Schweiz
#10
Thomas Wach schrieb:Daher auch an unsere schweizerischen Freunde hier: Sieht die politische Landschaft, die politische Kultur in der Schweiz derart stark polarisiert aus?
Das werden die Wahlen vom kommenden Sonntag zeigen. Ich bin kein Politologe, habe aber eine Polarisierung schon bei den letzten Wahlen beobachtet. Man darf nicht vergessen: bei den letzten Wahlen wurde eine jahrzehntealte Ordnung in der Schweizer Politik gesprengt: Die Zauberformel. Einerseits ist dies ein Resultat der vorangegangenn Polarisierung, andererseits wurde die Polarisierung dadurch in der vergangenen Legislaturperiode nicht entschärft, sondern eher noch angeheizt. Der Kompromiss der Zauberformel hat die vier grossen Parteien der Schweiz in eine komfortable Situation gebracht: man konnte ohne grossen Aufwand seinen Sitz im Bundesrat halten, und das während Jahrzehnten. Mit dem Ende der Zauberformel gilt die Sitzverteilung im Bundesrat nicht mehr (also 2 CVP, 2 FDP, 2 SP, 1 SVP) und jede Partei muss darum fürchten, dass sie ihren Sitz (oder einen davon) verliert (bei den letzten Wahlen verlor die CVP einen Sitz an die SVP). Daher wird natürlich auch der Wahlkampf mit härteren Bandagen geführt. Zudem ist neuerdings mit der Umweltbewegung (Grüne Partei, sowie evtl. die Grünliberale Partei) eine neue politische Richtung dabei, sich in Position für einen Bundesratssitz zu bringen, was natürlich die Lage für die bisherigen Parteien verschärft.

Jetzt zur SVP, ihrem Wahlplakat und Blocher:
Die SVP schürt Ängste, welche die Volksseele vieler Schweizer empfindlich treffen: Angst vor Überfremdung, Angst vor Wohlstandsverlust (wegen der Überfremdung), Sicherheitsbedenken. Das ist nichts Neues, das macht die SVP schon seit langem. Darüber würde ich mir auch nicht den Kopf zerbrechen, denn solche Strömungen gibt es überall. Braunes Gedankengut? Damit haben glaub ich prinzipiell die Deutschen ein Problem (Vergangenheitsbewältigung). Für die Schweiz mache ich mir deswegen im Moment noch keine Sorgen, die Schweizer sind viel zu harmlos. Die Gemeinsamkeit mit den Nazis würde ich darin sehen, dass die SVP nichts Fremdartiges im eigenen Land duldet. Es geht ihr aber, anders als den Nazis, nicht darum, die ganze Welt in die selbe Richtung zu bringen, sondern einfach nur die Schweiz. Sprich: Integration von Ausländern, und wenn das nicht klappt (was ja offensichtlich der Fall ist), dann eben Rausschmiss. Letzterer funktioniert aber schlecht, da eben die "Netten" häufig was dagegen haben und die ganze Sache sowieso nicht lohnenswert ist (Rückschaffung ist teuer und es kommen immer mehr Ausländer rein).
Ich glaube, was die SVP möchte, ist folgende Botschaft an die Ausländer: "Ihr seid willkommen, wenn ihr unsere Wirtschaft fördert, euch integriert und euch an unsere Spielregeln haltet. Falls ihr das nicht hinkriegt, dann schert euch zum Teufel (bzw. wir helfen nach)!" Ich persönlich unterstütze diese Botschaft, obwohl ich die SVP nicht wähle ;-) Straffällige Ausländer sollten raus aus der Schweiz und nicht noch in den Genuss unserer Luxusgefängnisse kommen; das grosse Problem dabei ist häufig die Bestimmung des Zielortes (Asylsuchende aus Afrika sind häufig Sans-Papiers, damit sie Flüchtlingsstatus erhalten) und generell die Bewertung der Straftat (man kann kaum jemanden ausschaffen, der einmal vergessen hat, seine Steuern zu bezahlen). Bei Verbrechen gegen Leib und Leben (Prügelei, Mord usw.), bei Verbrechen wie Diebstahl, Einbrüchen, etc., aber auch bei wiederholten schweren Verkehrsdelikten (Raserei) wünschte ich mir ein härteres Durchgreifen der Behörden, bei allen Straftätern, egal woher die dann kommen. Das haben wir in der Schweiz aber nicht, und das ist glaub ich das, was die SVP am liebsten ändern würde (Blocher ist ja passenderweise Justizminister), nämlich, dieses Land unattraktiver für Kriminelle und Trittbrettfahrer zu machen. Das härtere Durchgreifen muss aber von allen Parteien gebilligt werden, also auch ohne die SVP funktionieren. Vielleicht schaffen wir das ja eines Tages.

