanische Volk in eine verhängnisvolle Krise und brachte durch seine Kolonialherrschaft und Aggression ungeheure Zerstörung und Leid über die Menschen vieler Länder, insbesondere über asiatische Nationen ... in Demut schaue ich auf diese unwiderlegbaren Tatsachen der Geschichte, bringe hiermit erneut meine Gefühle tiefster Reue zum Ausdruck und bitte von Herzen um Entschuldigung. Erlauben Sie mir auch meine tiefe Trauer für alle Opfer ... dieser Geschichte auszudrücken.“

Trotz des Reparationsverzichts erschöpfte sich Japans Sühne nicht nur in Worten. Seit Abschluss des bilateralen Friedens- und Freundschaftsvertrages 1978 bis zum Jahr 2005 – d.h. nur fünf Jahre, bevor China Japan als zweitstärkste Volkswirtschaft der Welt ablöste – überwies Tokyo insgesamt 35 Mrd. US-Dollar Entwicklungshilfe (ODA) an Peking. Beispielsweise wurden 5.200 km des chinesischen Bahnnetzes mit japanischem Geld und Know-how elektrifiziert; das entspricht einem Viertel der mit Strom versorgten Schienenkilometer Deutschlands.

Zu Yasukuni:
In diesem Schrein werden die Seelen von 2,46 Millionen Gefallenen nach dem Shinto-Glauben verehrt, die ab 1853 in den Bürgerkriegen zum Ende der Feudalzeit, in den Kriegen gegen China und Russland sowie im Ersten und Zweiten Weltkrieg ihr Leben ließen. Auf dem Gelände des Schreins gedeiht bis heute eine inzwischen vierundvierzigjährige deutsche Eiche, die der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Steinhoff, 1970 zu Ehren der Gefallenen pflanzte. Er konnte dies noch unbefangen tun, denn die 14 Kriegsverbrecher der Kategorie A, mit deren angeblicher Verehrung durch den Premierminister China heute schwerste Revisionismusvorwürfe begründet, kamen erst acht Jahre später hinzu.

Die Namen von Gefallenen, deren Angehörigen nach dem Kriegshinterbliebenengesetz eine Rente zusteht, müssen in das Schreinregister aufgenommen werden, und die Seele kann so in Yasukuni ihre Behausung finden – sonst wäre sie ruhelos. Den Witwen jener vierzehn in Folge des Tokioter Kriegsverbrecherprozesses Exekutierten war es 1978 gelungen, eine solche Rente gerichtlich zu erstreiten. Japan hat es bis heute versäumt, diesen Verfahrensgang zu erklären und international publik zu machen. Seither ist der Schrein politisch belastet und Deutschland gehört zu den Ländern, deren amtliche Vertreter Yasukuni in offizieller Funktion zu meiden haben.

Totengedenken kann in Japan eine fröhliche Verrichtung sein. Wer einmal als Privatperson das ausgelassene, sommerliche, von Zehntausenden gefeierte Mitama-Fest in Yasukuni erlebt hat, weiß, dass der Schrein seinen festen Platz in der Mitte der Gesellschaft hat und nicht vom rechten Rand vereinnahmt ist – wenn es auch solche Bestrebungen geben mag. So gut wie jede japanische Familie hat eine Seele in Yasukuni zu verehren, Politiker, ob sie religiös sind oder nicht, müssen dem Rechnung tragen.

Für Premierminister jedoch hat es außenpolitisch verheerende Folgen, den Mut zum Besuch aufzubringen. Gegen jeden Rat seiner Vertrauten wagte Abe es dennoch am 26. Dezember 2013, provozierte die erwartete chinesische (und koreanische) Reaktion, die schließlich in die erwähnte weltweite Botschafterkampagne mündete und brachte die seit Oktober 2013 laufenden diplomatischen Bemühungen für einen trilateralen Gipfel Japan-China- Südkorea völlig zum Erliegen. Darüber hinaus verkomplizierte er die Interessen der auch mit Südkorea verbündeten USA in der Region. Abes Erklärung, noch am Tag des Besuches verbreitet, er habe mitnichten Kriegsverbrecher verehrt, sondern den Seelen der Gefallenen Bericht über seine Regierung abgestattet und habe keinerlei Absicht, die Gefühle der Menschen in China und Korea zu verletzen, nahm niemand mehr zur Kenntnis, denn er saß nun endgültig in der Ecke der Revisionisten.

