Pakistan
#83
Jetzt mal meine Einschätzung/Analyse der Lage in Pakistan:

Als erstes würde ich Erich widersprechen wollen. Ich kann weder kurz- noch mittelfristig eine Stärkung der Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten sehen, von Afghanistan abgesehen.
Russland und Pakistan standen sich immer entweder feindseelig gegenüber oder aber mit viel Gleichgültigkeit. Der Iran steht auch nicht gerade als Freund von Pakistan da.
Die USA hatte und hat ein ambivalentes Verhältnis zu Pakistan und daran wird sich so schnell auch nichts ändern.

Kommen wir aber mal zur Innenpolitik. Ich denke schon, dass dieses erfolgreiche Attentat einen bedeutsamen Einschnitt darstellt, wobei ich auch Schneemann tendenzeill etwas widersprechen würde.
Wir sehen in Pakistan diverse politische Kräfte am Werk, die teils völlig unterschiedliche politische Absichten, teils gemeinsame Absichten haben, aber dann auch völlig verschiedene Mittel nutzen um jene zu erreichen.
Letztlich gibt es vereinfacht gesagt drei größere Machtfaktoren, die noch ineinander differenziert sind: Das ist das Militär, das sind die diversen Islamistengruppen, deren radikalste Exponenten die paschtunischen Taliban und die Al-Quaida sind und dann noch die bürgerlichen, zivilen Parteien, die das urbane, wohlhabendere Pakistan vertreten.
Was war das Problem in den letzten Jahren? Wir hatten in den 90er Jahren zivile Regierungen um Bhutto und Sharif gesehen, die durch Korruption und Misswirtschaft nur die sie unterstützenden reichen Familien und Clans in den Provinzen Sindh und Punjab gefördert haben, während das Land vor sich hinvegetierte. Sowohl Sharif, als auch Bhutto sprachen immer von Demokratie, aber letztlich ging es da auch mehrheitlich um Posten und Profit. Zudem gab es auch damals schon einen großen Einfluß der Sicherheitsapparate. Jene entschlossen sich unter Musharraf diese korrupte zivile Elite zu entthronen.
Korruption ging zurück, die Wirtschaft entwickelte sich. Das problem war, dass das Militär - wie seit langem - auch mit einigen islamistischen Kreisen paktierte um die zivilen, wirtschaftlichen Eliten der reichen Familien politisch kalt zu stellen. So konnten die gemäßigten islamisten über Wahlmanipulation auch entsprechende Gewinne einfahren. Das Problem war aber, dass seit dem Bündnis mit den USA Musharraf und die Armee auch gegen die radikalen Exponenten ihrer islamistischen Verbündeten vorgehen mussten. Das bedeutete für das Militär eine Zwickmühle, schließlich wollte man sich eigentlich auf die Sanierung des Landes und das Brechen alter Cliquenwirtschaften konzentrieren (die allerdings im Rahmen früherer Militärherrschaften auch mitentstanden waren...). Allerdings wollte wohl Musharraf tatsächlich im Rahmen seiner Möglichkeiten einiges bewegen. Aber letztlich saß und sitzt er in einem Dilemma: Das Militär hat immer solche Islamisten genutzt und instrumentalisiert, sei es in Kaschmir oder in Afghanistan, sowohl aus politischer Rationalität, als auch weil es auch genügend Anhänger des islamischen Konservatismus im Militär gab und gibt. Allerdings gibt es bei den Islamisten zunehmend Radikale, man konnte und kann sie nicht mehr kontrollieren. Da die Taliban nun auch stärker in Pakistan, in den eh kaum zu kontrollierenden Stammesgebieten im Westen operieren, verschlimmerte sich die Lage. Aber letztlich ging das Militär nicht wirklich gegen jene vor, weil man in Islamabad eine größere Auseinandersetzung mit den Islamisten gefürchtet hat. Weil man genau wusste bzw. vermutete im Militär, dass die zivilen urbanen bürgerlichen Kräfte viel eher jede Schwäche des Militärs ausnutzen würden, um jenes zurückzutreiben in die Kasernen und um die alten Verbindungen wieder aufleben zu lassen, anstatt die Militärs im Kampf gegen die vorrückenden Islamisten zu unterstützen.