Nun zum Plakat: ein gefundenes Fressen für die Medien, für Menschenrechtler und für schockierte Afrikaner. Meine Diagnose: es ist harmlos, verfehlt aber total die Aussage, die es eigentlich machen will. Man will damit "schwarze Schafe", also eben Trittbrettfahrer bezeichnen, welche von der SVP ja v.a. bei Ausländern geortet werden (was natürlich nicht stimmt, es gibt auch genügend Schweizer, die das System ausnützen). Die Kernbotschaft, dass die Schweiz zu lasch im Durchsetzen ihrer eigenen Gesetze im eigenen Land ist, geht dabei leider unter. Das Plakat ist also ein Riesenfehler und kostet die SVP hoffentlich Stimmen.

Tja, und dann gibts noch Christoph Blocher: Personenkult à la Führer? Unsinn! Bitte nicht immer alles glauben, was der Spiegel schreibt! Sicher Blocher ist die Gallionsfigur der SVP (ohne ihn wäre die SVP wohl kaum der Rede wert). Aber Blocher hat absolut kein staatsmännisches Format. Er ist Unternehmer und führt auch sein Departement so: effizient und möglichst unbürokratisch. Doch auf diplomatischer Ebene ist Blocher eine totale Nullnummer, wie er bei verschiedenen Gelegenheiten unter Beweis gestellt hat (z.B. beim Türkeibesuch). Das zeigt sich leider auch im Bundesrat.
Zudem ist Blocher kein gescheiterter Kunstmaler, sondern Jurist und erfolgreicher Unternehmer (Ems-Chemiewerke). Er weiss, was er darf und was ihn vor den Richter bringen würde. Er bewegt sich bei seinen Aussagen häufig in juristischen Grauzonen, lässt sich aber immer noch ein Hintertürchen offen, um notfalls zurückzukrebsen. Kurz: seine Ausbildung macht ihn zwar gefährlich, aber auch vorsichtig, da er weiss, dass er nicht einfach gewisse Grenzen überschreiten kann.

Ach ja, Bern gestern Samstag. Ich kann nur sagen, die Aktivisten vom Schwarzen Block und alle, die da sonst noch auf die SVP Kundgebung eingedroschen haben, sind - Verzeihung- DIE ALLERGRÖSSTEN VOLLIDIOTEN!!! Möglicherweise verhilft das der SVP am nächsten Sonntag zu einem Wahlsieg. Denn die Behörden waren erstens nicht in der Lage, die Gewalt zu verhindern, was die SVP in ihrem Wunsch nach stärkerem Durchgreifen nur bestätigt. Und zweitens kann die SVP mit dem Finger auf ihre politisch extremsten Gegner zeigen und sagen: "seht her, während wir auf einer bewilligten, friedlichen Wahlkundgebung sind, demontiert die Linke den Rechtsstaat, demoliert fremdes Eigentum, bricht alle Gesetze. Und die Polizei schaut zu!"
Meinen Glückwunsch, Schwarzer Block! Das habt ihr echt fein gemacht.
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