Der zweite von China zum Konflikt mit Japan instrumentalisierte Komplex ist wegen seiner militärischen Implikationen nicht nur brisant, sondern gefährlich: die Souveränitätsfrage über die Senkaku/Diaoyu-Inselgruppe am Rand des Ostchinesischen Meeres. Peking fordert, dass Japan die Existenz eines Territorial-Disputs anerkennt – Tokyo negiert einen solchen und besteht darauf, dass China seine Verletzungen japanischer Territorialgewässer beendet.

Die 5 unbewohnten Inseln wurden von Japan zur Zeit des chinesisch-japanischen Krieges 1895 als „terra nullius“ formal in Besitz genommen und der Präfektur Okinawa zugeordnet. Mit Aufhebung des US-Besatzungsstatus für Okinawa 1972 wurde die Präfektur – und mit ihr die Senkaku-Inseln – wieder japanisches Staatsgebiet. Die USA verhalten sich zwar neutral hinsichtlich der Besitzansprüche, haben jedoch erklärt, die Senkakus seien, da von Japan verwaltet, im Falle eines bewaffneten Angriffs von der Beistandsklausel ihres Sicherheitsvertrages mit Japan abgedeckt. China dagegen behauptet, die Diaoyu-Inseln seien bereits in Dokumenten der Ming-Dynastie von 1401 als Teil des Reiches der Mitte erwähnt, machte aber erst in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Ansprüche geltend, seit Ölvorkommen dort vermutet werden.

Nicht interessiert an einem Territorialkonflikt nach Normalisierung der Beziehungen zu Japan, verfügte Deng Xiaoping 1978, die Lösung der Diaoyu-Frage späteren Generationen zu überlassen. Seit 2006 gab es zwar immer wieder Vorkommnisse mit Aktivisten und Fischerbooten aus China und Taiwan, ein bilateraler Konflikt entstand jedoch erst seit September 2010, als ein chinesischer Trawler zwei japanische Coast Guard-Einheiten rammte und Japan den Schiffsführer verhaftete.

Der Konflikt eskalierte seit September 2012, als die Regierung Noda die Inseln von einem japanischen Privateigentümer erwarb. Seither drangen bis Ende 2013 monatlich zwischen 10 bis zu 30 Einheiten der chinesischen maritimen Exekutivorgane in die Territorialgewässer um die Senkakus ein – erst 2014 ist ein spürbarer Rückgang auf unter 10 zu verzeichnen. Vermutlich aufgrund eines Strategiewechsels stiegen stattdessen Fischereiaktivitäten dramatisch an.

Seit November 2013 schließlich eskalierte Peking mit der unilateralen Erklärung einer „Air Defense Identification Zone“ (ADIZ), die die bereits seit 1969 existierende ADIZ Japans überlappt und die Senkakus einschließt, den Konflikt auch in den Luftraum. Alarmierend sind vor allem die Regeln: Alle, auch zivile Flugzeuge, haben sich zu identifizieren, den Flugplan zu übermitteln, Sprechfunkverbindung zu halten – ohne Unterschied, ob sie sich nur parallel zu Chinas Küstenlinie bewegen oder auf sie zufliegen. Jeder internationalen Praxis widersprechend wird die ADIZ wie der eigentliche territoriale Luftraum behandelt. Japanische und amerikanische Militärmaschinen ignorieren Pekings Regeln.


Chinas Traum, Selbstbehauptung, Einschüchterung Japans zur See und im Luftraum

Das Reich der Mitte, in der Tang-Dynastie des 7. Jahrhunderts die wohlhabendste und kultivierteste Zivilisation, die die Welt je gesehen hatte, wurde zum Vorbild für Japans kulturelle, religiöse und wirtschaftliche Entwicklung. Keine der Demütigungen, die es ab dem 19. Jahrhundert durch westliche Mächte erdulden musste, war deshalb so einschneidend für China wie die Niederlage 1895 im Krieg gegen den Zögling vom “Aufgang der Sonne”, gegen ein Land, das sich in wenigen Jahrzehnten transformiert und sich westliche Technologien und Ambitionen angeeignet hatte. Die Stellung als Reich der Mitte war durch den Emporkömmling usurpiert und blieb es nicht nur bis zum Zusammenbruch der japanischen Besatzungsmacht 1945, sondern gefühlt bis 2010, als Chinas Volkswirtschaft die Japans überholte.