Was aber war in den letzten Monaten passiert? Eben genau dieses Szenario. Anstatt sich zu verbünden (was kurzzeitig möglich war), kämpfte man weiterhin um die Macht. Die Juristen waren dabei die Vorreiter der bürgerlichen Opposition unter Chaudhry. Während also die Islamisten selbst in Sindh und Punjab und sogar in der Hauptstadt selbst Boden giutmachten und sich ausbreiteten, bekämpften sich Militärs und Bürgerliche gegenseitig, zur Freude der Islamisten. Die Allianz von Bhutto und Musharraf, die Washington schmieden wollte, zerbrach, weil Musharraf und seine Militärs aus Angst vor Chaudhry die bürgerlichen kräfte mit dem Ausnahmezustand von Anfang November nochmal in die Schranken weisen wollte.
Doch letztlich wurde dadurch nichts gewonnen, mögliche Koalitionen viel eher verhindert.
Der Tod von Bhutto dynamisiert und verschlechtert die ganze Lage noch weiter: Zum einen fehlt ein Ansprechpartner der bürgerlichen Opposition so aus, der auch mit Musharraf trotz aller Probleme hätte verhandeln können. Damit bleibt erstmal nur Sharif, der allerdings Musharraf noch weniger gewogen ist als Bhutto.
Die Ärgerlichkeiten zwischen Militärs und Bürgerlichen eskalieren nun aber weiter. Bhuttos Anhänger randalieren und liefern sich Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften, machen Musharraf für den Tod verantwortlich, anstatt sich mit den Islamisten auseinanderzusetzen. So aber "kümmern" sich weder die Anhänger Bhuttos Üartei, noch die Sicherheitskräfte um die Islamisten. Letztere sind die lachenden Gewinner, während sich die anderen im Streit miteinander gegenseitig verbrauchen und auszehren. Angesichts der eskalierten Lage zwischen den Militärs und den großen Oppositionsparteien war der Tod von Bhutto ein weiterer Schritt, um die Oppositionsanhänger weiter gegen das Musharraf-Regime auszuhetzen und damit den Konflikt zwischen Bürgerlichen und Militärs zu verschlimmern. Und ich denke, dass dieser Schritt sehr substanziell war und eine mögliche politische Verständigung und Stabilisieurng auf mittlere Frist mindestens verhindert. Ich denke nicht, dass Pakistan nun sofort ins Chaos abgleitet oder Atomwaffen in die Hand von Terroristen fallen. Das sind eh nur Alarmmeldungen, Überreaktionen solche Schlagzeilen. Viel schlimmer ist die echte politische Verschlimmerung der Krise: Die angeheizte Auseinandersetzung, die Ratlosigkeit bei den bürgerlichen Oppositionellen, was man machen soll, wie man die Anhängerschaft nun wieder kontrollieren soll etc.

Natürlich hat Schneemann Recht, wenn er schreibt, dass die Islamisten weiter Einfluß haben und das Militärregime bestehen bleibt. Trotzdem ist diese Situation deutlich verschlimmert: Das Militär ist politisch weiterhin stärker gebunden mit bezug auf die Opposition, jene ist nun stärker gespalten, ratlos und zum Teil führerlos und ihre Anhänger erledigen nun verstärkt die "Drecksarbeit" der Islamisten, sie werden von den Islamisten instrumentalisiert: Sie geben den Sicherheitskräften viel zu tun und destabilisieren die Lage.
Mit dem Tod Bhuttos geht Pakistan leider einen großen Schritt in Richtung politisches Chaos und Bürgerkrieg. Denn nun ist der Zeitpunkt substanziell näher gerückt, in dem etwaige Führer der Islamisten dem pakist. Volk sich andienen, das Chaos zwischen Militärs und westlich gesinnten reichen Bürgerlichen zu schlichten, in dem sie ihre Interpretation des Islams als Garant für Stabilität undOrdnung suggerieren. Noch ist dieser Tag fern, aber er ist durch das Attenat näher gerückt!
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