Wie tief der Stachel noch heute sitzt, zeigt sich in der Politik der Regierung Xi gegenüber Japan – auch weil sich der einstige Aggressor so gut als Prügelknabe eignet, um von den Unzulänglichkeiten der Partei abzulenken. Das Meiste, was seit jener Niederlage von 1895 geschah – die republikanische Revolution 1911, Aufstieg und Sieg des Maoismus 1949 und der Sozialismus chinesischer Lesart von heute – war und ist Reaktion auf den Verlust von Wohlstand, Macht und Ansehen und das Verlangen, den Respekt wieder zu gewinnen, der dem Land nach Ansicht seiner Führer und seiner Menschen zusteht. Präsident Xi nennt das „Chinas Traum“.

Respekt in erster Linie durch die USA, der pazifischen Macht, mit der man sich als jetzt zweitgrößte Wirtschaftsmacht auf Augenhöhe wähnt. Die Worte von Xi beim Gipfel mit Obama 2013 in Kalifornien „der weite Pazifik hat Platz genug für zwei große Länder“ waren nicht im Sinne von friedlicher Koexistenz gemeint, sondern artikulierten Pekings hegemonialen Anspruch auf den westlichen Pazifik und seine Randmeere. Washingtons „Pacific Rebalancing“ nimmt China als Einhegungsstreben wahr, vor allem dort, wo Pekings „assertiveness“ Amerikas Verbündete Japan und die Philippinen trifft: an der „Ersten Inselkette“, den äußeren Grenzen des Süd- und des Ostchinesischen Meeres.

Die größte Provokation ist Pekings Festhalten an der „Nine-Dash-Line“, neun Tuschpinseltupfern rund um das Südchinesische Meer, mit denen das gesamte Seegebiet und seine Inseln reklamiert werden. Beim jährlichen „Shangri-La Dialog“ in Singapur stellte im Juni dieses Jahres ein chinesischer General klar, dass die unter der UN-Seerechtskonvention (UNCLOS) geltend gemachten Ansprüche anderer Anrainer unrechtmäßig seien, weil die Inseln schon seit 2.000 Jahren zu China gehörten.

Im Südchinesischen Meer steht Amerikas strategisches „Rebalancing“ und seine Bereitschaft, Freunde und Verbündete vor Chinas Drangsalierung zu schützen, auf dem Prüfstand, wird doch Pekings Streben nach Hegemonie und Ressourcen in all seiner Rücksichtslosigkeit nirgendwo deutlicher. Im subtileren Vorgehen gegenüber dem wirtschaftlich und militärisch starken, fest im Westen verankerten G7- Mitglied Japan dagegen instrumentalisiert es „historische Schuld“.

Der chinesische Verteidigungshaushalt 2014 wuchs gegenüber dem Vorjahr um 12,2 % auf 132 Mrd. US-Dollar und setzte die seit zwanzig Jahren anhaltenden zweistelligen Wachstumsraten fort. Im Gegensatz zu Japan gibt China Informationen über Waffensysteme, Beschaffungen, Streitkräfteorganisation und Dislozierung, Übungen und Detaillierung des Verteidigungshaushalts, die der Transparenz und Vertrauensbildung dienen würden, nicht bekannt.

Aufwuchs, rasche Modernisierung, gestiegene operative Fähigkeiten und zunehmende Professionalisierung vor allem bei der Marine der Volksbefreiungsarmee (PLA-N) sind beeindruckend und beobachtbar, zuletzt anlässlich der erstmaligen Teilnahme mit 4 Schiffen am von 22 Nationen beschickten US-Manöver RIMPAC vor Hawaii in diesem Sommer. Im Juli 2013 nahmen 7 Einheiten im Japanischen Meer vor Wladiwostok an der russischen Übung „Joint Sea“ teil, um im Anschluss daran über die La Pérouse-Straße zwischen Hokkaido und Sachalin in das Ochotskische Meer und weiter durch die Kurilen über den Pazifik heimzukehren, eine auf Provokation angelegte Umfahrung des japanischen Archipels.

Demonstrativ wurden im Oktober 2013 die Meerengen zwischen der ersten Inselkette mit dem seit September 2012 in Dienst gestellten Flugzeugträger LIAONING und mit Zerstörer- Kampfgruppen aller drei Flotten durchfahren, um für Übungen den offenen Pazifik zu erreichen. Auf der Website „China Military Online“ hieß es dazu: „Der [begrenzende] Begriff ‚Inselkette‘ gehört ab sofort der Vergangenheit an“.

Mit Japan gab es seit 2011, nach dem Besuch des Zerstörers KIRISAME in Qingdao, keine freundschaftlichen Marinekontakte mehr, im Gegenteil, es häuften sich Zwischenfälle mit schwimmenden und f liegenden Marineeinheiten beider Seiten; am spektakulärsten im Januar 2013, als Fregatten der PLA-N im Ostchinesischen Meer zweimal je einen Hubschrauber und einen Zerstörer der MSDF mit Feuerleitradar beleuchteten. Besonders besorgniserregend hinsichtlich Zwischenfällen mit Eskalationsgefahr sind aufgrund fehlender gemeinsam abgestimmter Einsatzregeln die sich häufenden Begegnungen militärischer Luftfahrzeuge in der Überlappungszone beider ADIZ.

Doch es gibt gedämpfte Lichtblicke: China hatte im April 2014 als Gastgeber für das von 25 Nationen (inkl. USA, Japan) beschickte Western Pacific Naval Symposium in Qingdao großes Interesse an einem greifbaren Ergebnis der Veranstaltung. Die Teilnehmer einigten sich auf einen nicht bindenden „Code for Unplanned Encounters at Sea“ (CUES) für Marineschiffe und -flugzeuge. China will ihn aber erst nach jeweils bilateraler Einigung in Kraft setzen und er gilt nicht für Coast Guard-Einheiten. Mit Japan kamen im September hohe Regierungsvertreter überein, ab Ende 2014 Gespräche zur Einrichtung einer „maritime Hotline“ aufzunehmen, unter deren Mechanismus CUES zur Anwendung kommen soll. Das bilaterale Gipfeltreffen vom 10. November am Rande der APEC-Konferenz bestätigte diese Absicht.


Japans Gegenmaßnahmen

Das japanische Verteidigungsministerium schreibt im jährlich herausgegebenen Weißbuch (zzt. Defense of Japan 2014) die Verteidigungspolitik fort. Nach dem Verteidigungs- Rational ist es für Japan überlebenswichtig, ein „wasserdichtes“ System zu besitzen, um jedem Eventualfall begegnen zu können. Im Alleingang wäre das eine ökonomisch nicht vertretbare Anstrengung. Weil nur in einem Bündnis ein solches System realisierbar ist, hält Japan seinen Sicherheitsvertrag mit den USA aufrecht. Vor diesem Hintergrund definiert sich die Sicherheits- und Verteidigungspolitik in ihrer Bindung an die USA als rationale Entscheidung zum gegenseitigen Nutzen – ermöglicht sie doch den USA, zum Ärgernis Chinas, eine stabilisierende „Asiatische Macht“ zu bleiben.

Japan ist sich bewusst, dass in einer Region ohne multilaterale Sicherheitsstrukturen eine autonome und entsprechend starke japanische Verteidigung dem Verdacht des wiedererstehenden Militarismus ausgesetzt und damit destabilisierend wäre. Die Sicherheit Japans wird durch die abschreckende Macht der USA gewährleistet, verstärkt durch ein angemessenes Niveau der Verteidigungsfähigkeiten der SDF. Japan strebt keine militärischen Fähigkeiten an, die andere Staaten als Bedrohung perzipieren könnten. Deshalb kann dieses angemessene Niveau auch niemals das zur „strikten“ Selbstverteidigung Notwendige übersteigen. Das eingangs erwähnte, selbst auferlegte Verbot der kollektiven Selbstverteidigung wurde daraus abgeleitet.

Seit dem 1. Juli 2014 ist „strikt“ allerdings kein adäquater Begriff mehr. In einer lange diskutierten und aus mühsamen Kompromissen entstandenen Kabinettsentscheidung zur – so der sperrige Titel – „Erarbeitung einer nahtlosen Sicherheitsgesetzgebung, um Japans Überleben und den Schutz seiner Menschen zu gewährleisten“ wurde festgelegt, zügig Gesetze auf den Weg zu bringen, die kollektive Selbstverteidigung mit Ländern erlauben, zu denen Japan enge Beziehungen pflegt. Jedoch nur unter den Bedingungen, dass ein bewaffneter Angriff Japans Überleben bedroht, es keine anderen Mittel zur Abwehr des Angriffs gibt und die Anwendung von Gewalt auf ein notwendiges Mindestmaß beschränkt bleibt.

Mit möglichen Szenarien wie z.B. Minenräumoperationen auf für Japan bedeutenden Seeverbindungswegen werden bisherige geografische Beschränkungen aufgehoben. So nahmen im Herbst zwei japanische MCM-Einheiten am US-geführten Manöver IMCMEX im Persischen Golf teil. Noch bis Jahresende 2014 werden auch die bilateralen Richtlinien zur Verteidigungs-Kooperation mit den USA entsprechend angepasst, wobei als hervorstechende Neuerung die globale Dimension der Allianz unterstrichen wird. Mit seiner Politik des „Proaktiven Beitrags zum Frieden“ wird sich Japan darüber hinaus stärker im Bereich „Peace-Keeping“ engagieren. Anfang Oktober 2014 wurde der UN-Einsatz im Süd-Sudan verlängert, ab Mai 2015 wird ein japanischer Admiral erstmals den Befehl über die Anti-Piraterie- Mission CTF 151 am Horn von Afrika übernehmen. Der Bündnispartner USA begrüßt diese Schritte, wenn sie ihm auch nicht weit genug gehen, denn die SDF sind weiterhin kein „normales“ Militär und werden sich wie bisher in UN-sanktionierten Einsätzen, an denen Japan teilnehmen sollte, aus Kampfzonen heraushalten müssen.

Neben ihrer wirtschafts- und finanzpolitischen Agenda legt die Regierung Abe einen Schwerpunkt auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Zwar musste das eigentliche Ziel, eine schon in Abes erster Amtszeit 2006/07 angestrebte Verfassungsrevision, vor allem hinsichtlich Artikel 9 als unrealistisch aufgegeben werden, aber für japanische Verhältnisse setzte er in seiner zweiten Amtszeit seit Dezember 2012 – beschleunigt durch den Druck Chinas – Veränderungen in bisher nie gekannter Dichte und Qualität durch. Allein im Dezember 2013 erfolgte die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates (NSC), der Erlass einer Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS), neue verteidigungspolitische Richtlinien (NDPG) und die Aufdatierung des mittelfristigen Verteidigungsprogramms (MTDP) bis 2018.

Seit April 2014 ist Japan, dem Rüstungskooperation (mit Ausnahme USA) de facto verboten war, unter den neuen „Drei Prinzipien zum Transfer von Rüstungsgütern und Technologie“ in engen Grenzen zum Rüstungsexport und zur gemeinschaftlichen Waffensystementwicklung mit in der NSS festgelegten Partnerstaaten berechtigt. Eine der Voraussetzungen sind Rüstungsrahmenabkommen, wie sie mit Großbritannien und Australien bereits geschlossen wurden, und wie sie mit Frankreich und ggf. auch Deutschland in Vorbereitung sind. Es gibt sogar Spekulationen, dass es zum Export von U-Booten der SORYU-Klasse nach Australien kommen könnte.

Nach 11 Jahren des Rückgangs wuchsen die Verteidigungshaushalte 2013 und 2014 erstmals wieder um zuletzt 2,2 % auf 47 Mrd. US-Dollar. Der Haushalt stellt die Mittel zum Umbau der SDF in eine „Dynamic Joint Defense Force“ bereit, die in der Lage ist, im Gebiet um Japan die Seeherrschaft und Luftüberlegenheit sicherzustellen sowie Kampftruppen schnell verlegen zu können – u.a. wird eine nach dem US-Marine Corps modellierte amphibische Brigade der GSDF entstehen. Dies zielt besonders auf die Fähigkeit zum Einsatz in „Grauzonen“, wenn z.B. paramilitärische oder als Fischer getarnte Kräfte Inseln wie die Senkakus besetzen, die dann zurückerobert werden müssen.

Die MSDF hält den Umfang ihrer ca. 50 Einheiten umfassenden Zerstörerflottille aufrecht und modernisiert sie, erhöht die Anzahl der AEGIS-Schiffe von 6 auf 8, ihre U-Boot-Waffe von 16 auf 22 und hat neue Landungsschiffe und -boote in Auftrag gegeben; die ASDF erhält das Jagdflugzeug F-35 und Global Hawk. Mit diesen Maßnahmen sieht sich Japan in der Lage, zusammen mit dem Abschreckungspotenzial der verbündeten USA, der chinesischen Bedrohung wirksam begegnen zu können.

Das Phänomen, dass der größte Teil der ASEAN-Staaten, die unter japanischer Besatzung fürchterliches Leid erfahren hatten, ihre Beziehungen zu Japan neu beleben, ist der Einschüchterungspolitik Chinas geschuldet. Für Indiens neuen Premier Modi war Japan Anfang September der erste Auslandsbesuch. Kein japanischer Regierungschef ist bisher so viel gereist wie Abe. Im September war Bangladesch das 49. Land, in dem er wie überall seine der Achtung internationalen Rechts verpflichtete Politik erläuterte und Geschenke zum Erhalt der Freundschaft hinterließ. In den maritim geprägten Staaten wie Indonesien, den Philippinen, Vietnam und zuletzt Sri Lanka waren das u.a. Küstenwachfahrzeuge, die sich eignen, territoriale Ansprüche gegenüber aggressiv operierenden Einheiten der Chinese Coast Guard wenn nicht durchzusetzen, so doch zu demonstrieren.


Eine der potenziell gefährlichsten Regionen der Welt braucht den Dialog

Europäern, bewandert in Bündnissen, kollektiven Sicherheitssystemen und aufgearbeiteter Geschichte, überzeugt vom Erfolg vertrauensbildender Maßnahmen, fallen spontan eine ganze Palette von Ratschlägen ein, wie das friedliche Zusammenleben in Nordostasien sichergestellt werden könnte. Nach den jüngsten, schockierenden Erfahrungen mit Russland macht sich aber auch Ernüchterung breit und die Erkenntnis wächst, dass gegenüber einer am Phantomschmerz vergangener Größe leidenden Macht Dialogbereitschaft allein keine Lösung ist.

Präsident Xi mit seinem chinesischen Traum vertraut darauf, dass er die Zeit, die Ökonomie und die Demografie auf seiner Seite hat, selbst gegenüber den USA, um wie viel mehr gegenüber jenem Parvenü an seiner Peripherie mit seiner überalterten Gesellschaft. Dennoch, wenn Xi an seinem Kurs der Drangsalierung, Einschüchterung und Rechtsverletzung festhält, wird China für seine Nachbarn bedrohlich und unattraktiv bleiben, immer mehr werden es Japans selbstbewusstem Widerstand gleichtun und sich verstärkt an die Rockschöße Amerikas hängen.

Trotz Wehrhaftigkeit und Schulterschluss mit den Ländern, die noch deutlicher unter Chinas Selbstbehauptung leiden – Shinzo Abe suchte unermüdlich den ihm bisher verwehrten Dialog mit Xi Jinping. der schließlich am 10. November am Rande des APEC-Gipfels in Peking zustande kam. Auf seiner Reise durch 49 Hauptstädte war der angebliche Revisionist zwar endlich in der fünfzigsten und wichtigsten nach einem langen Umweg am Ziel - aber Präsident Xi Jinping signalisierte als Gastgeber für die Staats- und Regierungschefs des größten Wirtschaftsraums der Erde demonstrativ herablassend, dass der künftige Hegemon dieser Region den Japaner nicht als ebenbürtig betrachtet. Um gegenüber dem eigenen Publikum den Eindruck zu vermeiden, er empfinge Abe als Freund, ließ er ihn warten, vermied Augenkontakt und gewährte ihm nach einem gequälten Handschlag ein halbstündiges Gespräch. Daraus verlautete inhaltlich von chinesischer Seite selbstgerecht, dass Xi verdeutlicht habe, was "das Richtige und Falsche hinter den ernsthaften Hindernissen in den chinesisch-japanischen Beziehungen der letzten zwei Jahre" gewesen sei.

Das Wichtigste hatten die Beamten beider Seiten ohnehin schon zwei Tage zuvor in einem gemeinsamen Vierpunkte-Kommuniqué erarbeitet und veröffentlicht. Jeder der Punkte ist so vage formuliert, dass China das Dokument als Sieg über die japanische Position interpretieren kann, wonach es im Ostchinesischen Meer keinen Territorialkonflikt gebe - Japan dagegen dieser Position widersprechen kann. Nirgends hat die japanische Regierung zugesagt, die Yasukuni-Besuche aufzugeben und Abe wird nicht gegen das Kommuniqué verstoßen, wenn er seine Außen- und Sicherheitspolitik fortführt. Bleibt also alles wie es war? Punkt 4 lässt auf eine bessere Zukunft hoffen, denn dort heißt es, beide Seiten teilten die Ansicht, man werde den Dialog wieder aufnehmen und Anstrengungen zum Aufbau von gegenseitigem politischen Vertrauen unternehmen. Nichts braucht die Region dringender.

Der Artikel wurde hier komplett wiedergegeben, da er nur kurze Zeit im Netz sein wird.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema

Gehe zu: